Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Gebote Gottes (Teil 6)

30. Juli 2023

Gott allein dienen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wer vor Gott hintritt, Gott nahekommt, der nimmt damit das größte Schicksal auf sich, das es gibt, und die gewaltigste Verantwortung; der hat damit das Leben mit Gott und mit allen seinen Geschöpfen auf sich genommen; der ist nicht mehr allein, nicht mehr ganz eigenmächtig, nicht mehr sich selbst überlassen, der ist in eine Gemeinschaft hineingestellt. Wahres Leben, vollkommenes Leben, seliges Leben ist ein Zusammensein, ist Gemeinschaft. Eigenleben, isoliertes Leben, Ichleben ist gar kein Leben, ist Tod. Die Gemeinschaft mit Gott, ihre Formen und ihre Folgen sind angedeutet in den drei ersten Sätzen der Zehn Gebote, die im mosaischen Gesetz dem Volk Israel gegeben wurden. Vom Zusammensein mit den Menschen ist in den übrigen sieben Sätzen der beiden Tafeln die Rede. Das Zehngebotegesetz, der Dekalog, galt rein formell, als mosaisches Gesetz, nur für Israel, und gilt als solches heute unter der Herrschaft des christlichen Gesetzes überhaupt nicht mehr. Aber inhaltlich sind seine Sätze Formulierungen für jene unvergänglichen Urgebote, für die sittlichen Naturgesetze, die aus dem Zusammensein mit Gott für alle Zeiten und für alle Menschen sich ergeben. Der erste Satz des Dekalogs ist gegeben in dem einen Wort: Du sollst keine fremden Götter neben mir haben. Also keinen Götzendienst! Kann das auch noch für uns einen Sinn haben? Freilich die armseligen Versuche von kindlich gebliebenen oder schon wieder entarteten Völkern, die ein geschnitztes Bild anbeten, machen wir nicht mehr. Aber sind wir schon über die Gefahr jeder Götzendienerei hinausgewachsen und lebendig inne geworden, dass Gott nur einer ist? Und dass über den unendlichen Gott hinaus nichts mehr ist, dass gegen ihn nichts anderes gilt? Dass der heilige Gott vor nichts, vor gar nichts zurückgestellt, zurückgesetzt werden darf, auch nicht vor unseren Wünschen, Neigungen und Leidenschaften, auch nicht vor unserer eigenen Größe und nicht vor unserem Geld oder Geschäft oder Glück, ja nicht einmal vor unserem eigenen Ich? Wir heutigen Menschen könnten von der Einzigkeit und Unvergleichlichkeit Gottes mehr überzeugt sein als der arme Wüstenstamm, der am Fuße des Sinai lagerte. Heute könnte man überall, wo man den Gloriagesang der katholischen Messfeier singt, auch aus tiefster Lebenserfahrung in das Schlusswort dieses Gloria einstimmen: Du allein bist der Heilige, du allein bist der Herr, du allein bist der Höchste.

1. Du allein, o Gott, bist der Heilige. Das heißt: Du allein bist vollkommen; in dir allein ist keine Unzulänglichkeit und Schwäche; zu dir allein kann man aufblicken, ohne irre zu werden; dich allein kann man verehren, ohne getäuscht zu sein. Du allein strahlst ohne Trübung und Betrübnis. Wenn es je eine bis auf den Grund reichende allgemeine Welterkenntnis gab, dann ist es die moderne Sicht vom Unzulänglichsein aller Weltdinge, vom Schwanken alles Bestehenden, vom Beschattetsein aller irdischen Lichter. Ein Fortschritt in der Erforschung und Kenntnis ist unzweifelhaft: Alles Menschliche ist auch irgendwo allzu menschlich, alle unsere Tugenden sind von Untugenden begleitet, getrübt, ja sogar noch getragen. Auch in unseren besten Menschen ist noch etwas zu ertragen, etwas zu verzeihen, etwas zum Erbarmen. Ja, auch im eigenen Ich gibt es das noch. Ich möchte den aufrichtigen Menschen sehen, der in allem Ernst mit sich selbst zufrieden sein könnte. Aber irgendwo und in einem letzten Grunde muss doch das Licht rein und die Tugend wahr und die Güte vollkommen sein. Denn sonst gäbe es ja überhaupt kein Licht und keine Güte. So steigen wir über alle Engel und Heiligen hinauf zu ihm, der selbst die Güte ist, in dem nur Licht und keine Finsternis ist. Zu ihm sagen wir: Du allein bist heilig. Nichtse sind wir, wenn wir nicht mehr vor ihm auf dem Angesicht liegen. Blind sind wir, wenn wir nicht mehr zu ihm aufschauen. Taub sind wir, wenn wir nicht mehr ihn hören. Sinnlos sind wir, wenn wir ihn vergessen. Was haben wir also im Himmel und was könnten wir begehren auf Erden außer ihm, dem heiligen und heiligmachenden Gott! Im Urlaub stieß sich ein Gast daran, dass ein altes Mütterlein immer wieder den Rosenkranz betete. „Liebe Frau“, meinte er, „das können Sie sich ruhig schenken; der Herrgott braucht Ihr Beten nicht.“ „Das glaube ich wohl“, antwortete ruhig die alte Frau, „aber ich brauche Ihn.“

2. Wir beten weiter: Du allein bist der Herr. Das heißt: Dein Wille allein soll über uns stehen. Irgendein Wille muss doch in unserem Leben sein, irgend etwas müssen wir doch erstreben und erschaffen, nach irgend etwas müssen wir doch unsere Arme ausstrecken. Aber was für ein Wille soll denn über unserem Leben stehen? Was irgendein Mensch mir befiehlt oder was gar eine Masse von Menschen von mir erzwingt, was eine Laune der Zeit oder der Egoismus der Umwelt, was der Fanatismus einer Partei oder die Panik der Straße mir abnötigen will? Das ist kein Wille, dem ich sagen möchte: Du bist der Herr, oder gar: Du allein bist mein Herr. Da könnte ich doch ebenso gut oder noch besser meinen Willen über mir proklamieren. Aber was ist denn mein Wille? Weiß ich denn, was eigentlich zu wollen ist? Weiß ich selbst denn, was ich wollen muss? Und worauf es ankommt? Ein einziges Leben habe ich, ein einziges ewiges Schicksal, einen einzigen Weg – weiß ich denn diesen Weg, dieses Schicksal, weiß ich denn, worauf es ankommt bei mir, heute und in meinen guten Stunden und in meiner Todesstunde? Es steht aber schon ein Wille über uns, freilich nicht mein Wille und nicht der eurige, sondern der Wille, der die Welt lenkt mit allmächtiger Hoheit. Vor ihm ist die Menschheit nicht Herr über ihre Geschichte; selbst ihre Größten sahen die Dinge nicht so laufen, wie sie wollten. Kein einziger von uns ist alleiniger Herr über seine Geschicke. Zahllos sind die Kräfte, die unser Leben bestimmen, es lenken und vernichten, aber nicht blindlings und von ungefähr. Zuweilen wird es selbst unseren kurzsichtigen Augen sichtbar, dass jemand da ist, der etwas mit uns will, dass eine Führung und Lenkung da ist, dass ein Wille da ist, der sich durchsetzt, eine Hand, die uns ergreift. Muss also nicht schon die alltäglichste Lebenserfahrung uns bekennen lassen: Du bist der Herr, du Großer, Geheimnisvoller! Wenn es schon so ist, sollten wir nicht auch mit Vertrauen diese allmächtige Hand ergreifen können und sagen: So nimm denn meine Hand und führe mich! Wir haben doch schon erkannt und geglaubt, dass der allmächtige Wille einem gütigen Wesen gehört; dass wir vertrauen können, der geheimnisvolle Strom des Weltgeschehens sei ein Heimatstrom, und werde uns in das ewige Licht führen.

