Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Erlösung (Teil 2)

24. April 1988

Erlösungsbedürftigkeit des Menschen (Teil 1)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Getröst', getröst', wir sind erlöst, die Hölle ward zuschanden; denn wahrhaft ist Gott Jesus Christ vom Tode auferstanden.“ Das war das Motto, unter das wir unsere Überlegungen über die Erlösung stellen wollten. „Getröst', getröst', wir sind erlöst, die Hölle ward zuschanden; denn wahrhaft ist Gott Jesus Christ vom Tode auferstanden.“

Die Erlösung ist eine Tatsache. Diese Tatsache ist vom freien Willen Gottes abhängig. Der Mensch ist unfähig, sich selbst zu erlösen. Es besteht eine absolute Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Der heilige Augustinus drückt das mit dem Satz aus: „Verkaufen konnten sie sich, loskaufen können sie sich nicht.“ Der Mensch ist weder durch die Kräfte der Natur noch durch die Erfüllung der Gesetze des Alten Bundes in der Lage, sich aus der Knechtschaft des Teufels und der Sünde und des Todes zu befreien. Es gibt keine Selbsterlösung! Alle Selbsterlösungstheorien, angefangen von der Gnosis bis hin zum Marxismus, vermögen nicht das tiefste Leid des Menschen aufzuarbeiten, nämlich die Schuld von ihm zu nehmen. Und das ist auch der Mangel und das Versagen der sogenannten Theologien der Befreiung. Sie wollen die Erlösung von der Sünde durch unseren Heiland Jesus Christus ersetzen durch Änderung von Strukturen. Die mag notwendig sein, selbstverständlich. Aber das ist keine Erlösung, das ist eine Befreiung äußerer Art von Ungerechtigkeit auf dieser Erde, die es ja gibt. Aber wenn auch alle diese Ungerechtigkeiten beseitigt würden, ist da noch nicht die tiefste Wunde des Menschen geheilt, nämlich die Wunde, die ihm die Sünde geschlagen hat.

Der Mensch ist auf die Erlösung durch Gott angewiesen, und Gott ist frei, ihn zu erlösen. Die Väter haben darüber nachgedacht, ob Gott auch auf andere Weise als durch die Menschwerdung hätte die Erlösung bewirken können. Und unsere größten Theologen, wie Thomas von Aquin und Augustinus, sagen: Ja, Gott war nicht gezwungen, so zu erlösen, wie es geschehen ist. Aber nicht nur die Weise der Erlösung zu bestimmen, war Gott überlassen. Auch die Erlösung überhaupt entsprang seinem Willen. Es war sein freier Entschluß, die Menschen zu erlösen. Er hätte sie auch in der Sünde belassen können.

Freilich ist die Erlösung höchst angemessen, weil Gott eben der Allgütige ist und weil er der Allweise ist und weil er der Allmächtige ist. Aber weder von außen noch von innen bestand ein Zwang, die Menschen zu erlösen. Und schon gar nicht bestand ein Zwang, sie so zu erlösen, wie es geschehen ist, nämlich durch den menschgewordenen Logos.

Der Mensch ist unfähig, sich selbst zu erlösen, weil er die vertane Freundschaft nicht wieder herbeizwingen kann. Wenn Gott eine adäquate Erlösung beschließt – eine adäquate, d.h. eine Erlösung, die der Größe der Schuld angemessen ist –, dann freilich mußte er die Erlösung durch seinen eigenen Sohn bewirken. Denn die Sünde ist zwar eine endliche Tat, aber sie zielt auf einen Unendlichen, nämlich auf Gott. Sie ist ja ein Attentat gegen Gott. Und wegen dieses Zieles ist diese Tat so ungeheuerlich, daß nur der Gottessohn selbst eine adäquate Sühne für diese Tat leisten kann.

Also vorausgesetzt, daß Gott eine adäquate Sühne forderte, mußte er seinen Sohn im Fleische schicken und so die Erlösung bewirken. Er hat diesen höchsten, diesen unvorstellbaren Weg der Erlösung gewählt. Und er hat den Erlöser mit einem dreifachen Amte begabt, nämlich mit dem Prophetenamt, mit dem Hirtenamt und mit dem Priesteramt. Wir wollen heute sehen, was sein Propheten- und sein Hirtenamt für die Erlösung bedeutet, und an einem späteren Sonntag wollen wir betrachten, was sein Priesteramt für die Erlösung besagt.

