3. Mai 2009
Die von Gott kommende gerechte Staatsgewalt
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Kaiser und Könige der Vorzeit bezeichneten sich als Herrscher „von Gottes Gnaden“. Sie führten also ihre Herrschaft auf Gott zurück. Sie sahen den Ursprung ihrer Macht in Gott, der eben will, dass es Führende und Geführte gibt, und sie wußten sich auch verpflichtet – wenn sie es auch nicht immer taten –, ihre Macht nach Gottes Willen zu gebrauchen. Beides lag in dem Satz begründet: Sie sind Herrscher von Gottes Gnaden. Ihre Herrschaft stammt von Gott, sie ist ihnen anvertraut und sie haben sie zu führen nach Gottes Willen.
Die Monarchien sind vergangen, die Monarchen sind abgetreten. Wir haben heute in den meisten Ländern der Erde Republiken, und die Regierenden dieser Republiken regieren nicht von Gottes Gnaden, sondern, so sagen sie: sie regieren „von Volkes Gnaden“. Im Namen des Volkes regieren sie. Sie führen also ihre Herrschaft auf das Volk zurück und wollen nichts davon wissen, dass sie von Gott stammt und dass sie im Namen Gottes auszuüben ist. Im Namen des Volkes. Das heißt: vom Volk beauftragt, in Vertretung des Volkes, aber auch nach Bestimmung des Volkes. Wer im Namen des Volkes regiert, der führt seine Herrschaft, seine Macht auf das Volk zurück.
Wer ist denn das Volk? Nun, das sind die Menschen, die in einem bestimmten Gebiet leben und durch Sprache und Kultur, Herkunft, familiäre Bande miteinander verbunden sind. Wir äußert sich der Wille des Volkes? In Wahlen und Abstimmungen. Durch Wahlen wird bestimmt, wer das Volk regieren soll. Die Wahlen werden kanalisiert durch Parteien. Beachten Sie bitte, dass das Wort Parteien von dem lateinischen Wort „pars“ – Teil abgeleitet ist. Parteien sind immer nur Teile, und es ist zu fürchten, dass sie immer nur Teile im Auge haben, nämlich jenen Teil des Volkes, der ihre Anhängerschaft ausmacht, und dass sie darüber den anderen Teil und die anderen Teile des Volkes, die sie nicht wählen, vernachlässigen oder vergessen.
Der Wille des Volkes geht niemals geschlossen in dieselbe Richtung. Es ist unmöglich, dass 100 Prozent dasselbe wollen. Deswegen begnügt man sich damit, dass man den Willen der Mehrheit feststellt. Maßgeblich soll sein, was die Mehrheit bestimmt; die Minderheit muss sich fügen. Alle Regierungen regieren nur mit der angeblichen oder der wirklichen Mehrheit des Volkes, manchmal mit einer sehr schwachen Mehrheit von wenigen Stimmen. Wenn man die Zahl der Nichtwähler ins Auge faßt, steht hinter den Regierungen häufig nicht einmal eine Mehrheit. Die Nichtwähler und diejenigen, die die Regierung nicht gewählt haben, zusammen machen einen größeren Teil des Volkes aus als diejenigen, auf deren Willen sich die Regierung beruft. Das sollte die Regierenden demütigen und vorsichtig machen, denn ihre Basis im Volk ist schwach.
Was ist Sinn und Zweck der Regierung? Drei Dinge sind es, die der Regierung aufgetragen sind. Erstens: Sie sollen dem Wohle des Volkes dienen. Das Wohl des Volkes sind die Bedürfnisse und die Notwendigkeiten der Menschen. Das Wohl des Volkes fordert, dass jeder sein Auskommen hat, dass jeder sich nähren, kleiden und wohnen kann, dass er die Möglichkeit hat, zu lernen und sich zu bilden, dass er Arbeit findet und eine Familie gründen kann, dass er einzeln oder in Gemeinschaft Gott verehren kann. Das Wohl des Volkes kann niemals anders angezielt und erstrebt werden als nach dem Willen Gottes. Was dem Willen Gottes widerspricht, kann dem Volke nicht dienlich sein. Der Staat, die Regierung steht unter dem Willen Gottes wie jeder einzelne Mensch. Es gibt keinen gottfreien und schon gar nicht einen gottlosen Raum.
Zweitens hat die Regierung für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen. Das Recht soll dem Volke die Sicherheit des Lebens, den Schutz seiner Güter gewähren. Das Recht soll eine Friedensordnung sein, also den Frieden unter den einzelnen und unter den Gemeinschaften erhalten. Das Recht soll auch dem Bürger die notwendige Freiheit des Denkens und des Handelns einräumen und sichern. Das Recht steht unter dem Diktat der Gerechtigkeit. Das heißt: Es soll eine berechtigte Gleichheit schaffen und die berechtigten Unterschiede beachten. Das Postulat der Gerechtigkeit läßt sich zusammenfassen in dem Satze: Jedem das Seine. Jedem das, was ihm zukommt und was ihm zusteht. Die Gesetze des Staates müssen sich am Willen Gottes ausrichten und dürfen ihm nicht widersprechen. Der Satz: „Recht ist, was dem Volke nützt“ wird falsch, wenn man nicht hinzufügt: Dem Volke nützen kann nur, was der Ordnung Gottes entspricht. Heute gilt der Satz: Recht ist, was die Mehrheit will. Meine Freunde, ist das ein guter, ist das ein richtiger Satz? Es ist eine häufige Erfahrung, dass der größere Teil den besseren Teil überstimmt. Viele von Ihnen sind in Gremien, und wir hatten auch an der Universität Gremien, in denen fortwährend abgestimmt wurde. Und wohin geht die Richtung der Abstimmung? Gewöhnlich zum Bequemen, zum Leichten, zum Angenehmen. Soeben haben wir in Berlin erlebt, wie in einer Demokratie mit Minderheiten umgegangen wird. Christliche Eltern versuchten, durch ein Volksbegehren durchzusetzen, dass der Religionsunterricht an den Berliner Schulen ordentliches Lehrfach wird. Das Volksbegehren ist gescheitert. Der rot-rote Senat mit dem bekennenden Homosexuellen Wowereit an der Spitze hat sich gegen das Begehren gestellt, es fand nicht die notwendige Mehrheit der Abstimmenden. Wowereit hat sich gefreut über dieses Ergebnis. Das sei ja nur eine Randgruppe, hat er gesagt, die den Religionsunterricht will, eine Randgruppe, die man offenbar vernachlässigen kann. Ich dachte immer, Demokratie wäre dazu da, die Minderheiten zu schützen. Das, was in Berlin geschehen ist, ist die Diktatur der Mehrheit.
Die Regierung soll drittens für Ordnung und Frieden sorgen. Ordnung ist der geregelte, der zweckmäßig geregelte Zusammenhang von Elementen, eine stabile Beziehung innerhalb der Gesellschaft. Ordnung ist auch immer Einordnung und Unterordnung und Überordnung, Zusammenfügung und Gemeinsamkeit zur Erreichung der notwendigen Ziele. Frieden ist der Zustand der Ruhe, des Ausgleichs, des Verständnisses, des Wohlwollens. Der Friede sichert den Menschen die Möglichkeit der freien Betätigung.
Die staatliche Gewalt ist von Gott gegeben. Wie haben wir uns zu ihr zu stellen? Das sagt die Epistel des heutigen Tages. Das lehrt uns der Erstapostel, Petrus: „Seid jeder menschlichen Obrigkeit untertan um Gottes Willen (also aus religiösen Motiven), sei es dem König als dem obersten Herrn, sei es den Statthaltern, weil sie von ihm abgeordnet sind, die Übeltäter zu bestrafen und die Guten zu belohnen.“ Die Unterordnung unter die staatliche Gewalt ist ein Gebot Gottes. Die Christen haben dieses Gebot allezeit ernstgenommen. Sie waren immer die besten, die zuverlässigsten Staatsbürger. Im Jahre 150 n. Chr., also in der Zeit des römischen Reiches, als heidnische Herrscher das damalige Weltreich regierten, verfaßte der Christ Justinus eine Verteidigungsschrift für die Christen, die sich ja in der Verfolgung befanden. In dieser Verteidigungsschrift schrieb er: „Ihr habt in der ganzen Welt keine besseren Helfer und Verbündeten zur Aufrechterhaltung der Ordnung als uns. Wir lehren zum Beispiel, dass ein Betrüger, Wucherer, Meuchelmörder Gott ebensowenig verborgen bleibt wie ein Tugendhafter, und dass jeder ewige Strafe oder ewiges Heil zu gewärtigen hat nach dem Verdienst seiner Taten. Wenn die Menschen insgesamt sich dieser Überzeugung anschlössen, würde niemand mehr für die kurze Lebenszeit sich dem Laster hingeben, sondern würde sich Mühe geben, Gottes Lohn zu erhalten und von seinen Strafen verschont zu bleiben.“ Wie schön hat hier Justin der Martyrer die christliche Haltung zum Staat, zur Regierung zusammengefaßt! Der Christ weiß sich der rechtmäßigen Ordnung untergeben. Er bejaht die staatliche Ordnung; er ist kein Anarchist. Aber es gibt auch Staaten, staatliche Systeme, Regierungen, die der Christ mehr erduldet als dass er sie schätzt. Es gibt staatliche Ordnungen, die im klaren Widerspruch zum Gesetze Gottes stehen, die sich an der Ordnung und am Wohl des Volkes versündigen. Es gibt Fälle, in denen der Christ Widerspruch einlegen muss gegen Gesetze des Staates. Wenn diese Gesetze etwas bestimmen, etwas befehlen oder auch nur gestatten, was dem göttlichen Gesetz widerspricht, so mahnen uns Pflicht und Würde des christlichen Namens, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. Ja, die staatliche Macht, die das Volk in Unglück, Verderben und Untergang führt, verwirkt das Recht, das Volk zu regieren. Es gibt nach katholisch-kirchlicher Auffassung, nach katholisch-kirchlicher Lehre ein Recht zum Widerstand, ja zur Absetzung der Regierung, die Unheil über das Volk bringt. Die Männer des 20. Juli 1944 waren fast ausnahmslos gläubige Christen. Sie haben das Widerstandsrecht, das Christus dem Volke gegeben hatte, in Anspruch genommen, und zu Recht in Anspruch genommen.
Die Wahl der Staatsform ist dem Volk überlassen. Es kann eine Monarchie, es kann eine Republik sein, es kann eine Aristokratie oder eine Demokratie sein, es gibt autoritär oder auch diktatorisch regierte Staaten. Nebenbei gesagt: Diktatur ist nicht notwendig Tyrannei. Das sind Möglichkeiten, Möglichkeiten, die grundsätzlich zulässig sind. Heute tut man so, als könne es keine andere Staatsform geben als die parlamentarische Demokratie. Aber die parlamentarische Demokratie ist kein Dogma. Sie ist eine von möglichen Staatsformen. Es ist zu fragen, ob es nicht Völker gibt, denen mit einer anderen Regierungsform mehr gedient ist. Diejenigen, die sich als Missionare der parlamentarischen Demokratie verstehen, sollten offen sein für die Eigenart und für die Bedürfnisse der jeweiligen Völker. Die Propagandisten der parlamentarischen Demokratie tun so, als brauche man nur Parteien zuzulassen und Stimmzettel auszuteilen, und dann würde das Volk gut regiert werden. Das ist offensichtlich Unsinn. Wie häufig – wie häufig! – werden schon im Vorfeld von Wahlen die Weichen so gestellt, dass bestimmte Parteien oder Gruppen der Bevölkerung keine Aussicht haben, gewählt zu werden! In Deutschland besteht die 5-Prozent-Klausel. Sie verhindert, dass die „Christliche Mitte“, diese braven Männer und Frauen, die das Christentum als Gesetz des Handelns vorgeschrieben wissen wollen, dass die „Christliche Mitte“ nicht in das Parlament kommt. Wie oft ist von Wahlfälschungen die Rede! Die Auszählung der Stimmen muss wiederholt werden, weil Unterschleife passiert sind. Wie zahlreich sind Gewalttätigkeiten, ja Morde in den Wahlkämpfen! Die Anhänger der verschiedenen Parteien gegen wütend und mit Gewalt gegeneinander los. Wenn gewählt worden ist, geben sich die Unterlegenen oft nicht mit ihrer Niederlage zufrieden. Sie erklären, das Wahlergebnis sei durch Manipulation zustande gekommen. Ein klassisches Beispiel dafür, wie sich parlamentarische Demokratie auswirkt, ist Südafrika. Südafrika ist seit 15 Jahren eine parlamentarische Demokratie. Aber was schreibt uns ein erstklassiger Kenner von Südafrika? „Südafrika ist eine extrem gewalttätige Gesellschaft. Schon morgens beim Zeitungslesen spritzt einem das Blut ins Gesicht. Und wenn einem die Morde zuviel werden, kann man sich noch immer mit Geschichten über die Machthaber vergnügen, die stehlen, betrügen, den Staatsapparat manipulieren, Richter bestechen. Damit kann man sogar Präsident werden. Jetzt hat sich herausgestellt, dass sich Expräsident Mbeki bereichert hat um sehr viel mehr Millionen, als der der Korruption beschuldigte Präsidentschaftskandidat Jakob Zuma. In den 15 Jahren der südafrikanischen Demokratie“, schreibt dieser Beobachter, „wurde vor allem die Angst demokratisiert. In der Eisenbahn, auf öffentlichen Straßen, in den Zentren großer Städte, heute hat jeder Angst, arm oder reich, ungeachtet der Hautfarbe.“
Wenn vom Staate die Rede ist, muss auch von den Staatsdienern gesprochen werden. Sie schlagen die Gesetze vor, sie stimmen über die Gesetze ab, sie führen die Gesetze aus. Von ihrer Gesinnung hängt es weitgehend ab, wie ein Volk regiert wird; denn die Regierten schauen auf die Regierenden. Die Regierenden, die Inhaber der staatlichen Gewalt, sollen Gott als Vorbild und Richtschnur bei der Leitung des Staates vor Augen haben. Sowohl ihr amtliches als auch ihr privates Leben soll am Willen Gottes ausgerichtet sein. Vor allem erwartet man von Staatsdienern Selbstlosigkeit. Sie sollen nicht in die eigenen Taschen arbeiten, sondern sie sollen dem Volke dienen. Sie sollen nicht ihrem Machtbedürfnis frönen, sondern sie sollen Tugenden entwickeln, die dem Machtgebrauch zum Segen werden. Ich frage: Kann ein Verschwender die Finanzen des Staates verwalten? Kann ein Atheist Herr über den Kultusetat sein? Ich bekenne mich zu dem Ausspruch Maximilian Robespierres: „Ich glaube nicht, dass ein schlechter Mensch ein guter Politiker sein kann.“ Wie viele Politiker bereichern sich an den hohen Gehältern, die sie sich selbst bewilligt haben! Wie viele nehmen Vorteile entgegen! Wie viele unserer Politiker leben in geschlechtlicher Unordnung! Viele, allzu viele sind nur Politiker und keine Staatsmänner. Was ist der Unterschied zwischen einem Politiker und einem Staatsmann? Der Politiker denkt an die nächste Wahl, der Staatsmann denkt an die nächste Generation. Vorgesetzte müssen wissen, dass sie, sofern sie Böses tun, sich so oft schuldig machen, als sie ihren Untergebenen ein schlechtes Beispiel geben. Durch das Böse, das sie tun, laden sie auch noch die Schuld für andere Seelen auf sich, die durch ihr böses Beispiel ins Verderben gestürzt werden.
Meine lieben Freunde, die Epistel des heutigen Tages war Anlaß, uns eine Einsicht in den Staat, die Staatsformen, die Staatsgewalt zu verschaffen. Wir gläubigen Christen treiben keine Staatsvergottung, keine Staatsvergötzung, aber auch keine Staatsverneinung. Wir geben der Regierung, was der Regierung ist, aber behalten Gott vor, was Gottes ist. Für uns gilt das Wort des heiligen Thomas Morus: „Wir dienen freudig dem allgemeinen Wohle um des Namens Gottes willen.“
Amen.