6. Juli 2014
Das Opfer der Kirche
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir sind hier zusammengekommen, um das heilige Messopfer zu feiern. Um es richtig zu feiern, ist es notwendig zu wissen, was hier geschieht. Das Messopfer ist das im Hier und Jetzt des kirchlichen Lebens erscheinende Kreuzesopfer. Es ist das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt. Es ist das von Gott der Kirche geschenkte und der Kirche von Gott dargebotene Kreuzesopfer. Das Wesen des Messopfers als des Opfers der Kirche ist ausgesagt in den drei Gebeten, welche wir jeden Tag in der heiligen Messe nach der heiligen Wandlung verrichten. Sie sehen, ich habe hier das Messbuch vor mir ausgebreitet, und zwar an der Stelle, wo die drei Gebete nach der Wandlung beginnen. Und wenn Sie wollen und wenn Sie gütig sind, würde ich Sie bitten, auch Ihre Gebetbücher aufzuschlagen, und zwar an der Stelle, wo die Gebete nach der heiligen Wandlung beginnen. Es sind drei. Sie beginnen mit den lateinischen Worten: „Unde“, „Supra“, „Supplices“ oder mit den deutschen Worten: „Daher“, „Schaue“, „Demütig“. Nach der heiligen Wandlung, die ja der heiligste Augenblick der Messe ist, wird das vollzogene Geheimnis interpretiert und weitergeführt. Die Wandlung schließt mit den Worten: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ „Daher“, heißt es dann, weil Christus das gesagt und geboten hat, „daher sind wir denn eingedenk“. Weil er das Gedächtnis angeordnet hat, deswegen halten wir es. Es geschieht ein Gedächtnis. Die Gottesdienstgemeinde tritt in dankbarer Erinnerung vor Gott hin.
Worauf richtet sich die Erinnerung? Sie richtet sich auf Tod, Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn. Wir gedenken des heilbringenden Leidens, der Auferstehung von der Toten und der glorreichen Himmelfahrt des Herrn. Warum nicht auch seiner Menschwerdung, wie es die Altkatholiken machen? Warum nicht auch seiner Predigttätigkeit und seiner Wunderheilungen? Warum nicht auch seiner glorreichen Wiederkunft? Einfach deswegen, weil all diese Heilstaten mit der Messe unmittelbar nichts zu tun haben. Die Messe hat es unmittelbar nur zu tun mit Tod, Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn. Vergegenwärtigt werden in der heiligen Messe Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn. Der Tod wird als seliges Leiden beschrieben, weil er die Wurzel unseres Heiles ist, und die Himmelfahrt als glorreich, weil sie die Vollendung der Auferstehung ist. Tod und Auferstehung gehören untrennbar zusammen. Wir sind erlöst durch Tod und Auferstehung – auch durch die Auferstehung! „Ist Christus nicht auferstanden, dann ist eitel euer Glaube und ihr seid noch in euren Sünden“, schreibt Paulus an die Korinther. Und die Himmelfahrt gehört zur Auferstehung, weil Auferstehung und Himmelfahrt zusammengefasst werden in dem Begriff „Erhöhung“. Die Eucharistie ist das Gedächtnis eines Opfertodes, der wesentlich durchdrang in die Herrlichkeit, also Weg zu Auferstehung und Himmelfahrt ist.
Dieses Gedenken, meine lieben Freunde, ist Ihnen und mir gemeinsam. „Wir, deine Diener“, werden zuerst genannt, das ist der Priester mit seinen Dienern. Das ist altkirchlicher Brauch, dass der Klerus (die Geistlichkeit) sich als Diener Gottes bezeichnet. An zweiter Stelle aber „wir, dein heiliges Volk“. Dieser Ausdruck stammt aus dem ersten Brief des Petrus. Dort heißt es: „Ihr seid ein auserlesenes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk.“ Die hier Versammelten sind tatsächlich durch Firmung und Taufe zu einem allgemeinen Priestertum berufen und geweiht. Die anwesende Gemeinde spricht und handelt, in ihrer Gliederung deutlich erkennbar, aus den Dienern Gottes und dem heiligen Volk aufgebaut. Der Vollzug der Eucharistie wird getragen von der opfernden Gemeinde mit dem Priester als dem Haupt an der Spitze. Diese Gemeinschaft ist es, die in der eucharistischen Feier vor den himmlischen Vater tritt. Und jetzt bitte ich Sie, auf die sprachliche Formulierung zu achten. Es heißt: „Wir sind eingedenk“ – das ist ein Adjektiv, aber dann kommt das Tätigkeitswort: Indem wir eingedenk sind, opfern wir, bringen wir die Opfergabe dar; also das Gedächtnis vollzieht sich nicht bloß psychologisch durch ein Gedenken im Geiste, sondern durch ein Handeln, durch das Darbringen des Opfers. Das Gedenken geschieht durch ein Handeln. Das Gedächtnis vollzieht sich in der Form der Darbringung, des Opferns. Indem wir das Gedächtnis begehen, opfern wir Leib und Blut des Herrn.
„Wir opfern“, so heißt es weiter „deiner erhabenen Majestät“, d.h. der Empfänger des Opfers ist Gott in seiner Herrlichkeit und Hoheit. Majestät ist ein Ausdruck für die Würde und für die Erhabenheit Gottes. Und ihm wird dieses Opfer jetzt dargebracht. Das Gedenken geschieht durch die Darbringung. Wir stehen hier in diesem ersten Gebet nach der Wandlung vor dem zentralen Opferakt der ganzen Messliturgie, vor dem primären liturgischen Ausdruck der Tatsache, dass die Messe ein Opfer ist. Dieses Gebet müssen Sie vor allem hochhalten und ganz mit Innerlichkeit mitvollziehen, dann bringen Sie das Opfer Christi wahrhaft seiner erhabenen Majestät dar. Wenn Gott die erhabene Majestät ist, dann ist es auch entsprechend, dass die Gaben, die wir ihm zu bieten unterfangen, nur seine eigenen Geschenke sein können – „von deinen Gaben und Geschenken“. Was wir hier haben, das hat er uns gegeben. Wir können Gott nur das zurückschenken, was er uns überlassen hat.
Und dann werden in fünfgliedriger Unterscheidung die Gaben selbst genannt, die jetzt in unseren Händen sind, und diese Bezeichnung wird zu einem Hymnus auf das heiligste Altarsakrament. Wir bringen dar ein „reines Opfer“. Das lateinische Wort heißt „hostia“, und hostia bedeutet im Lateinischen Schlachtopfer. Da sehen Sie die Verbindung des Opfers der Kirche mit dem Opfer von Golgotha. Er ist ja jetzt gegenwärtig, der Geopferte, jetzt haben wir ihn, und jetzt können wir ihn dem himmlischen Vater darbringen. Hostia, Schlachtopfer, Lamm Gottes, das bringen wir dem Vater dar. Dank seiner Gegenwart kann er von der Kirche Gott dargebracht werden. Es ist der geopferte, sich selbst opfernde Heiland und Herr, den wir dem Vater darbringen. Dieses Opfer wird in dreifacher Weise als ein „reines, ein heiliges, ein makelloses Opfer“ bezeichnet. Dieses Opfer ist konkurrenzlos. Die Gaben haben eine doppelte Gestalt: „das Brot des ewigen Lebens und der Kelch des immerwährenden Heiles“, wie es hier heißt. Es sind Gaben, deren Wirkung, wenn sie genossen werden, in das ewige Leben hinüberreicht. Damit werden die Gestalten weit über ihre ursprüngliche Bestimmung erhoben. Vom Brot unserer Felder und vom Wein unserer Berge kann niemand sagen, dass sie ewiges Leben und immerwährendes Heil verschaffen. Diese Aussage ist nur möglich von den verwandelten Gestalten. Damit wird auch der unaufhebbare Unterschied zwischen dem Opfer am Kreuze und dem Opfer des Altares ausgesagt. Am Kreuze opferte unser Herr in realer Gestalt sein Leben, seinen Leib, sein Blut. Dieser Vorgang war einmalig und ist unwiederholbar. Wenn wir an ihm Anteil gewinnen wollen, musste er in veränderter Gestalt uns vollziehbar sein. Leib und Blut Christi können nicht in ihrer eigenen Daseinsweise noch einmal geopfert werden. Das hieße ja das Kreuzesopfer wiederholen. Nein, Christus stirbt nicht mehr. Aber Leib und Blut Christi können in einer fremden Gestalt, in einer veränderten Gestalt, in der Hülle von Brot und Wein dargestellt und geopfert werden. Das ist der Sinn, wenn wir sagen, das Kreuzesopfer wird in sakramentaler Gestalt gegenwärtig.
Das erste Gebet nach der Wandlung schließt mit der Kennzeichnung der geopferten Gaben. Dann beginnt das zweite Gebet „Supra“ – „Schaue huldvoll“. Es ist ein kühnes Unterfangen, dass der Mensch – und sei es auch die christliche Gemeinde – es wagt, Gott Gaben darzubringen, und seien es auch die heiligsten. Es ist nur Gottes Huld, Gottes gnädige Huld, von der wir die Annahme der Gaben aus unseren Händen erwarten. Deswegen: „Schaue huldvoll darauf nieder mit gnädigem und mildem Angesichte“. Was wir können, ist Darbieten, Gottes Sache ist es, seinen Blick huldvoll darauf ruhen zu lassen und die Gaben anzunehmen. Vielleicht wundern Sie sich, meine lieben Freunde, dass, nachdem die Gaben verwandelt sind, überhaupt noch eine Annahmebitte ausgesprochen wird. Es handelt sich doch um das heiligste Opfer, und zudem um das Opfer, das Christus selbst durch den Dienst der Priester darbringt. Tatsächlich, insofern die Messe das Opfer Christi ist, kann seine Annahme nicht erfleht werden, denn dieses Opfer ist immer schon angenommen. Es ist von vornherein gültig. Anders steht es, wenn man bedenkt, dass das Opfer des Neuen Bundes jetzt ein kultisches Opfer ist, also in den Händen der Kirche ist, die sich an das Opfer Christi anschließt. Insofern die Messfeier Opfer der Kirche ist, muss die opfernde Gemeinde besorgt sein, dass Gott es annimmt. Gott wird es annehmen, wenn wenigstens ein Mindestgrad von innerem Hingabewillen in den Beteiligten ist. Das ist also die Sorge der Kirche bei ihrem Bitten um Annahme des Opfers, dass Gott es als Ausdruck opferwilliger Gesinnung der Teilnehmer gelten lassen möge. Da der gebrechliche und Sünden verhaftete Mensch des heiligen Gottes niemals genügend würdig ist, bleibt nur die demütige Bitte um Gottes Gnadenblick.
Sie wird aber verbunden mit dem vertrauensvollen Hinweis auf die Gestalten des Alten Bundes, deren Opfer Gottes Wohlgefallen fanden. Es handelt sich um drei Vorbilder der alttestamentlichen Gemeinde, die uns hier vorgestellt werden: Abel, Abraham, Melchisedech. Die Gemeinde fühlt sich ermutigt und beglückt, dass sie sich an diese biblischen Gottesfreunde anschließen kann. Abel, der von den Erstlingen seiner Herde geopfert hat; auch wir bringen ein Lamm dar, den Erstgeborenen der ganzen Schöpfung. Abraham, der Stammvater aller, die aus dem Glauben sind, unser Patriarch, der Held des Gehorsams. Er war bereit, Gott seinen Sohn zu opfern, erhielt ihn aber lebend zurück. Auch unser Opfer ist der vollkommenste Ausdruck des Gehorsams bis zum Tode. Endlich Melchisedech, der als Priester des höchsten Gottes Brot und Wein darbringt. Brot und Wein sind ja auch die Ausgangsstoffe unseres Opfers. Da ist es selbstverständlich, dass wir an Abel, Abraham und Melchisedech denken.
Das dritte Gebet beginnt mit dem Worte „Supplices“ oder „Demütig bitten wir dich“. Eine Gabe hat erst dann völlige Annahme gefunden, wenn sie auch in das Besitztum des Empfangenden übergegangen ist. Diese abschließende Phase der Geschenküberreichung durch Menschen wird nun in dem Gebet „Supplices“ übertragen auf unsere Opfergabe und auf Gott, dem wir sie darbieten. Wir flehen Gott an, dass er die Gaben hinaufnehme, emportragen lasse auf seinen himmlischen Opfertisch. Es wird um Entsendung eines heiligen Engels gebeten. Der Engel soll die Gaben auf den himmlischen Altar übertragen. Der Altar ist ja vor dem Angesicht der göttlichen Majestät errichtet – es ist gewiss eine bildliche Sprache, aber wir wissen, was damit gemeint ist. Es ist damit gemeint die Hingabebewegung, die vor Gott durch den heiligen Engel gebracht wird. In der Apokalypse, dem letzten Buch der Heiligen Schrift, werden die Gebete der Gläubigen durch den Engel auf den himmlischen Altar niedergelegt. Und so möge dasselbe durch den heiligen Engel jetzt mit unserem Opfer geschehen. Ohne Zweifel ist damit die Beteiligung der Engel am Messopfer ausgesagt. Das war ja schon im „Sanctus“ der Fall, wo es heißt, dass „Himmel und Erde das Dreimal Heilig singen“. Es entspricht dem ganzen Zusammenhang der christlichen Heilsordnung, dass die Engel die ja der Erlösung der Menschheit nicht gleichgültig gegenüberstehen, auch am Opfer der Erlösung teilnehmen. In der zweiten Hälfte des „Supplices“ wird darum gebetet, dass sich die Aufnahme unseres Opfers auf den himmlischen Altar im fruchtbaren Empfang der heiligen Gabe durch die versammelte Gemeinde auswirkt. Gott will uns, nachdem wir ihm etwas geschenkt haben, etwas zurückschenken. Er schenkt sich uns selbst. Er schenkt sich uns in der eucharistischen Speise. Von dieser Speise und von diesem Trank gilt, meine lieben Freunde: Obgleich Gott allmächtig ist, konnte er nichts Besseres geben. Obgleich er der Weiseste ist, wusste er nichts Besseres zu geben. Obwohl er der Reichste ist, hatte er nichts Besseres zu geben. Wenn die Gaben unseres Opfers auf den himmlischen Altar hinaufgenommen, d.h. von Gott angenommen sind, dann gibt uns die Teilnahme die Möglichkeit, Leib und Blut des Herrn entgegenzunehmen und so ihre innere Kraft zu empfangen. Es wird jetzt offen von Leib und Blut des Herrn gesprochen. Was wir erbitten, ist, dass der Empfang uns zum Heile sein möge, sodass wir mit allem Himmelssegen, wie es heißt, und aller Gnade erfüllt werden. Die letzten Worte des dritten Gebetes sind nicht unbeachtlich. Das alles erflehen wir „durch Christus, unseren Herrn“. Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt: Das Wörtchen, die Präposition „durch“ ist von großer theologischer Bedeutung. Damit wird nämlich das Mittlertum Christi angesprochen. Wir empfangen unser Heil durch ihn, d.h. kraft seiner Macht und seiner Güte.
So wissen wir, welches der Inhalt des heiligen Messopfers ist und in welcher Gesinnung wir daran teilnehmen sollen. Es ist das Opfer Christi, das er der Kirche übergeben hat, damit sie es dem himmlischen Vater als ihr Opfer darbringe. Uns ist es aufgegeben, in die Gesinnung Christi einzugehen und in Vereinigung mit ihm uns dem himmlischen Vater aufzuopfern.