23. Februar 2025
Das Hirtenamt der Kirche
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Dogma, Sitte und Kult offenbaren in erster Linie das Bewusstsein der Kirche, übernatürlichen Geblüts, Christi Leib zu sein. Dieses Bewusstsein beherrscht aber weiterhin auch den Geist ihrer Ordnungen und Einrichtungen, die besondere Art und Weise, wie die Kirche ihr übernatürliches Leben ausgewirkt haben will. Die Kirche will nichts anderes sein als der Leib Christi, die Auswirkung seines gottmenschlichen Lebens in der Geschichte. Darum ist Christus der Verklärte der eigentliche Quellgrund ihrer Gewalten und Vollmachten. Alle diese Vollmachten werden nur in seinem Namen geübt und gehören im eigentlichen tiefsten Sinn ihm an. Das ganze Verfassungsleben der Kirche ist durchaus aristokratisch, von oben, von Christus her bestimmt, nicht demokratisch. Die Autorität, die Vollmacht kommt nicht von unten, von der Gemeinde, sondern von oben, von Christus. Von ihm fließt der Strom der neuen Gewalten über die Apostel zur Kirche. Schon der alte Afrikaner Tertullian unterstreicht diesen Sachverhalt. „Die Kirche (ist) von den Aposteln, die Apostel (sind) von Christus, Christus (ist) von Gott“ (De praescr. 37). Die Apostel wirkten nicht kraft eigenen Rechtes, sondern als „Abgesandte“ und Stellvertreter Christi: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat“ (Lk 10,16; vgl. Mt 10,40). Und die Apostel ihrerseits bestellten, wie die neutestamentlichen Schriften, besonders die Pastoralbriefe bezeugen (Tit 1,5; 1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6; Apg 20,28), überall da, wo sie neue Gemeinden gründeten, durch Handauflegung die „Erstlinge“, d.h. die Erstbekehrten, zu Vorstehern, die an ihrer statt die „Herde Gottes weiden“ sollten, wie Petrus sich ausdrückt (1 Petr 5,2). Nicht die Gemeinden waren also die Träger, das Subjekt der apostolischen Vollmachten, sondern die im Namen Christi von den Aposteln an ihrer statt gewählten „Ältesten“, „Vorsteher“, „Aufseher“ (episcopoi). Und nach dem Hinscheiden der Apostel waren es wieder diese Ältesten, welche ihre Sendegewalt durch Handauflegung weitergeben und die neu entstehenden Gemeinden um die mit Sendegewalt Betrauten sammelten. Wohl waren die Gemeinden beteiligt an der Auswahl derer, welche die Sendegewalt erhalten sollten. Aber die Gewalt selber war ausschließlich eine apostolische Gewalt, ein Reservat der von den Aposteln sich ableitenden „Vorsteher“.
Das kirchliche Amt ruht also auf der apostolischen Nachfolge, auf der durch Handauflegung erfolgenden Fortleitung jener Sendegewalt, welche die Apostel von Christus empfangen hatten. Diese apostolische Sendegewalt, wie sie sich von Bischof zu Bischof weiterleitet bis auf den heutigen Tag, ist nach ihrem inneren Wesen betrachtet nichts anderes als die messianische Vollmacht Jesu. Auf dem Weg der apostolischen Nachfolge strömt sie fortzeugend weiter und teilt Jesu Wahrheit und Gnade der Menschheit mit. So steht also Jesus selbst hinter dem kirchlichen Amt. Christus ist die Hauptursache alle kirchlichen Funktionen. Der Mensch ist nur Werkzeug von all dem, was Christus selbst in der Kirche lehrt, heiligt und anordnet. Darum tritt in der kirchlichen Funktion das menschliche Ich, das Persönliche, die Individualität als solche betrachtet, völlig zurück. An die Stelle des Persönlichen tritt die den Leib Christi durchwaltende Heilandsmacht Jesu. Ihr Ausdruck ist das kirchliche Amt. Das Amt ist wesentlich Dienst Christi, das heißt ein Dienst, der im Namen und Auftrag Christi allein vollzogen wird und von der Autorität Christi her ausschließlich seine Bedeutsamkeit hat. Das Wesentliche seiner Leistung, der Kern seiner Wirksamkeit ist von persönlichen Vorzügen und Schwächen durchaus unabhängig. Denn sein Predigen und Regieren geschieht in der Vollmacht Christi. Nicht er tauft, sondern Christus tauft durch ihn. In der Kirche besteht nur eine Autorität zu Recht, nur ein Lehrer, ein Gnadenbringer, ein Hirt: Christus, der Herr. Keine menschliche Autorität, kein fremdes Du soll zwischen Christus und den Gläubigen treten. Unmittelbar von Christus selbst soll die göttliche Wahrheit, die Gnade, das Leben in die Seele strömen. Damit dies geschehen kann, ist der geweihte Priester seinsmäßig für den apostolischen Dienst ausgestattet. Er ist nicht bloß durch ein rechtliches Dekret des Bischofs angestellt, sondern durch sakramentale Formung Christus verähnlicht. Nur dem Priester ist es gegeben, aus seiner sakramentalen Sendung heraus Gottes Wort zu verkünden. Seine Christusförmigkeit formuliert nicht nur Sätze, sondern prägt auch ihren Inhalt und ihre Kraft. Die Verkündigung des geweihten, Christus verähnlichten Priesters kommt aus einer gottgeschaffenen Tiefe, die dem nichtgeweihten Christen nicht zugänglich ist. Er ist durch das Sakrament der Priesterweihe zum Zeugen Christi geformt, existentiell ausgerüstet.
