1. Dezember 2002
Das Dogma von der Dreifaltigkeit Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Menschwerdung des Gottessohnes macht uns ein Geheimnis kund, das auf den ersten Blick überraschend wirkt, nämlich das Geheimnis, daß in Gott nicht einer ist, sondern eine Mehrheit, ein Zweiter und ein Dritter. In Gott gibt es nicht nur den Vater, sondern auch den Sohn und den Heiligen Geist, und die sind so sehr voneinander verschieden, daß nur von einem von ihnen gesagt werden kann: Er ist ein Mensch geworden, nämlich von der zweiten Person, vom Sohne Gottes. Ihre Verschiedenheit hindert nicht die Einheit des göttlichen Wesens. Die drei, die da sind, besitzen die gleiche Natur und die gleiche Würde, das gleiche Sein und das gleiche Wesen.
Die Theologie hat mit Hilfe der griechischen Philosophie die Wahrheit von der Dreipersönlichkeit Gottes in die Formel gefaßt: Eine Natur und drei Hypostasen. Hypostasen, das heißt drei Träger, drei persönliche Träger des göttlichen Wesens. Das Geheimnis der Dreifaltigkeit wäre uns niemals aufgegangen ohne göttliche Mitteilung. Wir wissen nur davon, weil Gott es uns gesagt hat, und wir können es auch nach seiner Mitteilung nicht ausschöpfen. Die Tatsache ist uns durch Gottes Offenbarung gewiß, aber das Wesen und die Eigenart dieser Tatsache bleibt uns verschlossen.
Ist denn aber dann die Dreifaltigkeit, die Dreieinigkeit, die Dreipersönlichkeit Gottes ein lebendiges Dogma, oder ist es nur etwas, was unser Denken beschäftigen soll? Greift dieses Dogma in unser Leben ein? Hat es einen Lebenswert und eine Lebensmacht? Gewiß, wir spenden die Taufe im Namen des dreifaltigen Gottes, wir geben den Segen im Namen des dreieinigen Gottes, wir beten im Glaubensbekenntnis zum Vater und zum Sohn und zum Heiligen Geist. Im gläubigen Mittelalter hat man kaum eine wichtige Handlung unternommen, ohne den dreifaltigen Gott anzurufen. Da wurden Friedensschlüsse im Namen des dreifaltigen Gottes getätigt, da hat man Urkunden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes begonnen. Schenkungen und Testamente wurden aufgesetzt im Namen des dreieinigen Gottes. Dieser Alltagsgebrauch sagt etwas über die Lebensmacht des Dogmas von der Dreieinigkeit aus. Wir können mit Hilfe dieses Dogmas in drei Lebensräume hineinschauen, in den Lebensraum des Sohnes, in den Lebensraum Gottes und in den Lebensraum der Menschen.
Das Dogma von der Dreipersönlichkeit Gottes öffnet uns einen Blick in den Lebensraum Jesu. Sein Leben war nichts anderes als ein Leben im dreipersönlichen Gott, im Vater und im Heiligen Geist. Vom Vater geht er aus. Bevor Abraham ward, ist er beim Vater. Vom Vater wird er zu uns gesandt und zum Vater kehrt er wieder heim. „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Das Leben Jesu war ein Leben im dreifaltigen Gott. Vom Vater wird er gesandt zu uns, und zum Vater kehrt er heim von uns. Der Vater legt ihn uns ans Herz, und unsere Nähe zum Vater bringt gleichzeitig die Nähe zu ihm und zum Heiligen Geist. Wahrhaftig, das Leben Jesu war ein Leben im dreifaltigen Gott. Das Abba-Sagen, das Vater-Sagen war das Wesentliche seines Lebens. Er ist vom Vater ausgegangen, und er kehrt zum Vater zurück. Wenn wir in das Leben Jesu hineinschauen, dann sehen wir, daß dieses Leben überwölbt ist von der Liebe zum Vater. Der Vater ist seine ganze Freude. „Der Vater liebt mich“, sagt er mit zitternder Innigkeit. Der Vater ist sein Gebet. „Vater, ich danke dir für diese Stunde.“ Der Vater ist seine Norm. „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.“ Wahrhaftig, das Leben Jesu war ein Leben im Banne des dreieinigen Gottes. „Ich bin im Vater, und der Vater ist in mir.“ Und er sendet den Geist, der vom Vater und vom Sohne zusammen ausgeht.
Vom Leben Jesu, vom Innenraum des Lebens Jesu, fällt dann ein Blick auf den Innenraum der Gottheit. Die Gottheit ist ein Schenken und Empfangen. Das ist das Charakteristische in Gott: ein Schenken und ein Empfangen. Der Sohn ist nichts anderes als das Empfangen des Wesens des Vaters, und der Heilige Geist ist nichts anderes als das Empfangen des göttlichen Wesens aus der Hand des Vaters und des Sohnes. Das Leben Gottes, das innere Leben Gottes ist ein Verströmen, ein Austausch, ein Eingehen und Ausgehen vom Vater über den Sohn zum Heiligen Geist.
Der Evangelist Johannes nennt die zweite Person in Gott das „Wort“, den „Logos“. Damit will er aussagen, daß der Sohn nichts anderes ist als die Aussprache des Vaters. Indem der Vater sich selbst ausspricht, entsteht, wenn ich so sagen darf, der Sohn, von Ewigkeit her selbstverständlich, nicht in der Zeit. Der Sohn ist die Aussprache des Vaters, er ist das Wort des Vaters, er ist das Wissen Gottes des Vaters um sich selbst. Deswegen sagt der Hebräerbrief, daß Jesus, der Gottessohn, das Abbild, das Ebenbild des Vaters ist. Und um jede geschöpfliche Aussage von ihm zu vermeiden, hat die Theologie das Wort vom „Zeugen“ eingeführt. Zeugen heißt eben, ein Ebenbild von sich selbst erwecken. Das eben ist das Ebenbild des Vaters: der Sohn, der vom Vater hervorgeht. Und aus beiden geht hervor der Heilige Geist, denn der Hervorgang des Sohnes aus dem Vater ist überwölbt von der Liebe, und wenn die Liebe auf ihren Gipfel steigt, dann wird sie eine Person, und diese Person nennen wir den Heiligen Geist. Dieses Atmen in Gott, dieser Pulsschlag in Gott, dieser Tonfall in Gott ist der Heilige Geist. Er ist eine lebendige Wirklichkeit, eine Person. Er geht vom Vater und vom Sohne aus durch Hauchen, durch Atmen, und das soll ebenfalls wieder ausdrücken, daß es eben nicht eine Schöpfung ist, daß nicht eine Kreatur hervorgebracht wird, sondern daß ein Gleichbild des Vaters und des Sohnes im Heiligen Geist entsteht.
Von dem Geheimnis der Dreifaltigkeit, des dreifaltigen Lebens in Gott fällt auch ein Licht auf den Menschen. Der Mensch ist nämlich ein Nachhall und soll ein Nachbild Gottes werden. Der Mensch ist ein Nachhall Gottes, also ein Echo gewissermaßen. Sie kennen vielleicht die Sage von der Wundermuschel. Sie ist am Meere aufgewachsen und entstanden, aber dann wurde sie ins Land getragen, und wenn man sie ans Ohr hält, dann vernimmt man noch das Rauschen des Meeres in dieser Muschel. Ähnlich-unähnlich ist es mit der Schöpfung; sie ist ein Nachhall Gottes. Alles was schön und stark und lebenskräftig in der Schöpfung ist, das ist eine wunderbare Schöpfung Gottes. Ja, wahrhaftig ein Nachhall Gottes, ein kreatürlicher Nachhall Gottes. Natürlich vor allem der Mensch. Wenn der Mensch mit Zeugungskraft ausgestattet ist, mit leiblicher und geistiger Zeugungskraft, dann ist er in einem besonderen Sinne ein Nachhall des göttlichen Lebens, des innergöttlichen Lebens. Ähnlich-unähnlich wie der Vater den Sohn zeugt, so zeugen Menschen ein Kind in körperlicher Zeugung, aber so gibt es auch eine geistige Zeugung, von der meinetwegen der heilige Paulus spricht, wenn er sagt, er sei der Vater derer, die er im Glauben hervorgebracht hat, die er zum Glauben geführt hat. Das ist eine geistige Zeugung, und die ist eben wiederum ein Abbild, ein Nachhall des innergöttlichen Geschehens.
