Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Mai 2002

Die Mutter des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben an zwei Sonntagen über die Frau nachgedacht, über die Frau, wie Jesus sie sieht. Wir haben uns Gedanken gemacht, was Jesus der Frau gegeben hat und was er von ihr verlangt. Wir wollen diese Überlegungen heute mit einer dritten Betrachtung abschließen, bei der wir uns eine Frau vor Augen führen, die eine einzigartige, einmalige Persönlichkeit ist, die Frau, zu der Jesus Mutter gesagt hat. Wir wollen diese Betrachtung halten anhand der Selbstoffenbarungen, die Maria von sich gegeben hat in den Worten. Es sind uns nämlich sieben Worte von ihr überliefert, sieben und nicht mehr. Zwei hat sie gesprochen zu dem Engel, zwei zu ihrer Base Elisabeth, zwei zu ihrem Sohne und ein Wort zu den Dienern bei der Hochzeit zu Kana.

Zwei Worte hat Maria gesprochen zu dem Engel. Der Engel brachte ihr die Botschaft, die größte Botschaft, die einer israelitischen Frau gebracht werden konnte, nämlich daß sie die Mutter des Messias sein sollte. Darauf hatten alle Töchter des Volkes Israel gewartet, in der heimlichen Sehnsucht, daß sie die Erwählte sein könnten. Aber nun wurde diese Botschaft Maria gebracht: „Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären. Er wird sein Volk erlösen von seinen Sünden. Er wird groß sein, und Gott wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird herrschen über das Haus Jakob in Ewigkeit.“ Als diese Botschaft an Maria erging, da hätte man erwarten können, daß sie jetzt in Jubel ausbricht oder daß sie verlegen ist. Die beiden Haltungen wären uns denkbar erschienen. Voll Freude, daß sie die Auserwählte sein soll, oder auch scheu und verlegen ob der Würde, die Gott ihr zugedacht hat. Aber nichts dergleichen. Maria ist offensichtlich eine geradlinige und nüchterne Persönlichkeit. Gott will etwas von ihr, und er will etwas tun. Und so fragt sie, was sie dabei tun soll: „Wie soll das geschehen?“ Sie ist eine praktische Natur und stellt die Frage, wie die Verwirklichung dieses Heilsratschlusses Gottes vor sich gehen soll. Sie ist nicht ekstatisch, sie ist auch nicht verlegen, sondern sie ist praktisch. Wie soll das geschehen, was Gott mir zugedacht hat? Der Engel gibt ihr die Antwort, daß, was an ihr geschehen soll, durch ein Wunder, das Gott wirkt, sich vollziehen soll. Sie hat nur eines dabei zu tun, nämlich Ja zu sagen. Es wird nur um ihre Zustimmung geworben. Und da gibt Maria die Antwort, das zweite Wort an den Engel. Da gibt sie die Antwort, die das wundervollste Wort ist, das je ein Mensch auf Erden gesprochen hat: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Worte.“ In diesem Wort Mariens ist zu bewundern die Logik. Sie wundert sich, daß Gott überhaupt fragt. Er weiß doch, daß sie eine Magd ist, und einer Magd braucht man nur zu sagen, was sie tun soll, und sie tut es. Sie ist bereit zu allem, was Gott von ihr verlangt. Sie ist eine Magd des Herrn. Sie gibt ihm eine Blankovollmacht, und die ist unterschrieben: „Magd des Herrn“. Wenn Gott auf diese Blankovollmacht schreibt: „Gottesmutter“, dann ist sie unterschrieben: „Magd des Herrn“. Wenn er darauf schreibt: „Himmelskönigin“, so ist sie unterschrieben: „Magd des Herrn“. Und wenn er darauf schreibt: „Schmerzensmutter“, dann ist sie auch unterschrieben: „Magd des Herrn“. Sie soll die Mutter des Erlösers sein, aber sie nimmt dieses Wort Mutter nicht in Anspruch; sie ist nur die Magd. Sie will nur Magddienst leisten, und damit hat sie ja das Wesen der Mutterschaft begriffen. Eine Mutter ist immer Magd, auch wenn sie diesen Namen nicht führt. Sie ist immer Magd, weil sie dem Kind, weil sie den Kindern dienen muß.

