Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. August 1996

Zweck und Wert des Meßopfers

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In vielen Familien fragen heute die Kinder ihre Eltern: „Warum soll ich denn in die Kirche gehen? Der Vater geht ja auch nicht, oder die Mutter geht ja auch nicht, und die Nachbarn gehen auch nicht. Wozu soll ich in die Kirche gehen?“ Darauf müssen Eltern, denen an der religiösen Erziehung ihrer Kinder etwas liegt, Antwort geben. Wir wollen deswegen am heutigen Tage zwei Gegenstände betrachten, nämlich 1. den Zweck und 2. den Wert des Meßopfers. Denn wenn Katholiken in die Kirche gehen, dann gehen sie um des Meßopfers willen. Das ist der hauptsächliche Gottesdienst der katholischen Kirche. Wir wollen uns deswegen vor Augen führen, wozu und mit welchem Gewinn wir am Meßopfer teilnehmen.

Der erste Gegenstand unserer Überlegung ist der Zweck des Meßopfers. Das Meßopfer ist das vergegenwärtigte Kreuzesopfer. Das Kreuzesopfer hatte den Zweck, Gottes Herrlichkeit zu verwirklichen, die Gottesherrschaft aufzurichten und das Heil der Menschen zu bewirken. Die doppelte Bedeutung des Kreuzesopfers, Aufrichtung der Gottesherrschaft und Heil der Menschen, setzt sich fort in einer doppelten Bedeutung der Verherrlichung Gottes. Diese ist nämlich einmal eine mehr gegenständliche und eine mehr subjektive. Wie hat Gott seine Verherrlichung am Kreuze erfahren? Einmal dadurch, daß er sich selbst als den Heiligen und Gerechten, als den Gnädigen und Barmherzigen darstellt. Wenn wir das Kreuz anschauen, dann wissen wir: So ist Gott! Gott ist so, wie er sich im gekreuzigten Herrn Jesus Christus uns bezeugt. Denn Gott hat diesen Jesus Christus um seiner heiligen Liebe und seines gerechten Willens willen in den Tod gegeben. Er hat ihn zum Sühnemale hingestellt, um seine Gerechtigkeit und seine Barmherzigkeit den Menschen kundzutun. Im Kreuz hat sich Gott in einer viel größeren Mächtigkeit geoffenbart als in der Schöpfung. So ist Gott, daß er seinen eingeborenen Sohn in das Grauen und in die Schande des Kreuzes hineinstieß, um auf diese Weise die Menschheit zu retten. Die mehr subjektive Seite besteht darin, daß Christus die Liebe des Vaters zu den Menschen in sein Herz aufgenommen und daß er in vorbehaltlosem Gehorsam den Willen des Vaters erfüllt hat. Dadurch hat er die Sünde überwunden, die Menschheit mit Gott versöhnt, den Vater im Himmel verherrlicht und auf diese Weise das Heil der Menschen beschafft. Das Kreuzesopfer ist also Verherrlichung Gottes und Heil der Menschen.

Das Meßopfer kann nichts anderes sein. Wenn das Meßopfer das vergegenwärtigte Kreuzesopfer ist, dann muß darin Gott verherrlicht werden und das Heil der Menschen gewirkt werden. Deswegen – wegen dieser doppelten Bedeutung – hat das Konzil von Trient gegen die Glaubensneuerer des 16. Jahrhunderts formuliert: „Wer sagt, das Meßopfer sei nur Lob- und Danksagung oder das bloße Gedächtnis des Kreuzesopfers, nicht aber ein Sühneopfer, oder es bringe nur dem Nutzen, der kommuniziere, und man dürfe es nicht für Lebende und Verstorbene, für Sündenstrafen zur Genugtuung und für andere Nöte aufopfern, der sei ausgeschlossen.“ Dieser Satz richtet sich vor allen Dingen gegen Melanchthon, der das Meßopfer als ein bloßes Lob- und Danksagen erklärte und es dadurch vom Kreuzesopfer schied. Und an einer anderen Stelle bemerkt das Konzil von Trient: „Dieses Opfer ist ein wirkliches Sühneopfer und es bewirkt, daß wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe, wenn wir mit geradem Herzen, mit rechtem Glauben, mit Scheu und Ehrfurcht, zerknirscht und bußfertig vor Gott hintreten. Versöhnt durch die Darbringung dieses Opfers gibt der Herr die Gnade und die Gabe der Bekehrung, und er vergibt die Sünden, mögen sie noch so schwer sein.“ Das ist also die objektive Heilsbedeutung des Meßopfers. Hier wird Gott Anbetung dargebracht. Die Anbetung durchwirkt und durchdringt alles andere Beten, das Danken, das Loben, das Bitten und das Sühnen. Weil der Mensch anbeten muß, deswegen müssen wir am Meßopfer teilnehmen. Wenn der Mensch sich als Geschöpf versteht, dann muß er seinen Schöpfer anbeten, und wer es nicht tut, der verfehlt sich gegen seinen Schöpfer. „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“, heißt es im Psalm, und die Himmel sind stumme Zeugen der Herrlichkeit Gottes. Dem Menschen aber hat Gott einen Mund gegeben und ein Herz, mit dem er Gott verehren kann.

