Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Januar 2024

Das erste Wunder Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Nach jüdischer Sitte dauerte eine Hochzeit, wenn die Braut eine Jungfrau war, sieben Tage (Richt 14,12.17; Tob 11,18), wenn sie eine Witwe war, nur drei oder noch weniger Tage. Täglich kamen und gingen Hochzeitsgäste; nur der Brautführer hatte die volle Woche auszuhalten. An der Hochzeit zu Kana nimmt auch die Mutter Jesu (deren Name bei Johannes nie genannt wird) teil. Auch Jesus und seine Jünger, die vielleicht erst einige Tage nach Beginn der Hochzeitsfeier eingetroffen sind, werden eingeladen. Vermutlich bestand zwischen der Familie Jesu und dem Brautpaar ein Freundschafts- oder Verwandtschaftsverhältnis. Als die Hochzeitsfeier sich dem Ende nähert, geht der Wein aus, der zu jedem jüdischen Freudenfest gehörte. Das bringt die Gastgeber in peinliche Verlegenheit. Sobald Maria es bemerkt, wendet sie sich an ihren Sohn und macht ihn auf den Mangel aufmerksam. „Sie haben keinen Wein mehr.“ Ihre Worte sind als bescheidene und vertrauensvolle Bitte gemeint, Jesus möge Abhilfe schaffen. Es kann kaum bezweifelt werden, dass sie von ihm zu diesem Zweck ein Wunder erwartet. So versteht sie Jesus auch. Er hat bisher kein Wunder gewirkt. Doch Maria ist überzeugt, dass er es vermag. Da er jetzt zum ersten Mal Jünger um sich gesammelt hat, nimmt sie an, dass er nun im Begriff steht, sein öffentliches messianisches Wirken zu beginnen, zu dem auch Wundertaten gehören. Diese Bitte verrät die Einsicht der Mutter in die veränderte Haltung, die nun ihr Sohn einnimmt. Hinter ihm liegen der Abschied von Nazareth, die Taufe im Jordan, das Fasten in der Wüste und die Auseinandersetzung mit dem Dämon Israels. Sie weiß, dass ihr Sohn seinen stillen Weg geht, einen Weg, der hart am Rande der Ewigkeit, am Rande des Himmels, am Rande des Reiches seines Vaters vorübersteigt.

Jesus antwortet auf die Bitte Mariens: „Frau, was habe ich mit dir zu tun? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Die Anrede „Frau“ ist im Griechischen viel gebraucht, gegenüber hoch und nieder, und hat nichts Respektloses oder gar Verächtliches an sich. So redet Augustus die Königin Kleopatra an (Cassius Dio 51,12,15). Aber ungewöhnlich und ohne Parallele ist, dass Jesus hier wie am Kreuze (19,26) seine Mutter so anredet. Er ist sich des Fremdartigen offensichtlich bewusst und hat es beabsichtigt, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass er in der Ausübung seines Berufes unter einem anderen Gesetz als dem der Familienbande steht. Die Formel „Was ist mir mit dir?“ bringt die Verschiedenheiten der Ansichten oder Interessen zum Ausdruck. Sie bedeutet die mehr oder weniger schroffe Ablehnung einer Bitte und will sagen: „Was gehst du mich an? Lass mich in Ruhe!“ Sie schließt meist einen Tadel in sich. Als Grund für die Abweisung der mütterlichen Bitte gibt Jesus an, dass seine Stunde noch nicht gekommen sei. Von der „Stunde“ spricht Jesus wiederholt. Sie ist an diesen Stellen der von Gott bestimmte Zeitpunkt für den Tod bzw. für die Verherrlichung Jesu. Hier bedeutet „Stunde“ den Zeitpunkt für die Vollbringung des ersten Wunders, wodurch seine Herrlichkeit offenbar wird. Jesus weist also die Bitte seiner Mutter ab, weil der Augenblick noch nicht gekommen ist, den der himmlische Vater für den Beginn seines Wunderwirkens festgesetzt hat. Das Wort klingt hart, aber die Mutter verwirrt es nicht. Seit Simeon ist sie immer tiefer in die Geheimnisse des Kindes von Bethlehem, des Jünglings von Nazareth, des Predigers in Galiläa, des Messias der Juden, des Erlösers der Welt eingedrungen. Maria kümmert sich daher nicht um die Abweisung, die sie erfährt, sondern rechnet mit Bestimmtheit darauf, dass ihre Bitte doch noch erfüllt wird. Deshalb gibt sie den Aufwärtern Anweisung, alles auszuführen, was Jesus sie heißen werde. Wie er helfen wird, das weiß sie nicht, aber dass er seine Hilfe nicht versagen wird, ist für sie nicht zweifelhaft.