Sie ist als Magd ihrem Sohne kongenial, denn auch ihr Sohn ist ja der Höchste, den Gott über alle anderen Geschöpfe erhoben hat. Und doch gleichzeitig ist er der Knecht aller. Er ist der Knecht Gottes. Er ist so sehr Knecht, daß er sich in diesem Knechtsdienst zu Tode arbeiten wird, daß er sich zu Tode dienen wird als dieser Knecht Gottes. Man sieht, die beiden passen zusammen, die Magd des Herrn und der Knecht Gottes.

Zwei Worte hat Maria zu ihrer Base Elisabeth gesprochen. Der Engel hatte nämlich noch eine Bemerkung fallen lassen, als er sich verabschiedete: „Siehe, deine Base Elisabeth hat einen Sohn empfangen; es ist schon der sechste Monat für sie.“ Da fängt Maria an zu denken. Elisabeth ist hochschwanger; sie braucht Hilfe. Also muß ich zu ihr gehen, muß ihr helfen. Sie fragt nicht lange, sie überlegt nicht lange. Es ist ihr ganz klar, was sie tun muß. Wenn der Wille Gottes vor ihren Augen steht, dann tut sie ihn. Sie erkennt sofort ihre Aufgabe. Sie zaudert nicht, sie zögert nicht. „Sie ging eilends davon“, heißt es im Evangelium. Eilends. Ohne viel Gespräche mit anderen zu führen, eilt sie zu ihrer Verwandten Elisabeth. Und dann spricht sie das erste Wort zu ihr, nämlich: „Sei gegrüßt! Der Friede sei mit dir!“ Denn so grüßt man in Israel: „Friede sei mit dir, Elisabeth!“ Das ist das erste Wort, das sie zu Elisabeth spricht. Aber das Wort, das uns so alltäglich klingt wie ein Gruß, dieses Wort ist nicht alltäglich. Denn als dieser Gruß an das Ohr Elisabeths dringt, da wird sie vom Heiligen Geist erfüllt, und da frohlockt das Kind in ihrem Leibe. Menschen, die von Gott erfüllt sind, sind nicht alltäglich, und sie können selbst durch das Alltäglichste wirken. Das sieht man an diesem Gruß, den Maria an Elisabeth richtet. Und daß Maria in ihrem Gruß etwas bewirkt hat mit ihrer Hoheit, mit ihrer Heiligkeit, das sieht man daran, daß Elisabeth schon unterrichtet ist über das, was an Maria geschehen ist. Sie braucht es ihr nicht zu erzählen, sie braucht es ihr nicht zu erklären. Sie weiß es schon. „Selig, die du geglaubt hast, daß sich an dir erfüllen wird, was Gott dir gesagt hat.“ Vielleicht hatte Maria auf dem Wege überlegt: Wie soll ich es denn der Elisabeth beibringen, was mit mir geschehen ist? Wie wird sie es aufnehmen? Sie braucht es nicht zu erklären. Elisabeth ist unterrichtet vom Heiligen Geiste. Und als sie diese Erkenntnis empfängt, da jauchzt Maria auf: „Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland.“ Wir hatten bisher geglaubt, daß sie vielleicht bloß ein Verstandesmensch ist oder ein Willensmensch. Nein, sie ist auch ein Gefühlsmensch, und jetzt bricht es aus ihr heraus: „Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland.“ Das ist das Jubellied es Christentums geworden, das Freudenlied, das Nationallied des Christentums – das Magnifikat. „Hoch preist meine Seele den Herrn!“ Nicht ein Klagelied, nicht ein Bußlied, sondern das Freudenlied ist das Nationallied des Christentums. Das Christentum ist auf seinem Gipfel immer Freude, und das erfahren wir, wenn wir Maria das Magnifikat nachbeten. „Großes hat an mir getan, der mächtig ist und dessen Name heilig ist. Er hat angeschaut die Niedrigkeit seiner Magd. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter.“ Sie sieht in die Zukunft, und sie sieht, wie die Liebe ganzer Generationen und ganzer Geschlechter, ganzer Jahrtausende ihr entgegenwallt. Sie hört die Marienlieder von allen Gegenden, von allen Wallfahrtsorten zu ihr emporjauchzen. Sie sieht in die Zukunft: „Selig werden mich preisen alle Geschlechter." Sie ist eine Prophetin. „Er hat angeschaut die Niedrigkeit seiner Magd.“ Wieder einmal, das macht er ja immer so, daß er die Niedrigen erhebt und die Stolzen und die Satten und die Selbstgerechten leer ausgehen läßt. Das macht er immer so. Die Armen speist er, die Schwachen erhebt er, die Hilflosen unterstützt er. Aber die Mächtigen und die Reichen läßt er leer ausgehen, die schon satt sind von ihren eigenen Reichtümern. Das sind die zwei Worte, die Maria zu Elisabeth gesprochen hat.

