Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. März 2024

Ehe Abraham ward, bin ich

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die aufs schärfste gesteigerte Diskussion spielt im Vorhof der Frauen des erhabenen Tempels. Ihr breites Fundament ist die stolze These der Pharisäer: Sie brauchen keine Belehrung, sie besitzen das volle Maß der Freiheit und der Religiosität. Denn sie stammen von Abraham ab. Solcher Adel genügt. Was sei dagegen persönlicher Fleiß und saubere Leistung! Letztlich bestimmend ist das Blut, nicht guter Wille und gelernter Geist. Dieses starre System zerschmettert der Nazarener mit einer Geste und mit einem Wort, die entweder wetterleuchtender Wahnsinn oder göttliche Wirklichkeit sind. Mit erhobener Stimme und mit einem Blick unnahbarer Majestät reckt er sich über ihre Köpfe und proklamiert sein Übermenschentum. Wer von ihnen kann ihn einer Sünde beschuldigen? Alles an ihm ist unantastbare Wahrhaftigkeit. Hier hilft keine Ausflucht. Seine Worte und seine Taten sind von alles bezwingender Überzeugungskraft. Wenn sie nicht an ihn glauben, sind sie bis in die letzte Rinne ihrer Seele ungeistige, unreligiöse Menschen. Sie sind nicht aus Gott. Sie haben mit dem großen Erzvater Abraham nichts zu tun. Sie sollen aufhören, ihre Abstammung von ihm immer wieder zu betonen. Damit setzt der dreifache Dialog des Evangeliums vom Passionssonntag ein.

Erster Dialog. Sie sagen: Wer so redet wie er, beweist, dass er ein Ketzer ist, dem Judentum abgewandt und fremd wie die Samariter, wie sie den Dämonen dienend und von den Dämonen besessen. Jesus entgegnet: „Von den Dämonen besessen? Solchen Vorwurf, solche Schmach wagt ihr gegen mich zu schleudern? Mir liegt an meiner Ehre nichts. Aber der Vater, der mir hohen Auftrag gab, duldet die Verhöhnung seines Sohnes nicht. Er verlangt, dass er geehrt wird, eben weil er der Sohn ist. Und darum gilt: Der Vater wird mit euch abrechnen und euch richten.“ Dann fährt er fort: „Ich sagte schon in meiner letzten Rede an euch, dass es nicht genügt, vorübergehend für mich entflammt zu sein. Man muss mir in stiller Arbeit und vollendeter Lebenspraxis die Treue halten. Wer meine Worte bewahrt, der wird ewig mit mir in unsagbarem Leben verbunden sein.“

Zweiter Dialog. Jesus verheißt denen, die sein Wort halten, d.h. treu zu ihm stehen und ihn dadurch ehren, dass sie niemals den Tod schauen werden, mit anderen Worten: Er verheißt den Glaubenden das ewige Leben. Seine Gegner missverstehen ihn, ungewollt oder gewollt: Sie meinen, Jesus verheiße die Bewahrung vor dem leiblichen Tod. Darin sehen sie einen vollgültigen Beweis dafür, dass sein in ihren Augen ungeheuerliches Selbstbewusstsein nur durch dämonische Besessenheit zu erklären ist. „Diese Rede zeugt deutlicher als jede frühere, dass du von den Dämonen besessen bist. Wie kannst du sagen, deine Anhänger werden nie sterben.“ Er hatte gesagt, sie würden ewig, seelisch, geistig, gnadenhaft über den Tod hinaus mit ihm leben. Natürlich wird wieder Abraham gerufen. „Abraham ist gestorben. Die Propheten sind gestorben. Und du sagst, deine Anhänger sterben nie. Bist du größer als Abraham und die Propheten? Was machst du aus dir selbst?“ Jesus entschuldigt sich nicht. Er räumt die Schwierigkeiten nicht aus, indem er die Worte zurechtrückt. Das wäre für ihn ein leichtes gewesen. Er hätte sagen können: Ihr missversteht mich. Ich bin nicht der übermenschliche Logos, der über die Propheten und über Abraham hinausragt. Nein, er nimmt das Wort wieder auf, er unterstreicht es und trägt es zu königlicher Hoheit. Wenn er den Anspruch erhebe, von Gott gesandt zu sein und Gottes Worte zu reden, so sage er nichts Überspanntes wie ein Besessener, sondern gehorche nur seinem Vater, der ihm diesen Auftrag gegeben habe, und erweise ihm dadurch Ehre. „Ich lasse mir den Vorwurf der Dämonie nicht gefallen. Der Vater verlangt von mir, dass ich auf Ehre halte. Die suche ich nicht um meiner selbst willen, vielmehr um meines Vaters willen, von dem ihr sagt, er sei euer Gott. Ihr habt nichts mit ihm zu tun. Ihr seid gottferne, gottfremde Menschen. Ich bin ins tiefste Innerste mit Gott verwachsen. Ich erfülle mit meinem ganzen Sein, in meinem ganzen Leben, bis zur letzten inneren Haltung, sein Programm. Ich halte sein Wort. Ja, ich rage weit über Abraham hinaus. Er schaut jetzt aus den Höhen seiner Ewigkeit in das gelobte Land seines Volkes hinab. Er sieht dort den Messias, der aus seinem Blute gewachsen ist, stehen und jubelt, dass der Herr seinem Blute solche Gnade geschenkt.“