 Und eben das geschieht im heiligen Meßopfer. Hier wird Gott die höchste Ehre und Verherrlichung erwiesen, die überhaupt denkbar sind. Denn der Wert des Meßopfers ist unendlich. Er ist deswegen unendlich, weil sich hier Christus mit derselben Liebe und demselben Gehorsam dem Vater im Himmel aufopfert wie am Kreuze. Die Hinopferung Christi am Kreuze war das höchste denkbare Lob, das überhaupt geschehen konnte. Und weil diese Hinopferung im Meßopfer gegenwärtig gemacht wird, ist auch das Meßopfer das höchste Lob, das denkbar ist. Dasselbe geschieht auch, wenn wir das Meßopfer als Dankopfer, als Sühnopfer und als Bittopfer betrachten. Hier geschieht Gott die höchste Ehre, die überhaupt denkbar ist.

Nun ist aber das Meßopfer das Opfer auch der Kirche. Christus hat es seiner Braut, der Kirche, anvertraut. Die Kirche soll sich mit Christus opfern. Sie ist also auch verantwortlich dafür, daß dieses Opfer zu einem unermeßlich wertvollen Opfer wird. Die Kirche stellt ja Christus ihre Hand und ihren Mund zur Verfügung, und sie ist verantwortlich dafür, daß dieses Opfer, soweit es auf sie ankommt, ein wirkliches Lob-, Bitt-, Dank- und Sühnopfer wird. Die Kraft ihres Betens im Meßopfer kommt von Christus, aber auch sie ist daran beteiligt, mit ihrer Tätigkeit dieses Opfer zu einem wohlgelungenen Dank-, Lob-, Bitt- und Sühnopfer zu bereiten. Der Wert des Meßopfers hängt, soweit Christus betroffen ist, nicht von der Kirche ab; soweit die Kirche daran beteiligt ist, hängt der Wert des Meßopfers aber auch von ihr ab. Deswegen ist es nicht gleichgültig, mit welcher Gesinnung und in welcher Verfassung wir an diesem Meßopfer teilnehmen. Die Texte der heiligen Messe fordern Glaube und Hingabe. In dem zweiten Gebet nach dem Sanktus ist von Glaube und Hingabe die Rede. Also man muß gläubigen Herzens und mit dem Hingabewillen an diesem Opfer teilnehmen.

Nun erhebt sich die Frage, warum denn das Meßopfer, das so oft gefeiert wird, nicht die Sünden der Menschen endgültig hinwegnimmt. Warum müssen wir immer wieder das Meßopfer darbringen, obwohl es doch eine unermeßliche Wirkung hat, obwohl es einen unermeßlichen Wert hat? Da müssen wir unterscheiden. Hinsichtlich des Genügens ist das Meßopfer durch nichts zu übertreffen; aber hinsichtlich der Wirksamkeit kann das Meßopfer keine unermeßliche Wirkung zeitigen. Warum nicht? Weil der Mensch ein endliches Wesen ist und keine unendliche Wirkung aufnehmen kann. Die Auswirkung des Meßopfers am Menschen kann nur endlich sein. Und das Maß der Auswirkung des Meßopfers am Menschen hängt ab von dem Glauben und dem Hingabewillen des Menschen. Je größer die Liebe, je tiefer der Gehorsam ist, mit der ein Mensch am Meßopfer teilnimmt, um so stärker ist auch die Auswirkung des Meßopfers an ihm. Da sehen wir, welche gewaltige Aufgabe uns zukommt, wenn wir am Meßopfer teilnehmen; daß wir uns bereiten, mit der Glut und mit dem Eifer in dieses Opfer einzugehen, die ihm angemessen sind. So erklärt sich auch, daß das Opfer eines frommen Priesters, soweit es auf den Menschen ankommt, mehr wert ist als das eines sündigen Priesters. Soweit Christus betroffen ist, sind beide Opfer gleich. In beiden Opfern wird das Heilswerk Christi vergegenwärtigt. Aber soweit der Mensch am Opfer beteiligt ist, ist es nicht gleichgültig, ob ein frommer, ein gläubiger, ein innerlicher Priester das Meßopfer feiert oder ein anderer, der sündig und weltlich gesinnt ist.