Heute sagen manche: Die Gemeindereferentin und der Pastoralassistent können ebenso gut oder besser predigen wie der Pfarrer und der Kaplan. Ich glaube nicht, dass diese Behauptung zutrifft. Und selbst wenn es so wäre, so ist doch der wesentliche Unterschied nicht zu übersehen zwischen der Rede eines Nichtgeweihten und der Verkündigung eines Geweihten. Die Personen eines Predigers, der durch Dekret mit der Predigt beauftragt wird, und eines anderen, der durch Weihe dafür ausgerüstet ist, sind verschieden. Der Priester ist durch die sakramentale Weihe dem Prediger Christus verähnlicht. Diese Ausrüstung ist unüberholbar. Das Wissen kann man sich aneignen, die Kunst der Rede kann man erwerben. Doch kein Studium und keine Ausbildung vermag diese seinsmäßige Formung zu erreichen oder gar zu ersetzen. Der Pastoralassistent leistet sein Auftreten nach Stunden ab. Der Priester ist durch Werke, Opfer, Gebet und Aszese Tag und Nacht seinem Herrn verbunden.
Das gilt von dem kirchlichen Lehramt so gut wie von dem Priester- und Hirtenamt. Das kirchliche Lehramt ist an das Wort gebunden: „Nur einer sei euer Lehrer, Christus“ (Mt 23,10). Wenn der katholische Priester das Wort Gottes verkündet, so predigt Christus selbst durch ihn. Auch in der Predigt eines schlichten Kaplans in einsamer Dorfkirche vernimmt der Gläubige Christi Wort. Weil ihre Verkündigung an Christus ausschließlich gebunden ist, darum hält die Kirche trotzig und starr an der überkommenen Christusbotschaft fest. Darum gibt es bei ihr kein Liebäugeln und kein Verbrüdern mit dem Zeitgeist. Ihr Lehren ist und soll nichts anderes sein als ein Fortüberliefern der von den Aposteln verkündeten Botschaft Christi. Was Paulus seinem Schüler Timotheus einschärft: „Timotheus, bewahre das dir Anvertraute!“ (2 Tim 1,14), das ist der Leitsatz aller kirchlichen Lehrverkündigung. Von dieser Grundeinstellung aus wandte sich die Kirche von jeher gegen jede Trübung oder Bedrohung der überlieferten Botschaft. Da zögerte sie nicht, selbst über ihre größten Söhne hinwegzuschreiten, über einen Origenes, einen Augustus und selbst über einen Thomas von Aquin. Überall da, wo nicht die Überlieferung, sondern das enge eigene Denken zum Träger der Christusbotschaft gemacht werden sollte, da sprach sie ihr Verwerfungsurteil aus. Und dieses Urteil würde sie fällen, selbst wenn ein Engel vom Himmel käme, der anders lehrte, als sie von den Aposteln überkommen hat. Das Traditionsprinzip ist ein Pfeiler, auf dem die Kirche erbaut ist. Wer daran rüttelt, bringt sie ins Wanken.
