Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. Februar 2008

Das große Glück des Bußsakramentes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Als ich vor 57 Jahren den priesterlichen Dienst antrat, setzte mit dem Beginn der Fastenzeit eine besondere Aktivität ein, denn die Fastenzeit war auch gleichzeitig die österliche Zeit. Ein Kirchengebot, das auf das Konzil vom Lateran aus dem Jahre 1215 zurückgeht, bestimmte: „Du sollst wenigstens einmal im Jahre deine Sünden beichten, und du sollst wenigstens einmal im Jahre die heilige Kommunion empfangen!“ Dieses Gebot wurde damals sehr ernst genommen. Von den Priestern ausgehend, hat man in den Familien sich bemüht, alle ohne Ausnahme zum Beichtstuhl zu bringen, die Frau ihren Mann, die Kinder ihren Vater, die Verwandten ihre Angehörigen. Denn die österliche Zeit ist die Zeit des Heiles, das sind die Tage des Heiles. An jedem Tage in der Fastenzeit, an dem wir in den Beichtstuhl gingen, hatten wir ein Päckchen mit Bildern neben uns liegen, und ein jeder, der seine Osterbeicht ablegte, empfing ein Bild. Auf diese Weise konnten wir zahlenmäßig genau feststellen, wie viele Glieder einer Gemeinde die Osterbeicht abgelegt hatten. Es war auch damals nicht leicht, alle Menschen, alle Christen, alle katholischen Christen zum Bußsakrament zu führen. Es bedurfte der Anstrengung. Aber wir konnten erstaunliche Erfolge erzielen. Es gab Gemeinden, in denen 60-70 Prozent der Gläubigen die Osterbeicht empfingen.

Heute ist das Bild ein anderes. Sie wissen, meine lieben Freunde, dass das Bußsakrament ein verlorenes Sakrament geworden ist. Aber verloren nur bei denen, die sich um Gottes und der Kirche Gebote nicht kümmern. Nicht so bei uns, die wir uns bemühen, diesen Geboten nachzuleben.

Es gibt Widerstände gegen das Bußsakrament. Der Mensch will selbständig sein. Der Kaufmann sieht sein höchstes Ziel darin, ein eigenes Geschäft aufzumachen; der Handwerker will seinen eigenen Betrieb haben, und niemand soll ihm etwas zu sagen haben; er will ein kleiner König in seinem Bereich sein. Und da kommt die Kirche und sagt: Du sollst niederknien und deine Sünden nach Art, Zahl und Umständen bekennen. Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, und das heißt, für uns gibt es immer nur Vorgesetzte auf Abruf. Jeden kann man wählen und abwählen, jeden kann man kritisieren, jeden kann man beurteilen und verurteilen, und das wird in reichem Maße getan. Aber sich selbst wollen viele nicht beurteilen oder gar verurteilen. Und so ergeben sich die Schwierigkeiten gegenüber dem Beichtgebot.

Es ist aber zu überlegen, dass das Bußsakrament auch eine andere Seite hat. Es liegen gewaltige soziale Ideen in diesem Sakrament. Was ist es denn, was draußen in der Welt den Gegensatz zwischen arm und reich so schmerzlich und schroff macht? Nun, es ist das bohrende Gefühl in dem Armen: Ich werde immer mit gebeugtem Rücken einhergehen, und ein anderer wird mir die Last auferlegen. Ich werde immer zu Fuß gehen, und ein anderer wird im Auto an mir vorbeirauschen. Das werde ich nicht ändern können, und so wird es bleiben. Warum haben es die anderen immer besser und ich es so schlecht? Man mag über diese Stimmung denken, wie man will, sie ist vorhanden, und sie ist nicht von heute, sie ist Jahrtausende alt. Nun sehen Sie, meine lieben Freunde, wie die Kirche in geradezu grandioser Weise diesen Zwiespalt überwindet. Sie tritt hin vor den einfachen Mann und sagt: Du sollst bekennen, du sollst beichten! Vor wem? Vor dem Priester, vor demselben, den du in goldgewirkten Gewande am Altare stehen siehst. Aber dann tritt sie mit demselben Verlangen vor den Beichtvater hin und sagt: Du musst beichten! Auch du musst bekennen. Vor wem? Vor dem Priester, vor deinem Mitbruder. Ob diese Forderung leichter ist? Und sie verlangt vom Priester nicht eine einmalige Beicht, sie verlangt vom Priester die häufige Beicht, „frequenter“, so steht es im Gesetzbuch der Kirche, „häufig“ müssen die Priester beichten, das heißt also wenigstens alle 4 Wochen. Und je höher wir aufsteigen in der Rangordnung der Kirche, um so ernster wird ihr Gebot. Auch vor den Bischof und vor den Papst tritt die Kirche hin und legt ihnen die Beichtpflicht auf die Seele. Vor wem? Wenn du keinen Gleichgestellten hast, dann eben vor dem, der unter dir steht. Auch der Papst mit seinen Vollmachten muss niederknien und sprechen: Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir.

Das ist die großartige Idee des Ausgleichs aller Rangunterschiede im Bußsakrament. Die Kirche kennt keine Lieblingskinder und keine Stiefkinder der Beichte. Je höher das Amt, um so tiefer muss die Seele sich beugen. Vor der Schranke des Bußgerichtes gibt es kein Ansehen der Person und keine doppelte Wahrheit. Wenn also, meine lieben Freunde, Ihnen das Beichten schwer fallen sollte, dann denken Sie daran: Derjenige, vor dem Sie die Beichte ablegen, der kniet genauso wie Sie vor einem anderen Priester nieder und sagt: Vater, ich habe gesündigt. Wir könnten also, meine ich, Vertrauen in dieses Sakrament haben. Welche Gemeinschaft auf Erden wagt es, ihren Führern solche Lasten aufzuerlegen wie die katholische Kirche? Keine. Das hat uns noch keine Gesellschaft nachgemacht und kann auch keine nachmachen. Das hat der Heilige Geist erfunden. Darum ist es für Sie die geringste Demütigung, wenn Sie vor dem Priester knien und Ihre Sünden bekennen.

Wir können diesen Gedanken noch vertiefen, idem wir einen zweiten Satz prägen, nämlich: Die Kirche legt ihren Vertretern nicht nur die gleiche Last auf, sie legt ihnen bedeutend mehr auf die Schultern. Und das mit Recht. Wer die Würde hat, der soll auch die Bürde tragen. Erinnern wir uns an die biblische Erzählung vom Patriarchen Jakob. Er rang einst mit Gott und flehte ihn an, erzwang sich seinen Segen: „Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich!“ Und Gott segnete ihn, aber zuvor berührte er seine Hüfte, und er war sein ganzes Leben lang lahm. Ein dauerndes Opfer sollte ihn an Gottes Segen erinnern. Seitdem ist es ein Gesetz im Gottesreich geblieben: Wer den Segen hat, der muss auch den Preis dafür bezahlen. Wer den Vorzug hat, der muss das Opfer bringen. Gewiß, es ist ein großes Amt, das dem katholischen Priester im Bußsakrament anvertraut ist, aber Gott fordert dafür seinen Preis.

Als wir am Weihealtar standen zur Priesterweihe, da war eine Zeremonie besonders ergreifend, nämlich wir mussten unsere Hände darreichen, und dann umwand sie der Bischof mit einem weißen Tuch, und dabei sprach er: „Denke, dass ihr von nun an gebunden seid in Gott!“ Denke, dass ihr von nun an gebunden seid in Gott. Was da in dem jungen Priester vorgeht! Priesterkleid, Priesterberuf, Priesteraufgaben, tägliches Breviergebet, regelmäßige Beicht, alles Bindungen in Gott. Ihr habt den Vorzug, aber ihr sollt auch doppelt und dreifach verpflichtet sein. Und noch eines muss ich erwähnen, nämlich den Zölibat, die Verpflichtung, allein durch das Leben zu gehen. Er ist nur zu begreifen in Verbindung mit dem Bußsakrament und mit dem Altarsakrament. Es war kein Freund der Kirche, der einmal das Wort geprägt hat: „Es ist die tiefste Nützlichkeit des katholischen Priesters, ein heiliges Ohr, ein verschwiegener Bronnen, ein Grab für Geheimnisse zu sein.“ Ich wiederhole noch einmal diesen schönen Satz von Friedrich Nietzsche: „Es ist die tiefste Nützlichkeit des katholischen Priesters, ein heiliges Ohr, ein verschwiegener Bronnen, ein Grab für Geheimnisse zu sein.“ Und wegen dieser Nützlichkeit legt die Kirche dem Priester den Zölibat auf. Das Vertrauen, das er von den Menschen erwartet, das soll er keinem anderen Menschen gewähren. Er soll allein durch die Welt gehen, einsam und allein, nimmer gebunden an einen Menschen. Der als Vertreter der Kirche im Bußsakrament das Vertrauen aller anderen verlangt, der darf selbst keinem Menschen sein innerstes und völliges Vertrauen schenken. Das ist sein Preis.

Wir wissen, meine Freunde, aus der russischen Kirche, auch aus der griechischen Kirche, dass dort die Menschen, wenn sie beichten wollen, zu den Ordenspriestern gehen, die nicht verheiratet sind. Sie gehen nicht zu ihren Weltpriestern, die verheiratet sind, sie gehen zu den Ordenspriestern, die nicht verheiratet sind. Es ist sicher: Die Beichtpraxis lässt sich auf die Dauer ohne den Zölibat nicht oder höchstens in verkümmerter Form halten. Und deswegen geht es beim Zölibat um deine Sache, mein Christ, nicht nur um die Sache des Priesters, damit du mit allem Vertrauen sagen kannst, was dich drückt, damit du es begraben kannst im Herzen des Priesters, in einer Seele, die ewig verschwiegen ist. Deswegen die Notwendigkeit des Zölibats. Es ist rührend, diese Fürsorge der Kirche zu betrachten. Keine Forderung ist ihr zu groß, um ihren Kindern zu helfen. In jeder anderen Gemeinschaft würde diese Forderung abgewiesen werden; die Kirche wagt es, seit Jahrtausenden Tausenden und Abertausenden diese Forderung aufzuerlegen. Und warum? Um auch das letzte ihrer Kinder zu schützen und ihm den Weg freizumachen zum Sakrament der Buße. Die Beichte schwer, die Beichte demütigend? Von wem verlangt die Kirche mehr in der Beicht, vom Beichtkind oder vom Priester?

Und noch einen dritten Gedanken möchte ich vortragen, nämlich, meine lieben Freunde, was ist der Sinn der Beichte? Nicht Demütigung, sondern Befreiung, nicht Knechtung, sondern Lösung. Die Beicht ist keine Tyrannei der Gewissen, sie ist die Befreiung des Gewissens von der Tyrannei der Schuld. Beicht macht leicht. Hier wirft man die Last der Schuld ab. Irgendwo war einmal eine Versammlung angesetzt von Leuten der verschiedensten Richtungen. Man wollte ein sogenannte Antiselbstmordbüro einrichten, also eine Beratungsstelle für Lebensmüde. Nach verschiedenem Hin und Her kam man allgemein zu der Ansicht, dass eine Notwendigkeit bestehe für ein solches Antiselbstmordbüro. Aber da trat ein katholischer Priester vor, der auch eingeladen war, und sagte: „Wir Katholiken machen da nicht mit. Wir brauchen nicht mitzumachen. Wir haben ein von Gott gesetztes Mittel, um die inneren Spannungen zu lösen: die heilige Beicht. Und deswegen haben wir auch in unserem katholischen Volk erfahrungsgemäß die wenigsten Selbstmörder.“ Da war man still und wusste nichts mehr zu sagen.

Das Bußsakrament, meine Freunde, ist ein Ventil für Lebensunlust und Lebensüberdruß, für den furchtbaren Druck der Schuld. Solange es Menschen gibt, die am Leben verzagen, und solange sich Menschen gegen Menschen stellen, und solange Menschen zu kämpfen und zu ringen haben um Frieden und Reinheit, solange brauchen wir die heilige Beicht, solange sollten wir dem Herrgott auf den Knien danken, dass wir das Bußsakrament haben. Der tiefste Sinn der Beicht ist Befreiung und Lösung.

Das ist auch der tiefste Grund des Priesterglücks im Beichtstuhl. Manche quälen sich mit dem Gedanken: Was wird der Beichtvater denken? Was wird er von mir denken? Ach, meine lieben Freunde, er ist glücklich. Er ist glücklich, wenn die Menschen kommen und ihre Schuld bekennen. Er denkt nichts Arges, er denkt nichts Niedriges, sondern er dankt Gott für diejenigen, die ihm ihr Vertrauen schenken und ihre Sünden vor ihm ausbreiten. Es gibt ein Priesterglück im Beichtstuhl. Ein erfahrener Priester wurde einmal gefragt, welches der schönste Tag in seinem Leben gewesen sei. Der Tag der heiligen Kommunion? „Gewiß ein schöner Tag, aber nicht der schönste.“ Der Tag der Priesterweihe? „Ein schöner Tag, aber nicht der schönste.“ Der Tag der Primiz? „Ein schöner Tag, aber nicht der schönste.“ Und dann fing dieser Priester an zu erzählen. Er hatte lange, lange im Beichtstuhl gesessen und war eben dabei, ihn zu verlassen, als ihn noch ein Herr ansprach, der beichten wollte. Jahrzehntelang war er Gott und der Kirche fern geblieben, hatte schweres Ärgernis gegeben der ganzen Gemeinde. Aber jetzt kam er und schüttete seine Sünden aus vor dem Priester. Und der Priester fuhr fort: „Als die Uhr vom Turme Mitternacht schlug, da wandte ich noch einen Blick zurück zum Tabernakel und wusste: Das war der schönste Tag in meinem Leben.“

Ich weiß nicht, ob Sie, meine lieben Freunde, verstehen können, sich hineindenken können: Wir Priester sind doch eigentlich die glücklichsten Menschen auf Erden. Wer kann helfen und lösen wie wir? Gewiß, wenn Stunde um Stunde vergeht und die Nerven zum Zerreißen gespannt sind, denn die Dienst im Bußsakrament ist ein schwerer Dienst, dann fühlt man die Freude vielleicht nicht äußerlich, aber man spürt die Pflicht. Und es ist eine Pflicht, die glücklich macht. Es war in den 60er Jahren, etwa 1964 oder 1965, da saßen wir, der Pfarrer und ich, im Beichtstuhl, am Heiligen Abend, vor Weihnachten. Stunde um Stunde verging, und immer noch kamen Beichtkinder. Um 8 Uhr tat der Pfarrer etwas, was ich nicht verstanden habe: Er schloß die Kirche ab. Er wollte auch etwas vom Heiligen Abend haben, die Krippe aufstellen, unter dem Christbaum sitzen. Ich war tief betroffen. Ich war so betroffen, dass ich das nie vergessen habe. Wie kann man am Heiligen Abend das Schönste zu tun aufhören, was man tun kann, nämlich Menschen von der Sünde zu befreien?

Als wir das erste Mal in den Beichtstuhl gingen, da geschah es mit dem Schauer heiliger Verantwortung. Als wir Hand zur ersten Absolution erhoben, da hätten wir hinausjubeln können: Ich kann lossprechen, ich kann lösen. Das vergisst man nie und nimmermehr. Und Sie, meine lieben Freunde, sollten die Worte dieser heutigen Predigt, beherzigen und sich sagen: Es gibt ein Sakrament, das ein Sakrament des Ausgleichs ist, vor dem alle gleich sind und wo sich keiner erhaben dünken darf. Das ist das Bußsakrament. Zu diesem Sakrament wollen wir eilen, es befreit meine Seele, es löst mich von der Fessel der Schuld, es macht mich glücklich, und ich kann meinem Herrgott wieder offen in die Augen schauen.

Amen.

 

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