Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Januar 2021

Verwitwete und geschiedene Frauen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Als ich 1951 meine erste Stelle als Kaplan antrat, fielen mir die zahlreichen alleinstehenden Frauen mittleren Alters auf. Es waren allesamt Ehefrauen, die ihren Gatten im Kriege verloren hatten, also Witwen. Im Zweiten Weltkrieg ist der Stand der Witwen zahlenmäßig stark gewachsen. Je mehr an den Fronten die Heere der Soldaten zusammenschmolzen, desto mehr wuchs in der Heimat das Heer der verwitweten Frauen. Man darf die Witwen heute genauso wie in früheren, christlichen Zeiten einen eigenen Stand nennen. Ein Stand ist eine rechtlich und sozial abgegrenzte Gruppe in einem Gesellschaftssystem. Das Sozialwesen hat sich der Witwen angenommen und in unterschiedlichem Maße dafür öffentliche Mittel bereitgestellt. Der Witwenstand lebt von der Gemeinschaft. Aber auch die Gemeinschaft sollte vom Witwenstand leben. Die alte Kirche betrachtete Witwen nicht nur als eine besonders zu betreuende Gruppe der Gemeinde. Vielmehr übertrug sie ihnen bestimmte Aufgaben in der Gemeinde, für die sie besonders geeignet schienen. Das alttestamentliche Gesetz rechnet die Witwen zu denen, die des besonderen Schutzes des Gesetzes und der liebevollen Rücksicht ihrer Mitmenschen bedürfen. Da Gott sich selbst als Anwalt der Witwen offenbarte, war jede Unbarmherzigkeit gegen sie zugleich ein Frevel gegen Gott. Im Neuen Testament musste Christus den Pharisäern den Vorwurf machen, dass sie das Geld der Witwen verprassen. Die Apostel wandten den Witwen ihre besondere Fürsorge zu. Paulus gab die Anweisung, alleinstehende Witwen zu unterstützen. Jakobus bezeichnete es als eine makellose Frömmigkeit vor Gott, sich der Witwen in ihrer Bedrängnis anzunehmen. Paulus hat sich in seinem ersten Brief an Timotheus ausführlich mit dem Witwenstand befasst. An der Spitze steht der Grundsatz: „Witwen, die wirklich Witwen sind, ehre.“ Wer sind die Witwen, die wirklich Witwen sind? Es sind die in Wahrheit alleinstehenden Frauen, die ihre Hoffnung auf Gott setzen und Nacht und Tag in Flehen und Beten verbringen. Die wirklichen Witwen sind durch das Leid nach innen und zu Gott und zum Ewigen gewendet. Nicht wirklich Witwen sind jene, die im Widerspruch zu ihrem Stand leben. Das sind solche, die schwelgerisch leben. Die lustigen Witwen, die noch ein großes Haus führen, die Witwenschmerz und Witwenstand in einem ausschweifenden Leben vergessen. Sie sind, so erklärt Paulus, lebendig tot. Er fordert Timotheus auf: „Schärfe das ein, damit sie tadelfrei leben! Wenn jemand für seine Angehörigen, vornehmlich für die Glieder der eigenen Familie nicht sorgt, hat er den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger.“

Die alte Kirche kannte den beamteten Witwenstand für den Dienst in der Gemeinde. Dafür stellt Paulus eindeutige Erfordernisse auf. Das Mindestalter der angestellten Witwe ist sechzig Jahre. Sie soll nur einmal verheiratet gewesen sein. Sie muss wohltätig und reich an guten Werken sein. Aus der Liste ihrer guten Werke werden besonders das Aufziehen von Kindern, das gastlich offene Haus gegenüber den Fremden, die Fußwaschung, die Bereitschaft zu allem helfenden Dienen gegenüber jeglicher Not genannt.

Den jüngeren Witwen empfiehlt Paulus, dass sie heiraten, Kindern das Leben schenken, ihrem Hause vorstehen, dem Gegner keinen Angriffspunkt bieten. Die Zweitehe nach dem Tod ihres Gatten ist also nicht verboten. Eine verheiratete Frau ist durch das Gesetz an den Mann gebunden, solange er lebt. Ist aber ihr Mann gestorben, so ist sie frei vom Gesetz des Mannes (Röm 7,2). Wenn ein Mann entschlafen ist, steht es der Frau frei, sich (wieder) zu verheiraten. Glücklicher aber ist sie zu preisen, wenn sie so bleibt, wie sie ist (1 Kor 7,39f.). In altchristlichen Kirchenordnungen erhielten die Witwen bevorzugte Plätze beim Gottesdienst. Die Kirche richtete eine Witwenweihe ein. Die Kirche war sich immer der Würde und des Wertes des Witwenstandes bewusst. Aus der Kirchengeschichte kennen wir herrliche Beispiele, wie Witwen nach Verlust ihres Gatten sich ganz für Gott und den Nächsten aufgeopfert haben. Die Namen der heiligen deutschen Witwen Elisabeth von Thüringen und Hedwig von Schlesien stehen stellvertretend für viele andere. Die heiligen Witfrauen dienten Gott und der Kirche nach zwei Seiten, einerseits beschaulich-büßend, anderseits karitativ-tätig. Es gibt zahlreiche Verbände von Frauen, die von heiligmäßigen Witwen gegründet wurden. Aber wir kennen auch Witwen, die in der Welt lebten und ihre Einsamkeit durch innige Verbindung mit Christus und seiner Kirche überwunden haben. Wenn eine Wiederverheiratung nicht ratsam ist, bietet die geistliche Verbindung mit Christus eine erhabene Möglichkeit für ein erfülltes Leben. Die beschauliche und die tätige Hingabe an Christus gibt der Witwe neuen Lebensinhalt und Lebenszweck. So ähnelt eine ideale christliche Witwenschaft der von Christus und der Kirche gepriesenen Jungfräulichkeit. Den weiblichen Orden bleibt der Nachwuchs aus, Schwesternstationen, die segensreich gewirkt haben, müssen schließen, ganze Verbände sterben aus. Hier könnte manche Witwe einspringen, die Lücke ausfüllen, sich im Krankendienst, in der Erziehungshilfe, in der Fürsorge oder als Pfarrhaushälterin betätigen. Hier liegen viele Betätigungsfelder für opferbereite Witwen. Dazu brauchen wir auch in der Welt Opferseelen, die in Gebet und Bußgesinnung für andere sühnen und so Gott und der Kirche in wertvollster Weise dienen. So könnten die Witwen gute Helferinnen in der Gesamtseelsorge der Kirche werden.

