Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
19. Mai 2024

Kraft aus der Höhe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das frohe Bekenntnis der Apostel zum auferstandenen Herrn, der zur Rechten des Vaters sitzt, war in seinem Tiefsten bereits das Bekenntnis zu den sieghaften Lebensmächten des Auferstandenen, die in der Folge von der Rechten des Vaters her auf die Welt eindringen und sie erneuern sollten. Ihre Osterfreude umschloss zugleich ihre Pfingsterwartung. Jesus selbst hatte ihnen schon während seiner Erdentage für die Stunden der Verfolgung den Geist ihres Vaters (Mt 10,20), den „Heiligen Geist“ (Lk 12,12), den „Geist der Wahrheit“ (Jo 15,26), den „anderen Beistand“ (Jo 14,16.26) verheißen. Nach seiner Auferstehung hatte er ihnen befohlen, in Jerusalem zu bleiben, bis sie mit „Kraft aus der Höhe“ angetan seien (Lk 24,49). Wie Christus verheißen hatte, so geschah es. Das Wunder von Ostern vollendete sich im Wunder von Pfingsten. Im Brausen des Sturmwinds, der das ganze Haus durchrüttelte, und in feurigen Zungen, die sich auf jeden einzelnen der Apostel herniedersenkten (Apg 2,2f.), erschien „Kraft aus der Höhe“. „Sie wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen in anderen Zungen zu reden, wie der Geist ihnen zu sprechen eingab“ (Apg 2,4). Wie eine neue, stürmende, zündende Gewalt kam es über sie und riss sie über sich selbst hinaus, hinein in jene Welt göttlichen Überschwangs, worin der Geist Gottes allein sein großes heiliges Leben lebt und sein erhabenes, unbegreifliches Spiel treibt, dem brausenden Wind gleich, „von dem du nicht weißt, von wannen er kommt und wohin er geht“ (Jo 3,8). Alle Eindrücke, die sie vom irdischen Leben Jesu und vom erhöhten Christus gewonnen hatten, verloren in dieser Bewegtheit des Geistes ihr eigentümliches irdisches Schwergewicht. Sie wurden zu einer Höhe des Erlebens, zu einer Kraft des Willens, zu einer Klarheit des Denkens emporgehoben, dass darunter alles irdisch Kleine, menschlich Beschränkte, alles ängstliche Wägen und Sorgen versank. Ihre Seele war in den tiefsten Tiefen aufgerissen und von den Kräften des Erhöhten erfüllt, so dass sie – wie mit seinen Augen – die auf sie eindringenden Großtaten Gottes in ihrer ursprünglichen Wucht und Gewalt, in der Absolutheit ihres Anspruches, in ihrer zeitüberlegenen Geltung für die Menschen aller Sprachen und Zonen sahen und ergriffen. Zwar konnte die zusammengeströmte Menge zunächst nicht fassen, was an den Aposteln und von den Aposteln vorging. Sie waren voll Staunen und fragten ratlos: Was mag das sein? Andere spotteten und sagten: Sie sind voll süßen Weines. Da trat Petrus mit den Elfen vor und redete sie an: „Ihr jüdischen Männer und ihr alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das soll euch kund werden: Diese Männer, die Apostel und ihre Schüler, sind nicht, wie ihr annehmt, betrunken – es ist ja erst die dritte Stunde des Tages, in der man höchstens anfängt zu trinken –, sondern es ist erfüllt, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist: In den letzten Tagen wird es geschehen, spricht Gott, da werde ich von meinem Geist über alles Fleisch ausgießen; dann werden eure Söhne und Töchter weissagen, eure Jünglinge werden Gesichte schauen, und eure Alten werden Traumgesichte träumen; selbst auf meine Knechte und Mägde werde ich von meinem Geiste ausgießen, und sie werden weissagen“ (Apg 2,12-18). Der Augenblick war gekommen, da der „Tröster“ sie lehrte und an alles erinnerte, was ihnen Jesus gesagt hatte (Jo 14,26). Das Übernatürliche hatte über sie Gewalt bekommen und durchrüttelte ihre Herzen und drängte auf ihre Lippen, um sich in immer neuen seltsamen Lauten und Sprachen über die Menschen auszugießen. Nun waren sie nicht mehr bloß Empfangende, wie damals, als der Herr auferstand und zum Himmel fuhr. Nun waren sie selber machtvoll Gebende, schöpferisch Zeugende, die aus der Fülle des ihnen verliehenen Geistes die neue Botschaft vom Erhöhten zu den Menschen brachten. „Tut Buße, bekehrt euch, und ein jeder lasse sich taufen im Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden. Dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. Denn euch und euren Kindern und allen in der Ferne gilt die Verheißung, so viele der Herr unser Gott berufen wird“ (Apg 2,38). Und nun war auch alles Bangen und alle Menschenfurcht dahin. Sie verbergen sich nicht mehr im Haus des Markus. Sie treten vor ganz Jerusalem und vor den Hohen Rat und schreien ihm die entsetzlichste aller Anklagen ins Gewissen: „Den Lebensfürsten habt ihr getötet, aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt, des sind wir Zeugen“ (Apg 3,15). Als man ihnen zu reden verbietet, entgegnen sie in heiligem Trotz: „Wir können nicht verschweigen, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4,20). „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr umgebracht habt, da ihr ihn an das Holz hängtet. Diesen Führer und Heiland hat Gott zu seiner Rechten erhöht, um Israel Umkehr und Sündennachlass zu schenken. Wir aber sind Zeugen dieser Dinge und der Heilige Geist, den Gott denen gegeben hat, die ihm gehorchen“ (Apg 5,30-32). Als man sie geißelt, gehen sie „voll Freude vom Hohen Rate weg, weil sie gewürdigt wurden, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden“ (Apg 5,41). Ein neuer Mensch ist in ihnen zur Herrschaft gekommen, der Mensch des starken Glaubens und der heißen Liebe, der übernatürliche Mensch, der Mensch der Selbsthingabe und des Opfers, der Martyrer, der Zeuge. Nichts beglaubigt die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu eindringlicher als dieses Wunder von Pfingsten, da der Erhöhte „die Verheißung des Heiligen Geistes, die er empfangen hatte, über die Jünger ausgoss“ (Apg 2,33).

In der Kraft dieses Heiligen Geistes wurden sie, wie es der Herr vorausgesagt hatte, Zeugen des Auferstandenen „in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samaria und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Der Erfolg der Predigt des Petrus war, dass am gleichen Tage 300 Juden für den Glauben gewonnen und getauft wurden. Die Zahl der Gläubigen mehrte sich täglich und wuchs nach der Heilung des Lahmgeborenen auf 5000 Männer an. Der Evangelist Philippus, einer der Siebenmänner, predigte in Samaria. Als Erstling der Heidenwelt taufte er den Kämmerer der Königin Kandake von Äthiopien. In Antiochien entstand eine vorwiegend aus Heidenchristen bestehende Gemeinde. Wohl war ihre Zeugenschaft in Schmach, Entbehrung und unsägliche Not getaucht, wie es der hl. Paulus einmal in einer schmerzlichen Stunde an die Korinther schrieb (1 Kor 4,9ff.): „Ich glaube gar, Gott hat uns Apostel auf den letzten Platz gestellt wie zum Tod Verurteilte. Sind wir doch für die Welt, für die Engel und Menschen zum Schaustück geworden. Wir sind Toren um Christi willen…bis zur Stunde sind wir hungrig, durstig und nackt, wir werden geschlagen und irren unstät umher und quälen uns mit unserer Handarbeit. Werden wir geschmäht, so segnen wir; verfolgt, so dulden wir; verleumdet, so trösten wir. Zu Sündenböcken für alle Welt sind wir geworden, der Abschaum von allem bis jetzt.“ Aber aus all dieser bitteren, harten Not drang immer wieder ergreifend und volltönend und sieghaft ihr Jubelruf in die Welt: Er ist auferstanden, des sind wir Zeugen – nicht bloß so wahr wir leben, sondern so wahr wir sterben. Über den Aposteln, auf Sion, das Feuer des Geistes. Pfingsten! Der Geburtstag der Weltkirche. Der die Verwirrung des Turmes von Babel zerschlagen. Der für die Welt wieder eine Sprache gesprochen. Über den Aposteln, auf Sion, das Feuer des Geistes. Der aus den Jüngern der Karwoche die Apostel der Kaiserzeit geschaffen hat.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt