Predigtreihe: Jesus Christus (Teil 7)
13. Februar 1994
Die durch den Tod Jesu besiegten Feinde Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Jesus Christus ist unser Mittler beim Vater. Sein ganzes Leben war der mittlerischen Tätigkeit geweiht. Aber den Gipfel erstieg diese Tätigkeit in seinem Kreuzestod. Da hat er die Feinde besiegt, die dem menschlichen Heil entgegenstehen. Wir wollen heute diese Feinde im einzelnen betrachten.
Christus hat am Kreuze erstens den Satan besiegt. Das ganze irdische Leben Jesu war gefährdet wie unser Leben. Der Satan hat versucht, ihn zu überwinden, wie er uns zu überwinden sucht. Bekannt sind die Versuchungen in der Wüste. Aber danach hat der Teufel nicht von dem Messias abgelassen, sondern in immer neuen Ansätzen versucht, ihn zu überwältigen. Diejenigen, die sich zu Dienstmännern des Satans gemacht haben, waren es, die Jesus in seiner öffentlichen Wirksamkeit unaufhörlich Schwierigkeiten bereiteten und Hemmnisse in den Weg legten. Noch als er am Kreuze hing, haben sie versucht, ihn von seinem Auftrag abzubringen, als sie riefen: „Steig herab! Dann wollen wir glauben!“ Das war die letzte Versuchung, die Satan Jesus bereitet hat.
Jesus hat alle Versuchungen überwunden. Er hat den Versucher siegreich abgewehrt, er ist ihm nicht erlegen. In Jesus hat sich die Macht des Teufels erschöpft. Im Kreuzestode hat er diesen Feind besiegt. Wodurch? Durch seine Demut und seinen Gehorsam. Indem er sich ganz dem Vater auslieferte und von ihm binden ließ, hat er die Sündenmacht, die der Teufel ja darstellt, in der Wurzel überwunden. Weil er unschuldig ans Kreuz geschlagen wurde, deswegen hat er in seinem Kreuzestod den Satan überwunden. In Jesus ist die Macht Satans erschöpft. „An mir hat er keinen Anteil,“ heißt es im Johannesevangelium. Er hat deswegen keinen Anteil an ihm, weil Jesus ihm niemals erlegen ist bis zu seinem letzten Atemzug am Kreuze. Der Satan ist besiegt durch die Unschuld und den Gehorsam Jesu bis zum Tode am Kreuze.
Freilich ist der Satan nicht vernichtet. Er ist überwunden, er ist gebunden, aber er ist nicht vertilgt. Er kann wie ein besiegtes Heer immer noch Schaden anrichten. Die deutsche Wehrmacht war seit Stalingrad besiegt, aber drei Jahre lang noch ging der Kampf weiter, und in diesen drei Jahren sind Millionen von Menschen zugrunde gegangen, sind ganze Landschaften und Städte verwüstet worden. Ähnlich-unähnlich ist es mit der Macht Satans. Er ist besiegt, aber auch als Besiegter vermag er noch gefährlich zu werden. Der endgültige Sieg über den Teufel, seine endgültige Katastrophe, seine bedingungslose Kapitulation steht noch aus. Doch der Endsieg ist Gott sicher und nicht dem Satan. Die Weltherrschaft ist Gott sicher und nicht dem Satan.
Die griechischen Kirchenväter beschreiben den Sieg Christ über den Satan manchmal mit Ausdrücken, die aus der heidnischen Mythologie entstammen. Das sind Darstellungsmittel. Es soll dadurch nicht das Geschehen am Kreuze den mythologischen Kämpfen zwischen Göttern angenähert werden. Denn da bestehen die größten Unterschiede. In der Mythologie kämpfen Götter mit Göttern, und wenn die einen Götter von den anderen besiegt sind, dann erholen sie sich wieder, und dann geht der Kampf von neuem los. Außerdem ist ihre Macht gleich, während doch Satan ein für allemal besiegt ist und die Übermacht Gottes über ihn gekommen ist.
Der zweite Feind, den Christus am Kreuze überwunden hat, ist der Tod. Schon in seinem irdischen Leben hat er da und dort Totenerweckungen vorgenommen und dadurch seine Macht über den Tod bekundet. Aber für alle Menschen ist der Tod erst überwunden worden am Kreuze Christi. Der Satan konnte ihn zwar in den Tod hineinstoßen, weil er Menschen eingab, den Gesandten Gottes umzubringen. Aber er konnte ihn nicht im Tode festhalten. Er vermochte ihn deswegen nicht im Tode zu halten, weil Jesus als ein Schuldloser starb und weil er das Leben selbst in sich trug. Er starb den Straftod für andere, nicht für sich, und deswegen hat sich in seinem Sterben auch der Tod erschöpft. Die Gräber, die sich beim Tode Jesu öffneten, die Toten, die auferstanden, die Sonne, die sich verfinsterte, die Felsen, die zerbarsten, alle diese Naturerscheinungen sind äußerer Ausdruck des Sieges Jesu über den Tod, den er am Kreuze errungen hat. Da hat er den Tod für alle Menschen abgetan, da hat er das neue Leben durch seine Auferstehung hervorgebracht. Der Tod ist am Kreuze Jesu und durch das Kreuz Jesu besiegt worden.
Der dritte Gegner, der durch das Kreuz überwunden wurde, ist das Leid. Tod und Leid haben eine gemeinsame Wurzel, und das ist die Sünde. Hinter der Sünde steht der Satan. Infolgedessen sind Tod und Leid letztlich auf diesen Verführer zurückzuführen. Das Leid ist der Vorläufer des Todes, und weil Jesus gekommen ist, um die Bollwerke des Teufels zu zerstören, hat er auch das Leid zu überwinden unternommen. Er hat Kranke, viele Kranke geheilt. Eine Kraft ging von ihm aus und heilte alle. „Wenn ich nur den Saum seines Gewandes berühre,“ sagte die blutflüssige Frau, „dann werde ich geheilt werden.“ Und sie wurde geheilt. Aber die Überwindung des Leids in seinem irdischen Leben war nur bei vielen einzelnen geschehen. Endgültig wurde das Leid überwunden durch seinen Tod. Durch seinen heilbringenden Tod hat er das Leid deswegen entmächtigt, weil er den besiegt hat, von dem das Leid als seiner unseligen Quelle herkommt, den Satan.
Nun kann freilich jemand sagen: Aber Tod und Leid sind doch trotz des Todes Jesu, trotz seines heilbringenden Todes, trotz seiner Auferstehung, trotz seiner heilbringenden Auferstehung immer noch am Werk! Es ist doch auch diese Welt, in der wir leben, nach Christus und mit Christus und in Christus, noch von Tod und Leid geprägt, ja erfüllt! Die Überwindung von Tod und Leid durch Christus besagt nicht, daß Tod und Leid von der Erde weggenommen worden sind, sondern sie besagt, daß sie verwandelt worden sind. Sie haben einen neuen Sinn bekommen. Sie besitzen keine Nichtigkeitskraft mehr, sondern schöpferische Gewalt. Sie sind der Weg, auf dem der Mensch in die Herrlichkeit Gottes eingeht. Wir müssen uns vorstellen, daß die Erlösung zuerst in Jesus gleichsam wie in einem Behältnis war. Er hat das Leid und den Tod zunächst für sich selbst überwunden. Aber er ist das Haupt der Schöpfung, und deswegen ist in ihm das Leid und der Tod grundsätzlich überwunden, und für jeden ist diese Überwindung erreichbar. Er muß nur zu Jesus kommen, er muß sich nur mit Jesus vereinigen, er muß sich nur in Jesus hineinnehmen lassen. Und das geschieht im Glauben und in den Sakramenten. Damit wird der Mensch mit Jesus verbunden, also mit dem Lebendigen, mit dem Sieger über Leid und Tod. Und dann, wenn er mit Jesus verbunden ist, wirkt sich in seinem ganzen Leben die Überwindung von Leid und Tod aus.
Wenn ein mit Christus Verbundener leidet, dann hat sein Leiden denselben Sinn wie das Leiden Jesu, nämlich es ist die Weise, in der Gott seine Herrschaft aufrichtet. Indem er sich Gott als dem Herrn in Demut und Gehorsam unterwirft, läßt er Gott Herr sein. In dem Leiden des Christusverbundenen wird das Königtum Gottes aufgerichtet. Das Leiden des Christusverbundenen ist ein Schritt in das Herrlichkeitsleben Gottes hinein, ein Schritt heraus aus dieser Welt und ein Schritt hinein in das Herrlichkeitsleben Christi.
Das Leidensmaß, das Gott für die Kirche und für den Einzelnen bestimmt hat, muß erfüllt werden. In diesem Sinne schreibt etwa der Apostel Paulus im Kolosserbrief: „Nun freue ich mich der Leiden für euch. Ich will das an meinem Fleische ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt für seinen Leib, die Kirche.“ Es stehen also offensichtlich noch Leiden, die Christus zugedacht sind, aus. Diese Leiden sind zu tragen von seinem Leib, der Kirche, und das bedeutet, von allen, die zu diesem Leibe gehören. Sie treten in das Leiden Christi ein und erfüllen damit das Leidensmaß, das von Gott bestimmt ist. Für den Einzelnen ist das im zweiten Korintherbrief ausgesprochen, wo der Apostel sagt: „Allenthalben sind wir bedrängt, aber nicht erdrückt; im Zweifel, aber nicht in Verzweiflung. Wir werden verfolgt, fühlen uns aber nicht verlassen, niedergeworfen, aber keineswegs umgebracht. Immerdar tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leibe herum, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde. Immerdar werden wir, die wir leben, dem Tode preisgegeben um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleische offenbar werde.“ Hier ist dieses dialektische Gesetz von Paulus ausgesprochen: Wir müssen mit Jesus leiden und um Jesu willen leiden, damit auch die Herrlichkeit Jesu an uns herausgearbeitet werden kann.
Der letzte Feind, den Jesus am Kreuze besiegt hat, ist die Sünde. Die Sünde ist ein harter Herr. Wer sündigt, begibt sich unter ihre Botmäßigkeit, wird ihr Sklave, steht unter ihrem Gesetz, und wir wissen, daß das ein schreckliches Gesetz ist, denn die Sünde ist ein tyrannischer, ein despotischer Herr. Sie zieht den Menschen immer mehr in ihre Sklaverei hinein. Je mehr er sündigt, um so erbärmlicher wird sein Los. In Jesus ist die Macht der Sünde erschöpft. Er hat keine Sünde getan. Er hat sündlos gelebt. Und wenn er den Straftod für die Sünden starb am Kreuze, dann nicht für sich, sondern für andere. In seinem schuldlos hingegebenen Leib hat er die Sünden anderer gebüßt, und darum hat er die Selbstherrlichkeit der Menschen von der Wurzel her überwunden.
Die Besiegung der Sünde durch das Kreuzesopfer Jesu ist in besonderer Weise geeignet, sein Mittlertum uns vor Augen zu führen. Denn er ist ja gekommen, uns von der Schuld zu erlösen. Er, der Schuldlose, er, in dessen Munde kein Trug erfunden wurde, er, der nicht schmähte, als er litt, er hat unsere Sünden ans Kreuzesholz getragen. Den Schuldschein – so drückt sich der Apostel aus – den Schuldschein, der wider uns lautete, hat er ans Kreuz geheftet und dort zerrissen, zerrissen durch seinen blutigen Tod. In diesem Sinne heißt es im zweiten Petrusbrief: „Er hat keine Sünde getan, und kein Trug ist in seinem Mund gefunden worden. Da er gescholten wurde, schalt er nicht wieder. Da er litt, drohte er nicht, sondern stellte seine Sache dem gerechten Richter anheim. Er hat unsere Sünden an seinem Leibe auf das Holz hinaufgetragen, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt worden.“
Und in einer ähnlichen Weise schildert es der Apostel Paulus im Römerbriefe: „Wie also durch des einen Sünde auf alle Menschen Verdammnis kam, so kommt auch durch des einen Gerechtigkeit auf alle Menschen Rechtfertigung zum Leben. Wie nämlich durch den Ungehorsam des einen Menschen (nämlich der Adam) die vielen zu Sündern geworden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht. Wie die Sünde geherrscht im Tode, so sollte die Gnade herrschen nittels der Rechtfertigung zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn.“
Die Sünde ist besiegt, meine lieben Freunde, aber wir alle wissen, daß sie keineswegs ausgeschaltet ist. Immer wieder versuchen die alten, besiegten Mächte des Bösen uns anzugreifen und zu überrumpeln. Wir hören die Botschaft: Die Sünde ist besiegt! Und wir hören zugleich den Aufruf: Werde nicht von neuem ein Knecht, ein Sklave der Sünde! So sind wir also in diese Dialektik hineingestellt, daß Christus die Sündenmacht am Kreuze überwunden hat, daß wir aber gleichzeitig ständig von dieser Macht bedroht werden und deswegen gegen sie kämpfen müssen.
Auf dem Friedhof in Budenheim ist das Grab eines Priesters. Auf dem Grabstein steht geschrieben: „Was willst du, daß ich dir tue?“ „Herr, daß ich sehend werde.“ Dieser Priester hat sich also einen Text aus dem heutigen Evangelium auf sein Grab schreiben lassen. Wir können dieses Wort des Blinden von Jericho auch auf uns anwenden. Wenn wir mit den Augen des Fleisches das Kreuz anschauen, sehen wir einen Gehenkten, einen Gescheiterten, einen Verunglückten, der in seinem Leben es nur bis zum schimpflichen Tode gebracht hat. Aber wenn wir sehend sind, wenn unsere Augen geöffnet werden durch Gott, dann erkennen wir in dem, der am Kreuze hängt, den Sieger. Den Sieger über den Satan, über den Tod, über das Leid und über die Sünde. Und wir können zu diesem Sieger kommen und beten das ergreifende Gebet, das wir immer bei der Kreuzwegandacht ihm entgegenrufen: „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und benedeien dich; denn durch dein heiliges Kreuz hast du die ganze Welt erlöst!“
Amen.