Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Januar 1997

Die Unwandelbarkeit Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wer läuft, muß ein Ziel haben. Soeben haben wir in der Epistel vernommen, daß die Wettläufer in der Rennbahn laufen, um einen Kranz zu erringen. Sie wissen, wofür sie laufen. Diese Maxime gilt auch für unser religiöses Leben. Man kann viele Frömmigkeitsübungen häufen und doch das Ziel verfehlen, wenn nämlich nicht feststeht, an wen sich unsere Frömmigkeitsübungen richten. Wir müssen den kennen, zu dem wir rufen, den wir preisen, den wir bitten und dem wir danken. Deswegen bemühen wir uns, in das Wesen und in die Eigenschaften Gottes einzudringen. Heute wollen wir uns Gott als den Unwandelbaren vor Augen stellen.

Gott ist unveränderlich, er bleibt sich immer derselbe. Veränderung ist der Übergang von einem Zustand in einen anderen durch Aufgabe oder Aufnahme akzidenteller oder substantieller Bestimmtheiten. Diese Veränderung ist von Gott auszuschließen. Gott ist unwandelbar; in ihm gibt es kein Werden, kein Abnehmen, kein Zunehmen. Gott ist das stehende Jetzt. Wir müssen unterscheiden zwischen der Unwandelbarkeit des Wesens und der Unwandelbarkeit der Willensentschlüsse. Die Unwandelbarkeit des Wesens ist absolut, unbedingt und notwendig. Denn Gott ist der Allervollkommenste, der keiner Zunahme bedarf, der aber auch keiner Abnahme fähig ist. Die Unwandelbarkeit des Wesens ist keine dumpfe, sondern eine von dem hellen Erkennen Gottes und von seinem vollendeten Willen bejahte Unwandelbarkeit. Sie ist also mit seinem Wesen gegeben, ja sie fällt mit seinem Wesen zusammen. Gott kann nicht anders sein als unwandelbar. Er würde aufhören, Gott zu sein, wenn er nicht unwandelbar wäre.

Die Unwandelbarkeit der Ratschlüsse ist anders zu verstehen. Gott hätte auch andere Ratschlüsse fassen können, als er tatsächlich gefaßt hat. Er hätte die Welt, die Geschöpfe nicht zu schaffen brauchen. Er hätte den Menschen nicht mit der Gnade zu beschenken brauchen. Solange die Entschlüsse nicht gefaßt sind, ist Gott frei. Aber wenn sie gefaßt sind, ist jeder Ratschluß mit der Wesenheit Gottes identisch und deswegen unwandelbar. Die einmal gefaßten Ratschlüsse Gottes nehmen an der Unwandelbarkeit seines Wesens teil, weil sie mit diesem Wesen zusammenfallen; sie sind mit ihm identisch. Die Unwandelbarkeit Gottes wird in der Heiligen Schrift häufig bezeugt. So heißt es im Psalm 33: „Der Ratschluß des Herrn bleibt auf ewig bestehen, von Geschlecht zu Geschlecht seines Herzens Gedanken.“ Und im Psalm 102: „Die Erde, die du vordem gegründet, und die Himmel, das Werk deiner Hände, sie werden vergehen, du aber bleibst; sie werden altern wie ein Gewand, du wechelst sie wie ein Kleid; sie zerfallen, du aber bleibst derselbe. Deine Jahre haben kein Ende.“ Oder um auch noch eine Stelle aus dem Buch des Propheten Isaias zu zitieren: „Der von Anfang an kundtat den Ausgang von der Vorzeit her, was noch nicht geschehen, ich spreche: Mein Ratschluß wird sich erfüllen. Alles, was mir beliebt, das führe ich aus. Wie ich’s geredet, so lasse ich’s kommen; wie es geplant, so führe ich es aus.“ Und eine letzte Stelle beim Propheten Malachias: „Denn ich, der Herr, habe mich nicht verändert.“

Die Unveränderlichkeit Gottes wirft aber nun eine Reihe von Fragen auf. Man könnte denken: Wenn Gott unwandelbar und unveränderlich ist, wie reagiert er dann auf die mannigfaltigen Situationen des menschlichen Lebens? Man könnte weiter fragen: Was ist mit unseren Bittgebeten? Was ist mit unserer Bekehrung, wenn wir uns vom Schlechten zum Besseren bekehren? Wenn Gott unwandelbar ist, ist er da nicht auch unfähig, auf die Veränderungen bei uns einzugehen?

