14. Oktober 2018
Missbrauch
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die deutschen Bischöfe haben eine Studie in Auftrag gegeben, in der alle Verfehlungen von Priestern mit Kindern und Jugendlichen seit dem Jahre 1946 zusammengetragen werden sollen. Zu diesem Zweck wurde den Beauftragten Einblick in die kirchlichen Archive gegeben. Die Veröffentlichung der Studie erregte größtes Aufsehen. Die Medien bemächtigten sich des Themas, machten seinen Inhalt bekannt, und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder. Viele Menschen reagierten mit Entrüstung und Empörung. Eine Woge von Wut und Zorn ergoss sich über unsere Kirche. Das Ansteigen der Kirchenaustritte ist vorauszusehen. Sexueller Missbrauch von Kindern ist eine schwere Sünde, ein Verbrechen, eine Straftat. Doch der Begriff des Missbrauches ist unklar; er wurde von der Studie sehr weit gefasst. Darin wurden sexuelle Delikte und indirekte Handlungen wie Exhibitionismus und die Anfertigung voyeuristischer Bilder vermischt. Anfangs wurden sogar körperliche Züchtigungen unter missbräuchlicher Gewaltanwendung mit sexuellen Delikten zusammengefasst. Nun ist Fehlverhalten gegenüber Angehörigen des eigenen oder des fremden Geschlechtes ein weites Feld. Es gibt unangemessene Körperberührungen, die nicht strafbar sind. Die Studie macht nicht deutlich, wie viele es waren. Eine solche Körperberührung kann nicht genau so bewertet werden wie die Verletzung der körperlichen Selbstbestimmung, durch Vergewaltigung etwa. Als Täter werden die Priester ausgemacht – nur die Priester. Die Studie lässt männliche Gemeindereferenten, Pastoralreferenten und Diakone beiseite. Warum? Die Opfer der Übergriffe waren überwiegend männliche Jugendliche; über die Hälfte war zur Tatzeit jünger als 14 Jahre. Die Aufklärung sexuellen Missbrauchs ist erschwert dadurch, dass die meisten Opfer aus Scham schweigen. Wenn sie reden, dann erst nach langer Zeit. Zwischen Begehen der Tat und Meldung des Opfers vergingen oft Jahrzehnte. In dieser Zeitspanne kann sich die Erinnerung leicht verwischen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass die Familienangehörigen, namentlich die Mütter, trotz ihres Wissens um Übergriffe an ihren Kindern häufig nicht reagieren und den Missbrauch dulden. Auf eine weitere Gefahr muss aufmerksam gemacht werden. Aussagen von Kindern haben ihre große Schwierigkeit. Die Fähigkeit, zwischen harmlosen und sündhaften Handlungen zu unterscheiden, geht ihnen zumeist ab. Kein Erzieher ist dagegen gefeit, dass ihm ein normaler Erweis der Zärtlichkeit als sexuelle Annäherung ausgelegt wird. Jeder Fall, der wirklich geschehen ist, ist einer zu viel und tief bedauerlich.
Aber das Phänomen des Kindermissbrauchs ist über die ganze Gesellschaft verbreitet. Nach der amtlichen Kriminalstatistik werden in Deutschland jedes Jahr 12 500 Fälle sexuellen Missbrauchs Minderjähriger bekannt; die Dunkelzahl schätzt man auf das 8-20fache. 99,5% der Missbrauchsfälle finden nicht im Raum der Kirche statt, sondern im sozialen Umfeld. Die häufigsten Täter sind bekannte männliche Personen und männliche Familienangehörige; zu den Haupttätern gehören die Stiefväter. Von der Schauspielerin Romy Schneider wurde bekannt, dass sie sich vor ihrem Stiefvater versteckte, weil er ihr nachstellte. In den USA sind 5-7% der Lehrer in sexuellen Missbrauch verwickelt. Eine Beschuldigung ist nicht gleichbedeutend mit einer tatsächlich begangenen Straftat. Behaupten ist leicht, beweisen kann schwer, ja unmöglich sein. Nur eine geringe Zahl der Anschuldigungen wurde bewiesen. Über 1/5 der Strafverfahren wurde eingestellt, weil nach Erkenntnis der Staatsanwaltschaft keine Straftat begangen wurde. Missbrauch kann den Strafverfolgungsbehörden angezeigt und einem Strafverfahren unterworfen werden. In den Strafverfahren, welche die Studie gesichtet hat, ergaben sich nur in 31% der Fälle Verurteilungen, in 21% der Fälle Freisprüche oder Einstellung des Verfahrens wegen mangelnden Tatverdachts. Die Vorfälle sexuellen Missbrauchs, die wirklich geschehen sind, sind unentschuldbar; es gibt keine Rechtfertigung. Aber es ist zu fragen, wie sie zu erklären sind. Wie kommen Priester dazu, so etwas Schreckliches zu tun?