Wir können also mit ruhigem Herzen beten zu diesem über uns stehenden Herrn: Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden. Und wenn dieser höchste Wille uns auch einen Kelch voll bitteren Trankes reicht, auch dann können wir noch sagen: Wenn es möglich ist, lass diesen Kelch vorübergehen, aber nicht mein Wille geschehe, sondern der deine. Wir sehen: Die Gottesliebe hat ihre Konsequenzen. Wenn wir das Licht und das Geheimnis als unseren Herrn anerkennen, dann müssen wir ihm auch sagen: Wie du willst, mein Gott. Was du befiehlst! Was dir gefällt. Ja, dieser Wille über uns, dieser Wille, den wir lieben, muss sogar unsere Sorge und unser Anliegen sein; dass wir diesen göttlichen Willen erkennen und nicht missverstehen, dass wir ihn sehen und nicht übersehen, dass wir stets gleich bereit sind und keinen Augenblick uns sträuben, das muss unser Anliegen sein. Wie auf Posten müssen wir stehen, um das erste Nahen dieses Willens zu erspähen; wie an der Straße müssen wir sitzen, um Gottes Willen nicht vorbeigehen zu lassen; einen Wanderstab müssen wir in Händen tragen, um auf das erste Aufgebot hin aufzubrechen. Es wäre ein fremder, also götzenhafter Wille in unserem Leben, wenn wir auch nur einmal den göttlichen Willen abschütteln oder ihm ausweichen wollten! Ja, es wäre schon ein Götzendienst jede Gleichgültigkeit, die nicht eifrig fragt: Was will mein Gott? Jedes allzu schnelle Abwerfen des göttlichen Willens, jedes Ausredesuchen, jedes Einwändemachen, jede Rechthaberei und Sophisterei, mit der wir den göttlichen Willen umdeuten wollen nach unseren Wünschen, jede knifflige Eigenwilligkeit, mit der wir unser besseres Erkennen, unser unbeugbares Gewissen umstimmen möchten nach unseren Begierden. All das ist schon Götzendienst. Wo und wann immer wir den unverkennbaren Schritt Gottes hören in unseren Häusern und Gassen, in unserem Leben, in unseren Herzen, ja wo auch nur ein ferner Hall, ein leises Pochen des göttlichen Schrittes an unser Ohr dringt, da sollten wir schon herausstürmen und sagen: Ich kann nicht mehr bleiben, der Ewige hat mich gerufen; ich kann nicht mehr feiern, der Herr hat mit befohlen; ich darf nicht mehr schlafen in den Kammern meines bisherigen Wollens, in den Kammern meiner nächtlichen Werke; denn das Licht ist zu mir gekommen und der Tag hat mich gerufen.

3. Du allein bist der Höchste, das heißt: Du allein bist auf dem Gipfel des Seins und des Lebens. Über dich hinaus führt kein Weg und also auch keine Sehnsucht mehr. Aus dir braucht man nicht mehr hinauszugehen, weil außer dir nichts mehr kommt. Wir gehen zu Gott und können sonst nirgends hin wollen: Herr, zu wem sollten wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens, du bist selbst das ewige Leben. Es wäre Götzendienst, dieses ewige Leben außer Gott suchen zu wollen. Der englische Freidenker Collin traf einen ihm bekannten Arbeiter, der zur Kirche ging: „Ist dein Gott groß oder klein?“, fragte er ihn. Der Arbeiter antwortete: „So groß, dass Ihr Kopf ihn nicht fassen kann, und so klein, dass er in meinem Herzen wohnen kann.“ Es ist sinnlos und darum auch aussichtslos, unser unruhiges Herz stillen zu wollen, wenn es nicht aus Gott trinkt. Es wäre Götzendienst, heimkommen zu wollen außer zu ihm, der alles Daheimsein ist. Du bist der Höchste: Das heißt, ich will nicht aufhören zu gehen, bis ich dich erreicht habe. Ich kann nichts besitzen, was ich nicht in dir angelegt habe. Ich mag nichts genießen, was nicht ein Stücklein deines Brotes, ein Tropfen deines Weines ist. Was bedeutet also der erste Satz des Dekalogs: Du sollst keine fremden Götter neben mir haben? Er bedeutet, dass wir keine Ruhe haben sollen bei Tag und Nacht, ihn anzubeten, der allein heilig ist. Dass wir keine Ruhe haben sollen, nach seinem Willen zu fragen und nach seinem Willen zu tun, der allein unser Herr sein muss. Dass wir keine Ruhe haben sollen vor dem Gedanken an ihn, vor dem Suchen nach ihm, vor dem Durst nach ihm, vor dem Kampf für ihn, vor dem Leiden um ihn, vor dem Sterben in ihm. Keine Ruhe haben sollen bei Tag und Nacht, weil dieser Gott lebt. Aber so ist es nicht bei uns, bei weitem nicht. Wir können Tage hindurch arbeiten, und es ist nicht für ihn, der aller Arbeit Sinn ist. Wir können Nächte durchwachen, und wir sind nicht in ihm, der aller Nächte Licht ist. Wir können mit Menschen reden, und wir denken und nennen nicht ihn, der in aller Menschen Mitte steht. Weinen können wir trostlos, aber nicht um ihn, der doch unser Schicksal ist. Wahrlich Götzendiener sind wir doch noch allesamt und unwissend der Herrlichkeit des lebendigen Gottes. Freilich sind auch unsere Augen noch gehalten, Wanderer in der Nacht sind wir alle, aber unsere Herzen sollten doch schon brennen, während er auf dem Wege mit uns geht. Denn er ist nicht fern von einem jeglichen aus uns.

Amen.

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