Predigtreihe: Jesus, unser Gott und Heiland (Teil 4)
12. Mai 1991
Das Zeugnis des Apostels Paulus
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Daß Jesus ein Zeichen ist, dem widersprochen wird, erfahren wir jeden Tag, wenn wir die Zeitung aufschlagen oder das Fernsehgerät einschalten. Ablehnung und Haß gegen Christus und gegen alle, die in Wahrheit zu ihm gehören wollen, sind das Kennzeichen auch unserer Tage. Das heutige Evangelium gibt den Grund an. „Das werden sie euch tun, weil sie weder den Vater kennen noch mich.“ Es kommt eben alles darauf an, Gott und den von ihm Gesandten zu kennen, ihn als den zu kennen, wie er von Gott gewollt und wie er von Gott in die Welt gesandt ist. Es kommt darauf an, sich nicht ein geschnitztes oder gedachtes Bild von Gott und seinem Christus zu machen, sondern die Wirklichkeit Gottes und Christi zur Kenntnis zu nehmen. Wenn man das Buch von Albert Schweitzer liest „Die Geschichte der Leben-Jesu-Erforschung“, kann man die Geschichte menschlicher Irrungen und Verirrungen in bezug auf Christus erkennen. Für Renau, den französischen Orientalisten, war Jesus der „charmante Tischler“, Kautzky, der Sozialist, machte aus ihm einen revolutionären Kommunisten, und Houston Stewart Chamberlain, der Engländer, einer der geistigen Vorfahren Hitlers, sah in ihm einen völkischen Helden.
Diese Verirrungen stellen sich immer dann ein, wenn man nicht auf das Evangelium hört. Das Bild Christi, wie es vor unseren Augen stehen muß, ist allein aus dem Evangelium zu erklären, nicht aus den Wünschen und nicht aus den Vorstellungen von Menschen, sondern aus den Berichten von Zeugen. Der zeitlich älteste literarische Bericht von Christus sind die Briefe des Paulus. Die Evangelien in ihrer jetzigen Gestalt sind vermutlich jünger als die ältesten Paulusbriefe, und deswegen müssen wir uns an erster Stelle mit Paulus beschäftigen, wenn wir wissen wollen, wer Jesus ist.
Bei Paulus vollzieht sich eine starke Konzentration des Christusbildes. Er berichtet wenig von seinen Worten und wenig von seinen Taten. Der Inhalt seines Evangeliums ist auf die entscheidenden Fakten konzentriert, nämlich Tod, Auferstehung, Erhöhung. Das sind die bestimmenden Tatsachen, auf die Paulus sein Christusbild gründet. Aus seinem gewaltigsten Briefe, dem Römerbrief, ist diese Konzentration in vollendeter Weise abzulesen. „Christus, der von den Toten auferweckt worden ist, er, der dahingegeben wurde um unserer Sünden willen und auferstanden ist um unserer Rechtfertigung willen.“ Oder an einer anderen Stelle: „Wer wird verdammen? Christus Jesus? Nein, er ist gestorben, aber auch wiedererstanden. Er ist zur Rechten Gottes.“ Tod, Auferstehung, Erhöhung, darum kreist die Verkündigung des Paulus. Und darum muß, wer zu Christus kommen will, mit dem Munde bekennen, daß er der Herr ist, und im Herzen glauben, daß Gott ihn von den Toten auferweckt hat. So formuliert Paulus im 10. Kapitel des Römerbriefes den heilsnotwendigen Glauben. Mit dem Munde bekennen, daß er der Herr ist – Kyrios ist das griechische Wort für Herr –, und im Herzen glauben, daß Gott ihn von den Toten auferweckt hat. Die beiden entscheidenden Würdenamen, die Paulus dem Jesus von Nazareth gibt, sind Christus und Kyrios. Christus ist die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes Messias. Wenn also Paulus Jesus als den Christus bezeichnet, dann will er sagen: Er ist der Messias; er ist derjenige, den Gott als den Gesalbten – denn Messias heißt der Gesalbte – verheißen hat. Deswegen spricht er immer von Jesus Christus – Jesus ist der Eigenname und Christus ist der Würdename – oder von Christus Jesus – der Messias Jesus – oder auch manchmal nur von Christus, als ob das schon ein Eigenname geworden wäre. Und ähnlich ist es mit Kyrios. „Jede Zunge soll bekennen, daß Jesus in der Herrlichkeit Gottes des Vaters ist.“ Er soll bekennen Jesus als den Herrn, als den Kyrios. Ja, was ist das für ein Herr? Das Wort Kyrios -Herr – stammt aus dem Alten Testament. In der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes steht immer da, wo im hebräischen Text Jahwe steht, also der hebräische Name für Gott, Kyrios. Kyrios ist also Gottesname. Und wenn dieser Gottesname auf den Jesus von Nazareth übertragen wird, dann ist das entweder eine Gotteslästerung oder die Beschreibung eines Tatbestandes, der sich die Apostel haben beugen müssen, nämlich daß in Jesus Gott ein Mensch geworden ist und unter uns gewandelt ist. Und eben das ist die Überzeugung des Paulus. Jesus ist der Kyrios, Er ist Gott gleich, und deswegen gebührt ihm Kult, Anbetung, und deswegen betet er zu Jesus. Himmelweit davon verschieden ist jener evangelische Theologieprofessor, der gesagt hat: „Zu Jesus beten? Da könnte ich ja auch zu meiner Großmutter beten.“ Das ist eine offenkundige Leugnung der Gottheit Jesu Christi aus dem Munde eines evangelischen Theologieprofessors mit Namen Herrmann.