Dritter Dialog. Jesus beweist den Juden aus dem eigenen Zeugnis Abrahams, dass er größer ist als der von ihnen so hoch gefeierte Stammvater. Abraham wusste wohl, dass erst in der Zukunft die Heilszeit hereinbrechen und ein Größerer als er sie heraufführen werde; er schaute voll Sehnsucht nach ihm aus. „Abraham, euer Vater, frohlockte, dass er meinen Tag sehen sollte. Er sah ihn und freute sich.“ Damit spielt Jesus auf die dem Abraham von Gott gegebene Verheißung an, dass aus seinem Samen der Messias hervorgehen werde, und bezieht sie auf seine Person. Die Juden verstehen Jesus wiederum falsch. Sie schreiben ihm die Behauptung zu, dass er Abraham von Angesicht zu Angesicht gesehen habe. „Du willst älter sein als er, du mit deinen dreißig Jahren. Noch nicht ein halbes Jahrhundert lastet auf deinen Schultern, und du willst an Lebensjahren den Rekord der Patriarchen überbieten?“ Wieder hätte Jesus einlenken können. Es hätte ein Wort genügt, das Missverständnis, wenn es ein Missverständnis war, zu beseitigen. Er hätte sagen können: „So war meine Rede nicht gemeint.“ Aber er tut es nicht. Er beteuert zum dritten, zum letzten Mal, in erneuter Vertiefung, sein Selbstzeugnis: „So ist es wahrhaftig, Pharisäer. Lasst es mich so eindeutig wie möglich, mit der ganzen Klarheit der aramäischen Sprache ohne Überschwang, ohne Bildhaftigkeit, ohne dichterische Verdunkelung sagen: Ehe Abraham das Licht seiner Frühzeit erblickte, war ich schon. Kann ich es noch deutlicher sagen?“ Jesus erklärt ihnen, dass er Existenz besitze, bevor Abraham ins Dasein getreten sei. Ehe Abraham ward, bin ich. Seine Existenz ist unabhängig von jeder Zeit. Ihm kommt ewiges Sein zu wie Gott. „Ich war schon der Seiende. Im Exodus, dem mosaischen Buch, steht das gleiche Wort. Es wird nur vom ewigen Gott selbst gesagt. Er ist der Ewigseiende. Der war ich, ewig und immer. Und somit längst vor Abraham seiend.“ „Ehe Abraham ward, bin ich.“ Deutlicher konnte Jesus es in der Tat nicht sagen. Er duldete, dass sie die ganze Unerhörtheit dieser Gottesproklamation verstanden. Unter Berufung auf ihr jüdisches Empfinden und auf das jüdische Gesetz, das den Gotteslästerer mit der Strafe der Steinigung bedroht, hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Er ging aus dem Wege und verließ den Tempel.

Die heutigen Leugner der Gottheit Jesu heben keine Steine auf; sie sitzen auf Kathedern und verkünden den Atheismus. Sie stellen einen fundamentalen Satz auf, von dem aus sie zu ihrer Ansicht von Jesus kommen. Dieser Satz lautet: Die Erde ist der Schauplatz der Menschen. Auf ihr kann nichts anderes geschehen als Menschliches. Das Weltall ist ewig, ohne Anfang, ungeschaffen. Einen Schöpfer gibt es nicht. Ebenso wenig einen Sohn Gottes, der sich auf der Erde eingefunden hat. Die biblischen Bücher schildern nicht den geschichtlichen Christus, sondern einen von der schöpferischen Begeisterung der Uranhänger vergöttlichten Christus. Nicht die Gottheit Christi sei der Grund des Glaubens an ihn gewesen, sondern der Glaube sei der Schöpfer seiner Gottheit gewesen. Was haben wir zu diesen Aufstellungen zu sagen? Das Zeugnis der Zeitgenossen Jesu ist eindeutig. Die erste und die zweite Generation der Christen verkünden Jesus von Nazareth als den Gott an Wesen gleichen Gottessohn. Die Zeit ist zu kurz, um ein auf Erden herabgestiegenes Wesen zu erfinden. Die Zeugen von Jesu Leben und Wirken lebten noch, als seine Jünger ihn den gottentstammten Logos nannten. Sie brauchten ihren Zeitgenossen nur den wirklichen Nazarener vor Augen zu stellen, um sie von seiner gottgleichen Natur zu überzeugen. „Wir können nicht verschweigen, was wir gesehen und gehört haben.“ „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen.“ „Was von Anfang an war, was wir gehört und mit eigenen Augen gesehen haben, was wir geschaut und was unsere Hände berührt haben, das verkünden wir euch.“ Das eben ist das Ungeheuerliche, nie Dagewesene, dass sich Gott herabgelassen hat, auf der Erde zu erscheinen. Am vergangenen Sonntag haben wir das Evangelium von der wunderbaren Brotvermehrung vernommen. 5000 Männer wurden von 5 Broten und 2 Fischen gespeist. Wie ist das möglich? Weil der göttliche Schöpfer des Alls auf die Erde niedergestiegen ist. Er hat Brot aus Nichts herbeigebracht wie damals, als er das Weltall schuf.

Der Glaube an die Gottheit Christi ist die Beschreibung seiner Wirklichkeit. Der Glaube an die Gottheit Christi hat sich an ihm selbst entzündet; er war die Antwort auf die Selbstoffenbarung Jesu über sein Wesen. Einen Jesus bloßer Menschlichkeit hat es niemals in der Geschichte gegeben. Er ist bloße Fiktion, ein literarisches Gespenst. Existentiell aufreißend, fortreißend lebte und wirkte in der Geschichte allein der gottmenschliche Christus. Wir stehen auf sicherem Boden, wenn wir Jesus von Nazareth als unseren Gott und Herren anbeten.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt