21. Januar 2018
Der Heiland der Aussätzigen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Aussatz oder Lepra ist eine chronische Infektionskrankheit. Erreger ist das Mycobakterium leprae; es wurde erst im Jahre 1871 entdeckt. Man fürchtete die Krankheit wegen der Gefahr der Ansteckung. Bis in unsere Zeit galt sie als unheilbar. Erst seit 1940 ist die Behandlung mit Chemotherapeutika möglich. Die Krankheit war im Altertum in Ägypten, Mesopotamien, Indien und China bekannt. Nach Europa ist sie wahrscheinlich durch römische Truppen gekommen. Sie erreichte ihren Höhepunkt vom 6.-13. Jahrhundert und war sehr verbreitet. Die Kranken wurden radikal aus der Volksgemeinschaft und Wohngemeinschaft ausgeschlossen und in Leprosenhäuser außerhalb der Stadtmauer verbannt. Sie wurden ausgesetzt; davon kommt der Name Aussatz. Sie mussten sich durch eine spezielle Kleidung und eine Klapper, die Leprosenklapper, kenntlich machen. Die Juden sahen im Aussatz eine besonders schwere Strafe des Himmels. Unter den Segnungen der messianischen Zeit erwarteten sie die Befreiung von dieser Geißel. Die Rabbinen sagten vom Aussatz, seine Heilung sei so schwer, wie Tote zum Leben zu bringen. Die Bestimmungen über die Absonderung der Aussätzigen waren streng. Sie hatten einen zweifachen Zweck. Einmal natürlich sollten sie die Ansteckung verhüten, zum anderen aber machte der Aussatz kultisch unrein, d.h. der von Aussatz Befallene überträgt seine Unreinheit nicht nur auf alle Personen und Gegenstände, die er berührt, sondern auch auf das Haus, das er betritt, und deswegen musste er abgewehrt werden. Er musste jeden, dem er begegnet, vor Annäherung warnen. Er musste zerrissene Kleidung tragen und aufgelöstes Haar ohne Kopfbedeckung, er musste seinen Bart verhüllen. Er ist ein aus der menschlichen Gesellschaft Ausgestoßener, ein Toter und trägt selbst alle Zeichen der Totentrauer an sich.
Ein solcher Aussätziger begegnet Jesus. Der Herr sah sich in seiner Wirksamkeit wiederholt mit Aussätzigen konfrontiert. Er hat sich vor dem Aussatz nicht gefürchtet. Er hat sich den Aussätzigen nicht entzogen, er hat vielmehr den Kampf gegen diese Krankheit aufgenommen. In seiner Antwort auf die Anfrage Johannes des Täufers nennt Jesus die Heilung der Aussätzigen unter den Zeichen der messianischen Zeit: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird Frohbotschaft verkündet. Unter den Vollmachten, die Jesus seinen Jüngern bei der Aussendung gab, war auch die, Aussätzige rein zu machen. Nun hat ein Aussätziger von Jesus und von seiner Wundermacht gehört. Er wagt es, unter Außerachtlassung der strengen Absonderungsvorschriften sich an Jesus heranzudrängen. Er fällt vor ihm auf die Knie und spricht: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Der Mann muss ein unbändiges Vertrauen auf Jesus gehabt haben. Er traut ihm zu, etwas fertigzubringen, was kein Mensch tun kann, nämlich den Aussatz zu besiegen. Er zweifelt nicht an der Macht Jesu, seine Krankheit zu heilen, aber er ist unsicher, ob er den Willen hat: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Die Reinigung, die er von der Macht und Barmherzigkeit Jesu erbittet, bedeutet die Heilung von der Krankheit. Die Reinerklärung war nach dem Gesetz Sache der Priester. Wie verhält sich Jesus? Die handschriftliche Überlieferung im Markusevangelium geht auseinander. Die meisten Handschriften schildern ihn als erbarmungsvoll, einige, aber gewichtige Handschriften, nennen ihn erzürnt. Welche Lesart ist ursprünglich? „Erzürnt“ könnte die ursprüngliche Lesart sein. „Erbarmungsvoll“ lässt sich als spätere Korrektur erklären, nicht aber „erzürnt“. Dann versteht man auch, warum Matthäus und Lukas das Wort „erzürnt“ weglassen. Ja, warum war Jesus erzürnt? Wäre nicht Mitleid angebracht gewesen mit dem Aussätzigen? Warum war er erzürnt, während er gleichzeitig seine Hand ausstreckt, um ihn zu heilen, und ihn berührt? Der Zorn kann sich nicht dagegen richten, dass der Aussätzige gegen das Gesetz der Absonderung verstößt; es war ohne Bedenken, an ihn heranzutreten. Der Zorn des Herrn richtet sich gegen die Macht des Bösen, die er im Aussatz wirksam sieht. Gott wollte, dass alle Menschen heil sind und von Krankheiten frei, aber der Böse hat dafür gesorgt, dass mit der Sünde auch die Krankheit in die Welt kam, und deswegen ist der Herr erzürnt. Jesus streckt seine Hand aus, rührt ihn an und spricht zu ihm: „Ich will, sei rein.“ Die Geste des Austreckens der Hand ist Ausdruck der Macht Jesu über die Krankheit. Und die Berührung des Kranken setzt sich über die gesetzlichen Bestimmungen hinweg, dass sie verunreinigende Wirkung habe. Die Heilung erfolgt durch ein Machtwort Jesu, und die Wirkung tritt sofort ein. Der Aussatz weicht von ihm, er wird rein. Mit einer zornigen Geste, die dem Schweigegebot größeren Nachdruck geben soll, jagt Jesus den Geheilten weg und spricht zu ihm: „Nimm dich in Acht und sage es niemand.“ Er gebietet absolutes Schweigen über die Heilung. Warum? Er will nicht, dass die Kranken von allen Seiten zusammenströmen, wo immer er sich einfindet. Er ist nicht als Heiler aller Kranken vom Vater gesandt, sondern als Befreier von Sünde und Schuld sowie als Gründer des messianischen Reiches. Dann verlangt er von dem Geheilten die genaue Erfüllung der Gesetzesbestimmung: „Zeige dich dem Priester und bringe das für die Reinigung gebotene Opfer dar, zum Zeugnis für sie.“ Der Geheilte musste sich dem diensttuenden Priester im Tempel stellen. Dieser hatte ein genaues Formular, wie er die Heilung bestätigen musste, eine Zeremonie, durch die der Kranke für geheilt erklärt wurde, und dann musste er das vorgeschriebene Opfer für die Heilung entgegennehmen. „Zum Zeugnis für sie“, was bedeutet das? Es bedeutet: zur Beglaubigung für die übrigen Menschen, dass er wirklich geheilt worden ist. Beglaubigt werden soll nicht Jesu Wunderkraft und Wundermacht, denn der Herr gebietet ihm ja, davon zu schweigen, nein, beglaubigt werden soll die Gesundung des wieder in die menschliche Gesellschaft aufgenommenen Kranken. Jesu Schweigegebot erweist sich als wirkungslos. Der Geheilte verkündigt überall in seiner überströmenden Freude die Tat Jesu. Um dem Zulauf des Volkes zu entgehen, muss sich Jesus in einsame Gegenden zurückziehen; auch dort folgt ihm der Andrang der Massen.
Ein unerhörtes Wunder ist geschehen. Ohne Untersuchung, ohne medizinische Behandlung, ohne Medikamente, ohne Inanspruchnahme eines langen Zeitraums, ohne jede menschliche Hilfe ist der Leprose geheilt worden durch ein einziges kurzes Wort Jesu. Was Menschen unmöglich ist, was nur Gott möglich ist, das ist geschehen. Jesus hat mit dieser Tat seine gottgleiche Würde unter Beweis gestellt. Wunder sind ein zum Glauben verpflichtendes Zeugnis Gottes für Jesus. Die Wunder Jesu sind ein Beweis seiner Messiaswürde und seiner Gottessohnschaft. Das Leben Jesu, meine lieben Freunde, war in buchstäblichem Sinne ein wunderbares Leben. Es hat nie eine Überlieferung von Jesus gegeben ohne Wunder. Wir kennen Jesu als Wundertäter oder wir kennen ihn überhaupt nicht. Der Unglaube erklärt die Wunder Jesu weg. Das evangelische Lexikon „Religion in Geschichte und Gegenwart“ schreibt – ich zitiere wörtlich: „Historische Kritik zeigt, dass es beweisbare Wunder nicht gibt. Das historisch Beweisbare führt nicht über den Bereich auch anderswo bezeugter psychisch-somatischer Heilwirkung hinaus.“ Das ist der Unglaube. Der Unglaube behauptet, der urchristliche Gemeindeglaube, die Faszination von Jesus habe die Wunder Jesu erfunden. Andere erklären die Wunder Jesu durch Übernahme hellenistischer Wundergeschichten ins Neue Testament. Alle diese Ausflüchte des Unglaubens halten der Kritik nicht stand. Allein die große Zahl der überlieferten Erzählungen legt schon nahe, dass Jesus tatsächlich Wunder gewirkt hat. Das Evangelium nach Markus besteht zu einem dritten Teil aus Wunderberichten. Diese Wunder haben – das lässt keinen Zweifel – einen sicheren Anhalt im Leben Jesu. Sie umfassen Krankenheilungen, Dämonenaustreibungen und Naturwunder. Von der Verwandlung des Wassers in Wein bis zur Stillung des Seesturms reiht sich Wunder an Wunder. Für die Redlichkeit und Tatsächlichkeit des Berichteten sprechen folgende Überlegungen. Erstens: Jesus wollte sich mit seinen Wundertaten nicht selbst in den Mittelpunkt stellen. Er wollte nicht als der große Magier oder Guru, wie man heute sagt, erscheinen, der das Volk beeindruckt. Schauwunder und Zeichen vom Himmel lehnt er kategorisch ab; er ist kein Zauberer. Zweitens: Niemals gebraucht er seine Wundermacht zu seinem eigenen Nutzen oder Vorteil. Kein Akt der Selbsthilfe wird von ihm berichtet; er wirkt Wunder nur für andere. Wunder dienen nicht seinem Gewinn, sondern dem der Mitmenschen. Drittens: Die Wunder sind kein Mittel, die Menschen zum Glauben zu zwingen. Wenn der Mensch sich öffnet für das Wirken Gottes, wenn er Glauben aufbringt, da geschieht das Wunder: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Wo Jesus keinen Glauben findet, da verschwendet er seine Wundermacht nicht. Für solche Menschen gibt es ohnehin keine Wunder, sondern allenfalls merkwürdige Zufälle, die sie vielleicht in Staunen versetzen. Viertens: Die Berichte über die Wunder enthalten oft genaue Angaben über die beteiligten Personen, Namen und äußere Zustände werden ins Einzelne beschrieben. Die Evangelisten berichten ebenso über den Zulauf der staunenden Menschen, den Ruf, den er sich durch die Wunder erworben hatte, und die hilflose Wut seiner Gegner, die die Wunder nicht abstreiten können. Fünftens: Man liest nirgends, dass es Jesus darum zu tun war, alle Kranken auch nur einer Gegend zu erfassen und Krankheiten überhaupt zu beseitigen. Nie wird in den Evangelien gesagt, Jesus habe selbst die Kranken aufgesucht, sie strömen zu ihm. Er verstand sich weder als praktischer Arzt noch als Medizinprofessor oder Vorstand einer Gesundheitsbehörde; er ist zu anderen Zwecken auf die Erde gekommen, nämlich um die Heilsbotschaft zu bringen. Sechstens: Manche Reden Jesu sind ohne Voraussetzung von getanen Wundern gar nicht denkbar. Einmal trieb Jesus einen Geist aus, der stumm war. Einige Zeugen der Tat behaupteten, durch Beelzebul, den obersten der Geister, treibe er die Geister aus. Jesus macht ihnen das Absurde dieser Meinung klar. Wenn ein Teufel den anderen Teufel austreibt, dann bricht ja sein Reich zusammen; so dumm ist der Teufel auch nicht. „Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Ähnlich war es bei der Anfrage des Johannes aus dem Gefängnis: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Jesus gibt die Antwort: „Geht hin und meldet, was ihr hört und seht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird die Frohbotschaft verkündet.“ Jesus verweist also zur Legitimation seiner Person auf die von ihm verrichteten Wunder. Sie stimmen mit den Voraussagungen des Propheten Isaias überein, also ist die messianische Zeit angebrochen, in ihm. Siebtens: Er heilt die Kranken nicht durch Gebet, auch nicht durch eine Zauberformel, sondern durch ein Machtwort, durch einen Willensakt. Er braucht keine irdischen Hilfsmittel. Achtens: Die Feinde Jesu haben sein Wunderwirken nicht geleugnet, sie haben es nur dem Pakt mit dem Satan zugeschrieben. Der Evangelist Johannes merkt an, dass es nicht zuletzt die Wundertätigkeit Jesu war, die den Todesbeschluss seiner Feinde auslöste. „Was sollen wir tun, da dieser Mensch viele Wunder tut? Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben.“ Die Feinde zeugen für die Wunder Jesu. Und schließlich neuntens: Als die Evangelien entstanden, lebten noch viele Menschen, die Zeugen der Taten Jesu gewesen waren. Wie hätte es sich ein Verfasser eines Evangeliums erlauben können, von der wunderbaren Brotvermehrung, von Heilungen und von Totenerweckungen zu berichten, wenn diese gar nicht geschehen wären? Damit hätte er ja den Feinden Jesu das beste Argument in die Hände gelegt.
Wunder, meine lieben Freunde, sind Zeichen, sie zeigen, sie weisen auf etwas anderes hin. Die von Jesus gewirkten Wunder zeigen seine göttliche Herkunft und seine göttliche Macht, und sie weisen auf den Anbruch der Gottesherrschaft in ihm hin. Die Leugnung der Wunder Jesu ist angesichts ihrer sicheren Bezeugung ein Akt der Willkür. Die palästinensischen Massen, die Jesus zuströmten, erheben Protest gegen jede ungläubige Verflüchtigung der Machttaten Jesu. Lassen wir uns, meine lieben Freunde, nicht irre machen. Der Herr, dem wir geglaubt haben, ist der Wunderheiland, der den Leprakranken durch einen Entschluss seines Willens, der im Worte laut wurde, von seinem tödlichen Leiden befreit hat. Der Versuch, den Wunderbericht natürlich zu erklären, also durch Psychotherapie, scheitert am Charakter des Aussatzes. Wann ist jemals ein Aussatz durch Hypnose geheilt worden? Er ist der seelischen Einwirkung entzogen. Er ist auch nicht durch eine außergewöhnliche Persönlichkeit, wie sie Jesus war, zu erklären. Es bleibt uns nichts übrig, als zu bekennen: Jesus ist der Heiland der Welt. Er hat alles wohl gemacht. Er gibt den Stummen die Sprache und den Tauben das Gehör, und er reinigt den Aussatz.
Amen.