Zunächst einmal müssen wir uns die Gründe der Unwandelbarkeit Gottes vor Augen führen. Gott ist unwandelbar als das reine Sein, als die absolute Einfachheit und als die unendliche Vollkommenheit. Drei Gründe führt der heilige Thomas nämlich an für die Unwandelbarkeit Gottes. Gott ist unwandelbar als das reine Sein. Ein Wesen, das nur Wirklichkeit ist und keine Möglichkeit in sich trägt, kann nur unwandelbar sein. In Gott ist alles schon verwirklicht, was verwirklichungsfähig ist. Deswegen: Als das reine Sein muß Gott unwandelbar sein, als der actus purus, als der reine, in sich stehende Akt. Ebenso als die absolute Einfachheit. Wenn Gott absolut einfach ist, dann kann in ihm keine Zusammensetzung sein, auch keine metaphysische Zusammensetzung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit. In ihm ist wegen der absoluten Einfachheit alles bereits verwirklicht. Und schließlich: Als die unendliche Vollkommenheit besitzt Gott jeden Wert, ja er ist jeder Wert. Es gibt keinen Wert, der er nicht wäre. Infolgedessen ist eine Zunahme, aber selbstverständlich auch eine Abnahme ausgeschlossen. Er behauptet seine unendliche Vollkommenheit mit unendlicher Kraft.

Wenn aber nun neue Situationen eintreten im menschlichen Leben – und wir verändern uns ja laufend –, wie reagiert Gott darauf? Gott ist unwandelbar nicht als totes Sein, sondern als seiendes Tun, als lebendiger Vollzug. Gott hat die Veränderungen, die sich im menschlichen Leben, die sich in der Geschichte, die sich in der Natur vollziehen, von Ewigkeit her vorausgesehen und vorausgeplant, und wenn der Mensch sich ändert, dann trifft er jeweils auf eine andere Seite Gottes. Der heilige Augustinus erklärt es mit den Stammeltern. Solange sie sündlos lebten, lebten sie freudig vor Gott. Als sie gesündigt hatten, waren sie traurig und fürchteten sich vor Gott. Gott blieb derselbe, aber er spiegelte sich verschieden in den Menschen, die sündlos waren, und in denen, die gesündigt hatten. Die einen waren zutraulich vor Gott, die anderen waren furchtsam vor Gott. Gott wirkt jeweils verschieden auf die Menschen, je nach ihrer Beschaffenheit. Ich glaube, so kann man einigermaßen verstehen, daß Gott nicht überrascht wird durch neue Situationen. Er braucht nicht Überlegungen anzustellen: Was soll ich jetzt tun, wenn sich der Mensch ändert? Denn er hat diese Änderungen des Menschen vorausgesehen und in seine ewigen Ratschlüssen einbezogen und reagiert in einer Weise auf sie, die ihnen angemessen ist. So erklärt sich auch die Sinnhaftigkeit des Bittgebetes. Das Bittgebet will Gott nicht umstimmen. Gott läßt sich nicht umstimmen, das wäre mit seiner Unwandelbarkeit nicht zu vereinbaren. Es ist auch nicht so, daß wir ihn durch unser Bittgebet milde stimmen, während er sonst strenge wäre; daß wir etwas erbetteln oder erzwingen könnten. So ist es nicht, sondern das Bittgebet ist folgendermaßen zu verstehen: Gott hat das Bittgebet in seiner Vorsehung von Ewigkeit her als Voraussetzung dafür eingeplant, daß er uns etwas geben will. Nach seinem ewigen Plan, der in der Zeit verwirklicht wird, will uns Gott bestimmte Dinge nur geben, wenn wir Bittgebete an ihn richten. Er achtet unsere Freiheit. Er ist ein Liebhaber der Freiheit, und nur wenn der Mensch bereit ist, aus seiner Hand entgegenzunehmen, was er ihm geben will, dann wird er es ihm geben. Diese Bereitschaft drückt sich nirgends deutlicher aus als im Bittgebet. Da bekennt der Mensch auf der einen Seite seine Schwäche und seine Armseligkeit, und da bekennt er auf der anderen Seite Gottes Reichtum, Gottes Liebe und Gottes Macht. Wer also das Bittgebet spricht, der tut etwas Sinnvolles; er tut das, was Gott von Ewigkeit her als Voraussetzung festgesetzt hat, damit er uns seine Gaben und Schätze geben kann.

