24. April 2022
Die Zeugen der Auferstehung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Den sichersten Ausgangspunkt für den historischen Nachweis der Auferstehung Jesu bietet das Glaubenszeugnis der Apostel. Kein Evangelium und kein Brief wären geschrieben worden, wenn nicht die Apostel und mit ihnen die ganze Urkirche von der Tatsache der Auferstehung Christi überzeugt gewesen wären. An seinen Schüler Timotheus schreibt Paulus: „Gedenke, dass der Herr Jesus Christus, der Spross Davids, von den Toten auferstanden ist. So lautet mein Evangelium, um dessentwillen ich Leiden erdulde, selbst Fesseln trage wie ein Übeltäter“ (2 Tim 2,8). Dieses Glaubenszeugnis steht einwandfrei fest und wird auch von niemand bestritten. Der Osterglaube der Apostel aber ist kein Mythos, kein inneres Erlebnis einer gläubigen Phantasie, sondern Bekenntnis zu einer geschichtlichen Wirklichkeit. Die Osterbotschaft, die sie verkünden, ruht auf der Gewissheit, dass Christus wahrhaft und wirklich dem Grab erstiegen ist. Wie ernst es die Apostel mit ihrem Zeugnis für Jesu Auferstehung nehmen, zeigt die Ersatzwahl für das Zwölferkollegium. „So muss denn einer von den Männern, die während der ganzen Zeit, in welcher der Herr Jesus ein- und ausging, mit uns zusammen waren, von der Taufe des Johannes angefangen bis zu dem Tage, da er von uns fort hinaufgenommen wurde, mit uns Zeuge seiner Auferstehung werden“ (Apg 1,21f.) Das eigentliche Motiv der Wahl also ist: Der Apostel muss als Zeuge der Auferstehung auftreten. Das Zeugnis für die Auferstehung ist die wichtigste Aufgabe des Apostelamtes. Alle anderen Einzelheiten des Lebens Jesu stehen demgegenüber zurück.
Die Predigten des Petrus, die uns in der Apostelgeschichte überliefert werden, haben zum inhaltlichen Kern: „Christus ist am dritten Tage von den Toten auferstanden, dessen sind wir Zeugen.“ Die Auferstehung steht in einer Linie mit Tod und Begräbnis des Herrn. Sie ist ein historisches Geschehen, genau wie diese beiden Tatsachen. Die Apostel bezeugen nicht etwas, was sie nur glauben oder erhoffen oder was ihnen nur innerlich religiös gewiss ist, sondern sie bezeugen das, was sie gesehen haben. „Wir sind Zeugen von allem, was er im Judenland und in Jerusalem getan hat. Und den haben sie getötet, indem sie ihn ans Kreuzesholz hängten. Diesen hat Gott am dritten Tag auferweckt und sichtbar erscheinen lassen vor den von Gott bestimmten Zeugen“ (Apg 10,39-41). Der Apostel Petrus begründet also sein Zeugnis mit der Tatsache, dass der Auferstandene ihm erschienen ist. Das leere Grab war auffällig, machte ratlos, aber es war kein eindeutiges Zeichen. Entscheidend war, dass die Jünger den Auferstandenen gesehen haben.
Im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth, den Paulus um das Jahr 55 n. Chr. geschrieben hat, gibt er uns eine summarische Liste jener Zeugen, die den Herrn gesehen haben. Was veranlasste Paulus zu dieser Aufzählung der Erscheinungen des Auferstandenen? In der Gemeinde von Korinth waren Zweifel an der Auferstehung der Toten laut geworden. Man bezweifelte nicht das Fortleben der Seele nach dem Tode. Für das hellenistische Denken war die Unsterblichkeit des Geistes kein Problem. Aber man stieß sich an der Auferstehung des Leibes. Paulus erkannte sofort, dass mit diesem Zweifel an den Grundlagen des Christentums gerüttelt wurde. „Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferweckt worden.“ So geht es Paulus darum, die leibliche Auferstehung Christi von den Toten als wirkliches Geschehen nachzuweisen. „Ich tue euch, Brüder, das Evangelium kund, das ich euch gepredigt habe, das ihr eurerseits angenommen habt und in dem ihr feststeht. Durch dieses werdet ihr auch gerettet werden, wenn ihr es so festhaltet, wie ich es euch verkündet habe; denn sonst (wenn ihr es nicht festhaltet!) wäret ihr vergeblich gläubig geworden. Denn vor allen Dingen habe ich euch überliefert, was ich selbst überkommen habe, dass Christus für unsere Sünden gestorben ist gemäß den Schriften, dass er begraben wurde und auferweckt wurde am dritten Tage gemäß den Schriften und dass er dem Kephas erschienen ist, danach den Zwölfen. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten bis jetzt geblieben sind, einige aber sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, darauf allen Aposteln. Zuletzt von allen, wie einer Fehlgeburt, erschien er auch mir“ (1 Kor 15,1-8). Dieser Text gilt mit Recht als das älteste literarische Zeugnis von der Auferstehung. Wir dürfen annehmen, dass dieses Bekenntnis dem Paulus bei seiner Bekehrung (um das Jahr 35 n. Chr.) oder bei seinem Besuch in Jerusalem (um das Jahr 38 n. Chr.), spätestens Anfang der vierziger Jahre überliefert wurde. Zu Beginn hebt der Apostel selbst die Wichtigkeit seines Zeugnisses hervor. Er nennt es sein „erstes“ Lehrstück und beruft sich auf seine Traditionsgrundlage. Es ist das Evangelium, das er empfangen hat und weitergibt. Paulus benutzt die gleichen Ausdrücke, mit denen die Rabbinen seiner Zeit ihre Lehre als Überlieferungsgut kennzeichneten. Er ist sich also bewusst, dass er hier ein Kernstück des von den Altaposteln überkommenen Evangeliums vorträgt.
Das überlieferte Evangelium enthält vier Tatsachen. 1. „dass Christus für unsere Sünden gestorben ist gemäß den Schriften“. Paulus gebraucht den Namen Christus ohne Artikel (der Christus). Was ursprünglich der Titel für den Israel verheißenen und von ihm erwarteten Messias war (der Gesalbte), das ist inzwischen zum Eigennamen dessen geworden, der in der Gemeinde als der „Herr“ anerkannt war und angebetet wurde. Von Christus wird nicht nur die Tatsache bezeugt, dass er gestorben ist, sondern sein Tod wird durch zwei Zusätze bestimmt und im Glauben gedeutet: 1. für unsere Sünden, 2. gemäß den Schriften. Christi Tod war ein Sühnetod. Er war von Gott dafür bestimmt, die Sünden der Menschen wegzunehmen. Der Sühnetod Christi war von der Heiligen Schrift vorhergesagt. Gott hat ihn angeordnet, und die Heilige Schrift hat diesen Willen Gottes aufbewahrt. 2. Als zweites Faktum, das sich zugetragen hat, wird genannt: „dass er begraben wurde“. Diese Tatsache wird ohne jeden Zusatz erwähnt. Diese Angabe könnte eine Anspielung auf die Tatsache des leeren Grabes sein. Der Glaube an den Auferstandenen entstand nicht am leeren Grab, aber das leere Grab gehört zu dem Wege, auf dem sich der Auferstandene bezeugt. Gegenüber der Bezeugung des Auferstandenen (in den Erscheinungen) hatte das Faktum des leeren Grabes kein Gewicht; es war eine Selbstverständlichkeit. Aber diese Selbstverständlichkeit ist von niemand in Zweifel gezogen worden, weder von den Anhängern noch den Gegnern Jesu. 3. „dass er auferweckt wurde am dritten Tage gemäß der Schriften“. Für die Urgemeinde ist Christus nicht mehr tot, sondern existiert fort als der Auferstandene. Das Geschehen der Auferstehung wird hier ebenso wenig beschrieben wie in den Evangelien. Die Überwindung der Todesmacht lässt sich nicht in Worte fassen. Umso mehr fällt der Zusatz auf: „am dritten Tage“. Die Dauer seines Totseins beweist die Wirklichkeit seines Sterbens. Christus war nicht bloß schwer verletzt, er war auch nicht scheintot, nein, sein Leben war erloschen, er war wirklich tot. Das ist ja eben das Wunder: dass ein Toter lebendig wurde. Für die apostolische Urgemeinde ist die Auferstehung Christi ein in unserer Zeit und Geschichte datierbares Ereignis. Aber es ist ein Bestandteil der Heilsgeschichte. Dass Jesus erweckt wurde gemäß den Schriften, will besagen, dass sich in seiner Auferstehung der Wille Gottes erfüllt hat, der in den Schriften vorherverkündigt worden war. 4. „dass er erschienen ist“. Viermal verwendet Paulus in der folgenden Aufzählung den gleichen Ausdruck „ophthe“, „erschien“. Der eigentliche Bedeutungsinhalt dieses Ausdrucks weist in die Richtung, dass etwas sichtbar wird in dem Sinne eines Hervortretens aus dem Unsichtbaren, und zwar ohne Zutun von Seiten des Subjektes, dem die Erscheinung zuteil wird. Damit rückt die Aktivität Gottes, sein mächtiges Handeln an Jesus, nach den Überzeugung der Urgemeinde stark in den Vordergrund; sie wird auch sonst in der Verkündigung von der Auferweckung und Erhöhung des gekreuzigten Herrn immer wieder betont. Eine Bestätigung und Bekräftigung dieser Realität der Auferstehungserscheinungen Jesu liegt darin, dass zur Bezeichnung der Erfahrungen der Jünger Ausdrücke des konkreten Sehens stark betont werden.
Zu dem „Evangelium“ gehört auch das Aufzählen von Zeugen. Diese werden erwähnt, weil die Christen nur durch sie Kenntnis von der Auferstehung Christi erhielten; die große Zahl der benannten Zeugen sowie die Einheitlichkeit und die Übereinstimmung ihres Zeugnisses unterstreichen die Glaubwürdigkeit der Zeugnisse. Worauf stützt sich unser Glaube an die Auferstehung Christi? Nach der Aussage der Schrift einzig und allein, auf die Offenbarung Gottes, die darin besteht, dass Gott seinen auferweckten Sohn den Zeugen sichtbar werden ließ, um ihnen damit zugleich die Glaubenssicherheit zu schenken: Er ist wahrhaft auferstanden. Der urchristliche Auferstehungsglaube war ein Glaube an ein einmaliges Ereignis. Nirgendwo werden innere Gründe für die Auferstehung angeführt. Man lässt nur den einen Beweis zu, den historische Fakten verlangen, das Zeugnis derer, welche die Wirklichkeit des Ereignisses erfahren und festgestellt haben. Es muss dabei bleiben: Das Grab ist leer, der Held erwacht, der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.
Amen.