Jesus lässt nun durch die Aufwärter sechs steinerne Wasserkrüge (die für die bei den Juden üblichen Reinigungen: Abspülung der Hände, der Gefäße und des vom Markt Gebrachten nötig waren) bis zum Rand mit Wasser füllen. Jeder von ihnen fasste knapp 80-120 Liter, alle zusammen also zwischen 500 und 700 Liter. Hierauf weist er sie an, dem Tafelmeister, d.h. dem Haupt der Aufwärter, von dem Inhalt der Krüge zum Verkosten zu bringen. Der Vollzug des Wunders, der offenbar durch einen einfachen Willensakt erfolgt, wird nicht beschrieben. Der Tafelmeister findet den ihm gereichten Wein viel besser als den, welchen man den Gästen bisher vorgesetzt hatte. Er kennt seine Herkunft nicht. Aber er macht dem Bräutigam Vorwürfe, dass er den besten Wein bis zuletzt aufbewahrt hat, wo die Gäste seine Qualität nicht mehr recht würdigen können.

Maria täuscht sich nicht. Trotz der anfänglichen Abweisung erfüllt Jesus ihre Bitte. Mariens Demut, die nicht gebieterisch heischt, sondern bescheiden bittet, und Mariens tiefes Vertrauen, das sich nicht abweisen lässt, haben ihren Sohn bewogen, jetzt ein Wunder zu wirken. Mit anderen Worten: Die Mutter Jesu hat die Stunde „der Offenbarung seiner Herrlichkeit“ (V. 11) durch ihre Bitte herbeigeführt. Dabei hat Jesus nicht im Gegensatz zum himmlischen Vater, sondern in voller Einheit mit ihm gehandelt. So ist es gekommen, dass er bei Gelegenheit eines frohen Familienfestes und nicht (wie man hätte erwarten können) in der Ausübung seiner messianischen Wirksamkeit sein erstes Wunder gewirkt hat. Der Evangelist stellt zum Schluss ausdrücklich fest, dass Jesus dieses Wunder als erstes wirkte und dadurch seine Herrlichkeit, d.h. seine göttliche Macht und sein göttliches Wesen, offenbarte und so den Glauben der Jünger stärkte und vermehrte.

Wundertaten bilden nach allen vier Evangelisten einen so wesentlichen Bestandteil des öffentlichen Wirkens Jesu, dass es unmöglich ist, sie als Erfindungen seiner Anhänger hinwegzudeuten. Es hat nie eine Überlieferung von Jesus ohne Wunder gegeben. Wir kennen Jesus als Wundertäter oder wir kennen ihn überhaupt nicht. Seine Lehrtätigkeit und sein Wunderwirken bilden eine untrennbare Einheit. „Jesus zog umher durch alle Dörfer und Städte, lehrte in den Synagogen, verkündigte die Frohbotschaft vom Reiche und heilte jegliche Krankheit und jegliches Gebrechen (Mt 9,35; Mk 1,9). Jesus selbst weist in seinen Reden immer wieder auf die Wunder als die Bestätigung seiner Sendung und seiner Messiaswürde hin, als ein zum Glauben verpflichtendes Zeugnis Gottes über ihn. Manche Reden Jesu, wie die Beelzebulrede (Mk 3,22-30), sind ohne die Voraussetzung wirklich geschehener Wunder gar nicht denkbar. Seine Gegner bestreiten nicht die Tatsächlichkeit der von ihm vollbrachten Wunder; sie schreiben sie seinem Bündnis mit dem Satan zu. So steht es noch heute im jüdischen Talmud.

Die Wunder bestehen aus Krankenheilungen aller Art, Dämonenaustreibungen, Totenerweckungen, Naturwundern wie das Speisungswunder, die Verwandlung von Wasser in Wein und das Wandeln auf dem See. Man hat versucht, die Wunderberichte natürlich zu deuten, nämlich durch Psychotherapie, aus der von Jesu Persönlichkeit ausgehenden seelischen Wirkung auf die Kranken. Diese Versuche scheitern an dem Charakter verschiedener Krankheiten wie Lähmung und Aussatz. Aussatz oder Lepra ist eine chronische Infektionskrankheit. Erreger ist ein 1871 entdecktes stäbchenförmiges Bakterium. Die Krankheit gilt bis in die jüngste Zeit als unheilbar. Darüber unterrichtet uns eine Begebenheit aus dem Alten Testament. Naaman, der Heerführer des Königs von Aram, war ein großer Kriegsheld, aber aussätzig. Ein israelitisches Mädchen meinte zu seiner Frau, in Samaria sei der Prophet Elisäus fähig, ihn von seinem Aussatz zu befreien. Der König von Aram folgte dem Rat und schrieb dem König von Israel, er solle den Naaman von seiner Krankheit heilen. Als der König von Israel den Brief gelesen hatte, rief er aus: Bin ich denn ein Gott, der töten und lebendig machen kann, dass dieser zu mir schickt, einen Menschen von seinem Aussatz zu befreien? Der König sah es als menschenunmöglich an, die Lepra zu heilen. Dass der König von Aram ihn dennoch ersuchte, es zu tun, sah er als Versuch an, Streit zwischen ihnen zu entfesseln.

Die Versuche, Jesu Heilungen natürlich zu erklären, scheitern auch an äußeren Umständen mehrerer Heilungen. Der Knecht des Hauptmanns von Kapharnaum war sterbenskrank. Der Hauptmann wandte sich an Jesus um Hilfe. Der Herr wollte kommen und ihn heilen. Der Hauptmann wehrte ab. Er sei nicht wert, dass der Herr sein Haus betrete. Jesus versicherte ihm: Dein Knecht lebt. In der Stunde, da Jesus dieses Wort sprach, wurde er gesund. Das war eine Fernheilung. Jesus heilte den Mann, ohne ihn zu sehen, ohne ihn zu untersuchen, ohne ihn zu kennen. Der Versuch des Unglaubens, die Heilungen Jesu als Wirkungen seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit, als Suggestionen auszugeben, scheitert somit kläglich. Denn Jesus ist mit dem Kranken in keinerlei Berührung getreten. Ebenso falsch ist es, den Glauben, das Vertrauen der zu Heilenden als notwendige Voraussetzung für das Gelingen des Wunders zu verstehen. Denn es gibt Fälle, in denen an die Stelle des Glaubens des Kranken der Glaube anderer tritt (Mk 3,1-6; Lk 7,11-17; 13,10-17). Insbesondere bei den Heilungen von Besessenen ergibt sich, dass Jesu Wunderkraft von der seelischen Verfassung derer, an denen das Wunder gewirkt wird, gänzlich unabhängig ist.

Der Unglaube stößt sich namentlich an den Naturwundern, die Jesus gewirkt hat. Die Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit von Kana ist ein solches Naturwunder. Der Unglaube verweist dieses Geschehen in den Bereich der Phantasie. Nicht anders verfährt er mit der Stillung des Seesturms durch Jesus. Als das Unwetter hereinbrach, hatte er sich zur Ruhe niedergelegt. Die Jünger weckten ihn auf und schrien angstvoll: Meister, Meister, wir kommen um. Jesus erhob sich und drohte dem Wind und dem Meer: Schweige, verstumme. Und augenblicklich legte sich der Sturm und beruhigte sich der See. Wäre Jesus ein Maulheld oder Betrüger gewesen, welches Risiko wäre er eingegangen, wenn er dem Sturm und dem Seebeben zugerufen hätte: Schweige, verstumme? Die Naturkräfte hätten über diesen Versuch, sie zu zähmen, gelacht, und Jesus wäre blamiert gewesen. Aber sie haben nicht gelacht, denn der ihnen befahl, war nicht ein Schwadroneur, sondern ihr Herr, dem sie gehorchen mussten, und zwar sogleich; denn nicht etwa nach dem üblichen Abklingen von Sturm und Seebeben legte sich der Wind und ward eine große Stille, sondern sogleich nach dem Befehlswort Jesu. Die dieses Wunder erlebt haben, wurden mit großer Furcht erfüllt, mit Furcht vor dem, der solche Macht besaß, und sie sprachen zueinander: Was ist denn das für einer, dass ihm auch der Wind und das Meer gehorchen? Er war nicht wie einer von ihnen. Er war auch nicht wie ihre eigenen Führer, wie die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Er war einer, der Vollmacht hat. Das Eigentümliche an den Wundern Jesu ist ihr Zeichencharakter (Joh 2,11; 20,30f.; Apg 2,22). Sie sind ebenso wie seine Predigt Offenbarungen der im Aufbruch befindlichen Gottesherrschaft. Gott ist es, der in beiden zum Glauben aufruft. Das Kommen der Gottesherrschaft bedeutet zugleich, dass die Satansherrschaft im Vergehen ist. Darum gehören die Wunder Jesu zu seinem Kampf gegen Satan, dem Urheber alles Unheils in der Welt. Jesus fordert Glauben für seine Wunder wie für seine Predigt. Der Wundertäter Jesus steht nicht neben dem Lehrer, sondern beide Seiten seiner Wirksamkeit bilden eine untrennbare Einheit und haben als Ziel die Hinwendung der Menschen zu Gott. Die stärkste Stütze ihrer Geschichtlichkeit und die Grundlage für ihr richtiges Verständnis empfangen die Wunder Jesu aus seinem Selbstbewusstsein. Sie sind Taten, Selbstoffenbarungen des Gottessohnes.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt