Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. Januar 2012

Jesus ist im Boot

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Jesus hatte in ungewöhnlicher Weise seine Predigt von einem Boot aus gehalten. Er saß in dem Schifflein, und die Volksmenge war am Ufer, saß  im Halbkreis um Ihn herum und hörte Seine Worte. Er war müde, und Er wollte für diesen Tag von der Volksmenge loskommen, und so gab Er den Befehl, auf das andere, auf das östliche Ufer des Sees Genezareth zu fahren. Das Boot, in dem Jesus sich befand, war nicht das einzige. Andere fuhren mit. Die Fahrt dauert mehrere Stunden. Sie sollte für Ihn auch eine Zeit der Ruhe sein. Die Jünger bereiten Ihm am Hinterdeck ein Lager; sie breiten Kissen  aus, damit Er sich erholen kann von den  Strapazen des Tages. Es muß bereits abends gewesen sein, denn wir werden  gleich hören, dass der Sturm, der sich erhob, in die Nacht fiel. Zunächst keine Wolke, keines Vogels Ruf, keines Wipfels Wanken. Ruhe über dem See. Der See Genezareth liegt in einem Kessel. Er ist von drei Seiten von steilen Wänden eingeschlossen, und deswegen sind Stürme auf ihm so gefährlich. Sie können auch wettererprobten Fischern Angst und Schrecken einjagen. Auf einmal erhebt sich ein Windstoß von Norden her, ein Wölkchen, ein Sturm, ein  Orkan und dazu ein Seebeben. Der Wind gerät in Aufruhr und das Wasser. Die Masten biegen sich, das Wasser schwappt über. Die Kähne zittern. Draußen erreicht der Spiegel fast den Rand des Bootes. Es beginnt sich bereits mit Wasser zu füllen.

Jesus aber, von Müdigkeit übermannt, schläft. Er schläft trotz des Sturmes. Das ist ein Zeichen dafür, ein wie gesunder Mann Er gewesen sein muss. Wer bei solcher Unruhe schlafen kann, der muß körperlich und seelisch völlig gesund gewesen sein. Kein Spinner,  kein Neurotiker, kein Psychopath. Die Jünger aber sind voller Angst: „Meister, kümmert es Dich nicht, dass wir untergehen?“, so heißt es bei Markus. Natürlich eine ziemlich sinnlose Anrede, denn ein Schlafender, wie soll er sich kümmern? Matthäus präzisiert die Rufe der Jünger, wie wir eben gehört haben: „Herr, rette uns, wir gehen unter!“ Der Herr lässt sich bitten, Er steht auf, Er begibt sich an den Bug des Schiffes, steht wie ein Monument. Und dann ruft Er in die tobenden Elemente: „Schweige! Verstumme!“ Zwei Worte: „Schweige!“ für den Wind. „Verstumme!“ für den See. Jesus fährt den Wind und das Wasser an, ähnlich wie Er die Dämonen bei der Heilung der Besessenen angefahren hat.

Da gab es einmal einen Mann mit einem Dämon, der schrie: „Laß uns! Wir haben mit Dir nichts zu schaffen, Jesus von Nazareth. Du bist gekommen, uns zu verderben. Ich weiß, wer Du bist: der Heilige Gottes.“ Da bedrohte ihn Jesus mit den Worten: „Verstumme und fahre von  ihm aus!“ Und der unreine Geist schüttelte ihn und fuhr dann von ihm aus. Mit Geschrei. So schilt Er jetzt den Sturm und das Wasser. Wie man  Hunde schilt, die sich  zu weit vorgewagt haben. Und wie die Hunde sich dann winselnd vor dem Herrn niederlegen, so geschieht es auch jetzt. Der Sturm hört augenblicklich auf. Nicht nach  einer Weile. Er hört augenblicklich auf. Und die Wellen,  die normalerweise noch lange in  Bewegung  bleiben, beruhigen sich, sie glätten sich sofort. Es tritt eine völlige Stille ein. Derselbe, der vor Ermüdung eingeschlafen war, erweist sich jetzt als den Herrn über die Elemente. Mit Seinem Machtwort gebietet Er ihnen Einhalt. Er spricht, und sie gehorchen! Jetzt erfolgt die Anrede an  die  Jünger: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben, ihr Kleingläubigen?“ Ach, diese Leute soll Er in die Welt senden. Nach Syrien, nach Rom, nach Galatien. Wie sollen sie die Welt erobern? Wie sie jetzt zittern wegen eines Sturmes und wissen nicht, dass sie den Kyrios, dass sie den Herrn im Boote fahren!

Als Napoleon auf der Insel Elba verbannt war, da hat er eines Tages den Entschluss gefasst, auf das Festland zurückzukehren und noch einmal die Macht an sich zu reißen. Er fuhr also über das genuesische Meer. Die Ruderknechte fürchteten sich. Da sagte er ihnen: „Wisset, dass ihr Napoleon in eurem Boote habt!“ Dieses Wort hat er sich von Jesus geborgt. „Wisset, dass ihr den Herrn im Boote führt.“ Die Jünger haben sich feige benommen. Sie haben ihren Mangel an Glauben bewiesen. Es ist als wollte der Herr sagen: „Ihr seid schon so lange bei mir und habt aus diesem Zusammensein und aus den Beweisen meiner Macht noch nicht begriffen, wer Ich wirklich bin. Sonst hättet ihr wissen müssen, dass Ich es bin, der retten kann, auch dann, wenn alles in den Abgrund zu stürzen scheint.“

Der Eindruck des Wunders, das Jesu Macht über die Elemente offenbart, ist ehrfurchtsvolle Scheu vor Ihm. Sie fürchteten sich und staunten. Was ist denn das für Einer, dass Ihm sogar der Sturm und das Meer gehorchen? Es dämmert ihnen die Erkenntnis, dass der Herr über die Natur in ihrer Mitte weilt. Sie beginnen zu begreifen, dass Er, der sie berufen hat, der sie ausgesandt hat, der sie mit Macht ausgestattet hat, dass Er der Herr über die Natur ist. Die Jünger, meine lieben Freunde, haben ihre Vorstellung von Jesus nicht aus der Fantasie geschöpft. Wer Jesus ist, das hat nicht die Gemeinde erfunden. Wer Jesus ist, das haben die Jünger erfahren. Sie haben es erfahren auch und gerade in dem Sturm vom See Genezareth. Der Apostel Petrus kann dann später in seinem zweiten Brief schreiben: „Wir haben euch nicht als Anhänger ausgeklügelter Fabeln die Macht und die Ankunft unseres Herrn Jesus kundgetan, sondern weil wir Augenzeugen Seiner Größe waren.“

Die Jünger sind zum Glauben an die Gottheit des Nazareners durch Worte aus Seinem Munde und durch Taten Seiner Macht gekommen. Seine Worte waren anders als alle Worte, die sie sonst gehört hatten. Als Jesus in der Synagoge von Karphanaum lehrte, da staunten die Anwesenden  über Seine Lehre, denn Er lehrte sie, wie einer, der Macht hat und nicht wie ihre Schriftgelehrten. Der Hauptmann von Karphanaum war überzeugt, dass Jesus nur zu gebieten brauchte, damit sein Knecht geheilt wird. „Sprich nur ein Wort! Dann wird mein Knecht gesund.“ Er sprach dieses Wort und der Knecht  ward gesund. Jesus trieb die bösen Geister durch ein Wort aus. Er benötigte dazu keine schamanenhafte Anstrengungen. Er befiehlt, und die Geister gehorchen Ihm. Als Er den  Besessenen geheilt hatte, da sprachen die Menschen: „Was ist das für ein Wort. In Macht und Kraft gebietet Er den bösen Geistern und sie gehorchen Ihm!“ Die Menschen konnten dies vor Staunen nicht fassen. Bei Jesus treffen Worte und Taten zusammen. Deutlich wird das bei dem Gichtbrüchigen, der ja durch das Dach herabgelassen wurde vor Jesus hin. Jesus sagt ihm:  „Kind, Deine Sünden sind Dir vergeben.“ Ach, das war’s ja nun gar nicht, was er begehrte, er wollte ja gesund werden. „Kind, Deine Sünden sind Dir vergeben.“ Da sagten die Schriftgelehrten: Wer kann Sünden vergeben als Gott? Jesus brauchte von ihnen nichts zu hören. Er schaute in ihre Seelen, und Er wusste, was sie dachten. Dann  wendet Er sich an die Schriftgelehrten und sagte: „Was ist leichter? Zu sagen: deine Sünden sind dir vergeben oder nimm dein Bett und geh nach Hause?“ 

Nun, wenn es nur auf das Reden ankommt, ist es natürlich leichter  zu sagen „die Sünden sind dir vergeben“, weil man das nicht feststellen kann. Aber wenn es so ist, dass dem Worte Taten folgen sollen, dann ist es ein sehr risikoreiches Unternehmen, zu sagen: „nimm dein Bett und geh nach Hause.“ Jesus zeigt, dass Er beides zu Recht sagen kann. Er sagt dem  Gichtbrüchigen: „Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause.“ Er stand auf, nahm sein Bett und ging nach Hause. „So etwas haben wir noch nie gesehen“,  sagten die Teilnehmer. „So etwas haben wir noch nie gesehen“. Gerade das ist es, meine lieben Freunde: das Auftreten Jesu ist einzigartig. Es ist so einzigartig, wie die Menschwerdung des Sohnes Gottes.

Gegenüber dieser Einzigartigkeit versagen  alle religionsgeschichtlichen Parallelen, die von den ungläubigen Theologen angeführt werden. Ich habe ihre Bücher gelesen. An Ihrer Stelle. Wenn der evangelische Theologe Martin Dibelius sagt, die Geschichte vom Seesturm sei eine Novelle, also vermutlich eine erfundene Geschichte, dann liegt er vollständig daneben. Die Geschichtlichkeit der Erzählung bestreiten, weil das Berichtete heute und morgen sich nicht wiederholt, das ist töricht. Denn heute und morgen kommt auch nicht der Sohn Gottes auf die Welt. Die Begebenheit vom See Genezareth ist kein Erzeugnis der Gemeindetheologie, sondern ein Erlebnis der Augenzeugen. Nicht Einbildung, nicht Fantasie, nicht ein babylonischer Mythos hat die Jünger zum Glauben an Jesu Gottheit geführt, sondern die Erfahrung, das Erleben. Sie glauben, weil sie den Anspruch Jesu, der Sohn Gottes zu sein, gehört haben und weil Er ihn durch Seine Taten bewiesen hat. Es ist auch nicht so, wie die ungläubigen Theologen behaupten, dass  mit wachsendem zeitlichem Abstand vom Leben Jesu Seine Bedeutung immer mehr vergrößert wurde. Der Evangelist Markus sei noch relativ harmlos, aber die Entwicklung sei dann weitergegangen vor allem zum Evangelisten Johannes. Meine lieben Freunde: Der ganze Jesus, der Jesus der Dogmen von Nicäa und Chalzedon, hat in Palästina gelebt und wird von den Evangelisten bezeugt.

Nicht die Fantasie über Jesus ist gewachsen, sondern die Erkenntnis Jesu ist immer tiefer geworden. Nicht eine legendäre Steigerung ist erfolgt, sondern eine immer tiefere Erkenntnis Seines Wesens. Die Begriffe haben sich  geändert, aber der Sinn der Aussage ist geblieben. Es besteht  kein  Gegensatz zwischen dem Bild von Jesus, welches das Markusevangelium uns bietet, und jenem Bild, das im Johannesevangelium enthalten ist. Der Jesus von Markus ist kein anderer als der Jesus, des Johannes, der Jesus als ewigen Sohn des himmlischen Vaters darstellt. Die Gottheit Jesu ist nicht nur im Johannesevangelium ausgesagt, sondern auch im Markusevangelium. Wenn die Jünger im Seesturm Jesus als den Herrn der Natur erfahren, dann ist Er ja gottgleich, denn es gibt nur einen Herrn über die Natur: Gott selbst.

Der Bericht über die Stillung  des Seesturms durch ein Wort Jesu ist von bleibender Bedeutung. Wen geht das an?

„Apostel, wenn ihr vor den Marmorpalästen Roms zittert, dann erinnert euch: Jesus ist im Boote!“ „Priesterkandidaten, wenn ihr verzagt vor dem offenen und geheimen Abfall, wenn ihr besorgt fragt, werden wir noch gebraucht werden? – dann erinnert euch: Jesus ist im Boot!“ „Diasporapfarrer, wenn die grauen Straßen, die du abschreiten mußt, nur  von Gottlosigkeit zu strotzen scheinen, dann denke daran: Jesus ist im Boot!“ „Schauspielerin, die du in der Atmosphäre der Sinnlichkeit dich betätscheln lassen musst, denke daran: Jesus ist im Boot!“

Ein Fünfzehnjähriger steht in einem Maschinensaal von zweihundert Mann. Sie gebrauchen den Sonntag zum Schlafen, zum Vergnügen, zum Sport in dieser dämonischen Welt, in diesem Tal des Jammers; Religion ist Unsinn, Christus ist eine Mythe, die Mutter des Fünfzehnjährigen eine Frau von gestern. „Freund, Fünfzehnjähriger! Wisse: Jesus ist im Boot!“ „Katholische Christen von Budenheim, von Hechtsheim, von  Wiesbaden, wenn ihr den lauten und den stummen Abfall erlebt in euren Familien, in eurer Nachbarschaft, in der jungen Generation, denkt daran: Jesus bleibt im Boot!“

Amen.

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