23. Mai 2004
Die Offenbarung gegen den Evolutionismus
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Nicht der Evolutionismus erklärt uns, warum es eine Erde und eine Sternenwelt gibt, warum es auf der Erde Leben gibt und Menschen, die Gott anbeten. Das Rätsel, daß überhaupt etwas besteht und daß dieses Bestehende sinnvoll angeordnet ist, löst uns nicht der Evolutionismus, sondern nur die Offenbarung. Nur weil Gott uns das Rätsel aufgelöst hat, wissen wir, woher die Welt kommt und wohin sie geht. Gott ist der Schöpfer der Welt; sie stammt von ihm. Und diese Herkunft von Gott trägt die Welt. Die Herkunft aller Dinge aus dem Geiste Gottes, aus seinem schöpferischen Erkennen und aus seinem schöpferischen Wollen erklärt die Wesenhaftigkeit, die Sinnhaftigkeit, die Werthaftigkeit der Dinge. Sie erklärt aber auch die Tatsächlichkeit, die Wirklichkeit und die Daseinskraft der Dinge, denn Gott hat ihnen beides verliehen, die Sinnhaftigkeit und die Tatsächlichkeit.
Gott hat die Welt geschaffen aus nichts. Das besagt nicht, daß er einen Stoff vorgefunden hat, aus dem er geschaffen hätte, sondern es besagt die absolute Voraussetzungslosigkeit. Gott hat keine andere Voraussetzung seines Schaffens als sein eigenes, allmächtiges Wesen. Die Herkunft aus dem Nichts erklärt die Begrenztheit, die Endlichkeit, die Daseinsschwäche aller Dinge. Die Dinge sind schwach, gebrechlich; sie sind endlich, sie sind vergänglich, sie sind unsicher und bedroht. Sie sind „in den Tod hineingehalten", wie in diesem Falle zu Recht die Existenzphilosophie sagt. Unser Dasein ist ein Hinsein zum Tode. Die Welt und ihre Dinge haben eine fragwürdige Existenz; sie sind ständig bedroht.
So verbürgt also die Schöpfung der Welt durch Gott allen Dingen ihre Existenzsicherheit, aber diese Herkunft verbürgt ihnen nicht die Unzerstörbarkeit ihrer Form. Die Seinsform ist auf Abbruch angelegt. Die Seinsform, die die Dinge jetzt tragen, muß einmal einer anderen Seinsform weichen. In Jesus Christus ist sie vorgebildet. Nachdem das irdische Zelt abgebrochen war, bekam er von Gott eine andere, verklärte Wirklichkeit, und auf dieses Ziel hin ist die ganze Welt, sind alle Menschen in Bewegung. Wir nennen diesen neuen Zustand, den wir erwarten und dem wir entgegengehen, den neuen Himmel und die neue Erde. Wir wissen nicht, wann dieser Zustand eintritt, aber daß er einmal kommt, ist gewiß. So lebt der Mensch in einer letzten Ungewißheit. Er weiß nicht, wann der Ruf Gottes ihn trifft, er muß deswegen immer bereit sein. Er kann diese Unsicherheit nur aushalten in einem letzten Vertrauen auf Gott. Wer die Unsicherheit des Lebens ohne den bergenden Hintergrund Gottes zu bestehen versucht, der verfällt dem Nihilismus, der Sinnlosigkeit. Dagegen der Glaube an Gott, den Schöpfer, schenkt uns in der Unermeßlichkeit des Alls, in der Hast des Alltags und in der Gefährdung der Existenz das Wissen um eine letzte Geborgenheit. So sehr wir also unter der Ungewißheit leiden, so können wir doch in einer Zuversicht Gott und dem von ihm bestimmten Schicksal entgegengehen.