Das ist also der Inhalt des Evangeliums des Paulus. Und wie begründet er diesen Inhalt? Er begründet ihn einmal damit, daß sich in Jesus die Verheißungen, die Weissagungen des Alten Bundes erfüllt haben. Angefangen vom Proto-Evangelium, also jener ersten Verheißung in der grauen Vorzeit, als die ersten Menschen aus dem Paradiese vertrieben wurden, durch alle Jahrhunderte der Propheten bis in die jüngste Zeit, bis zu Daniel, wurde immer wieder auf einen Retter verwiesen, auf einen Heiland, auf einen Messias. Und eben dieser Messias ist in Jesus von Nazareth erschienen. Alle Weissagungen, sagt Paulus, haben in ihm ihr Ja gefunden, sind in ihm bestätigt worden, haben sich in ihm erfüllt. Also das ist die erste Säule, auf der sein Glauben steht: Die Weissagungen haben sich in Jesus von Nazareth erfüllt; er ist der verheißene Messias. Die zweite Säule ist die Auferstehung Jesu. Paulus spricht mit Vorliebe von Auferweckung, und das hat einen guten Grund. Er will nämlich sagen: Dadurch, daß Jesus lebendig geworden ist durch die Macht des himmlischen Vaters, hat Gott sein Ja zu diesem Leben gesprochen, hat er bestätigt, was Jesus gesagt und getan hat, hat er vor allen Dingen seinen Anspruch anerkannt, der Sohn des himmlischen Vaters zu sein. Und deswegen heißt es in der Apostelgeschichte immer wieder sinngemäß: „Durch die Auferweckung hat der Vater Jesus bei allen beglaubigt.“ Beglaubigt hat er ihn, ihm Glaubwürdigkeit verliehen, daß er also nicht ein Schwärmer war, der dauernd die Posaunen des Gerichtes tönen hört, wie Albert Schweitzer meinte, sondern daß er der lebendige, von Gott gesandte Erlöser war, dessen Anspruch durch die Auferweckung bestätigt wurde. Das ist die zweite Säule, die Auferweckung Jesu, die Erscheinungen des Auferstandenen, die beweisen: Er ist aus dem Grab erstanden.
Und die dritte Säule ist sein eigenes Erlebnis vor Damaskus. Als Verfolger der Christen reiste er nach Damaskus, um die Christen gefangenzunehmen, und da brach diese Erscheinung, diese Lichterscheinung, über ihn herein, da hörte er die Stimme Jesu: „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“ Er war ganz bestürzt. Er wußte ja nicht, wer zu ihm spricht. „Wer bist du, Herr?“ „Ich bin Jesus, den du verfolgst!“ Da hat er erkannt, daß der Jesus, der Mensch Jesus von Nazareth, der himmlische Erhöhte ist, daß also eine Identität zwischen dem historischen Jesus und dem himmlischen Kyrios besteht. Man hat nun eingewandt, daß Paulus Jesus fast nur als den Erhöhten kennt, daß er also wenig berichtet über sein irdisches Leben. Das ist richtig. Aber das hat einen guten Grund. Das wenige, was Paulus berichtet, fügt sich zunächst einmal nahtlos ein in die anderen Daten des Lebens Jesu, die wir besitzen. Er stammt aus dem Samen Abrahams, er ist ein Nachkömmling des David, er ist vom Weibe geboren und unter das Gesetz getan, er ist als ein Mensch erfunden worden, in allem uns gleich – außer der Sünde. Er hat gelitten zur Zeit der ungesäuerten Brote (zur Osterzeit) in Jerusalem, auf Anklage der Juden hin verurteilt von dem römischen Prokurator Pontius Pilatus. Er ist ins Grab gelegt worden. Gerade auf die Grablegung legt Paulus großes Gewicht, um eben alle Scheintodhypothesen und ähnliches Gemächte der Menschen zu entwaffnen. Er ist auferweckt und erhöht worden. Außerdem berichtet Paulus auch von der Einsetzung des Abendmahles und von den Erscheinungen des Auferstandenen.