In der Heiligen Schrift ist oft die Rede vom Gehen und Kommen Gottes, vom Reden und Trösten, vom Handeln und Wirken Gottes. Das alles bezeigt die Lebendigkeit Gottes. Die Lebendigkeit Gottes gestattet das Einvernehmen mit ihm. Wir sprechen nicht gegen eine Wand, wenn wir zu Gott reden, sondern wir wenden uns an eine Person. Die Wirkungen, die Gott von Ewigkeit her beschlossen hat, treten in der Zeit ein. Sie sind Anrufe an den Menschen. Diesen Anrufen kann der Mensch sich versagen. Das ist gewissermaßen eine Provokation der Liebe Gottes. Er hat einen ersten Einsatz gemacht mit der Schöpfung. Als die Menschen von ihm abfielen, hat er einen zweiten Einsatz gemacht in der Menschwerdung. Er wird einen dritten Einsatz machen am Ende der Tage, wenn er die Vollendung herbeiführt. Aber diese Einsätze sind nicht so zu verstehen, daß Gott gewissermaßen enttäuscht ist durch das, was der Mensch getan hat, und daß er nun einen neuen Entschluß faßt, um der veränderten Lage zu begegnen, sondern: Was er von Ewigkeit her vorausgesehen hat und vorausgeplant hat, das trifft in der Zeit ein. Die geschichtsmäßigen Wirkungen sind Erfüllungen dessen, was in Gottes ewigem Plan, der mit ihm selbst zusammenfällt, enthalten ist. Die Unwandelbarkeit Gottes bedeutet also keine Starrheit und keine Unlebendigkeit, sondern sie bedeutet höchste Vollendung im Wissen und höchste Weisheit im Planen. Was Gott von Ewigkeit her geplant hat, das wird in der Zeit verwirklicht. Die Wirkungen, die jetzt eintreten, sind von Gott von Ewigkeit her vorausgesehen und in seinen Vorsehungsplan eingesetzt worden.

Die Unwandelbarkeit Gottes, meine lieben Freunde, hat deswegen eine große Bedeutung für uns. Sie ist von großem religiösem Wert. Der heilige Paulus führt im Römerbrief die Treue Gottes auf die Unwandelbarkeit zurück. Gott bleibt sich treu, er sucht sein Volk (das Volk Israel) zu retten; er will, daß es sich am Ende bekehrt zu seinem Christus, zu dem Messias. Und die Treue Gottes ist auch der Hauptgewinn, den wir aus der Eigenschaft der Unwandelbarkeit Gottes ziehen können. Wir wissen: Wir können uns auf Gott verlassen. Er steht zu seinen Verheißungen. Im Buche Numeri heißt es: „Ich bin Gott, ich lüge nicht.“ Wenn er uns verheißen hat, uns zu retten, dann wird er uns retten. Wir haben also aus der Unwandelbarkeit Gottes dir Zuversicht, daß Gott zu seinem Worte steht, daß wir nicht ins Leere laufen, daß wir keine Luftstreiche führen, sondern daß wir, wenn wir auf ihn zugehen, in die Vollendung Gottes hineingerufen werden.

Amen.

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