Sie hat aber auch zwei Worte zu ihrem Sohne gesagt. Das erste Wort richtete sie, soweit es uns bekannt ist, an den zwölfjährigen Knaben. Der war mitgezogen zum Fest nach Jerusalem und hatte dort die Feierlichkeiten absolviert. Dann waren Maria und Joseph mit der Karawane, mit dem Pilgerzug zurückgewandert. Am Abend erst fiel ihnen auf, daß Jesus nicht bei ihnen war. Sie meinten, er sei bei den Jungen von Galiläa und Nazareth. Aber dann wurden sie unruhig und suchten ihn. Aber die Nacht kam, ohne daß sie ihn fanden. Am Morgen nahmen sie die Suche wieder auf. Sie schauten in jede Schlucht, in jeden Hohlweg, fragten bei Bekannten und Verwandten. Niemand hatte ihn gesehen. Da gingen sie zurück. Und wieder war eine Nacht, wo sie voll Sorge waren um den Knaben. Am anderen Tage in der Morgenfrühe zogen sie wieder in Jerusalem ein, suchten an allen Stellen, suchten im Tempel, in den Vorhöfen, in den Hallen. Und endlich fanden sie ihn bei den Gesetzeslehrern. „Was für ein Knabe!“ sagten die Menschen, die ihn hörten, die über seine Antworten staunten. „Was für ein Knabe!“ Aber Maria hatte eine andere Anrede: „Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich, wir haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Wir denken uns manchmal, die Heiligen hätten keine Schmerzen, sie würden alles leicht nehmen und immer in Freude sein. O nein, die Königin der Heiligen hat Schmerzen gelitten, Schmerzen gelitten um ihren Sohn. Und so kam die Klage aus ihrem Munde: „Warum hast du uns das getan?“ Maria hat sich nicht hysterisch gebärdet, wie vielleicht andere Mütter es getan hätten, sondern ruhig und besonnen fragt sie, warum er ferngeblieben ist, warum er sich von der Gesellschaft getrennt hat. Das war das erste Wort, das sie an Jesus gerichtet hat.

Das zweite Wort geschah bei der Hochzeit zu Kana. Da war eine Einladung ergangen von Leuten, die offenbar nicht reich waren. Aber sie meinten, man könne es wagen, man könne einen Hausstand gründen, man könne auch eine Einladung ergehen lassen. Und so hatten sie es gewagt, und es waren viele gekommen, auch Jesus und seine Mutter. Auf einmal ging der Wein aus. Wie kann man eine Hochzeit in Palästina, in Galiläa ohne Wein feiern? Wein muß sein; die Männer wollen trinken. Aber der Wein war zu Ende, und man fühlte sich schon unbehaglich. Es war eine Verlegenheit, es war eine gewisse Not. Maria hat sofort die Lage erfaßt. Sie weiß, wenn es dabei bleibt und die Menschen jetzt nichts mehr zu trinken haben, werden sie tuscheln, werden sie reden: Ja, die wollten hoch hinaus, aber es hat halt nicht gereicht. Ich habe es ja gleich gesagt, sie hätten noch warten sollen. Sie spürt die Verlegenheit, und in ihrer hausfraulichen Teilnahme sucht sie dieser Verlegenheit abzuhelfen. Sie begreift, daß hier Hilfe vonnöten ist. Es ist keine sehr große Not, es ist eine kleine Not. Aber indem sich Maria dieser kleinen Not annimmt, zeigt sie, daß sie sich eignen wird als Helferin der Christen. Man kann mit allen Nöten zu ihr kommen, auch wenn es kleine Nöte sind. Es muß nicht immer etwas Ewiges, etwas über die Zeit Hinausgehendes sein. Man kann sie um alles bitten, man braucht sich nicht zu genieren. Sie wird sich als Helferin der Christen zeigen. Sie setzt ihr Vertrauen auf ihren Sohn. Sie zupft ihn am Ärmel und sagt: „Sieh, sie haben keinen Wein mehr!“ Nicht mehr. Keine Einleitung, kein Schluß, keine Motive, keine Bitte. „Sie haben keinen Wein mehr!“ Sie weiß, wenn sie dieses Manko, wenn sie diesen Mangel ihrem Sohn unterbreitet, dann wird er helfen. Sie hat Vertrauen zu ihm. Sie hat so viel Vertrauen zu ihm, daß man sie einmal die bittende Allmacht nennen wird, weil sie alles von ihrem Sohn erreicht, was sie ihm vorträgt. Das ist das zweite Wort zu ihrem Sohne gewesen, das uns erhalten ist. Sie hat ja viele Worte zu ihm gesprochen, als er ein Knabe war, als er mit ihr zusammengesessen hat an den Abenden in dem Häuschen in Nazareth. Aber alle diese Worte sind uns nicht erhalten. Und es ist auch gut so, denn jede Seele hat ihr Geheimnis mit Gott, ihre Ängste, ihr Vertrauen, ihre Zuversicht. Alles das dringt zu Gott, und das ist das Geheimnis der Seele mit Gott. Und der Heilige Geist hat gewollt, daß uns das verborgen geblieben ist.

Schließlich hat Maria ein Wort gesprochen zu den Dienern bei der Hochzeit. Sie hat die Lage begriffen. Es ist am Ende des Tages. Die Diener sind müde, haben den ganzen Tag arbeiten müssen, haben geschuftet, und wenn jetzt Jesus sagt: „Füllt die Krüge mit Wasser!“, dann werden sie womöglich unwillig werden. Ja, das ist nicht einfach, das ist nicht so leicht, werden sie sagen, das ist eine Heidenarbeit, an den Brunnen gehen und das Wasser schöpfen und es hertragen. Man wird müde, und außerdem brauchen wir nicht Wasser, wir brauchen Wein. Deswegen bereitet Maria sie vor. Sie geht zu jedem von ihnen hin und sagt ihm: Gelt, wenn mein Sohn dir etwas sagt, du siehst ihn da drüben sitzen, dann tust du es! „Tut, was er euch sagt!“ Diese hausfrauliche Vorsorge trägt ihre Früchte. Die Diener füllen die Krüge mit Wasser, und Jesus wirkt sein erstes Wunder, indem er das Wasser in Wein verwandelt, „und seine Jünger glaubten an ihn“.

Wenn wir in dieser Stunde, in diesem Maienmonat zu Maria gehen, dann wollen wir auch sie bitten: Mutter, sag auch mir ein Wort! Sag, was ich tun soll! Sag, was ich mir vornehmen soll! Sag, wo ich mich ändern muß! Sag mir ein Wort! Und dann wird Maria zu uns sagen: „Was mein Sohn dir sagt, das tue!“ Und auch wenn es dir schwer wird, und auch wenn du es nicht begreifst: Tu das, was mein Sohn dir sagt! Und dann wollen wir ihr antworten: Mutter, so wollen wir es tun. Wir wollen tun, wie du gehandelt hast!

Amen.

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