Predigtreihe: Die geoffenbarte Wahrheit (Teil 3)
22. Juni 1997
Die geschichtliche Offenbarung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Bevor man die historische Frage angeht, ob eine geschichtliche Offenbarung Gottes stattgefunden hat, muß man sich der philosophischen Vorfrage zuwenden, ob eine solche Offenbarung möglich ist. Ist es denkbar, daß Gott sich über sein Schöpfungswerk hinaus dem Menschen in einer besonderen Weise zuwendet? Denn hier liegt das Problem der heutigen Ungläubigen. Hier ist die Stelle, an der sie ansetzen, um den Offenbarungsglauben, um das Christentum als Illusion zu kennzeichnen. Die Menschen, welche die Offenbarung ablehnen, gehen davon aus, daß es nur innerweltlich wirksame Ursachen gibt; also nur die Kräfte, die in der Erde und in der Schöpfung wirksam sind, können etwas bewirken. Von außen kann nichts in diesen geschlossenen Naturablauf eindringen. Es gibt nur innerweltlich wirksame Ursachen, und die Reihe dieser innerweltlich wirksamen Ursachen ist lückenlos und geschlossen. Der französische Schriftsteller Ernest Renan etwa erklärt folgendes. Er lehne die Wunderberichte der Evangelien nicht deswegen ab, weil die Unzuverlässigkeit der Evangelien erwiesen sei, sondern umgekehrt: Weil in den Evangelien Wunderberichte enthalten sind, betrachte er die Evangelien als Legenden. Die Rationalisten haben ein Dogma aufgestellt, ein negatives Dogma. Dieses negative Dogma besagt: Es gibt eine geschlossene Naturkausalität, in die niemand, kein Gott und kein Mensch eindringen kann. Was ist zu dieser Aufstellung, die geeignet ist, unseren Glauben aus den Angeln zu heben, zu bemerken?
Zunächst einmal ist klar, daß derjenige, der Atheist ist, der also Gott leugnet, eine Offenbarung nicht annehmen kann. Wenn es keinen Gott gibt, gibt es selbstverständlich keine Offenbarung Gottes. Auch derjenige, der Agnostiker ist, kann mit einer Offenbarung nicht zurechtkommen. Agnostiker ist jemand, der sagt: Es mag etwas Göttliches geben, aber man kann es nicht feststellen, man kann seiner nicht gewiß werden. Auch ein solcher Mensch muß eine Offenbarung ablehnen. Also, der Theismus ist die Voraussetzung dafür, daß man die Offenbarung annimmt. Man muß vom Dasein, von der Existenz eines persönlichen, transzendenten, freien Gottes überzeugt sein, um eine Offenbarung akzeptieren zu können. Nur wenn es einen freien, persönlichen Gott gibt, der einen Bereich in sich trägt, der Menschen unzugänglich ist, kann dieser Gott dem Menschen Einblick in diesen Bereich verschaffen, indem er sich offenbart. Wenn diese Voraussetzung feststeht, müssen wir, um die Möglichkeit der Offenbarung zu erweisen, drei angebliche Unmöglichkeiten zurückweisen, nämlich
1. die angebliche Unmöglichkeit, daß Gott sich offenbart,
2. die angebliche Unmöglichkeit, daß der Mensch eine Offenbarung vernehmen kann,
3. die angebliche Unmöglichkeit, daß übervernünftige Wahrheiten von Gott dem Menschen mitgeteilt werden können.
Die erste behauptete Unmöglichkeit betrifft Gott. Nur wenn Gott der freie, transzendente, persönliche Gott ist, kann er sich offenbaren. Nun gibt es Gottgläubige, die trotzdem eine Offenbarung ablehnen. Es sind das die Deisten und die Pantheisten. Die Deisten vertreten folgende Meinung: Es existiert ein Gott, er hat auch die Welt geschaffen, aber er thront in einer solchen Ferne, daß es ausgeschlossen ist, sich zum Menschen zu neigen. Der Gott der Deisten will sich nicht offenbaren, weil er abgeneigt ist, in einen Dialog mit den Menschen zu treten. Bei den Pantheisten liegt die Unmöglichkeit der Offenbarung nicht am Wollen, sondern am Können Gottes. Der Gott der Pantheisten kann sich nicht offenbaren, weil er nämlich mit der Natur zusammenfällt. Er ist in den Naturablauf eingebunden; es gibt keinen Partner, es gibt kein Gegenüber. Infolgedessen ist eine Offenbarung für die Pantheisten genauso unmöglich wie für die Deisten. Wir, die wir Theisten sind und an einen transzendenten, persönlichen, freien Gott glauben, können darauf nur antworten: Wenn Gott die Welt geschaffen hat, dann ist es ihm ebensogut möglich, in einer übernatürlichen Weise in diese Welt einzugreifen. Er verbessert nicht die Schöpfung, wie die Deisten meinen und deswegen die Offenbarung ablehnen, sondern er bringt eine neue Qualität seiner Beziehung zum Menschen hervor, eine übernatürliche Qualität. Was in der Natur ist, ist natürlich, aber was Gott in der Offenbarung tut, ist nicht natürlich, sondern übernatürlich. Er verbessert nicht etwa das stümperhafte Werk der Schöpfung, sondern er naht sich dem Menschen in einer Weise, die in der Schöpfung nicht möglich und nicht zu verwirklichen ist. Der Einwand der Deisten, die Weisheit Gottes würde durch eine Offenbarung tangiert, trifft also nicht zu. Gott bleibt weise, auch wenn er sich offenbart, ja das ist der Gipfel seiner Weisheit. Er zerstört sein Schöpfungswerk nicht, aber er zeigt dem Menschen eine über die Schöpfung hinausgehende Wirklichkeit, nämlich indem er die Menschen an sein Herz nimmt; und das ist aus der Schöpfung und mit schöpferischen Kräften nicht zu erreichen.
Die angebliche Unmöglichkeit der Offenbarung wird dann mit den Menschen begründet. Der Liberalismus sagt: Der Mensch ist autonom, d.h. er ist sich selbst Gesetz. Er bestimmt sich selbst, er verfügt über sich selbst, er kann sich nicht einer anderen Macht unbedingt und absolut beugen. Es ist ausgeschlossen, daß er sich in einer unbedingten Anerkennung vor einem göttlichen, sich offenbarenden Wesen neigt. Diese Ansicht ist falsch. Die angebliche Autonomie des Menschen geht nicht so weit, wie die Liberalisten sagen. Der Mensch ist freilich in einem bestimmten Grade und in einer gewissen Weise auf sein Gewissen und auf seine Freiheit geworfen. Aber er verdankt die Kräfte, mit denen er sich selbst entscheidet, Gott. Und er hat die Kräfte, die ihm gegeben sind, nach bestimmten Normen zu verwenden. Diese Normen hat ihm Gott gegeben. Die Autonomie des Menschen ist also eine beschränkte. Gewiß, nicht mechanische Gesetze zwingen ihn, die Normen zu beobachten, sondern der Anruf Gottes ruft ihn, die Gesetze, die in sein Herz gelegt sind oder die ihm durch die Offenbarung kundgemacht werden, zu beachten. Aber in dieser Beanspruchung durch Gott, bei diesem Anruf bleibt er frei. Er kann sich ihm sogar widersetzen.
Die Rationalisten begründen ihre behauptete Unmöglichkeit der Offenbarung von seiten des Menschen damit, daß sie sagen: Der Mensch ist der Wahrheit verpflichtet; er kann sich nur dem beugen, was er einsieht. Aber was geoffenbart wird, sieht man eben nicht ein, denn es geht über die menschliche Fassungskraft hinaus. Darum ist eine Offenbarung inakzeptabel. Dieser Einwand, meine lieben Freunde, trägt nicht. Es ist unmöglich, nur das anzunehmen, was man subjektiv einsieht. Wir müssen viele irdische, zeitliche, weltliche Wahrheiten annehmen, die andere erkannt haben, wir selbst aber nicht verstehen. Wer von uns vermag die Errungenschaften der Technik bis in ihre letzten Ausfaltungen zu begreifen? Wir verlassen uns darauf, daß Fachleute, manchmal erstklassige Fachleute sich damit befaßt und diese Schöpfungen des menschlichen Geistes erzeugt haben. Erst recht gilt das, wenn sich Gott offenbart. Es kommt für die Annahme eines Inhalts nur darauf an, daß wir uns Gewißheit verschaffen können, daß er wahr ist. Wenn das möglich ist, können wir auf subjektive Einsicht verzichten. Wenn aber Gott einen Inhalt offenbart und damit seine Wahrheit garantiert, dann wird unsere Einsicht ersetzt; dann haben wir nicht nur Gewißheit, dann haben wir höchste Sicherheit, daß die Wahrheit des Inhalts gewährleistet ist.