Dieses dreifache Amt Christi ist im Johannesevangelium angedeutet, wo der Herr sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Weg – das geht auf das Hirtenamt, Wahrheit – das geht auf das Lehramt, und Leben – das geht auf das Priesteramt. Jesus hat uns erlöst auch durch seine Lehre. Er ist der höchste Prophet, er ist der absolute Lehrer. Er ist die Wahrheit selbst. Es war nötig, uns auch durch die Lehre zu erlösen, weil der Mensch nämlich durch die Sünde die Wahrheit vergessen und verloren hat, weil er durch den Fürsten dieser Welt, den Vater der Lüge, verblendet ist, weil er sich in der Finsternis befindet. Denn wer in der Sünde ist, der wird auch immer finster, so daß er Gott nicht mehr erkennt und Gott nicht mehr findet. Und so mußte uns der Erlöser auch durch seine Lehre erlösen.

Jesus, der Erlöser, nennt sich deswegen die Wahrheit. „Ich bin gekommen, der Wahrheit Zeugnis zu geben. Wer aus der Wahrheit ist, der hört auf meine Stimme.“ Er nennt sich Lehrer. „Ihr sollt euch untereinander nicht Lehrer nennen. Einer ist euer Lehrer: Christus!“ Er nennt sich das Licht der Welt. Das Licht hat es nämlich mit der Wahrheit zu tun. Durch seine predigende, verkündende Tätigkeit hat Christus die Wahrheit gebracht und den Menschen das Licht angezündet, hat er sie von der Finsternis der Sünde, von der Verwirrung, in die die Sünde den Menschen stürzt, befreit. Christus ist die Wahrheit. Er erlöst uns durch sein Amt als Lehrer der Wahrheit, durch sein Lehramt.

Christus erlöst uns auch durch sein Hirtenamt. Durch die Sünde ist der Mensch in die Irre gegangen, weiß er nicht mehr, was er tun soll, welchen Weg er einschlagen soll. Da braucht es Weisung, da braucht es Gesetze, da braucht es Gebote. Und so hat Christus als der Hirte auch durch sein Hirtenamt uns erlöst. Er ist als Hirte Gesetzgeber, Richter und im Besitze der Strafgewalt.

Gegen den Reformator Luther hat das Konzil von Trient verkündet: „Wer sagt, Jesus sei den Menschen nur als einer gegeben, der Verheißungen bringt, nicht auch als Gesetzgeber, der Gesetze gibt, der sei ausgeschlossen.“

Christus ist also nicht bloß der Verkünder von Verheißungen, nein, er ist auch der Geber von Gesetzen. Er hat seine Gesetzgebung betätigt, indem er das Grundgesetz des Reiches Gottes schuf, nämlich das Gebot der Liebe, indem er seine Kirche mit ihrer Autorität gründete, indem er Gebote gab. „Lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe!“ Und er ist auch der Richter. Der Vater richtet niemanden. Er hat das ganze Gericht dem Sohn übergeben, und diesem Gerichte folgt sofort die Vollstreckung. „Diese – die Bösen – werden eingehen in die ewige Pein, die Gerechten in die ewige Freude.“ Die Zusammenfassung des Hirtenamtes Christi geschieht in dem Titel als König. Wir wissen, daß Pius XI. das Christkönigsfest eingesetzt hat. Das ist ein urbiblisches Datum; denn in der feierlichsten Stunde seines Lebens hat der Herr auf die Frage des römischen Prokurators Pontius Pilatus: „Bist du ein König?“ die Antwort gegeben: „Ja, ich bin ein König.“

Als man vor einigen Jahrzehnten im Wüstensande von Ägypten einen Papyrus fand – es war eine ganz alte Handschrift –, da war es jener Text des Johannesevangeliums, in dem der Satz steht: „Ich bin ein König!“ Ja, der Herr ist ein König. Ihm ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Er besitzt die unmittelbare Gewalt über die Erde und über den Himmel. Er ist im Besitz des Hirtenamtes, um den Menschen durch seine Weisungen, durch seine Gebote den Weg zu zeigen, der zum Vaterhause führt. Er hat uns auch erlöst durch sein Hirtenamt.

„Getröst', getröst', wir sind erlöst, die Hölle ward zuschanden; denn wahrhaft ist Gott Jesus Christ vom Tode auferstanden.“

Amen.

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