20. Mai 2002
Heiliger Geist in Sturm und Feuer
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Warum kam der Heilige Geist im Sturmgebraus, in Feuersglut und in Flammenzungen? Warum kam er nicht in einem Wolkenbruch, in einer Sonnenfinsternis, in einem Erdbeben? Wenn der Heilige Geist diese Weise seiner Ankunft festgelegt hat, dann geschah es deswegen, weil die Weise seines Kommens uns etwas lehren will. Er kam im Sturmgebraus, er kam in Feuersglut, er kam in Flammenzungen, weil diese Zeichen auf etwas hinweisen, nämlich auf das Wesen und auf das Wirken des Geistes.
Er kam im Sturmgebraus. Der Sturm ist eine notwendige, eine wohltätige, aber auch eine gewaltige Kraft. Der Sturm ist notwendig. Es müssen Stürme über das Land fegen, um das Morsche aus den Bäumen herauszubrechen. Stürme sind für den Wald und für das Feld, für die Bestäubung notwendig. Stürme sind auch wohltätig. Indem sie das Verbrauchte, das Morsche, das Unbrauchbare zerstören, machen sie Platz, schaffen sie Raum für das Neue. Ohne Stürme würde das Alte, Morsche das Neue ersticken und am Wachstum hindern. Stürme sind gewaltig. Wir erfahren ihre Macht, wenn sie Häuser abdecken oder wenn sie Menschen durcheinanderwirbeln. Aber es muß der Sturm eine solche Kraft haben, sonst könnte er seine Funktion nicht erfüllen. Und so müssen wir uns, wenn wir diese Geschehnisse und Bilder übersetzen wollen auf das Wirken des Geistes, darüber klar werden, daß der Geist notwendig ist, um die Menschen zu erwecken, um die Menschen von ihrem morschen, verfaulten Wesen zu befreien, daß der Heilige Geist notwendig ist, um die Menschen mit Kraft und mit Mut zu erfüllen, daß der Geist notwendig ist, um sie aus ihrer Trägheit emporzureißen.
Der Geist ist notwendig, weil der Mensch zum Bequemen geneigt ist. Das ist vielleicht die größte Gefahr, die die Christenheit hat, sich ein bequemes Nischendasein zu verschaffen. Irgendwo in einer Ecke einen stillen Kult pflegen, wo einen niemand stört, wo man nicht belästigt wird, das ist den meisten das Richtige und Wichtige. Aber das entspricht nicht dem Wirken des Geistes. Der Geist ist ein Sturm, nicht ein Säuselwind. Der Geist ist eine Macht und nicht eine sanfte Flüsterpartie. Der Geist kam im Sturmgebraus, weil diejenigen, die ihn aufnehmen, geweckt werden sollen, weil sie durch sein Wirken bereitet werden sollen, um Bahn zu brechen dem Evangelium. Ich bin kein Anhänger des Wilhelm Niemöller, des protestantischen Pastors, aber wenn er recht hat, hat er recht. Er hat einmal das schöne Wort gesagt: „Evangelium ist Angriff.“ Jawohl, genau das ist es. Evangelium ist nicht Defensive, sondern Offensive; Evangelium ist Angriff. Genau das will das Sturmgebraus sagen, in dem der Geist kam.
Er kam in Feuersglut. Das hat etwas zu bedeuten. Schon Johannes hatte ihn so angekündigt: „Nach mir kommt einer, der nicht mit Wasser tauft, sondern mit Feuer und mit Heiligem Geiste.“ Und Jesus selbst hat von dem Feuer gesprochen, das er entzünden will: „Ich bin gekommen, ein Feuer zu entzünden, und wie wünschte ich, daß es schon emporgeflammt wäre!“
Feuer ist eine Macht, deren Wirken wir aus der Erfahrung kennen. Das Feuer leuchtet. Ohne Feuer würden wir im Finstern tappen und im Finstern wandeln. Wir brauchen das Feuer, wir brauchen seine Leuchtkraft. Der Herr mahnt zu dieser Leuchtkraft, wenn er sagt: „Laßt euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater preisen, der im Himmel ist.“ Also die guten Werke soll man nicht um der Menschen willen tun, aber sie auch nicht verstecken. Die Menschen sollen sie sehen. Sie sollen sehen, daß Christen etwas leisten, daß Christen wohltätig sind, daß Christen sich der Bedürftigen und Elenden annehmen. Laßt euer Licht leuchten!
Das Feuer wärmt. Wir alle wissen um die wohltätige Kraft des Feuers. Wenn es kalt wird, dann entzünden wir uns ein Feuer, um uns zu wärmen. Am Feuer hat sich Petrus gewärmt im Vorhof des Hohenpriesters. Das Feuer wärmt, und das soll wohl in der Übersetzung sagen, wir sollen in unserer Liebe wie ein Feuer sein. Die Liebe wird ja oft mit einem Feuer verglichen und das mit Recht, weil sie eben den anderen ergreift, weil sie sich seiner annimmt, weil sie den Menschen umfängt und umfaßt. Also das Feuer der Liebe will der Geist in uns entzünden.
Das Feuer verzehrt auch; es verbrennt. Wir lesen, daß in unserer Nähe eine Müllverbrennungsanlage errichtet werden soll. Da sehen wir die wohltätige Macht des Feuers, die uns eben hilft, mit den Müllbergen fertig zu werden. Aber auch in uns soll das Feuer etwas verzehren, nämlich unseren Eigennutz, unsere Ichsucht, unseren Egoismus. Vom Heiland wurde gesagt, als er die Tempelreinigung vornahm: „Sie erinnerten sich an sein Wort: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.“ Ja, wenn doch alle Künder des Evangeliums dieser verzehrenden Eifer hätten! Wenn sie doch aus ihrer Lethargie herauswüchsen und aufstünden wie ein verzehrendes Feuer!
Das Feuer schmilzt auch das Harte, und das würde in der Übersetzung bedeuten, daß wir alle eigennützige Härte, alle Rücksichtslosigkeit in uns überwinden sollen, daß wir ein Herz haben sollen für die Menschen, daß uns an den Menschen etwas liegen muß.
Das Feuer läutert. Es brennt aus einer bestimmten Masse das heraus, was nicht hineingehört. Die Spreu wird verbrannt, das Unkraut wird verbrannt, und nur der Weizen, das Gute, das brauchbare Gut, das wird durch das Feuer bewahrt. Und so muß auch von uns gelten: Das Feuer muß in uns noch viel verbrennen. Wir haben noch viel, was verbrannt werden muß, in uns.
Gewandelt, gestärkt und geläutert gingen die Apostel aus dem Feuer des Heiligen Geistes hervor. Gewandelt, gestärkt und geläutert sollen wir aus den Pfingsttagen hervorgehen, gewandelt zu einem neuen Leben, gestärkt zu einer neuen Wirksamkeit und geläutert von unseren Erbärmlichkeiten und Schwachheiten.
Der Geist kam schließlich in Flammenzungen. Die Flammenzungen ließen sich über den im Abendmahlssaal Befindlichen nieder. Ein jeder hatte über sich eine Flammenzunge. Das besagt wohl in der Übersetzung: Da die Zunge das Organ des Sprechens ist, wurden sie dadurch aufgefordert und befähigt zu reden, aber nicht zu reden über dieses und jenes, sondern zu reden über die Großtaten Gottes. Es wird in der Kirche viel geredet, vielleicht viel zu viel. Aber es wird zu wenig geredet über die Großtaten Gottes. Ich halte es nicht für angebracht, wenn ein Diözesanbischof sich fortwährend in politische Dinge einmengt. Die Politik den Politikern, aber die Religion den Religionsvertretern! Über die Großtaten Gottes sollten wir sprechen, nicht über die Zuwanderung oder über die Friedenstruppe für Israel. Wir wollten die Großtaten Gottes auch mit einer Zunge verkünden, nicht mit zwei Zungen. Es ist beschämend, wenn von einem Bischof gesagt wird, er spreche mit zwei Zungen. Nein, man muß mit einer Zunge sprechen, immer in derselben Weise und immer im selben Sinne, nicht hier so und da anders.
Alle müssen einmütig dasselbe verkünden. Die Gegensätzlichkeit der Verkündigung an diesem Ort und an jenem zerstört die Glaubwürdigkeit der Verkündigung. Die Verkündiger müssen von dem, was sie verkünden, überzeugt sein. Sie müssen Argumente haben. Sie müssen die anderen, die nicht glauben, in ihrem Unglauben erschüttern. Sie müssen ihnen die Irrigkeit ihres Weges aufzeigen. Man hat nur die Hälfte seiner Aufgabe erfüllt, wenn man das Richtige sagt und das Unrichtige nicht bekämpft! Das sind zwei Aufgaben, und sie ergänzen sich. Wer nur meint, er könne vorsichtig auftreten und leisetreten und in seinem Bereiche eine behagliche Atmosphäre des Religiösen schaffen, der hat sich gewaltig getäuscht. Wir müssen hinaustreten und draußen verkünden. Wir müssen den anderen ihre falsche Sicherheit nehmen. Wir müssen sie von dem Irrtum ihres Atheismus überzeugen. Das ist die Aufgabe derer, auf die sich der Heilige Geist niedergelassen hat.
Im vorigen Jahrhundert lehrte in Würzburg der große Theologe Herman Schell. Herman Schell hat einmal das schöne Wort gesagt: „Es gibt Erkenntnisse, die nur im Sturme reifen. Es gibt Kräfte, die nur in Flammengluten wirken. Es gibt eine Liebe, für die nur die Gesamtheit aller Sprachen der genügende Ausdruck ist.“ Wahrhaftig, so ist es. Es gibt Erkenntnisse, die nur im Sturme reifen. Es gibt Kräfte, die nur in Flammengluten wirken. Es gibt eine Liebe, für die nur die Gesamtheit aller Sprachen der genügende Ausdruck ist. Wenn wir das begriffen haben, dann werden wir mit neuer Sehnsucht, mit innigem Verlangen das Gebet sprechen:
„Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen die Kraft und das Feuer deiner Liebe!“
Amen.