8. Februar 1998
Die Pflicht der Berufsausübung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir bemühen uns seit geraumer Zeit, die Pflichten zu erkennen, welche die geordnete Selbstliebe uns auferlegt. Ein bedeutsamer Teil unseres Pflichtenkreises ist der Beruf. Der Beruf ist ein Bündel von Pflichten, die ausgesondert und zusammengefaßt sind, damit sie im Dienste der Gesellschaft verrichtet werden. Jeder ist durch den Beruf hingeordnet auf ein Ziel, das er erreichen soll. Er hat hier seine Aufgaben, die zu erfüllen ihm auferlegt ist, die ihm normalerweise auch den Lebensunterhalt verschaffen und in denen er jedenfalls ein Stück seiner Lebensbedeutsamkeit erkennt. Dadurch unterscheidet sich der Beruf vom Job. Der Job ist eine kurzfristige Tätigkeit, die unmittelbar auf den Verdienst hingerichtet ist. Der Beruf dagegen ist normalerweise eine Lebensaufgabe. In dieser Lebensaufgabe findet der Mensch ein Stück seines Lebenssinnes. In dem Beruf verwirklicht er sich selbst, baut er seine Fähigkeiten und Anlagen aus und wirkt er so zum Nutzen des Ganzen mit. In einer Gesellschaft müssen alle Berufe vertreten sein. Nur dadurch kann eine arbeitsteilige Gesellschaft bestehen, daß nicht jeder das gleiche tut, sondern daß alle etwas verschiedenes verrichten, je nach Geschick, Anlage, Neigung und Lebensverhältnissen.
Der Beruf verdankt sich einer Wahl; man muß den Beruf wählen. Für die Berufswahl gelten bestimmte Gesichtspunkte. Man soll einen Beruf wählen, zu dem man Neigung hat. Die Neigung des Menschen ist nicht nur ein unbestimmtes Gefühl, sondern läßt sich erkennen aus den Fähigkeiten, Qualitäten und Eigenschaften, die jemand besitzt und in seinen Willen aufgenommen hat. Die Neigung ist deswegen eng verschwistert mit Eignung. Man kann und soll nur einen Beruf wählen, für den man geeignet ist. Ein schwächlicher Mann kann nicht den Beruf eines Bergarbeiters wählen, und ein wenig begabter Mensch sollte nicht einen Beruf wählen, in dem hohe geistige Kräfte gefordert sind. Ein großer Teil des Unglücks der Menschen kommt daher, daß sie einen falschen Beruf gewählt haben, daß sie bei der Berufswahl nicht besonnen genug waren, daß sie nur auf das gesehen hatten, was Spaß macht oder was im Trend liegt, und nicht, wofür sie geeignet sind und wozu sie ihre wahre Neigung zieht.
Die Berufswahl ist aber auch bestimmt von den Lebensverhältnissen. Wenn ein Vater einen Betrieb der Holzbearbeitung aufgebaut hat, dann erwartet er mit Recht, daß eines seiner Kinder diesen Betrieb einmal übernimmt und weiterführt. Und die Kinder sollten es sich ernsthaft überlegen, ob sie nicht für diesen Beruf geeignet sind und Neigung verspüren. Mit der Neigung ist es nicht so, daß sie uns in eine bestimmte Richtung zwingt. Die Neigung hat einen erheblichen Spielraum; sie kann sich auf verschiedenes richten. Auch bei der Eignung ist es so. Die Eignung zwingt uns nicht in einen bestimmten Beruf hinein. Der Mensch hat ein gewisses Umfeld, das er mit seinen Kräften bewältigen kann. Wenn also jemand den Traumberuf nicht erreichen kann, den er sich vorstellt, dann eben einen anderen. Er kann auch in diesem anderen Großes und Gutes wirken und sich für das Heil seiner Seele und für die Gesellschaft nützlich machen. Denn der Beruf muß gewählt werden auch mit Rücksicht auf das Seelenheil. Ja, das Seelenheil kommt eigentlich zuallererst. Man darf keinen Beruf wählen, in dem das Seelenheil gefährdet wird oder sogar mit Sicherheit verlorengeht. Das Seelenheil muß bei der Berufswahl eine ganz gewichtige Rolle spielen.
