19. August 2001
Die Einsetzungsberichte
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
In Kapharnaum hat Christus die Einsetzung der Eucharistie angekündigt. Er gab seinen Zuhörern zu verstehen, daß er ihnen sein Fleisch zur Speise und sein Blut zum Tranke geben werde. Diese Ankündigung wird im Johannesevangelium berichtet. Von der Einsetzung der Eucharistie sagt Johannes nichts. Warum nicht? Weil er wußte, daß in den anderen Evangelien, die ja vor ihm geschrieben waren, bereits davon berichtet war. Wir haben also heute die Aufgabe, aus den drei übrigen Evangelien, den sogenannten Synoptikern, und dem Apostel Paulus die Berichte über die Einsetzung der Eucharistie in ihrem Sinn zu erhellen.
Alle Berichte stimmen darin überein, daß Jesus dem Sinne nach gesagt hat: „Das ist mein Fleisch, das für euch hingegeben wird, und das ist mein Blut, das für euch vergossen wird.“ Fleisch und Blut sind nach hebräischer Anschauungsweise, die ja hier zugrundeliegt, nichts anderes als die lebendige Person. Das Fleisch ist der Mensch, die Gestalt des Menschen in seiner geschöpflichen – auch vergänglichen – Verfaßtheit. Das Blut ist die Lebenskraft im Menschen, wiederum als Teil für das Ganze, nämlich für die lebendige, konkrete Person. Wenn wir also die Worte Jesu deuten wollen, dann müssen wir sagen: Er hat sich in Fleisch und Blut selbst gegeben. Er hat nicht tote Gegenstände vermacht, sondern er hat unter den Gestalten von Brot und Wein sich selbst den Jüngern dargeboten. Sein Leib ist ein Opferleib, sein Blut ist Opferblut. In den Gestalten von Brot und Wein setzt er sein Opfer, das er in wenigen Stunden vollenden wird, gegenwärtig. Er hat damit nichts anderes getan, als was er in seinem ganzen Leben getan hat, nämlich sich als den Inhalt der Lehre, sich als den Mittelpunkt des Glaubens, sich als den Kern des Kultes selbst darzustellen.
Viele, viele Aussprüche und Handlungen des Herrn bezeugen, daß er sich als den Inhalt der Lehre und den Mittelpunkt des Kultes verstanden hat. Er weiß sich über höchste Werte des Alten Bundes erhaben, über den Tempel, über Salomon, über Jonas, ja über die Engel. Er wendet Worte, die auf Jahwe, den alttestamentlichen Gott, zutreffen, auf sich an. Niemand hat eine Erkenntnis von ihm außer dem Vater, und er ist der vollmächtige Botschafter des Vaters, er allein. Das Heil ist an ihn gebunden. Niemand kommt zum Vater als der, der durch ihn den Weg nimmt. Das alles bezeugt, daß Jesus in seiner Abschiedsstunde nur das vollendet hat, was er in seinem ganzen öffentlichen Leben begonnen hatte, nämlich sich selbst als das Heil der Menschen zu verkünden.
Wenn er das, was er in den Händen hält, als seinen Leib und als sein Blut bezeichnet, dann meint er damit die Sache. Er bezieht sich nicht nur auf das Geschehen, daß eben hier in einer symbolischen Handlung sein Tod ausgedrückt wird, daß hier sein Tod, sein Todesgeschick in einer sinnbildlichen Handlung wiedergegeben wird. Nein, er deutet ausdrücklich auf die Dinge, die er in seinen Händen hält, und sagt, das sei sein Leib, und das sei sein Blut. Er sagt nicht: Das bedeutet mein Fleisch und mein Blut, sondern er sagt: Das ist mein Fleisch und mein Blut. Wenn Zwingli die Eucharistie eingesetzt hätte, dann hätte er das anders gemacht, dann hätte er nämlich gesagt: Das bedeutet mein Fleisch und mein Blut. Aber nicht Zwingli hat die Eucharistie eingesetzt, sondern Jesus Christus, der Gottessohn, der vom Vater ausgegangen ist. Und er sagt: „Das ist mein Fleisch und mein Blut.“ Das Wort „ist“ ist bedeutsam. Wenn Jesus nämlich hätte sagen wollen: Das bedeutet mein Fleisch und mein Blut, das ist also ein Sinnbild dafür, daß ich jetzt bald den Todesweg gehen werde, dann hätte ihm eine Fülle anderer aramäischer Worte zur Verfügung gestanden. Aber er sagt: „Das ist“, und das wird im Griechischen wiedergegeben mit dem Worte „esthin“ – das ist mein Fleisch, und das ist mein Blut.
Das wörtliche Verständnis ist das einzig richtige dieser Einsetzung des eucharistischen Opfersakramentes. Der Herr sprach zu Männern aus dem Volke. Seine Apostel waren einfache Leute, Handarbeiter; sie würden eine sinnbildliche Bedeutung überhaupt nicht erfaßt haben. Und daß sie es wörtlich verstanden haben, das haben sie ja bewiesen, als bei der Ankündigung der Eucharistie eine Reihe seiner Jünger ihn verließen. Gerade weil er das wörtliche Verständnis nicht zurücknahm, sondern weil er es bekräftigte, sind sie mit ihm nicht mehr gewandelt. Dieses wörtliche Verständnis, das bei der Verheißung der Eucharistie angezielt ist, dasselbe wörtliche Verständnis gilt auch von der Einsetzung.
Denken wir daran, meine lieben Freunde: Es war die Abschiedsstunde. Der Tod offenbart, was im Menschen ist. Im Tod scherzt man nicht; im Tod spricht man nicht sibyllinisch; in der Todesstunde und vor dem Tode und in der Vorbereitung auf den Tod, da kommt die Wahrheit an den Tag. Und so ist es auch in der Abschiedsstunde des Herrn gewesen. Jetzt hat er nicht mehr andeutend gesprochen, sondern jetzt spricht er wörtlich, so wie seine Jünger und wie es die kommenden Generationen verstehen sollten. Er hätte sonst Anlaß zu einem Mißverständnis gegeben, er hätte seine ganze Christenheit zweitausend Jahre in den Irrtum geführt, wenn er nur gemeint hätte, das bedeute seinen Leib, und das sei nicht sein Leib.
Auch aus einer anderen Überlegung ergibt sich, daß der Herr seine Worte wörtlich verstanden wissen wollte. Der Alte Bund war im Blute gegründet worden. Es wäre ein Mißverhältnis zwischen dem Alten Bund und dem Neuen, wenn der Neue Bund nur in einem Sinnbild, nur in einem Gleichnis des Blutes begründet würde. Nein, er überbietet den Alten Bund, und deswegen wird er auch im Blute, aber nicht im Blute von Böcken und Stieren, sondern im Blute des unbefleckten Lammes Jesus Christus begründet.
Gewiß haben die neutestamentlichen Schriftsteller nicht die griechische Philosophie gekannt, und deswegen auch nicht die Ausdrücke, mit denen die Kirche, vom Heiligen Geist geleitet, den Inhalt des eucharistischen Opfersakramentes wiedergibt. Die neutestamentlichen Schriftsteller kannten nicht den Ausdruck Substanz, Wesenskern. Aber sie kannten die Sache, die damit gemeint ist, und sie haben die Dinge gekannt, nämlich Brot und Wein, Fleisch und Blut. Und sie haben nichts anderes getan, als in ihrem einfachen Verständnis die Wirklichkeiten, die Jesus in seinen Händen hielt, als Fleisch und Blut des Herrn zu bezeichnen, weil es der Herr so gemeint und gesagt hatte.
Was Jesus sagt, sind ontologische Aussagen im Bereich des Mysteriums. Es geht hier um das Sein, nicht nur um das Geschehen. Es geht um die Realpräsenz, nicht nur um die Aktualpräsenz. Hier werden nicht nur Geschehensberichte wiedergegeben, sondern hier werden Sachaussagen getroffen. Genau das ist es. Sachaussagen, Aussagen über die Sache, die Jesus den Seinen vermacht, über die Sache, die er in den Händen hält, über sein Testament, das er den Jüngern übergibt. So hat es die Kirche von Anfang an verstanden. Anders verstanden haben es immer nur die, die von der Kirche abgewichen sind, die Irrlehrer, die Häretiker, die Abgefallenen. Sie haben an den Worten gedeutelt und sie mißdeutet; sie haben sie abgeschwächt und so dem menschlichen Verständnis nähergebracht. Ja, so wäre die Eucharistie zu verstehen, wenn sie sie eingesetzt hätten. Aber sie haben sie nicht eingesetzt, sondern eingesetzt hat sie unser Herr und Heiland Jesus Christus.
Von Anfang an hat die Kirche die Eucharistie als Fleisch und Blut des Herrn und Heilandes verstanden. Der älteste Zeuge dafür ist der Apostel Paulus. Im ersten Korintherbrief spricht er drei Warnungen aus, in denen das rechte Verständnis der Eucharistie aufleuchtet. Die erste Warnung bezieht sich auf die Geschichte als Lehrmeisterin. Er spricht davon, daß die Juden auf dem Wüstenzuge eine wunderbare himmlische Speise erhielten und einen wunderbaren himmlischen Trank schlürften. Brot vom Himmel und Wasser aus dem Felsen hat Gott ihnen gegeben, aber nur deswegen, weil Christus sie begleitete. Christus war auch damals schon mit ihnen, hat ihnen diese Nahrung verschafft. Und doch hatte Gott kein Wohlgefallen an ihnen, weil sie in vermessenem Heilsoptimismus lebten, weil sie das, was sie von Gott empfingen, nicht genügend geschätzt und gewertet haben, weil sie danach wieder murrten und gegen Gott aufbegehrten. Diese Mahnung und Warnung hat natürlich nur dann einen Sinn, wenn auch die Korinther eine himmlische Speise genießen. Sie werden darauf aufmerksam gemacht, daß auch sie noch das Heil verlieren können, wenn sie nicht diese Speise und diesen Trank in gebührender Weise schätzen und in rechter Weise mit ihm umgehen. Diese himmlische Speise ist nichts anderes als der Leib und das Blut des Herrn und Heilandes Jesus Christus.
Das wird noch deutlicher bei der zweiten Warnung, die gleich danach folgt. Da warnt der Apostel nämlich davor, an den Götzenopfer-Mahlzeiten teilzunehmen. Den Götzen wurden ja Opfer dargebracht mit Fleisch, das man von den Märkten holte, und diejenigen, die dieses Fleisch aßen, traten dadurch nicht mit den Götzen, die es ja nicht gibt, aber mit den Dämonen, die hinter ihnen stehen, in Verbindung. Durch die Teilnahme an den Götzenopfer-Mahlzeiten bekamen die Teilnehmer Gemeinschaft mit den Dämonen. Und davor warnt der Apostel Paulus. Er warnt die Jünger deswegen, weil diejenigen, die am Opfermahl Christi teilnehmen, die Gemeinschaft mit ihm gewinnen. Man kann nicht beides tun, sagt er, man kann nicht an dem Opfermahl Christi teilnehmen und gleichzeitig an den Götzenopfer-Mahlzeiten. Das ist unmöglich, das schließt sich aus. Man muß sich entscheiden, und deswegen darf man nur an dem Opfermahl Christi teilnehmen, um die Gemeinschaft mit ihm zu gewinnen. „Ihr könnt nicht den Kelch des Herrn trinken und den Kelch der bösen Geister. Ihr könnt nicht am Tische des Herrn teilnehmen und am Tische der bösen Geister.“ Das ist die zweite Warnung.
Die dritte ist die allerdeutlichste, nämlich wenn er davor warnt, die Eucharistiefeier als ein gewöhnliches Mahl zu verstehen. Die Korinther bereiten sich nicht ordentlich vor auf die Teilnahme am eucharistischen Opfermahl. Es gibt Spaltungen unter ihnen; sie essen schon vorher und kommen teilweise betrunken zum Opfermahl. „Habt ihr nicht Häuser zum Essen und Trinken? Oder verachtet ihr die Kirche Gottes und beschämt die, welche nichts haben?“ Er warnt vor dem Mißverständnis, das eucharistische Opfermahl als ein Sättigungsmahl zu verstehen. Hier geht es nicht darum, sich den Bauch vollzuschlagen, sondern hier wird Christus empfangen. „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch überliefert habe. Der Herr Jesus nahm in der Nacht, da er verraten wurde, Brot, dankte, brach es und sprach: Nehmet und esset, das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Und auf gleiche Weise nahm er den Kelch, dankte abermals und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blute. Sooft ihr das tut, verkündet ihr den Tod des Herrn.“ Denn die getrennten Gestalten deuten auf die Trennung von Leib und Blut, aber auch von Leib und Seele nach dem Tode Jesu hin. Jeder, der am eucharistischen Opfer teilnimmt, verkündet daher den Tod des Herrn. Deswegen muß er sich vorbereiten. „Wer unwürdig ißt und trinkt, der ist schuldig des Leibes und Blutes des Herrn.“ Ja, wie kann man denn am Leibe und Blute des Herrn schuldig werden, wenn er gar nicht vorhanden ist, wenn nur ein Sinnbild vorhanden ist, wenn nur ein Gleichnis vorhanden ist, wie Zwingli meint?
So ist also diese dritte Warnung die deutlichste und zeigt uns, daß von Anfang an die Kirche Gottes das eucharistische Opfer und das eucharistische Opfermahl als Teilnahme am Leibe und Blute unseres Herrn und Heilandes verstanden hat. Wir werden in kommenden Predigten über die Einzelheiten des eucharistischen Geschehens zu sprechen haben. Aber es muß festgehalten werden: Im eucharistischen Opfer geht es wirklich, wahrhaftig und wesentlich um die Gegenwart des Leibes und des Blutes Christi. Die Realpräsenz sichert die Aktualpräsenz. Es könnte ein Opfer überhaupt nicht gefeiert werden, wenn der Opferpriester und der Opfergegenstand nicht vorhanden wären. Man kann nicht opfern, wenn man keinen Opfergegenstand besitzt, und dieser Opfergegenstand ist nichts anderes als das Fleisch und das Blut Jesu Christi.
Lassen wir uns also, meine lieben Freunde, nicht irremachen! Lassen wir uns den Glauben an die wirkliche Gegenwart des Herrn nicht rauben! Dulden wir keine Abschwächung, von welcher Seite sie immer kommt, sondern halten wir an dem fest, was der Herr gesagt hat. Wenn er sagt: Das ist mein Leib, das ist mein Blut, dann sind das nicht bloß Deuteworte, wie man sie in der Synopse von Lietzmann beispielsweise überschreibt, denn diese Deuteworte wollen nicht nur erklären, um was es geht, sondern sie wollen etwas bewirken. Es sind schöpferische Worte. Wenn Christus sagt: Das ist mein Leib, das ist mein Blut, dann ist das genau so schöpferisch, wie wenn Gott am Anfang der Schöpfung sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
Amen.