24. Mai 1998
Die Pflicht der Gottesverehrung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die drei göttlichen Tugenden verbinden uns unmittelbar mit Gott. Deswegen heißen sie göttliche Tugenden, weil wir durch Glaube, Hoffnung und Liebe Gott erreichen. Freilich ist es nur möglich, in diesen Tugenden zu leben, wenn man in der Gnade steht. Es sind übernatürliche Tugenden, die uns durch die Gnade vermittelt und geschenkt werden. Aber wir müssen uns in der Kraft der Gnade als Glaubende, Hoffende und Liebende bewähren.
Zu dieser Bewährung zählt auch, daß wir die sittlichen Tugenden in unserem Leben verwirklichen. An der Spitze der sittlichen Tugenden steht die Tugend der Gottesverehrung oder des Gottesdienstes. Man nennt diese Tugend auch Religion im engen Sinne. Religion ist dann jene Tugend, die uns geneigt macht, Gott als den höchsten Herrn und Schöpfer zu ehren, ihm Anerkennung und Unterwerfung zu bezeigen und ihm unser Leben zu weihen. Schlicht ausgedrückt: Religion ist Gottesverehrung und Gottesdienst.
Die Begründung für diese Tugend ist nicht schwer; denn wenn Gott unser höchster Herr ist, wenn er eine unendliche Majestät besitzt, wenn wir seine Geschöpfe sind und von ihm abhängig, schlechthin von ihm abhängig sind, dann ist es selbstverständlich geziemend, daß wir diese Wirklichkeit anerkennen und daß wir den, der unser Schöpfer und Herr ist, ehren und preisen und daß wir ihm Unterwerfung und Ehrfurcht zollen. In der Tat, meine lieben Freunde, gibt es wohl auf Erden überhaupt kein religionsloses vernünftiges Geschöpf. Irgendeinen Gott muß jeder anbeten. Es fragt sich nur, welchen. Aber völlig gottlos, völlig religionslos ist keiner. Wenn er nicht den wahren Gott anbetet, dann einen Götzen. Man muß auf die Sache achten und nicht auf das Wort. Wer immer einen Gegenstand hat, der ihm der liebste ist, wer immer ein höchstes Ziel hat und wer immer ein Wesen kennt, dem er alles andere nachordnet, der ist religiös, freilich häufig in falscher Weise. Der Apostel Paulus spricht im Philipperbrief von solchen, deren Gott der Bauch ist. Also auch diese Bauchanbeter haben einen Gott, nämlich entweder die Gaumenlust oder die Geschlechtslust. Aber einen Gott haben sie, weil sie nämlich dieser Lust so dienen, wie man nur Gott dienen darf. Die rechte Verehrung Gottes freilich ergibt sich nur aus dem richtigen Glauben. Nur wer den wahren Gott kennt, kann ihm auch die richtige Verehrung bezeigen. Da sieht man wieder an dieser Stelle, daß es nicht gleichgültig ist, was einer glaubt. Er muß das Rechte glauben, um recht verehren zu können. Er muß an den wahren Gott glauben, um ihm den Gottesdienst in Geist und Wahrheit zeugen zu können.
Die Verehrung Gottes geschieht auf zwei Ebenen, einmal unmittelbar und zum anderen mittelbar. Unmittelbar ist die Verehrung Gottes durch Handlungen, die Ehrfurcht, Anerkennung, Unterwerfung ausdrücken. Solche Handlungen sind die Selbsthingabe des eigenen Herzens, also die Bereitschaft, Gott zu dienen mit seinem Leben und mit seinem Werk, Gebet in seinen mannigfachen Formen als Dank-, Lob-, Bittgebet, Opfer, vor allem das Opfer des Neuen Bundes, das eucharistische Opfersakrament, Weihegaben, die mit dem Opfer in Zusammenhang stehen, liturgische Akte und Zeremonien, die unmittelbar auf Gott hingerichtet sind, auch Gelübde und Eid. Das sind die Formen, in denen der Mensch unmittelbar Gott Verehrung und Unterwerfung erweist. Bei diesen Akten sind innere und äußere Seite zu unterscheiden. Die innere Seite ist entscheidend. Bei allen religiösen Handlungen muß das Herz dabeisein, denn Gott sind diejenigen ein Greuel, die ihn nur mit den Lippen ehren. Das Herz muß Gott übergeben werden, und aus dem Herzen müssen die äußeren Handlungen, die wir als Gottesverehrung bezeichnen, kommen. Aber auch die äußeren Handlungen sind notwendig; denn der Mensch besteht aus Leib und Seele. Er soll nicht nur innerlich Gott ehren, er soll ihn auch mit äußeren Handlungen ehren. Die äußeren Handlungen wiederum können auch in Gemeinschaft Gott dargebracht werden, denn wir sind ein soziales Gefüge, und weil wir eine Gemeinschaft sind, sollen wir auch als Gemeinschaft Gott ehren, nicht nur einzeln, auch die Gesamtheit soll Gott dienen. Und weil es eine religiöse Gemeinschaft gibt, die wir die Kirche nennen, deswegen soll der göttliche Kult, soll der Gott erwiesene Gottesdienst auch öffentlich geübt werden. Deswegen halten wir Prozessionen und unternehmen Wallfahrten. Wir bekunden unseren Glauben und unsere Gottesverehrung in der Öffentlichkeit.
Die Arten des Gottesdienstes sind außerordentlich reichhaltig. Wir unterscheiden die großen Gruppen der liturgischen Gottesverehrung und der außerliturgischen Gottesverehrung. Die liturgische Gottesverehrung, also in den Formen und nach den Normen, welche die Kirche festsetzt, ist zweifellos die höchste Form der Gottesverehrung. Sie ist der Maßstab für jede andere. Diese liturgische Gottesverehrung bringen wir vor allem dar in der Feier des heiligen Meßopfers, dann aber auch in der Spendung und im Empfang der Sakramente. Das ist liturgische Gottesverehrung, vorgenommen von den dafür bestimmten Personen, in den von der Kirche verordneten Formen, nach den Normen, welche die Kirche dafür aufgestellt hat. Dieser liturgische Gottesdienst schützt das gläubige Volk vor der Willkür des einzelnen Kirchendieners. Die Kirche hat mit bestimmten Gesetzen, die man Rubriken nennt, diesen Gottesdienst geordnet, und es ist ein schweres Versäumnis, diese Rubriken zu mißachten und sich nach Willkür im liturgischen Gottesdienst betragen.
Neben dem liturgischen Gottesdienst hat auch der außerliturgische seine Berechtigung, ja seine Notwendigkeit. Wer nur liturgisch Gott verehren würde, der wird leicht religiös seicht und oberflächlich. Wer nur liturgisch Gott den Dienst darbringen wollte, bei dem besteht die Gefahr, daß er in der Rubrizistik erstickt. Nein, man muß mit dem Herzen, mit der Persönlichkeit in das liturgische Geschehen eingehen. Das kann man nur, wenn man im außerliturgischen Gottesdienst das Herz dafür bereitet hat. Wir müssen also persönliche, individuelle Frömmigkeit üben, indem wir einen bestimmten Typus des religiösen Lebens entwickeln, wie er uns angepaßt ist und wie er bei uns angebracht ist. Hierin besteht eine große Mannigfaltigkeit, und man soll die Freiheit, die die Gläubigen auf diesem Gebiet haben, nicht beschneiden. Der eine hat eine besondere Verehrung des heiligen Judas Thaddäus. Laßt sie ihm! Ein andere ist ein besonderer Verehrer des heiligsten Herzens Jesu. O wie glücklich, wer dieses heiligste Herz innig verehrt! Wieder andere haben eine zarte Beziehung zur Gottesmutter. O daß sie sie doch alle hätten! Freilich muß die außerliturgische Frömmigkeit ihr Maß am Glauben und an der liturgischen Frömmigkeit nehmen, sonst gleitet sie ab in Sentimentalität, Sektierertum und Schwärmerei.
Neben der unmittelbaren Gottesverehrung gibt es die mittelbare Gottesverehrung. Sie besteht in den sittlichen Handlungen, die auf Gott bezogen sind. Sie besteht darin, daß wir unser ganzes Leben unter das große Vorzeichen, Gott damit zu ehren, stellen. Diese mittelbare Gottesverehrung umfaßt also alle Tugenden, die wir erwerben und entwickeln, um auf diese Weise im Dienste Gottes uns auszuzeichnen. Man kann Gott nicht immer nur mit der Zunge ehren, aber man kann ihn immer mit seinem Leben ehren. Die heilige Franziska von Rom sprach, wenn sie vom Gebet in die Küche gerufen wurde: „Der Herd ist genauso heilig wie der Altar.“ Also nicht nur beten, auch arbeiten, und zwar arbeiten als eine andere Form des Gebetes. „Alle Frömmigkeit, die sich nicht mit der rechtmäßigen Ausübung eines Berufes vereinbaren läßt, ist falsch“, sage nicht ich, sagt der heilige Franz von Sales. Trage Gott in dein Leben, und dein Leben trägt dich zu Gott. Wir müssen unser Tagewerk so gut wie möglich, so vollkommen wie möglich verrichten, um auf diese Weise Gott zu ehren. „Alles, was ihr tut in Wort oder Werk, tut alles zur Ehre Gottes!“ So mahnt der Apostel. Ich halte nichts von einer Frömmigkeit, die sich im Leben nicht bewährt hat. Ich halte nichts von Frommen, die im Beruf versagen. Wir müssen unser ganzes Leben, nicht nur unsere Gebete Gott weihen. So wollen wir in diesem mittelbaren Gottesdienst uns vor denen, die uns als Fromme verspotten, bewähren. Unter den Tugenden, die wir hier entwickeln, sind besonders zu erwähnen die Werke der geistlichen und der leiblichen Barmherzigkeit. Es sind ja jeweils sieben, aber diese sieben Werke sind gewissermaßen eine Zusammenfassung dessen, was wir dem Nächsten an Liebe schulden. Unwissende belehren, Betrübte trösten, Hungrige speisen, Nackte bekleiden – das ist eine kleine Auswahl aus diesen vierzehn Werken der geistlichen und leiblichen Barmherzigkeit, die uns aufgetragen sind und die unser wirklicher, mittelbarer Gottesdienst sind.
Die Religiosität, die Frömmigkeit ist eine Tugend. Eine Tugend ist eine Fertigkeit im Guten. Eine Tugend hat immer einen Gegenstand und ein Motiv. Welches ist der Gegenstand der Tugend der Religiosität? Nun, der Gegenstand ist die Gott geschuldete Ehrerweisung. Das Motiv ist das Verhältnis, in dem die unendliche Majestät Gottes zu der Niedrigkeit des Menschen steht, der gewaltige Abstand, in dem Gott zu den Menschen steht. Wir haben die Akte zu verrichten, mit denen Gott geehrt wird, unmittelbar und mittelbar, und wir haben uns dafür anzutreiben durch die Erkenntnis der Abhängigkeit, der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott. Pythagoras, den wir ja aus der Schule kennen, war nicht nur ein Mathematiker, sondern auch ein Philosoph. Und der heidnische Pythagoras hat einmal gesagt: „Man muß die Jugend von Anfang an lehren, die Götter und die Gesetze zu ehren. Denn es ist offenbar, daß der Menschen Leben und Werk in der Gottesfurcht und Frömmigkeit seinen Halt hat und seinen rechten Lauf erhält.“ Das sagt ein Heide, der Heide Pythagoras. Die Jugend von Anfang an lehren, daß sie Gott (denn Götter haben wir ja nicht) und die Gesetze ehren. Dadurch gewinnt das Leben Halt und nimmt seinen rechtmäßigen Verlauf.
Wir singen oft im Gottesdienst das schöne Lied:
„Alles meinem Gott zu Ehren,
in der Arbeit, in der Ruh’!
Gottes Ehre soll vermehren,
was ich rede, was ich tu’!“
Amen.