All das macht sicher: Für Paulus ist der erhöhte Christus identisch mit dem historischen Jesus von Nazareth. Also nicht, wie Hegel und andere gemeint haben, die „Verdichtung einer Idee“. Nach dieser irrigen Meinung hat man die Idee gehabt, und der hat man dann erfundene geschichtliche Züge angedichtet, also eine Konkretisierung von eschatologischen Erwartungen oder eine Nachbildung von Heroen, die ja im Griechentum sehr häufig waren. Nein, dieser Erhöhte, das weiß Paulus, dieser vom Himmel ihn Anredende, der sein Werk mit seinem Heiligen Geist Begleitende ist kein anderer als der Jesus von Nazareth. Der Mittelpunkt und der Träger seiner Botschaft ist der historische Jesus von Nazareth, der durch die Auferweckung verherrlicht worden ist.
Paulus hatte wenig Anlaß, von dem irdischen Leben Jesu zu sprechen. Das war ja schon durch andere Verkündiger und durch andere Schriften, die in großer Menge schon damals zirkulierten, geschehen. Außerdem haben uns die Paulusbriefe nur einen Teil seiner Verkündigung aufbewahrt. In manchen Andeutungen der Briefe erfahren wir, daß Paulus in seiner Predigt auch mehr vom irdischen Jesus gesagt hat, wenn er z.B. den Galatern sagt: „Euch ist doch Jesus Christus als der Gekreuzigte vor die Augen gezeichnet worden.“ Das heißt, er hat über den Gekreuzigten, und das ist ja der irdische Jesus, gepredigt. Die Schriften des Paulus sind Gelegenheitsschriften. Sie knüpfen an aktuelle Ereignisse an, sie beantworten aufgetauchte Fragen, sie zerstreuen hier und da aufgetretene Mißverständnisse. Nur weil in Korinth beim Herrenmahl, also bei der heiligen Messe, wie wir es heute nennen, Mißstände aufgetreten waren, hat Paulus das 11. Kapitel des Korintherbriefes geschrieben, wo er uns einen genauen Bericht gibt, wie es beim Letzten Abendmahl, das Jesus gehalten hat, zuging. Also ein reiner Zufall, wenn wir wollen, freilich ein gottgefügter Zufall hat uns diesen kostbaren Bericht des 11. Kapitels des 1. Korintherbriefes erhalten. Und ähnlich ist es mit den Erscheinungen des Auferstandenen. Weil in Korinth Zweifler aufgetreten waren, die fragten: Ja, wie ist denn das mit der Parusie und mit der Auferstehung der Toten? Werden wir nicht benachteiligt sein gegenüber denen, die schon entschlafen sind, wenn der Herr wiederkommt? Um diese Zweifel zu entkräften, schildert er im 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes die vielen Erscheinungen des Auferstandenen. Jesus ist wahrhaft auferstanden. Er hat sich lebendig erwiesen. Er hat seine Auferstehung beglaubigt. Es gibt Zeugen. Fünfhundert Brüdern ist er auf einmal erschienen. Man kann hingehen, man kann sie fragen, denn es leben noch manche davon. Viele sind entschlafen, aber es leben noch einige, man kann sie also aufsuchen und sich bei ihnen erkundigen.
Das alles, meine lieben Freunde, macht uns sicher, daß Paulus nicht einer Chimäre nachgejagt ist, als er sich von Christus überwältigt erklärte, sondern daß er, bewegt von der Gnade, ergriffen von der Macht des himmlischen Kyrios, sich bekehrt hat, daß er durch eine wirkliche Erscheinung des erhöhten Herrn aus einem erbitterten Verfolger zu einem glühenden Anhänger Jesu wurde, daß für ihn der irdische Jesus eine reale menschliche Persönlichkeit war, die sich aber in einer wunderbaren Weise mit der Gottheit vereinigt hatte. Die Aufgabe, das zu durchdenken und zu erklären, blieb natürlich der Zukunft überlassen. Es war nicht alles auf einmal da, was man über Jesus sagen konnte. Das Nachdenken, das gläubige Nachdenken unter der Leitung des Heiligen Geistes mußte sich damit beschäftigen. Und das ist in den folgenden Jahrhunderten geschehen. Aber es führt eine gerade Linie von dem historischen Jesus von Nazareth, der vom Weibe geboren wurde, zu dem himmlischen Christus, als den ihn das Konzil von Nizäa im Jahre 325 bekannte. Wir haben keinen Anlaß, den Irrlichtern wie Kautzky, Chamberlain, Ernest Renau zu folgen. Wir können uns verlassen auf das Zeugnis des Paulus, für das er sein Leben geopfert hat.
Amen.