18. April 2022
Die Emmausjünger
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Der Evangelist Lukas hebt aus den Berichten über die Erscheinungen Jesu besonders die Erscheinung zweier Jünger auf dem Weg nach Emmaus hervor. Er war über diese aufs beste informiert. Er hatte die Zeugen gesprochen und sich bei ihnen erkundigt. So nennt er uns das Datum der Erscheinung, den Namen eines der Zeugen und auch den Ort. Wir können sogar mit ziemlicher Genauigkeit angeben, wann Lukas seine Informationen gesammelt hat. Es war während der Gefangenschaft des Paulus in Jerusalem und Cäsarea in den Jahren 58 bis 60 n. Chr. Das Osterfest hielt nicht alle Pilger die ganzen Tage in Jerusalem zurück. Viele begaben sich bereits am 16. Nisan, das ist unser Ostersonntag, wieder nach Hause. Zwei wanderten an diesem Tage nach einem Dorf namens Emmaus. Der eine Wanderer hieß Kleopas, der Name des zweiten bleibt ungenannt. Kleopas war in der Jerusalemer Christengemeinde kein Unbekannter. Er war der Bruder des hl. Josef, also ein Onkel Jesu. Der zweite Wanderer war nach einer alten Überlieferung der Sohn des Kleopas namens Simeon. Er wurde nach der Steinigung des Jakobus im Jahre 62 n. Chr. der zweite Bischof von Jerusalem. Auch Jakobus war ein Verwandter Jesu. Ihm war der Auferstandene nach dem ausdrücklichen Zeugnis des Paulus erschienen. Es ist auffallend, wie sich Jesus nach der Auferstehung gerade um seine Verwandten bemühte. Sie gehörten dann zu den Zeugen der Auferstehung. Der römische Staat hatte an den Verwandten Jesu ein besonderes Interesse. Unter den Kaisern Vespasian, Domitian, Trajan und Decius wurden sie als Verwandte des Messias aus dem Königsgeschlecht Davids verhaftet und verfolgt. Der bereits erwähnte Simeon, Sohn des Kleopas und zweiter Bischof von Jerusalem, wurde als Davidide und Christ denunziert und im Alter von 120 Jahren im 10. Jahr des Trajan (107 n. Chr.) am Kreuze hingerichtet. Der Heimatort des Kleopas war Emmaus. Der Ort liegt am Westabhang des judäischen Gebirges, das hier allmählich in die Küstenebene übergeht. Als strategisch wichtiger Posten, an der Straße von Jafo nach Jerusalem gelegen, hat der Ort sowohl im Freiheitskampf der Makkabäer als auch im Jüdischen Krieg (66-70 n. Chr.) gegen die Römer eine wichtige Rolle gespielt. In viel späterer Zeit lagerten an dem wasserreichen Emmaus die Kreuzfahrer, ehe sie im Juli 1099 unter Gottfried von Bouillon den Aufstieg nach Jerusalem wagten. Jahrhunderte hindurch hat sich an dieser Stelle seit frühester Zeit eine christliche Gemeinde versammelt, die ihren Glauben an den Auferstandenen durch die Erinnerung an seine Erscheinung vor Kleopas und seinem Begleiter stärkte und sich hier im Emmaus des Lukasevangeliums wusste.
Die beiden Wanderer nach Emmaus sprachen auf ihrem Wege über die Begebnisse, die sich in Jerusalem zugetragen hatten. Damit ist das Todesschicksal des Jesus von Nazareth gemeint. Es beschäftigte die Bewohner von Jerusalem ebenso wie die in der Stadt zusammengeströmten Juden aus Palästina und der Diaspora. Als sie so sprachen und überlegten, schloss sich ihnen ein Fremdling an. Es war der auferstandene Jesus, aber in einer fremden Gestalt. „Ihre Augen waren gehalten, sodass sie ihn nicht erkannten.“ Die beiden erkennen Jesus nicht, weil er von ihnen zunächst nicht erkannt werden wollte. Ehe er sich ihnen zu erkennen gibt, will er sie durch sein Wort darauf vorbereiten. Auch Johannes berichtet von einem Zusammentreffen der Jünger mit dem Auferstandenen: „Aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“ Das Aussehen des Auferstandenen war anders als in der Zeit des öffentlichen Wirkens. Schließlich verwechselte Maria Magdalena den Auferstandenen mit dem Gärtner. Der Fremdling schaltete sich in das Gespräch der beiden Wanderer ein. Er stellte sich fragend: „Was sind das für Reden, die ihr da beim Wandern miteinander führet?