Ehe ist eine so schwere Aufgabe, dass, Gott sei es geklagt, viele Verehelichte sich ihr nicht gewachsen zeigen. Sie fliehen aus der Ehe. In diesen Tagen vor Weihnachten treffe ich einen Herrn, der vor wenigen Jahren aus Budenheim fortgezogen ist. Jetzt ist er wieder da. Allein. „Wir haben uns getrennt!“ sagte er von seiner Ehe. Aber er ist nicht allein. Er lebt mit einer anderen Frau zusammen. In Deutschland befinden sich Millionen Geschiedene. Der Staat stellt den Ehepaaren das Instrument der Scheidung zur Verfügung. Er erklärt: Eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Eine Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen. Das ist die staatliche Gesetzgebung, die in offenem Gegensatz zum Evangelium und der Lehre der Kirche steht. Die geschiedene Frau ist keine Witwe. Wenn sie gültig verheiratet und die Ehe vollzogen war, besteht das Eheband, das durch die Trauung geknüpft worden war, weiter und mit ihm seine Forderungen. Das Urteil des staatlichen Gerichtes, das die Scheidung ausspricht, ist für das Ehesakrament unbeachtlich. Dennoch ähnelt die geschiedene Frau in mancher Hinsicht der Witwe. Sie ist allein und muss allein bleiben. Geschiedene sind insofern einsam. Einsamkeit ist schwer zu ertragen. So halten manche geschiedene Frauen Ausschau nach einer weiteren zivilrechtlichen Verbindung, Ehe genannt. Einige meinen sogar, dass sie dies auch nach Gottes Willen tun dürfen. Eine Frau in den vierziger Jahren. Katholisch. Aus Oberschlesien. Geschieden. Sie fragt mich, ob sie angesichts der vielen Änderungen in der Kirche nicht eine zweite Ehe schließen könne. Geschiedene Frauen müssen darauf gefasst sein, dass sie begehrt werden, entweder zu zweiter, ungültiger Ehe oder zu bloßem Zusammenleben.

Geschiedene Frauen sind nicht ledige Frauen. Sie haben eine Geschichte. Sie haben Erfahrungen mit einem Mann. Sie sollten gereift sein durch die Prüfungen, die sie durchgemacht haben. Viele geschiedene Frauen sind erleichtert, dass sie von ihrem Mann bürgerlich-rechtlich getrennt sind. Die Herzensbindung ist erloschen. Das äußere Zusammenleben hat aufgehört. In diesem Sinne sind sie frei kraft bürgerlichen Rechtes. Aber Geschiedene müssen nicht in der Trennung verharren. Versöhnung und Wiedervereinigung sind möglich. Christliche Ehen sind heilbar. In der Taukraft des Christentums werden Konflikte innerlich überwunden. Eine Generalbeichte. Eine Osterkommunion. Zwei Menschen nebeneinander. Wie einst auf dem roten Kissen des Hochzeitstages vor dem Tabernakel. Zwei Christen, die sich verzeihen. Die ihre Pflicht wieder finden. Das ist „Auferstehung“!

Es kann sein, dass aus verschiedenen Gründen eine Versöhnung und Wiedervereinigung geschiedener Gatten nicht in Frage kommt. Aber die Verpflichtung der geschiedenen Frau, Gott zu dienen und den Menschen zu nützen, hört nicht auf. Sie ist aufgefordert, ihr Leben zu einer Quelle des Segens für andere zu machen, für ihre Kinder, ihre Verwandten, für die Elenden und Notleidenden ihrer Umgebung. Als Maria und Joseph ihr Kind im Tempel zu Jerusalem Gott darboten, begegneten sie einer prophetischen Frau namens Anna. Sie hatte nach ihrer Jungfrauschaft sieben Jahre mit ihrem Manne gelebt. Jetzt war sie eine Witwe von 84 Jahren. Sie wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Nacht und Tag. Die Witwe Anna hatte ihre Berufung gefunden.

Wenige Dinge sind der Kirche und den Gläubigen so notwendig wie der Dienst der Enthaltsamkeit und des Gebetes. Fromme Frauen sind imstande, Ströme der Gnade für Volk und Land zu erflehen. Wenn in ihrem Eheleben Gott zu kurz gekommen sein sollte, so besteht doch die Möglichkeit, ihr Dasein in Einsamkeit zur Anbetung zu benutzen und zu versuchen, wieder gutzumachen, was sie versäumt haben. Unverheiratete, verheiratete, verwitwete und geschiedene Frauen sind jeweils in unterschiedlicher äußerer Lage, vor allem, was das Verhältnis zum männlichen Geschlecht angeht. Gemeinsam ist ihnen allen: Weder Witwenstand, noch Jungfräulichkeit, noch Ehestand haben einen anderen Rang im Himmel als jenen, den die Demut ihnen anweist.

Amen.

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