Wenn Gott der Schöpfer alles Weltgefüges ist, dann ist die Welt ganz von ihm abhängig, dann ist er wirklich der Herr der Welt. Sein Herrentum greift tiefer als jedes andere. Es ergreift das innerste Wesen eines jeden Menschen; das innerste Gefüge des Seins wird von diesem Herrn bestimmt. Seine Herrschaft reicht in das innerste Geheimnis eines jeden Dinges hinein.
Dennoch übt Gott seine Herrschaft nicht so aus, daß er den Dingen ihr Eigensein nimmt. Nein, er übt seine Herrschaft gewöhnlich aus im natürlichen Laufe der Welt. Die Naturgesetze sind die Sprache Gottes. In den Naturgesetzen drückt sich das Herrentum Gottes aus.
Dem Herrsein Gottes entspricht der Gehorsam der Geschöpfe. Die untermenschlichen Dinge gehorchen Gott, indem sie die Gesetze, die in ihnen angelegt sind, fraglos erfüllen. Der Mensch gehorcht in freiem Gehorchen, in freier Antwort auf Gott, in freier Entscheidung und in freier Verantwortung. Der Gehorsam, meine lieben Freunde, entwürdigt den Menschen nicht. Er ist vielmehr die einzig sachgemäße und seinsgemäße Haltung. Die Verweigerung des Gehorsams ist dagegen ein Angehen gegen das Wesen des Menschen. Der Ungehorsame widerspricht seiner Herkunft von Gott; er verletzt sein Sein und zerstört letztlich sogar sein Sein. Der von Gott geschaffene Mensch handelt nur wesensgemäß und seinsgemäß und gelangt zur Erfüllung seines Wesens, wenn er sein Leben im Gehorsam vollzieht.
Der Schöpfungsglaube lehrt uns auch das rechte Verhalten in der Welt. Er lehrt uns die rechte Einstellung zu den Weltdingen. Weil die Welt aus dem Erkennen Gottes kommt, ist sie sinnhaft, ist sie nicht sinnlos. Und weil sie aus dem Willen Gottes kommt, ist sie gut, sie ist nicht böse. Sinnhaftigkeit und Gutsein der Welt erklären sich aus der Herkunft vom göttlichen Erkennen und vom göttlichen Wollen. Die Herkunft der Dinge aus Gott, aus der Liebe Gottes, bestimmt deswegen auch ihr Verhältnis untereinander. Die Dinge sind darauf angewiesen, in Liebe einander zu begegnen. Die Liebe ist die sachgemäße Haltung, die uns mit allen Menschen, mit allen Geschöpfen verbindet. Es ist keine allgemeine, unbestimmte Liebe, sondern es ist eine konkrete Liebe. Sie geht auf das klar umrissene Eigensein eines jeden Dinges. Das heißt, wir müssen die Menschen und die Dinge gelten lassen. Wir müssen sie gelten lassen in ihrem Eigensein und in ihrer Eigenart. Ja, wir müssen ihnen zu der von Gott gewollten Gestalt verhelfen. Das ist unsere Aufgabe in der Liebe gegenüber den Geschöpfen. Wir dürfen uns also nicht eine Welt zurechtträumen oder Menschen zurechtphantasieren. Das wäre eine Welt der Selbsttäuschung und der Illusionen. Nein, wir müssen die Menschen und die Dinge wirklichkeitsgetreu, sachgemäß, seinsgerecht, also nüchtern und wahrhaftig betrachten und behandeln. Die Nüchternheit des Blickes ist keine Gleichgültigkeit, sondern wir wissen, daß wir für die Dinge verantwortlich sind, daß wir also Interesse an ihnen haben und es ihnen gegenüber bezeugen müssen. Wir wissen, daß wir in unserer Nüchternheit gleichsam trunken sein müssen, weil die Liebe diese Nüchternheit durchwirkt.
