Predigtreihe: Die geoffenbarte Wahrheit (Teil 7)
27. Juli 1997
Die Leugnung von göttlichen Geheimnissen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Eine der größten Gefahren für den Glauben in unserer Gegenwart ist die sich immer mehr ausbreitende Ansicht, die Religionen seien eigentlich mehr oder weniger gleich; es komme gar nicht darauf an, eine bestimmte Religion zu haben, sondern wenn man nur überhaupt religiös gesinnt sei, dann sei Gott und seinen Ansprüchen Genüge geschehen. In der Gemeinde Budenheim wird im Bildungswerk ein Vortrag angekündigt: „Islam – Gegner oder Partner?“ Ich weiß nicht, was die Vortragende aus diesem Thema machen wird, aber für einen gläubigen Christen ist von vornherein klar, daß der Islam kein Partner des Christentums sein kann, denn Glaube und Irrglaube stehen nicht auf derselben Ebene. Es kann keine Partnerschaft geben zwischen einer Religion, die von Menschen erfunden ist, und einer Religion, die aus dem Himmel durch den Gottessohn gebracht worden ist. Die christliche Religion ist die einzige Offenbarungsreligion. Die anderen Religionen sind aus der religiösen Sehnsucht des Menschen entstanden. Sie haben manches Richtige erkannt, aber was an ihnen richtig ist, dafür gibt es einen Maßstab, und dieser Maßstab ist die geoffenbarte Religion. Soweit sie übereinstimmen mit dem, was Gott durch seinen Sohn geoffenbart hat, haben sie Wahrheitskeime. In dem, was sie trennt, sind sie menschliches Gemächte, ja eine Gefahr für die wahre, geoffenbarte Religion.
Nun erheben sich aber gegen den Anspruch der christlichen Religion, Offenbarungsreligion zu sein, Einwände. Man sagt, es sei unmöglich, daß von Gott Geheimnisse geoffenbart werden. Das sei auch völlig sinnlos. Wozu soll man Geheimnisse kennenlernen, die man nicht einsieht, die man nicht versteht? Eine geoffenbarte Religion, die den Menschen Geheimnisse mitteilt, sei ein Widerspruch in sich selbst. Wir wollen uns deswegen heute drei Fragen stellen, nämlich
1. Gibt es Geheimnisse?
2. Besteht die Möglichkeit der Offenbarung von Geheimnissen?
3. Ist die Vermittlung der Offenbarungsgeheimnisse durch Menschen denkbar?
Die erste Frage lautet: Gibt es Geheimnisse? Wir haben also die Existenz von Geheimnissen zu bedenken. Es gibt drei Arten von Geheimnissen. Die einen Geheimniswahrheiten sind uns unbekannt, wir können sie aber verstehen, wenn sie uns mitgeteilt werden. Was in Fatima geoffenbart wurde, war uns bis dahin (bis 1917) unbekannt. Aber was geoffenbart wurde, ist uns verstehbar, nämlich daß eine große Wirrnis über die Kirche kommen werde, daß die gegensätzlichsten Kräfte die Kirche zerreißen werden und daß viele den Glauben verlieren werden. Es gibt sodann Geheimnisse, die uns tatsächlich zugänglich sind, deren Existenz wir feststellen können, die wir aber, wenn sie geoffenbart sind, nicht begreifen können. Solche Geheimnisse sind ebenfalls denkbar. Sobald Geheimnisse geoffenbart werden, bemüht sich zwar der Geist, in sie einzudringen, aber er stößt an seine Grenzen. Und schließlich gibt es absolute Geheimnisse, wo sowohl die Existenz als auch die Einsicht in die innere Möglichkeit verschlossen ist. Um diese geht es in der Offenbarung, in der Offenbarung, die Gott durch seine Propheten, seine Apostel und durch seinen Christus uns vermittelt hat. Sie sind uns nach ihrer tatsächlichen Geltung und nach ihrer inneren Möglichkeit nicht einsichtig. Auch wenn sie uns geoffenbart werden, bleibt uns die Einsicht in ihre innere Wahrheit versagt. Ich erinnere beispielsweise an die Dreieinigekit und an die Gegenwart Christi in der Eucharistie.