Wir bringen das Meßopfer Gott allein dar. Aber wir bringen es dar zur Ehre der Heiligen. Das will besagen: Wir gedenken beim Meßopfer der Heiligen, wir danken Gott für das, was er an ihnen getan hat, und wir bitten ihn, um der Fürbitte der Heiligen willen uns gnädig zu sein. Das Konzil von Trient hat die Meinung zurückgewiesen, als ob wir das Meßopfer den Heiligen darbrächten. Nein, opfern, d.h. höchste Anbetung zollen, kann man nur Gott. Aber es ist geziemend, während des Meßopfers Gott für jene Menschen zu danken, die aus diesem Meßopfer die Kraft geschöpft haben, ein heiliges Leben zu führen und dadurch zur Vollendung zu gelangen. Es ist auch nicht so, als ob wir kein Vertrauen zu dem einen Mittler Christus hätten, so daß wir die Heiligen als Mittler einschalten müßten. Nein. Wir vertrauen nur darauf, daß sie an unserer Stelle wirksamer die Gebete und Bitten vorbringen können, weil sie nämlich ans Ziel gelangt sind und lobend und preisend vor Gott stehen. In besonderer Weise gedenken wir beim Meßopfer der Martyrer, denn ihr Martyrium, ihr Glaubenszeugnis, ihr Blutzeugnis für Christus hat begonnen im Meßopfer. Sie sind in der Kraft dieses heiligen Opfers in den Tod geschritten. Deswegen werden die Martyrer an erster Stelle beim heiligen Meßopfer genannt. Ihr Blutzeugnis nährt sich aus dem heiligen Meßopfer.

Wenn wir also gefragt werden, meine lieben Freunde, von unseren Kindern: „Wozu soll ich denn in die Kirche gehen? Wozu soll ich an der heiligen Messe teilnehmen?“, dann wollen wir sie auf den Zweck und den Wert des Meßopfers hinweisen. Wir wollen sagen: Der Mensch ist ein Geschöpf; und ein Geschöpf muß seinem Schöpfer Anbetung zollen. Wenn er ihm die Anbetung verweigert, lebt er nicht seinsgerecht. Ein Mensch, der nicht anbetet, ist ein Wesen, das seine Herkunft und sein Ziel vergessen hat. Der Mensch muß anbeten, wenn er seiner Herkunft und seinem Ziel angemessen leben will. Daß diese Anbetung im Meßopfer geschieht, hat darin seinen Grund, daß hier sie Anbetung sich mit dem Lob und dem Preis vereint, die Christus selber geleistet hat. Man kann natürlich auch anders und bei anderer Gelegenheit beten. Selbstverständlich. Aber nirgends kann man so wirksam beten wie im Meßopfer. Denn hier betet Christus mit uns; hier ist er unser Vorbeter, und hier schließen wir uns an sein Gebet an. Und weil es so ist, daß Christus hier gegenwärtig wird und für uns Fürbitte einlegt, weil hier der Wert seines Opfers gegenwärtig wird, deswegen ist der Wert des Meßopfers unermeßlich; deswegen gibt es keinen Ersatz dafür. Selbstverständlich kann man die Psalmen beten oder eine Vesper halten, natürlich kann man an einem Wortgottesdienst teilnehmen. Aber das sind alles nur schwache Abklänge von dem Geschehen in der heiligen Messe. Das Meßopfer ist durch nichts zu übertreffen, aber auch durch nichts zu ersetzen.

Wenn wir von dieser Überzeugung durchdrungen sind und durch unser Beispiel unsere Wertschätzung des Meßopfers bekunden, dann werden wir auch unseren fragenden Kindern Antwort geben können. Dann kann es vielleicht geschehen, daß wir doch wieder unsere Jugend ins Meßopfer führen, wie es einmal war. Als ich anfing, meine lieben Freunde, 1951, im ersten Priesterjahr, da war es für jeden katholischen Jugendlichen, der Wert darauf legte, als katholisch zu gelten, eine Selbstverständlichkeit, daß er jeden Sonntag am heiligen Meßopfer teilnahm. Und in den Jahren, die ich in der Dispora verbrachte, in der Ostzone, habe ich erlebt, wie die Menschen weite Wege auf sich nahmen, wie sie in den anstrengenden Erntetagen zum Gottesdienst kamen. Keiner von ihnen hat diesen Gottesdienst versäumt. Aber diese Menschen hatten den Glauben. Sie hatten den Glauben an den Zweck und den Wert des Meßopfers. Dieses beide unseren Kindern zu vermitteln, ist unsere heilige Aufgabe.

Amen.

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