23. Mai 1988
Erlösungsverdienste
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir hatten uns am Osterfeste vorgenommen, uns darauf zu besinnen, was es um unsere Erlösung ist. Wir singen ja zu Ostern: „Getröst', getröst', wir sind erlöst, die Hölle ward zuschanden; denn wahrhaft ist Gott Jesus Christ vom Tode auferstanden.“
Wir gebrauchen das Wort „Erlösung“ häufig, vielleicht zu häufig, und wir sollten es doch mit gefülltem Sinne gebrauchen. Und so haben wir uns entschlossen, darüber Betrachtungen zu halten, was es heißt, wenn wir freudig bekennen: „Getröst', getröst', wir sind erlöst.“ In einer Reihe von Überlegungen haben wir die verschiedenen Seiten dieses so reich gefüllten Begriffes uns vor Augen geführt. Wir sagten: Die Erlösung ist ein Opfer; ein Opfer, das der Herr nicht für sich, sondern für die ganze Menschheit aller Zeiten und Zonen vollbracht hat. Wir sahen weiter, daß die Erlösung Loskaufung ist, Loskaufung aus der Knechtschaft des Gesetzes, der Sünde, des Teufels und des Todes. Wir erkannten, daß die Erlösung Versöhnung ist. Gott versöhnt seine Feinde, die wir waren, mit sich. Und wir haben uns schließlich auch vor Augen geführt, daß die Erlösung Genugtuung ist. Christus hat Ersatz geleistet für die ungeheuerliche Beleidigung, die in der Sünde liegt, ja die am Throne Gottes zu rütteln versucht.
Es bleibt uns heute eine letzte Eigenschaft der Erlösung zu bedenken, nämlich daß die Erlösung auch Verdienst ist, Verdienst, das Christus erworben hat, das Christus für sich und für die Menschheit erworben hat. Was ist ein Verdienst? Ein Verdienst ist ein zugunsten eines anderen vollbrachtes Werk, das bei diesem einen Anspruch auf Lohn erwirkt. Manchmal bezeichnet man auch bloß den aufgrund des Werkes erworbenen Anspruch auf Lohn als Verdienst. Je nachdem, ob der Lohn aus Gerechtigkeit oder Billigkeit gezahlt wird, unterscheidet man das Gerechtigkeits- und das Billigkeitsverdienst.
Das ganze Leben Jesu war nicht nur satisfaktorisch, genugtuend, sondern es war auch verdienstlich. Die Tatsache des Verdienstes Jesu ist durch Lehramt, Schrift und Tradition eindeutig bezeugt. Vor allem gegen die Glaubensneuerer des 16. Jahrhunderts hat das Konzil von Trient das Verdienst Christi deutlich herausgestellt: Wir sind erlöst durch das Verdienst Jesu Christi, durch das Verdienst, das sein Leiden und Sterben erworben hat. Das Verdienst Christi wird uns zugewendet im Taufsakrament, sagt das Konzil von Trient. Durch das Verdienst Christi wird die Erbsünde vergeben.
Das Trienter Konzil spricht nicht im leeren Raum. Es stützt sich auf die Lehre der Schrift und der Kirchenväter. In der Heiligen Schrift fehlt zwar das Wort „Verdienst“, aber die Sache ist vorhanden, und es ist immer Aufgabe der Kirche, ihres Lehramtes und der Theologie gewesen, die in Bildersprache redende Heilige Schrift zu übersetzen in Begriffe, die scharf das hervorheben, worum es in der Sache geht. Und in der Heiligen Schrift heißt es eben, daß Christus sich erniedrigt hat – im 2. Kapitel des Philipperbriefes – und daß Gott ihn darum erhöht hat. Darum! Weil er sich erniedrigt hat! „Er hat sich durch die Erniedrigung,“ sagt der heilige Augustinus, „die Verklärung verdient.“ Durch seine Erniedrigung verdiente er die Verklärung. Die Verklärung war also die Frucht seiner Erniedrigung. So Augustinus. Auch im Hebräerbrief ist diese Wirklichkeit bezeugt. „Um seines Todesleidens willen,“ heißt es im Hebräerbrief, „hat ihn Gott mit Ehre und Herrlichkeit bekränzt.“ Um seines Todesleidens willen! Das ist das Verdienst.
Und tatsächlich waren im Leben und Leiden Jesu alle Bedingungen erfüllt, die zum Verdienen notwendig sind. Seine Handlungen waren frei, sie waren übernatürlich, es war ihnen die Verheißung des Lohnes gewährt, sie wurden im Pilgerstand vollbracht und im Stande der Gnade. Wahrhaftig, Christus konnte verdienen, und Christus hat verdient.
Was hat er sich denn verdient? Was ist denn der Gegenstand seines Verdienstes? Zwei Dinge: Für sich selbst hat er sich verdient die Erhöhung. „Er hat sich erniedrigt bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuze. Darum – darum! – hat Gott ihn auch erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist.“ Also Auferstehung, Verklärung des Leibes, Himmelfahrt, das alles ist kraft des Verdienstes unserem Herrn und Heiland gewährt worden. Weil er gehorsam wurde bis zum Tode, hat ihn der Vater erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist.
Aber er hat nicht nur für sich verdient, er hat auch für andere verdient. Er hat uns die Gnade der Rechtfertigung, der Heiligung verdient. Alle Gnade, die uns zufließt, hat als Verdienstursache das Leiden und Sterben Jesu Christi. Der heilige Paulus bezeugt das im Römerbrief, im 3. Kapitel, wenn er schreibt: „Aber sie werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade in Kraft der Erlösung durch Jesus Christus.“ In Kraft der Erlösung durch Jesus Christus! Diese Kraft, von der hier die Rede ist, das ist das Verdienst Jesu Christi. Er hat uns und alle Menschen durch sein Leiden und Sterben die Gnade verdient, kraft deren wir gerechtfertigt sind.
Wir rühmen also mit vollem Recht das Kreuz, denn am Kreuz ist unsere Erlösung bewirkt worden. In den Anfangszeiten des Christentums wurden die Christen verspottet, weil sie einen Gekreuzigten, also einen Hingerichteten, einen am Schandpfahl Gestorbenen verehrten. Ein Kirchenvater hat die Christen ermahnt, sich nicht zu schämen. „Wenn man dir sagt, du betest einen Gekreuzigten an, dann recke dich, schau' ihm in die Augen und sage: Ja, ich bete ihn an! Denn am Kreuze hat uns der Herr erlöst!“
Seitdem ist das Kreuz unser Gnadenbild geworden, das wir lieben, das wir verehren, das wir endlos küssen können. Denn von diesem Kreuze gilt das Wort: „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und benedeien dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die ganze Welt erlöst.“
Amen.