16. Oktober 1994
Das Wissen von Gott bei allen Menschen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Vor geraumer Zeit unterhielt ich mich mit einer Dame aus Budenheim, die in jungen Jahren ihren Gatten durch Tod verloren hatte. In ihrem Hause lebte der Schwiegervater, und dieser Mann machte ihr unsittliche Anträge. Ihr Kommentar zu diesem Verhalten war: „Ohne Gott und ohne Gebot.“ Sie wollte damit aussagen: Der Schwiegervater war ungläubig und gleichzeitig unsittlich.
Dieser Zusammenhang ist häufig. Mit dem Gottesglauben fällt oft, ja meistens auch die Sittlichkeit dahin. Weil wir von der unersetzlichen Bedeutung des Glaubens an Gott überzeugt sind und uns in dieser Überzeugung festigen wollen, deswegen befassen wir uns seit geraumer Zeit mit der Existenz Gottes. Wir haben gesehen, daß Gott sich kundgetan hat in der Offenbarung an sein auserwähltes Volk und vor allem durch die Offenbarung in Jesus Christus, seinem eingeborenen Sohn. Aber Gott hat sich auch denen, die nicht im Lichtkreis der Offenbarung stehen, nicht unbezeugt gelassen. Es gibt auch ein Gotteswissen in Heidenherzen. Das soll der Gegenstand unserer heutigen Überlegung sein – Gotteswissen in Heidenherzen. Wir wollen unseren Gegenstand in vier Punkte zerlegen und fragen
1. nach der Tatsache dieses Gotteswissens,
2. nach dem Inhalt,
3. nach der Herkunft und
4. nach der Bedeutung.
Erstens, die Tatsache dieses Gotteswissens ist uns bezeugt. Schon die ersten Christen haben in ihren Auseinandersetzungen mit den Heiden festgestellt, daß bei den Heiden ein irgendwie geartetes religiöses Stammkapital vorhanden ist, oft verschüttet, oft verunstaltet, aber es ist da. Der Kirchenschriftsteller Tertullian sprach von dem Zeugnis der Seele, die von Natur aus christlich ist. Er wollte damit sagen, es gibt in jedem Menschen ein irgendwie geartetes Wissen um Gott. Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist diese Überzeugung vom Gotteswissen in den Heidenherzen in überraschender Weise bestätigt worden durch wissenschaftliche Forschungen, ethnologische Untersuchungen, die man bei kleinen, primitiv gebliebenen Völkern vorgenommen hat, die scheu und verborgen irgendwo am Rande der Erde leben und deswegen unbeeinflußt sind von der Kulturentwicklung. Es sind das beispielsweise die Ainus in Japan, die Mundas in Indien, Zwergvölker Innerafrikas, Stämme in Australien, in Süd- und Nordamerika. Und was stellt man bei diesen Völkern fest? Ein überrschend reines Gotteswissen, reine Gottesverehrung und reine Sittlichkeit. Sie haben das, was ihnen wohl am Anfang der Menschheitsgeschichte von Gott geschenkt worden ist, in einer erstaunlich reinen Weise bewahrt. Es erfüllt sich in ihnen das, was der Heide Cicero einmal gesagt hat: „Je näher die Völker der Vorzeit Gott und ihrem göttlichen Ursprung standen, um so klarer erkannten sie die Wahrheit.“
Welches ist nun zweitens der Inhalt dieses Gotteswissens? Diese Restvölker, die man entdeckt und erforscht hat, haben einen klaren Monotheismus, also einen Ein-Gott-Glauben. Sie sind überzeugt davon, daß Gott der Schöpfer und Erhalter alles Lebens ist und daß er gleichzeitig Richter und Vergelter ist. Ist das nicht erstaunlich, meine lieben Freunde? Denn was hier als Grundinhalt des Gotteswissens der Heidenvölker erforscht wurde, das ist genau das, was der Hebräerbrief angibt, um die Erfordernisse zu bezeichnen, die notwendig sind, um zu Gott zu kommen. „Wer zu Gott kommen will“, sagt der Hebräerbrief, „muß glauben, daß er ist und denen, die ihn suchen, Vergelter wird.“ Eben dieses Gotteswissen zeigt sich bei den aus der Urzeit primitiv, unverändert, urtümlich gebliebenen Stämmen der Erde. Darüber hinaus zeigen diese Stämme auch eine Gottesverehrung. Sie beten. Sie beten zum Himmelvater und Ernährer. Ein Forscher schreibt: „Ich habe nie erlebt, daß jemand von diesen Heiden sich zur Mahlzeit niederläßt, ohne vorher zu beten.“ Sie üben das Opfer. Von ihren Jagdergebnissen bringen sie das beste oder das erste Gott dar. Und sie halten den Namen Gottes heilig. Sie haben auch eine hochstehende Sittlichkeit und wissen, daß Gott den, der seinen Willen übertritt, straft. Wir dürfen mit Hieronymus und Augustinus die Allgemeinheit der Überzeugung von einem persönlichen, überweltlichen Gott als eine bewiesene Tatsache ansehen. Hieronymus bemerkt: „Es gibt keine Völker, die nicht Gott als ihren Schöpfer erkennen.“ Und Augustinus schreibt: „Ausgenommen einige wenige, in denen die Natur zu verdorben ist, erkennt das ganze Menschengeschlecht Gott als den Urheber der Welt.“ Das ist also der Inhalt dieses Gotteswissens. Gott, der Schöpfer, der Erhalter, der Richter, den man verehrt durch Gebet und Opfer und dessen Willen man im sittlichen Handeln nachkommen muß.
Die dritte Frage lautet: Woher kommt dieses Gotteswissen in Heidenherzen? Was ist seine Herkunft? Die Antwort muß lauten: Gott ist von Anfang an mit der Menschheit gegangen. Er hat der Menschheit das Licht gegeben – wir nennen es Gnade –, um Gott zu erkennen, um Gott zu finden und um Gott zu verehren. Es ist ganz falsch, wenn behauptet wird, der Ein-Gott-Glaube stehe am Ende der Entwicklung. Er steht am Anfang. Es ist nicht so, meine lieben Freunde, als ob sich der Ein-Gott-Glaube entwickelt hätte über dumpfe Anfänge, Furcht, Zauberglaube, Seelenglaube, über den Viel-Götter-Glauben und dann erst in einer hohen Stufe sich zum Ein-Gott-Glauben erhoben habe, sondern es ist genau umgekehrt. Der Ein-Gott-Glaube steht am Anfang. Aber dann kommt der große Abfall. Nach dem Fall des Menschen kommt es auch zum Abfall vom einen Gott. Die Menschen schaffen sich Götter nach ihren Gelüsten und nach ihrem Belieben, ein Absinken des Gottesglaubens und der Gottesverehrung und der Sittlichkeit setzt ein. Gott ist von Anfang an mit der Menschheit gegangen. Er hat einem jeden Menschen die hinreichende Gnade gegeben, und er gibt sie auch heute noch, um Gott zu finden, um Gott zu verehren, um Gottes Willen zu tun. Der Apostel Paulus hat diese Wahrheit mehrfach ausgesprochen. In Lystra hat er seinen Zuhörern gesagt: „Gott hat sich nicht unbezeugt gelassen als Wohltäter, da er vom Himmel her Regen spendet und fruchtbare Zeiten und eure Herzen mit Speise und Wonne erfüllt.“ Das will sagen: Man konnte aus den Gaben, welche die Erde den Menschen schenkt, man konnte aus dem Wechsel der Jahreszeiten den Schöpfer erschließen. Und in Athen hat er sich noch weit ausführlicher über dieses Thema geäußert. Da spricht er nämlich davon, daß der Mensch imstande ist, aus der Schöpfung, aus der Geschichte und aus seinen persönlichen Erfahrungen Gott zu erkennen. Aus der Schöpfung: „Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was in ihr ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, er gibt allem Leben und Odem und alles.“ Er ist der Schöpfer, und man kann aus seiner Schöpfung ihn erschließen. „Er hat auch bewirkt, daß von einem einzigen her alle Völker der Menschen über die gesamte Oberfläche der Erde hin wohnen. Er hat bestimmte Zeiten und Grenzen ihres Aufenthaltes festgesetzt. Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn herausfühlen und finden möchten.“ In der Geschichte war Gott wirksam. In den Ereignissen und Geschehnissen der Geschichte, die dem Ungläubigen so wirr und konfus erscheinen, ist für den Sehenden Gott am Werk. Und schließlich im personalen Bereich: „Er ist nicht fern einem jeden von uns, denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ Man kann, wenn man in sich selbst hineinhorcht, wenn man die Stimme des Gewissens vernimmt, den Geber der Gesetze, den Geber der sittlichen Gesetze, erahnen. Die Herkunft des Gotteswissens ist also so zu erklären, daß Gott sich nicht unbezeugt gelassen hat, sondern durch seine hinreichende Gnade einem jeden die Möglichkeit gegeben hat und gibt, ihn zu erkennen und zu finden.
Und schließlich das letzte: Welches ist die Bedeutung dieses Befundes, den ich in aller Kürze vor Ihnen ausgebreitet habe? Erstens: Wir dürfen uns als die glücklichen Ahnen jener Menschen ansehen, die von Anfang an und ohne Irrtum und Zweifel an der Existenz Gottes festgehalten haben. Die gesamte Menschheit, soweit sie nicht verdorben ist, ist vom Dasein des Schöpfers, Erhalters, Richters und Lenkers dieser Erde überzeugt.
Zweitens: Gott ist auch heute durch Überlegungen von denen, die guten Willens sind, zu finden. Er läßt sich erkennen, wenn jemand nur den Willen hat, sich ihm zu nahen. Wer zu Gott kommen will, muß glauben, daß er ist und daß er denen, die ihn suchen, Vergelter wird. Diese Wahrheit zu erkennen ist jedem nicht verdorbenen Menschen möglich. Wir wollen nicht hinter denen zurückbleiben, die ohne Offenbarung zu Gott gefunden haben. In der Zeit vor Christus hat einmal ein griechischer Geschichtsschreiber, Plutarch, die Worte geschrieben: „Du kannst Städte sehen ohne Mauern, ohne Gesetze, ohne Münzen, ohne Schrift, aber ein Volk ohne Gott, ohne Gebet, ohne religiöse Übungen und Opfer hat noch keiner gesehen.“ So war es in der Urzeit. Heute, nachdem 2000 Jahre das Licht in der Welt ist, scheint es Ortschaften, scheint es Städte, scheint es Länder zu geben, in denen Gott nicht die gebührende Stelle eingeräumt wird, in denen das Licht der Wahrheit verdunkelt wird und die Offenbarung zunichte gemacht wird.
Wir wollen, meine lieben Freunde, unserer Sendung als Zeugen des Lichtes eingedenk sein. Wir wollen unseren Glauben, unsere Überzeugung von der Existenz Gottes festigen und wollen mit ihr nicht hinterm Berge halten, wollen sie bekennen, schlicht, demütig, aber auch fest, tapfer und bewußt, damit wir gleich werden dem, der gekommen war, Zeugnis zu geben vom Lichte, Johannes dem Täufer.
Amen.