Der Mensch soll auch ein Nachbild werden, ein Nachbild des innergöttlichen Lebens. Das vollzieht sich in der Begnadung. Indem der Mensch die Gnade empfängt, entsteht in ihm ein Lebensraum, in dem sich das göttliche Leben vollzieht. Ja, wahrhaftig, nicht weniger und nicht mehr ist es: Durch die Begnadung entsteht im Menschen ein Lebensraum, in dem sich das göttliche Leben vollzieht. Das ist ein Ausgehen und Eingehen, das ist ein Schenken und Empfangen, das sich in der Seele des begnadeten Menschen abspielt. Jesus sagt es ja: „Wir werden kommen und in ihm – im begnadeten Menschen – Wohnung nehmen.“ Gott nimmt Wohnung im begnadeten Menschen und vollzieht in ihm sein göttliches Leben. Das liegt in Tiefen, die wir natürlich mit den Sinnen nicht erfassen können und die wir selbst mit dem Verstand nicht begreifen können. Er ist eben ein Gott der dunklen Kammer; er ist ein verborgener Gott. Aber er ist ein Gott, der seine Verheißungen erfüllt. Wenn er sagt: „Wir werden kommen“, dann kommt er auch. Gott wirkt in unserer Seele und will in unserer Seele ein Nachbild seines Wesens schaffen. Die Heilige Schrift spricht von einer „Teilnahme an der göttlichen Natur“. Wer begnadet ist, ist teilhaftig der göttlichen Natur, er ist also erhoben zu göttlichem Sein. Unbegreiflich, unfaßlich – und doch wirklich!
Diese Wirklichkeit will aber auch wirksam werden. Sie will wirksam werden in unserem Handeln, in unserem Tun, in unserem Lassen. Es muß also auch in unserem Leben ein Strömen und Verströmen sein, ein Schenken und ein Empfangen. Es muß also in unserem Leben eine Solidarität sein, ein Füreinander und Miteinander. Wir haben ja an den vergangenen Sonntagen gesehen, daß der Mensch nur zur Vollkommenheit kommt, wenn er sich selbst überschreitet, wenn er sich selbst verläßt, wenn er das eigene Ich überwindet, wenn er zum Du kommt, wenn er das Dusagen lernt in Liebe, in Geduld, in Großmut. Nur so kommt der Mensch zur Vollkommenheit. Und jetzt begreifen wir auch, warum er nur so zur Vollkommenheit kommt: weil er das göttliche Leben, das in ihm ist, nachvollziehen muß, weil er das ausdrücken muß, was Gott in seiner Seele kraft der Gnade vollzieht. Deswegen muß der Mensch zum Nächsten gehen und solidarisch sein mit ihm, ihm die Liebe erweisen, und wenn es noch so schwer fällt.
Das Beste, was Gott uns schenken konnte, war die Teilnahme an seinem göttlichen Leben. Das Beste, was wir einander schenken können, ist ein aus diesem göttlichen Leben entsprießendes Füreinander und Miteinander. Wir sollen nicht nur selbst uns Stirn und Mund und Brust bezeichnen mit dem Kreuzeszeichen und sprechen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, sondern wir sollen es auch einander tun und zueinander sagen: „Gesegnet seist du im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Amen.