Um den richtigen Beruf zu wählen, läßt man sich beraten. Man geht zur Berufsberatung, man fragt die Eltern, man fragt gewissenhafte und kundige Nachbarn, welchen Beruf man wählen solle. Man macht sich kundig, wie ein Beruf beschaffen ist. Meine lieben Freunde, es gibt in jedem Berufe Annehmlichkeiten und Unangenehmes. Es gibt keinen Beruf, der keine Enttäuschungen und keine Mühen in sich bürge. Jeder Beruf hat seine Last und seine Lust. Deswegen wird bei der rechten Berufswahl immer abgewogen werden, was ein Beruf an Erfreulichem, aber auch an Lästigem bringen kann.
Man soll normalerweise in dem Beruf bleiben, den man gewählt hat. Aber es können Umstände eintreten, die einem erlauben oder einen sogar zwingen, einen Berufswechsel vorzunehmen. Im Jahre 1992 hatten 49 Prozent aller Erwerbstätigen in der Bundesrepublik ihren Beruf bereits wenigstens einmal gewechselt. Ein Berufswechsel kann erlaubt sein, etwa, wenn jemand sich durch Weiterbildung für höhere Aufgaben qualifiziert. „Freie Bahn dem Tüchtigen“ muß im Berufe gelten. Ein Berufswechsel kann auch erlaubt sein, weil man in einem bestimmten anderen Berufe Besseres und Größeres zu leisten gewiß ist als in dem jetzigen. Ein Berufswechsel kann auch notwendig sein. Denken wir etwa an das Heer der Arbeitslosen. Es ist unmöglich, daß ein jeder Arbeitslose in dem Beruf wieder Arbeit findet, den er bisher ausgeübt hatte. Er muß sich umstellen, er muß sich umschulen lassen. Die Bereitschaft, sich umschulen zu lassen, so wurde neulich festgestellt, ist in den USA zehnmal größer als in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Berufswechsel kann auch notwendig werden aus gesundheitlichen Gründen. Ich hatte einen Ministranten, der Bäcker geworden war. Aber es stellte sich heraus, daß er eine Allergie gegen das Mehl hatte; er mußte den Bäckerberuf aufgeben.
Ein Berufswechsel kann freilich auch unmöglich sein. Es gibt Umstände, die uns in dem Beruf festhalten und die es nicht gestatten, daß wir den Beruf wechseln, etwa mit Rücksicht auf den Verdienst. Ich kann einen Beruf, der mir lieber ist, deswegen nicht übernehmen, weil ich dann weniger verdienen würde und dadurch meine Familie Not leiden würde. Dann muß ich eben um meiner Familie willen in dem Beruf verharren, der mir ein höheres Einkommen verschafft. Unmöglich kann ein Berufswechsel auch sein, weil die Stellennachfrage in andere Richtung weist. Man muß bei der Berufswahl und beim Berufswechsel immer den Arbeitsmarkt berücksichtigen. Man muß also zum Arbeitsamt gehen und fragen: Welche Aussichten habe ich in diesem Berufe? Es ist ein großer Fehler, daß viele unserer jungen Menschen sich in einen Beruf hineinbegeben, der aussichtslos ist. Wir haben auf der Universität viel zu viele Geisteswissenschaftler, viel zu viele Juristen, viel zu viele Mediziner, aber wir haben viel zu wenige Techniker und Ingenieure. In diesen Berufen besteht ein echter Mangel. Man muß also beim Berufswechsel auch an die Arbeitsmarktsituation denken. Ein Berufswechsel kann schließlich auch unzulässig sein. Es gibt keinen erlaubten Berufswechsel eines Priesters. Ein Priester hat in dem Stande zu verbleiben, zu dem er geweiht ist. Und wenn der Herr Stecher in Innsbruck andere Ansichten äußert, dann muß man ihm energisch widersprechen. Wer die Voraussetzungen zu seinem Beruf nicht mehr erfüllt, kann in diesen Beruf, den er verlassen hat, nicht zurückkehren. Das sollte sich der Herr Stecher merken.