Weil die Dinge von Gott kommen, habe sie eine unermeßliche Tiefe. Diese Tiefe fordert von uns eine heilige Scheu. Die Liebe, die wir zu den Dingen haben, muß von der Scheu durchwirkt sein. Es muß eine scheue Liebe und eine liebende Scheu sein, das heißt, es muß Ehrfurcht sein. Albert Schweitzer hat von der Ehrfurcht vor dem Leben gesprochen, und das ist nicht falsch. Aber wir müssen noch mehr sagen: Wir müssen Ehrfurcht vor Gott, dem Schöpfer, haben und vor seinen Geschöpfen. Das Leben, das wir ehrfürchtig betrachten, kommt von Gott, und so hat jedes Ding und jeder Mensch ein Geheimnis, ein Geheimnis, das ihm nicht entrissen werden darf. Auch in der Freundschaft und in der Liebe, meine lieben Freunde, muß der Mensch sein Geheimnis behalten. Es darf gleichsam der Mensch nicht entblättert werden, nicht restlos enthüllt werden. Vertrauen ja, aber keine Auflösung des Geheimnisses, das jeder Mensch in sich trägt. Wenn die Grenze, wenn die Schranke überschritten wird, die die Ehrfurcht zwischen den Menschen aufrichtet, dann stirbt auch die Liebe. Ehrfurcht und Liebe sind untrennbar miteinander verbunden. Der Mensch, der die Ehrfurcht verletzt, verletzt auch die Liebe.
Die Liebe zur Welt darf aber auch keine Weltseligkeit sein. Das heißt, wir dürfen in den Dingen nicht ruhen. Die Dinge dürfen für uns kein Endpunkt sein. Wir meinen gewiß mit unserer Liebe die Dinge, aber unsere Liebe geht über die Dinge hindurch zum Schöpfer, zu Gott. Wir lieben die Dinge in Gott. Deswegen betet die Kirche so oft, daß wir alles in Gott lieben sollen, d. h. als Ausdruck des schöpferischen Wollens und des schöpferischen Erkennens Gottes. Wenn wir also die Dinge sehen, Tiere, Pflanzen, Gesteine, Menschen, dann geht unser Blick über sie hinaus zu Gott. In der Welt, die der Sünde verfallen ist, besteht freilich die Gefahr, daß die Geschöpfe den Menschen verzaubern, daß er nicht durch sie hindurchsieht, sondern daß er bei ihnen stehenbleibt, daß er nicht über sie hinausblickt zu Gott. Je größer die Herrlichkeit, die Macht und die Schönheit der Dinge ist, um so größer ist die Gefahr, daß der Mensch sich bei den Dingen beruhigt. Das erleben wir ja fortwährend in unserer Umgebung, wie den Menschen Essen und Trinken, Reisen und Verdienen genug ist, wie sie nicht hinausschauen über das Materielle und nicht hinfinden zum Immateriellen, zu Gott. Der Mensch, der dieser Gefahr unterliegt, bleibt bei den Dingen stehen und steigt nicht über sie hinauf zu Gott. Er verehrt die Dinge, wie man nur Gott verehrt, wie man nur Gott verehren darf: das Geld, die Macht, den Besitz, die Karriere, den Leib seiner Frau oder den Leib ihres Mannes.
Den Sinn der Welt und der Dinge verfehlt aber auch der, welcher sie mißachtet oder gar mißbraucht. Und auch diese Gefahr ist gegeben, daß die Dinge mißachtet, zugrunde gerichtet oder mißbraucht werden. Die Müllmänner sagen uns, wie viele wertvolle Dinge heute weggeworfen werden. Sie erklären uns, wie die Menschen mit Lebensmitteln umgehen, eben so, wie man nicht mit solchen Dingen umgehen darf. Das ist Mißbrauch, das ist Geringschätzung der Dinge, das ist ein Attentat auf den Schöpfer. Nein, meine lieben Freunde, die Dinge dürfen weder verachtet noch mißbraucht werden. Man muß sie lassen, wenn Gott sie uns entzieht, aber das ist keine buddhistische Verneinung der Dinge, sondern das ist ein Hindurchgehen durch die Dinge, um die ewigen Güter nicht zu verlieren. Der Abstand bedeutet also echte Liebe. Im Abstand wird die rechte Verbundenheit gefunden. Der Glaube an die Schöpfung bewahrt uns vor einer gottvergessenen Weltseligkeit, bewahrt uns aber auch vor einer falschen Gottseligkeit.