In keinem Falle ist dafür verantwortlich die ehelose Lebensform des Priesters, der sog. Zölibat. Die Ehelosigkeit hat mit sexuellem Missbrauch nichts, aber auch gar nichts, zu tun. Die Missbrauchsfälle in Familien, Sportvereinen und Schulen wurden nicht von zölibatären, sondern in aller Regel von Verheirateten begangen. Seriöse Statistiken belegen die Tatsache, dass in der Gesellschaft Missbrauchsvergehen fast zu 100% von Männern begangen wurden, die nicht zölibatär lebten. Der Zölibat ist kein Risikofaktor. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein katholischer Priester zum Missbrauchstäter wird, ist 36mal geringer als bei Männern, die nicht zölibatär leben. Anders verhält es sich mit der Homosexualität. Der überwiegende Teil der Opfer ist männlich. Bei den Tätern ist ein deutlich überproportionaler Anteil Homosexueller statistisch erwiesen. Die wichtigste und durchschlagende Erklärung, wie es zum sexuellen Missbrauch durch Priester kommen konnte, wird vom Papst und von allen Bischöfen weder erkannt noch zugegeben. Es ist eine offenkundige Tatsache, meine lieben Freunde, dass die Existenz des Priestertums auf dem Glauben beruht. Dass es geweihte Vorsteher der Gemeinden gibt, ist auf den Stiftungswillen Jesu Christi zurückzuführen. Ebenso wie die Existenz ist das Leben und Wirken des Priesters nur im Glauben und aus dem Glauben möglich. Wo der Glaube erlischt, zerbricht die priesterliche Persönlichkeit. Der Glaube der katholischen Priester ist seit Jahrzehnten von katholischen Theologen ausgehöhlt, unsicher gemacht, verkehrt und verdreht worden. Im Besonderen wurde die Lehre vom sittlichen Handeln verfälscht. Die katholische Moraltheologie ist auf weitestem Feld zusammengebrochen! Die meisten Anschuldigungen betreffen die 1960-80er Jahre – das ist die Zeit, in der sich durch das Konzil Erschütterungen zutrugen, die die priesterliche Persönlichkeit zuerst und am meisten getroffen hat. Ein falscher Begriff des Gewissens wurde aufgebracht. Das Gewissen wurde als schöpferische Instanz ausgegeben. Die sittlichen Normen wurden als bloßes Rohmaterial angesehen, aus dem der Mensch die eigenen Entscheidungen zu bilden hat. Das kreative, das schöpferische Gewissen hat sich selbst die Norm gegeben. Der Missbrauchstäter kann sich auf sein schöpferisches Gewissen berufen, das ihn im einzelnen Fall von der Beobachtung der allgemeinen sittlichen Normen freistellt. Die falsche Moraltheologie brachte die Situationsethik auf. Danach ist es unmöglich, die jeweilige Situation unter die allgemeinen sittlichen Normen zu subsummieren. Was sittlich zulässig oder unzulässig ist, entscheidet der Einzelne im Angesicht der immer unverwechselbar neuen Lage. Vom gegenwärtigen Papst liegen Äußerungen vor, die in diese Richtung deuten. Er sprach von der Komplexität der verschiedenen Situationen, die man nicht einer allgemeinen sittlichen Regel unterstellen könne. Das sittlich Geforderte ergibt sich jedoch niemals aus der Situation, sondern immer aus den sittlichen Normen. Der Mensch ist aufgefordert, sie zu suchen und zu finden. Die falschlehrenden Moraltheologen führten den Begriff der „autonomen Moral“ ein. Sie überlässt das Urteil über die sittliche Zulässigkeit einer Handlung dem Einzelnen. Er kann dazu gelangen, dass, was an sich sittlich verkehrt ist, in seinem Falle für erlaubt anzusehen – autonome Moral nennt man das. Der Missbrauchstäter mag an das denken, was der Papst in seinem Schreiben „Gaudete exultate“ angeführt hat, dass es kaum, dass es kaum! gelinge, die Wahrheit der Offenbarung, also auch die Sittengebote, zu verstehen. Die Falsches lehrenden Moraltheologen führten die Moral der Güterabwägung ein. Danach bestimmt sich gut und böse von der Wirkung her, allein von der Wirkung. Bei allen Handlungen sind die Güter abzuwägen. Dabei kann man zu dem Urteil kommen, dass angesichts der besonderen Situation erlaubt ist, was an sich sittlich unerlaubt ist. Wert oder Unwert des Tuns ergibt sich aus der