Dagegen wendet sich der Unglaube und sagt: Was nicht einsehbar ist, das gibt es auch nicht! Alles, was existiert, ist intelligibel, ist verstehbar, ist erkennbar. Der Satz ist nicht einmal falsch; er kann richtig verstanden werden. Nur muß man sagen: Nicht alles, was existiert, ist für den menschlichen Verstand verstehbar und erkennbar, wohl aber für den göttlichen Verstand. Alles Sein ist intelligibel, ist vernünftig, aber es deckt sich der Bereich der menschlichen Vernunfterkenntnis nicht mit dem Bereich des Seins. Das Sein überschreitet die menschliche Vernunfterkenntnis. Für Gott ist alles intelligibel, aber nicht alles ist intelligibel für den Menschen. Wir können uns analog ahnend klarmachen, daß es eigentlich Geheimnisse dieser Art geben muß. Denn unsere Erkenntnis geht ja vom Sinnenhaften aus. Die Erfahrung ist es, die uns Erkenntnisse bringt. Wir schreiten dann zwar weiter, aber nur durch analoge Schlüsse können wir auch zum Transzendenten, zum Jenseitsmenschlichen fortschreiten. Dabei gewinnen wir eine Ahnung, daß es an der Seinsspitze Wirklichkeiten gibt, die unser Erkennen übersteigen. Weil das Sein eine analoge Struktur hat, können wir ahnen, daß auch im Jenseitsbereich, in der Transzendenz, die also unsere Erfahrung überschreitet, Wirklichkeiten verborgen sind, die uns verstandesmäßig nicht zugänglich sind.
Die zweite Frage lautet: Gibt es die Möglichkeit der Offenbarung von Geheimnissen? Besitzt der Mensch eine Anlage, daß er solche geoffenbarten Geheimnisse aufnehmen kann, oder ist ihm der Weg zu solchen Geheimnissen verschlossen? Der Mensch besitzt eine Anlage, um Geheimnisse aufzunehmen. Das Sein ist erkennbar, und der menschliche Verstand ist auf die Wahrheit hingeordnet. Wenn also das Sein intelligibel ist und der Mensch auf die ganze Wahrheit hingeordnet ist, muß er auch fähig sein, Geheimnisse aufzunehmen. Und solche Aufnahme von Geheimnissen ist keineswegs sinnlos. Es handelt sich dabei nicht bloß um unverständliche Brocken, die uns hingeworfen werden, sondern die Geheimnisse, die uns geoffenbart werden, sind verstehbare Sätze, die aus Subjekt und Prädikat und Partikeln bestehen. Wenn wir etwa den Satz hören: „Christus ist wahrhaft vom Tode auferstanden“, dann ist das gewiß ein Geheimnis, aber wir verstehen, was damit gemeint ist. Oder wenn wir die Offenbarung Christi nehmen, daß drei Personen in Gott sind, so können wir gewiß dieses Geheimnis niemals durchdringen und erschöpfen, aber wenn wir den Glauben bekennen: „Gott ist ein Dreieiniger“, dann wird dadurch etwas ausgesagt, was wir bis zu einem gewissen Grad aufnehmen können. Also die Offenbarung von Geheimnissen ist durchaus sinnvoll; unsere Erkenntnis wird dadurch bereichert. Wir gewinnen neue Erkenntnisse hinzu, die wir aus eigenem Vermögen niemals finden würden.
Die dritte Frage lautet: Wie steht es um die Vermittlung der Geheimnisse? Ist es nicht ein Schaden, wenn sich zwischen den Einzelnen und Gott eine menschliche Vermittlung drängt, Propheten, Apostel, ja auch der Offenbarer Jesus Christus? Müßte nicht Gott jeden Menschen in seinem Inneren selbst ansprechen, wenn er Glauben von ihm fordert? Die Antwort darauf ist mehrfältig. Einmal müssen wir sagen: Wir müssen es Gott überlassen, wie er seine Offenbarung uns vermitteln will. Wenn er es durch Menschen tut, die er erwählt und ausrüstet, dann müssen wir das hinnehmen. Er ist der Herr, er ist der souveräne Herr, dem sich das Geschöpf beugen muß. Außerdem ist die Vermittlung von Geheimnissen durch andere dem Menschen durchaus angemessen; denn der Mensch empfängt alle Werte durch andere. Die Sprache, die Kultur, alles wird ihm vermittelt durch andere, durch die Eltern, durch die Umgebung, durch die Schule. Und so ist es nicht absurd, wenn die Offenbarung durch andere Menschen der Menschheit vermittelt wird. Die Sozialbezogenheit des Menschen berechtigt dazu, es als durchaus angemessen zu bezeichnen, daß Menschen an der Vermittlung der Offenbarung beteiligt sind. Sie werden dadurch zu Mitarbeitern Gottes, zu Dienern am Wort, wie Lukas am Anfang seines Evangeliums erklärt. Es ist das eine hohe Auszeichnung für die Menschen, wenn sie gewürdigt werden, an der Offenbarung, an der Aufnahme und Weitergabe der Offenbarung mitzuwirken.