“ Die beiden Wanderer waren erstaunt und überrascht. Für sie war es selbstverständlich, dass, wer aus Jerusalem kam, erfüllt war von den Ereignissen um Jesus von Nazareth. Deswegen „blieben sie traurig stehen“. Kleopas stellte dem Unbekannten die betroffene Frage: „Bist du der einzige Fremdling in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?“ Dieser Fremdling stellte sich naiv: „Was denn?“ Auf diese Weise lockte er sie heraus, von dem zu sprechen, was sie bewegte und womit sie nicht fertig wurden. Dann brach es aus ihnen heraus: Das mit Jesus von Nazareth. „Er war ein Prophet, mächtig in Werk und Wort vor Gott und allem Volk. Die Hohenpriester und die Ratsherren haben ihn dem Tode überantwortet und gekreuzigt.“ Dieses Ende des Propheten hatte die Emmausjünger wie alle Anhänger und Verehrer Jesu zutiefst getroffen. Denn sie hatten die Hoffnung, dass er Israel erlösen werde. „Und nun ist über alldem der dritte Tag, seitdem dies geschehen ist.“ Dass seit der Kreuzigung drei Tage (nach jüdischer Zählung) verflossen sind, besagt mehr als eine bloße Zeitangabe. Nach jüdischer Ansicht umschwebt die Seele nach dem Tode noch drei Tage den Körper. Dann erst verlässt sie ihn endgültig und gibt ihn der Verwesung preis. Damit ist dann jede Hoffnung auf Rückkehr des Toten in das Leben dahin. Die Emmausjünger geben der tiefen Enttäuschung Ausdruck, die ihnen der Karfreitag gebracht hatte. Demjenigen, von dem sie gehofft hatten, er werde die Befreiung Israels von seinen Feinden bringen, haben die Führer ihres Volkes ein schmähliches Ende bereitet. Diese ihre Worte beweisen, dass ihre Vorstellung von Jesu Messiaswürde noch ganz die jüdische war. Von der Erkenntnis, dass sein Tod „die Erlösung Israels“ bedeutete, sind sie noch weit entfernt.
Den Emmausjüngern war die Entdeckung des leeren Grabes am Sonntagmorgen bekannt: „Wohl haben einige von unseren Frauen uns in Aufregung versetzt. Sie waren frühmorgens am Grabe, aber sie fanden seinen Leichnam nicht. Sie kamen nach Jerusalem und sagten, sie hätten eine Erscheinung von Engeln gehabt, die sagten, dass er lebe. Da sind einige von den Unsern zum Grabe gegangen und fanden es so, wie es die Frauen gesagt hatten; ihn selbst aber sahen sie nicht.“ Die aufregende Aussage der Frauen ist durch die Nachprüfung einiger Jünger nicht bestätigt worden. Diese haben nur das Grab leer gefunden. So ist an die Stelle eines anfänglichen leisen Hoffnungsschimmers nur ein neues dunkles Rätsel für sie getreten. Denn, dies ist der Gedanke der beiden Jünger, würde Jesus wirklich leben, dann würde er sie nicht ihrem Kummer und ihrer Enttäuschung überlassen haben, sondern längst zu ihnen geeilt sein. Diese Worte des einen von ihnen sind von großer Bedeutung für die Beurteilung der Emmauserzählung. Denn darin finden die wirklichen Gedanken der durch den Karfreitag in ihrem Glauben an Jesu Messiaswürde erschütterten Jünger getreuen Ausdruck. Sie halten Jesus auch jetzt noch für einen von Gott mit prophetischer Kraft ausgestatteten Mann. Als den Messias aber hat er sich nicht erwiesen. Denn sein klägliches Ende ist wohl vereinbar mit der Würde eines Propheten (das beweist die alttestamentliche Geschichte), aber nicht mit ihrer Vorstellung vom Messias; denn Gott hat seinen schmählichen Tod nicht verhindert und seinem Selbstzeugnis die Bestätigung versagt. Wäre die Emmauserzählung eine Schöpfung der christlichen Legende, so würde sie die zwei Jünger nicht so denken und sprechen lassen. Der Zusammenbruch ihres Glaubens beweist aber auch, dass bei ihnen die psychologischen Voraussetzungen fehlen für ein visionäres Erlebnis, bei dem sie Jesus als lebend zu sehen geglaubt hätten. Sie sind nicht geneigt, die Osterbotschaft der Frauen leichtgläubig anzunehmen. Jesus ist für sie tot und ihr Glaube an ihn mit ihm.