Weil alle Geschöpfe von Gott herkommen, sind sie auch zu Gott hingeneigt. Diese Neigung zu Gott ist zunächst eine Seinsneigung. Aber diese Seinsneigung muß vom Menschen im Erkennen und Willen aufgenommen werden. Das heißt, der Mensch muß sich in freier Entscheidung zu Gott hinwenden, und es überfällt mich immer ein Schauder, wenn ich Menschen sehe, Menschen erlebe, Menschen kennenlerne, die nicht beten, die nicht bereuen, die nicht zu Gott flehen, die sich bei Gott nicht bedanken, die in den Tag hineinleben, als ob Gott nicht existierte. Sie haben nicht begriffen, daß sie auf dem Wege zu Gott sind, ob sie wollen oder nicht. Sie haben nicht erfaßt, daß Gott sie rufen wird und eines Tages Verantwortung von ihnen heischen wird. Nein, meine lieben Freunde, der Mensch muß seine Seinsneigung aufnehmen, er muß, wenn er zu seiner eigenen Tiefe kommen will, die ja von Gott stammt, auf Gott hin unterwegs sein und sich auf diesen Weg machen, unermüdlich und rastlos, bis die Schatten dieser Erde fallen.
Es gibt im Menschen eine Unruhe zu Gott. „Unruhig ist unser Herz", sagt Augustinus, „bis es ruht in Gott." Diese Unruhe zu Gott macht sich im Menschen bemerkbar als Schwermut, als Ungenügen, daß er an keinem Ding, wenn er ein waches Herz hat, sein Genüge findet, daß er in keinem Dinge ausruht. „Ach, daß dem Menschen nichts Vollkommenes wird auf Erden!" So ruft ja Faust in der Dichtung von Goethe aus. Wahrhaftig, so ist es. Ach, daß dem Menschen nichts Vollkommenes wird auf Erden! Das ist ein Ausdruck der Schwermut. Die heidnischen Dichter haben davon schon gewußt. Vergil sagt: „Sunt lacrimae rerum" – Die Dinge haben ihre Tränen, und Dante spricht von der „grande Tristezza", von der großen Traurigkeit der Dinge. Das ist keine Erfindung der Dichter, das ist eine Erkenntnis des innersten Wesens aller Dinge. Sie sind unterwegs zu Gott, und sie finden keine Ruhe, bis sie bei Gott angelangt sind. Sie treibt den Menschen immer wieder über sich hinaus, diese Unruhe, zur Vollendung, die Gott ihm einmal schenken soll.
„Restlos ganz beansprucht dich für sich, der dich geschaffen hat", schreibt einmal der heilige Augustinus. Restlos ganz beansprucht dich für sich, der dich geschaffen hat. Wahrhaftig, so ist es. Wir sind Gott gehörig, wir sind auf dem Wege zu ihm, und wir müssen unsere Leben so vollziehen, daß diese Gottgehörigkeit immer zum Ausdruck kommt. Von dem heidnischen Kaiser Titus wird berichtet, daß er in seinem Park einen zahmen Hirsch unterhielt. Und damit kein Jäger diesen Hirsch erlegte, ließ er ihm ein goldenes Halsband machen, und auf diesem Halsband standen die Worte: „Noli me tangere, Caesaris sum" – Rührt mich nicht an, ich gehöre dem Kaiser. Wir tragen nicht ein sichtbares Band um unseren Leib, aber unsichtbar steht in unser Herz geschrieben und ist auf unseren Weg gelegt: Rührt mich nicht an, ihr Versuchungen und Verlockungen dieser Welt, rührt mich nicht an, denn ich bin Gottes, und ich bin auf dem Weg zu ihm.
Amen.