Die Bewertung des Berufes muß von Gott her geschehen. Das heißt: Ein Beruf muß als Gottesdienst angesehen werden. Was ich um des Verdienstes, um der Gesellschaft willen schaffe und arbeite in meinem Beruf, das soll zur Ehre Gottes geschehen. Man soll den Beruf als Gottesdienst auffassen. Das ist nicht etwa erst durch Luther geschehen, wie Max Weber oder Ernst Tröltsch uns weismachen wollen. Die Wertung des Berufes als Gottesdienst ist so alt wie das Christentum. Eine solche Bewertung ist schon im Neuen Testament vorgenommen, wenn etwa Paulus vom Beruf der Obrigkeit schreibt: „Gottes Dienerin ist sie (die Obrigkeit), dir zum Guten. Tust du aber das Böse, so fürchte sie! Nicht umsonst trägt sie das Schwert. Sie ist ja Gottes Dienerin, Rächerin zur Bestrafung für den, der Böses tut.“ Und ähnlich schreibt er für die Arbeitnehmer der damaligen Zeit, die eben weitgehend dem Sklavenstande angehörten: „Ihr Knechte, gehorchet euren leiblichen Herren mit Furcht und Zittern, in Einfalt des Herzens, als gelte es Christus. Nicht in Augendienerei, um Menschen zu gefallen, sondern als Diener Christi, die den Willen Gottes tun von Herzen. Leistet euren Dienst mit willigem Sinn, als gelte es dem Herrn und nicht Menschen. Ihr wißt ja: Ein jeder, der Gutes tut, wird Lohn empfangen vom Herrn, sei er Knecht oder Freier.“ Also ein Gottesdienst ist unser Beruf, und als solcher muß er verstanden werden. Zur höheren Ehre Gottes und zum Heil der Menschen sollen wir ihn ausüben, freilich auch zu unserem eigenen ewigen Heile. Wir sollen uns in unserem Berufe auf den Weg zum Himmel machen. Unser Beruf soll ein Mittel sein, um unser Heil zu wirken.
Daraus ergibt sich auch die Gleichheit der Berufe. Vor Gott ist jeder Beruf gleich. Vor Gott ist jeder Beruf geeignet, wenn er nur ehrlich und ernst ist, den Menschen zum Himmel zu führen. Ich kann mich nicht genug erregen über Menschen, die Arbeitnehmer in einfachen Berufen geringschätzig beurteilen, die meinen, der Mensch fange erst beim Akademiker an, oder man müsse an einem Schreibtisch sitzen, um über höhere Qualitäten zu verfügen. Meine lieben Freunde, es mag in Hinsicht auf die Bedeutsamkeit der Berufe Unterschiede geben, es mag eine Rangordnung geben, das sei nicht bestritten. Aber wie kann man diejenigen, die uns das Leben angenehm machen, die für Arbeit, die für Wohnung, die für Kleidung, die für Nahrung sorgen, wie kann man diese Menschen geringschätzig beurteilen? Wie kann man denen, die sich die Hände schmutzig machen, damit wir uns die Hände nicht schmutzig zu machen brauchen, mit Geringschätzung gegenübertreten? Erfahren wir es nicht, was es bedeutet, wenn die Müllwerker streiken? In kurzer Zeit ist eine wohlgeordnete Gemeinde nicht mehr wiederzuerkennen. Wie notwendig sind diese Männer, die uns eine so schwere und weitgehend unangenehme Arbeit abnehmen! Also Ehre dem Beruf, auch dem Beruf, der sich mit scheinbar niederen Dingen beschäftigt. Ehre auch dem Beruf, der heute wenig gilt, wie der Beruf der Hausfrau. Dieser Beruf ist von unermeßlicher Bedeutung. Die Hausfrau ist es, die eine Wohnung zum Heim macht. Die Hausfrau ist es, die den Kindern eine Geborgenheit vermittelt. Die Hausfrau ist es, die dem Mann, wenn er abends müde nach Hause kommt, eine schöne Heimstatt bereitet. Also rechte Wertung des Berufes ist uns aufgetragen.
Es muß auch ein bestimmtes Berufsethos vorhanden sein. Jeder Beruf hat seine innere Norm, nach der er ausgeübt werden muß. Er legt eine Verantwortung auf. Die Verantwortung zeigt sich in verschiedener Hinsicht. Man muß ein bestimmtes Faktenwissen haben, man muß flexibel sein, man muß kollegial in seinem Berufe handeln, man muß redlich bei der Arbeitsausführung sein, man muß bereit sein, Neues zu lernen und dazuzugewinnen. Das alles gehört zum Berufsethos im allgemeinen. Bei jedem einzelnen Beruf ist es verschieden. Zum Ethos des Handwerkers gehört es, daß er seine Arbeit sorgfältig verrichtet und nicht pfuscht, daß er keinen überhöhten Preis fordert. Zum Ethos einer Krankenschwester gehört es, daß sie die Kranken nicht nach der Liebenswürdigkeit, die sie ausstrahlen, behandelt, sondern nach Maßgabe ihres Leidens, nach der Schwere ihres Leidens, nach den Bedürfnissen, die ihr Leiden ihnen auferlegt. Und der Beruf des Lehrers verlangt, daß ein Lehrer vorbereitet den Unterricht beginnt, daß er gerecht ist gegenüber seinen Schülern, daß er eine wahre Liebe zu ihnen im Herzen trägt. Vor vielen Jahren fanden sich einmal Schüler eines Gymnasiums aus Schlesien zusammen, und es weilte bei ihnen einer ihrer Lehrer. Da fragten die Schüler den Lehrer: „Sagen Sie mal, wie kam es denn, daß wir sie so gern gehabt haben?“ Da gab der Lehrer zur Antwort: „Ich hatte einen Klassenspiegel, wo alle eure Namen verzeichnet waren. Ich bin jeden Tag in die heilige Messe gegangen und habe jeden Tag in jeder heiligen Messe für jeden einzelnen von euch gebetet.“ Das ist Berufsethos eines Lehrers.
Man kann sich auch gegen den Beruf versündigen, etwa, wenn man sich nicht genügend vorbereitet, wenn man den Beruf schlampig und schludrig erfüllt, wenn man die Pflichten des Berufes nicht ernstnimmt. Das sind Sünden gegen die Selbstliebe, die uns in bezug auf das Berufsleben auferlegt ist. Auch wer den Beruf nur aus Profitgier betreibt, versündigt sich gegen den Geist und Sinn des Berufes. Der Wankelmut, der immer nach anderen Berufen sucht und niemals in einem Berufe Ruhe findet, auch der ist sündhaft. Man muß auch einen Beruf, den man unter Umständen ungeliebt übernommen hat, sich zu eigen machen. „Fac de necessitate virtutem!“ sagt der heilige Augustinus. Mache aus der Notwendigkeit eine Tugend! Das heißt: Was du jetzt begonnen hast, und was nicht zu ändern ist, das umfange mit deinem Herzen und sieh darin den Auftrag Gottes, und dann wirst du in deinem Berufe Bedeutsames leisten und dein Heil wirken.
Fassen wir neuen Eifer für unser Berufsleben, meine lieben Freunde! Zeichnen wir uns aus in unserem Berufe! Geben wir unser Berufsethos weiter an die Menschen, die uns anvertraut sind! Seien wir ihnen ein Vorbild an beruflicher Zuverlässigkeit und Treue! Hören wir auf das Wort des Apostels im Kolosserbrief: „Alles, was ihr tut in Worten oder Werken, tut alles im Namen des Herrn!“
Amen.