Schließlich wird auch noch ein letzter Einwand vom Liberalismus vorgebracht, nämlich daß die Offenbarung der menschlichen Lebendigkeit, der Initiative des Menschen Schranken setze. O, meine lieben Freunde, der Mensch ist weitgehend auf fremde Hilfe, auf fremde Unterstützung angewiesen. Er kann nur in einem kleinen Sektor sich selbst bestimmen und seine Lebendigkeit entfalten. Er muß sich von anderen belehren und auch von anderen führen, ja tragen lassen. Die Offenbarung, die Gott dem Menschen vermittelt, schränkt seine Initiative nicht ein, denn er muß sie sich aneignen. Er ist aufgerufen, mit höchster Kraft des Wollens und Erkennens sich ihr zuzuwenden, sich ihrer zu bemächtigen. Er hat die Aufgabe, in die Offenbarung einzudringen und sie nach Kräften zu erfassen. Die Einwände des Liberalismus, des Rationalismus und der Lebensphilosophie tragen mithin nicht durch. Sie tun die Unmöglichkeit einer Offenbarung nicht schlüssig dar.
Und schließlich die dritte angebliche Unmöglichkeit, daß Gott eben nichts offenbaren könnte, was unseren Wissensbestand erweitert, was uns nützlich oder notwendig ist. Das ist der schwächste Einwand von allen. Unser Wissen ist dürftig und begrenzt. Es war immer das Zeichen der größten Gelehrten, daß sie ihre Unwissenheit, die Grenzen ihres Wissens eingestanden. Es sind so viele Wirklichkeiten, die wir nicht erfassen, vor denen wir staunend, aber ohne Begreifen stehen. Ich erinnere vor allem an Leben und Tod, an das Leid und die Sünde. Diese rätselhaften Wirklichkeiten müssen uns von Gott gedeutet werden. Und wenn Gott sie offenbart, dann gibt er uns zunächst einmal Gewißheit über sich selbst. Die Offenbarung ist ein Zeugnis, ein Selbstzeugnis Gottes über seine Wirklichkeit. Er bezeugt sich in der Offenbarung selbst. Sodann aber bringt die Offenbarung uns wirkliche, neue Mitteilungen über Verborgenes. Sie erweitert ganz gewaltig und einzigartig unseren Wissenskreis. Vieles von dem, was uns in der Offenbarung vermittelt wird, ist menschlichem Denken und Erkennen von sich aus gar nicht zugänglich. Wir erleben in der Offenbarung die Erweiterung unseres Wissens und die Erfüllung unserer Sehnsucht.
Die Einwände, welche von philosophischer Seite gegen die Möglichkeit der Offenbarung gemacht werden, sind nicht stichhaltig. Sie beruhen auf einem falschen Bild von Gott, auf einer falschen Auffassung des Menschen und auf einer falschen Meinung vom Wissen. Die aprioristische weltanschauliche Voraussetzung des Immanenzdenkens verschließt diesen Menschen den Zugang zur Offenbarung. Auch der Unglaube hat seine Dogmen, und eines seiner Hauptdogmen lautet: Der Naturverlauf ist in einer geschlossenen Kausalität jedem außerweltlichen Eingriff unzugänglich. Diese Voraussetzung ist falsch. Weil es eine Offenheit der Natur für das Übernatürliche gibt, deswegen ist eine Offenbarung möglich. Sie ist nicht nur möglich, sie ist auch, wie wir sehen werden, notwendig. Wir brauchen Gnadenhaftes, wir brauchen Geoffenbartes. Wir brauchen himmelher zu uns Geworfenes. Die Sterne müssen zu uns kommen.
Amen.