Auf diese Erzählung hin setzte der fremde Wanderer dazu an, ihnen das unverstandene Geheimnis des Lebens und Sterbens Jesu zu erklären. Das tat er, indem er auf die Weissagungen über den Messias verwies, die sich in der Heiligen Schrift des Alten Testamentes befinden. „Musste nicht der Messias das leiden und (so) in seine Herrlichkeit eingehen?“ Ihr Herz, das hält er ihnen tadelnd vor, ist zu schwerfällig, um alles gläubig zu erfassen, was die Propheten über den Messias vorausgesagt haben, nämlich nicht bloß sein Erlösungswerk an Israel im allgemeinen und seine Herrlichkeit, sondern auch sein Leiden (18,31; Apg 26,23). Deshalb musste ihnen Jesu Leiden und Tod zum Ärgernis werden und ihren Glauben an ihn erschüttern. In Wirklichkeit war aber das Leiden der von Gott gewollte Weg, auf dem er in seine Herrlichkeit eingehen sollte. Da sich das „musste“ auf beide Teile der Aussage bezieht, so ist damit auch gesagt, dass er bereits in die Herrlichkeit eingegangen ist. Die gläubige Erkenntnis der Schriftgemäßheit, d.h. der Gottgewolltheit des Leidens Jesu nimmt das Ärgernis von seinem Tode weg und lässt die Jünger wieder an Jesus als den Messias glauben. So kamen sie nach Emmaus. Der schriftkundige Fremdling setzte an, sich von den beiden Wanderern zu verabschieden. Aber sie wollten ihn nicht gehen lassen. „Bleibe bei uns, denn es geht auf den Abend, und der Tag hat sich geneigt.“ Er ließ sich bewegen und blieb bei ihnen. Jesus will von den beiden erst ausdrücklich um seine Gemeinschaft gebeten werden, ehe er bei ihnen bleibt. Jesus setzt sich mit ihnen zu Tisch und übernimmt, was er auch als Gast tun konnte, das Amt des Hausvaters beim Brotbrechen. Er nahm das Brot, sprach das Dankgebet, brach es und gab es ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Sogleich verschwindet er aus ihren Augen, denn der Zweck der Erscheinung ist erreicht. Er hat sich ihnen als der vom Tode zum Leben Erstandene geoffenbart und sie dadurch zu Zeugen seiner Auferstehung gemacht. Die ihnen unglaubwürdig erscheinende Botschaft der Frauen war nicht „Weibergeschwätz“, sondern bezeugte eineTatsache. Indem er sich nun ihren Blicken entzieht, offenbart er ihnen, dass die bisherige, irdische Form des Verkehrs mit ihm vorbei ist. Er ist der Verklärte des Himmels. Nun sagten sie zueinander: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs zu uns redete und uns die Schriften erschloss?“ Jetzt, da die beiden wissen, wer der Wanderer ist, der ihnen auf dem Wege das Verständnis der Schrift erschlossen hatte, verstehen sie auf einmal auch, warum seine Worte sie so überwältigt hatten. So wie er hat noch niemand zu ihnen gesprochen. Sie standen auf und kehrten noch in derselben Stunde nach Jerusalem zurück. Als sie dort bei den Aposteln ankamen, gab es keine Sensation. Im Gegenteil. Die Apostel berichteten ihnen: „Der Herr ist wahrhaft auferstanden.“ Als absolute Begründung führten sie an: „Er ist dem Simon erschienen.“ Kein Evangelist erzählt uns Einzelheiten und Umstände dieser Begegnung. Aber die Tatsache, dass Simon den Herrn gesehen hatte, wurde zum Ereignis des Tages, das die Jünger noch bis in die Nacht zusammenhielt. Dann erzählten die Emmausjünger, was sich unterwegs ereignet hatte und wie sie den Herrn am Brotbrechen erkannt hatten. Wenn die beiden nachher erklären, dass sie ihn am (nicht bloß: beim) Brotbrechen erkannt haben, so ist damit wohl angedeutet, dass Jesus eine ihm eigentümliche Form des dabei verwendeten Segensspruches gebraucht hat.
Während sie das alles erzählen, stand Jesus selbst in ihrer Mitte. Er erschien so unerwartet, stand so plötzlich in der Glorie des Auferstandenen vor ihnen, dass die Jünger meinen, „einen Geist zu sehen“. Das erste Wort des Auferstandenen an seine Apostel, die in seiner schwersten Stunde geflohen waren, lautete: „Der Friede sei mit euch!“ Kein Wort der Anklage und des Vorwurfs. Im Gegenteil, Jesus beruhigt seine Jünger. „Warum seid ihr so bestürzt, und warum steigen in euren Herzen Zweifel auf?“ Und nun folgte eine Szene, man möchte fast sagen: das Experiment des Gläubigwerdens. Jesus erklärt sich bereit, seinen Jüngern den greifbaren Beweis für seine leibhaftige Existenz zu erbringen: „Sehet, meine Hände und meine Füße, dass ich es bin; betastet mich und seht; ein Geist hat doch nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe.“ Mit diesen Worten zeigt er ihnen die Hände und Füße. Als die Apostel in fassungsloser Freude noch nicht glaubten, als sie bloß staunten, war Jesus zu einem weiteren Beweis bereit: „Habt ihr etwas zu essen?“ Da reichten sie ihm ein Stück gebratenen Fisch und einen Honigkuchen. Jesus nahm es und aß vor ihren Augen. Da endlich begann in den Herzen dieser Männer eine tiefe Freude aufzuquellen. Jene Freude, die er ihnen vorausverkündigt hatte und die niemand mehr von ihnen nehmen konnte. Ihr Meister, der getötet worden war, er ist auferstanden, er steht vor ihnen als der Sieger über den Tod, umkleidet von der Herrlichkeit des neuen Lebens. Jetzt hatten sie unverlierbar den Glauben an Jesu Auferstehung, den sie in die Welt hinaustragen würden. Von nun an jubelt das gläubige Volk: Freu dich, du werte Christenheit, der Herr hat überwunden. Die große Marter, Schmerz und Leid, das alles ist verschwunden. Von Satans Joch sind wir befreit, drum jauchze ihm, o Christenheit, ein fröhlich Alleluja.
Amen.