angestrebten Folge. Das führt zu der Ansicht, es gebe im Bereich der zwischenmenschlichen Handlungen keine unmoralischen Handlungen, die immer und überall sittlich verboten sind. Diese Moraltheologen schaffen eine neue Moral, aber eine falsche! Die Leugnung von in sich unmoralischen Handlungen ist eine Wurzel der sexuellen Verirrungen. Wenn es keine in sich schlechten, also immer verbotenen unsittlichen Handlungen gibt, dann kann auch die geschlechtliche Betätigung an Kindern und Jugendlichen nicht in jedem Falle verboten sein. Alle diese Irrtümer sind von den Trägern des kirchlichen Lehramtes in Deutschland geduldet und teilweise ermutigt worden! Nur einer hat sich entgegengestellt, das sei zu seinem Ruhm gesagt: Johannes Paul II. Er hat alle diese falschen Moraltheologien verworfen, aber man hat nicht auf ihn gehört. Dass ein Zusammenhang zwischen den falschen Lehren der Moraltheologen auf der einen Seite und den Missbrauchspraktiken auf der anderen Seite besteht, wurde von keinem Geringeren als dem derzeitigen Mainzer Oberhirten bestätigt. Bischof Kohlgraf verweist auf Priester, die ihre Taten religiös verbrämt und die Opfer glauben gemacht hätten, alles geschehe zum Wohl der Kirche. Ist das nicht ein Hinweis auf die falsche Moraltheologie, wonach es kein schlechthin Böses gibt und Schlimmes durch einen guten Zweck erlaubt wird?
Die Zerstörung des Glaubens wurde flankiert vom Zusammenbruch der Ordnung in der Kirche. Seit Jahrzehnten stehen zahlreiche Gesetze der Kirche nur noch auf dem Papier. Mit Redensarten wie: „Das ist überholt“ oder: „Das kann man heute nicht mehr sagen“ entziehen sich zahllose Glieder der Kirche – leider auch Priester – dem Gesetzesgehorsam. Die Gesetzlosigkeit wird zu einer existentiellen Gefahr für die Priester, wenn sie deren aszetische und spirituelle Lebensform ergreift. Der Priester, der das ausgiebige Gebet unterlässt, der Priester, der die tägliche Feier des Messopfers aufgibt, der Priester, der die regelmäßige Beicht versäumt, dieser Priester ist in höchster Gefahr; er arbeitet an seinem persönlichen Ruin! Was haben die Bischöfe getan, um die Ordnung im Priesterstand wiederherzustellen? Wenig oder gar nichts.
Niemand hat die Bischöfe gezwungen, Verfehlungen von Klerikern aus grauer Vergangenheit bis in die Gegenwart in die Öffentlichkeit zu zerren. Keine staatliche Stelle hat von der Kirche eine derartige Studie gefordert. Vergleichbare Vorgänge bei anderen Institutionen existieren nicht. Die Lehrerverbände etwa zeigen keine Neigung, Unregelmäßigkeiten von Lehrern gegenüber den ihnen anvertrauten Kindern seit 50 oder 60 Jahren aufzudecken. Die Ärzteschaft denkt nicht daran, zu erforschen und der Öffentlichkeit zu unterbreiten, welche und wie viele Verfehlungen von Ärzten an weiblichen Patienten seit 1946 vorgekommen sind. Die Polizei denkt nicht daran, nachzuforschen, welche ihrer Beamten sich in den letzten Jahren innerhalb oder außerhalb des Dienstes strafbar gemacht haben. Keine weltliche Institution lässt vertrauliche Papiere untersuchen. Keine weltliche Institution stellt ihre Mitarbeiter öffentlich bloß, nur die Kirche. Es ist unerfindlich, welchen Nutzen es haben soll, Verfehlungen, die 50 oder 60 Jahre zurückliegen, nachzuspüren und an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Erwartung der Bischöfe nach Erstellung der Studie werde Ruhe auf diesem Sektor eintreten, hat sich nicht erfüllt. Die Bischöfe haben sich verrechnet. Sie haben mit ihrer Studie den Absichten der Feinde der Kirche gedient. Welches sind diese Absichten? Es ist klar: Die Kirche, die verhasste Kirche soll an den Pranger gestellt, in den Anklagezustand versetzt, um das Vertrauen bei den Gläubigen und in der Öffentlichkeit gebracht und in ihrem Mitgliederstand geschwächt werden. Die Bischöfe hätten um die Folgen ihrer ungefragten, von niemand erbetenen Studie wissen müssen. Sie haben mit ihrer Studie einen weiteren Beitrag zur Selbstzerstörung der Kirche geleistet.
Amen.