Freilich erhebt sich die Frage: Wird denn die Offenbarung nicht getrübt, wenn Menschen bei ihrer Aufnahme und Weitergabe mitwirken? Besteht nicht die Gefahr, daß die Gnadenquellen durch die menschliche Vermittlung in Mitleidenschaft gezogen werden? Ja, die Gefahr besteht. Aber Gott hat in seiner Vorsehung Vorsorge getroffen, daß dieser Gefahr begegnet wird. Er hat ein Instrument geschaffen, dem er Bürgschaften gegeben hat für die Bewahrung von Reinheit und Fülle der Offenbarung. Dieses Instrument nennen wir die heilige, katholische Kirche. Sie ist es, durch die er die Offenbarung unverfälscht und in ihrer Kraft und in ihrer Ganzheit erhält. So kann der Herr selber sagen, weil er ein solches Organ gestiftet hat: „Wer euch hört, hört mich!“ Er identifiziert sich mit denen, die in seinem Namen die Offenbarung weitertragen.
Meine lieben Freunde, mir ist die Existenz von Geheimnissen, die Notwendigkeit von Geheimnissen niemals zweifelhaft gewesen. Warum nicht? Ich halte mich an ein Wort des heiligen Augustinus. Er schreibt einmal: „Könntest du Gott begreifen, dann wäre er nicht mehr Gott.“ Ganz richtig. Wenn Gott völlig vom Menschen verschieden ist, wie sich eben Schöpfer und Geschöpf unterscheiden, wenn Gott eine derart überlegene, transzendente Wirklichkeit ist, wie wir ihn glauben, dann muß er ja unser Begreifen übersteigen. Würde er unser Begreifen nicht übersteigen, wäre er ja unseresgleichen! Wenn wir ihn verstehen könnten, wenn wir in ihn eindringen könnten, wenn wir die Möglichkeit seines Handelns sicher bestimmen könnten, dann wäre Gott zum menschlichen Sein erniedrigt. „O Gott, wie wärest du klein, wenn mein Verstand dich begreifen könnte!“ hat einmal der heilige Franz von Sales geschrieben. Wahrhaftig. O Gott, wie wärest du klein, wenn mein Verstand dich begreifen könnte! Der Wissensstolz des Menschen ist berechtigt, soweit der Mensch seine natürlichen Fähigkeiten entfaltet, um die Schöpfung und ihre Wunder zu erkennen. Wir dürfen stolz sein auf das, was der Menschengeist erreicht hat. Aber wir müssen uns auch in Demut beugen vor dem Unerforschlichen.
Der große französische Prediger Lacordaire war einmal in einem Gasthaus eingekehrt und, da es Freitag war, bestellte er sich einen Pfannkuchen. Ihm gegenüber saß ein Herr, der sich gleich angeregt fühlte, in ein Gespräch über religiöse Fragen mit Lacordaire einzutreten. „Ach“, sagte er, „Ihre Religion kann ich nicht vertragen wegen dieser Geheimnisse, die so unverständlich sind.“ „Gemach“, sagte Lacordaire. „Wissen Sie, wie man einen Pfannkuchen macht?“ „Ja, natürlich.“ „Und wie macht man es?“ „Man nimmt Butter, läßt sie zergehen über dem Feuer, fügt Eier hinzu und rührt sie zusammen.“ „Vortrefflich“, sagte Lacordaire, „vortrefflich! Die Butter, wie ist sie vorher?“ „Vorher ist sie fest.“ „Und wie wird sie durch das Feuer?“ „Sie wird flüssig.“ „Und die Eier?“ „Sie sind vorher flüssig, und sie werden durch das Feuer fest.“ „Können Sie erklären, wie das eine durch das Feuer fest und das andere durch das Feuer flüssig wird?“ Der Mann lächelte verlegen und schwieg. „Sehen Sie“, sagte Lacordaire, „Sie können nicht einmal erklären, wie ein Pfannkuchen entsteht. Aber Sie wollen keine Geheimnisse annehmen, wenn Gott zu den Menschen redet.“ Wahrhaftig: Wenn Gott Gott bleiben soll, dann muß er von Geheimnissen umgeben sein, dann muß auch das, was er uns mitteilt, geheimnisvoll bleiben, also das göttliche Wesen, die Sakramente, die Wirksamkeit der heiligmachenden und der helfenden Gnade. Aber dadurch wird seine Offenbarung nicht sinnlos und nutzlos. Denn mit dem, was wir verstehen können, können wir unser Leben gestalten, können wir unseren Weg zu Gott nehmen und können wir die Einwände falscher Religionen zurückweisen.
Amen.