Noch unmittelbarer denn hinter dem kirchlichen Lehramt steht Christus, der Herr der Kirche, hinter deren sakramentalem Wirken. Die sakramentale Gnade, die eine dauernde Gottverbundenheit schafft, wird nicht durch die persönlichen sittlich-religiösen Bemühungen des Sakramentenspenders erzeugt, sondern durch den bloßen Vollzug des sakramentalen Zeichens (ex opere operato). Indem die Verbindung von Wort und Ding (die das Sakrament ausmachen) vollzogen wird, wird das sichtbare Zeichen zum Werk Christi (opus Christi), das unabhängig vom persönlichen Anteil des Empfängers kraft seines gültigen Vollzugs die sakramentale Gnade wirkt. Dadurch, dass im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit das Taufwasser über das Haupt des unmündigen Kindes gegossen wird, wird das Kind, eben durch den Vollzug dieses Aktes, von der Erbschuld abgewaschen und in die göttliche Liebesgemeinschaft aufgenommen. Es öffnet sich gleichsam der Himmel, und die Stimme des Vaters ruft: „Du bist mein geliebtes Kind.“ Da, wo es sich um die Rechtfertigung eines mündigen, zum religiös-sittlichen Bewusstsein erwachten Menschen handelt, muss sich der Empfänger, von der zuvorkommenden Gnade erfasst, für die im sakramentalen Akt objektiv dargebotene Gnade subjektiv – durch Akte des Glaubens, der Buße und Reue – vorbereiten. Diese religiös-sittliche Bemühung des Erwachsenen ist aber nicht die wirkende Ursache der Begnadigung (causa efficiens), sondern bereitet nur darauf vor (causa dispositiva). Die Wirkursache der Gnade ist ausschließlich Christus selbst, der durch das von ihm festgesetzte Gnadenzeichen seinen Gnadenwillen kundtut und anbietet. Die sakramentale Gnade ist also etwas Geschenktes, was jenseits aller persönlichen Bemühung durch den sakramentalen Akt bereits gewährleistet ist. Ob diese ursprünglich bereits dargebotene sakramentale Gnade auch wirklich für mich wirksam wird, d.h. ob sie in mir den Zustand der Rechtfertigung tatsächlich herstellt oder vervollkommnet, das hängt von dem Ernst ab, mit dem ich mich der zuvorkommenden Gnade geöffnet und auf den Sakramentenempfang vorbereitet habe. Der katholische Sakramentsbegriff setzt also, sofern er auf eine persönliche Aneignung der sakramentalen Gnade hinzielt, die religiöse-sittliche Mitwirkung des Empfängers voraus. Darum hat er mit jenem Zauber nichts zu tun, der vom kraftgeladenen „Mana“ allein Heil erwartet. Mana ist ein ursprünglich polynesisches Wort für eine dem magischen Denken früher Kulturen vertraute übernatürliche Kraft, die in Naturerscheinungen, Dingen (Fetisch), Tieren, aber auch im Menschen wirksam sein kann. Sie wird als numinose Macht erfahren, die zum Guten oder Bösen wirken kann. Ihr Besitz oder ihre Kontrolle wird als größter Vorteil angesehen und gilt teilweise als übertragbar.
Die Wirkweise der Sakramente, die ich Ihnen soeben erklärt habe und die in dem lateinischen Begriff ex opere operato ausgedrückt wird, nehmen Gegner der Kirche zum Anlass, sie der Magie zu bezichtigen. Protestantische Theologen und auch Goethe bezeichnen die katholische Religion als den magischen Typus der christlichen Religion. Das ist ein ungeheurer, ein ungeheuerlicher Vorwurf. Magie ist eine rituelle Technik, durch die der Mensch höhere Mächte beeinflussen, die guten für sich und seine Zwecke gewinnen und die bösen abwehren will. Diese Auseinandersetzung vollzieht er durch die Handhabung sinnlicher Beziehungsmittel (Worte, Gesten, Orte, Zeiten, Gegenstände). Kern der Magie ist der Glaube an die Automatik der Kraftwirkung und der Wille zur Nötigung der Gottheit. Das (der Magie zugrunde liegende) magische Denken vertraut auf eine in den magischen Handlungen, Worten und Dingen enthaltene automatisch wirkende Kraft. Der magische Mensch will durch dingliche Praktiken Macht über die Gottheit bekommen, sie zu bestimmten Offenbarungen nötigen, die Unberechenbarkeit ihrer Machtausübung durchschauen und ihre Kraft für sich nutzbar machen. Das Christentum verabscheut jede Art von Magie. Religion und Magie fallen in ihrem innersten Wesen auseinander. Religion beugt sich dem Göttlichen; Magie will das Göttliche zwingen bzw. umgehen. Im Neuen Testatment und in den ersten christlichen Jahrhunderten wird der Kampf gegen Magie kompromisslos geführt. Die Sakramente sind nicht magisch aufzufassen. Sie sind vielmehr Medium personaler Begegnung zwischen dem sich unbedingt zusagenden Gott und dem sich öffnenden Menschen. Zwar wirken die Sakramente ex opere operato. Das bedeutet jedoch nur, dass Christus seinen Heilswillen an den Vollzug dieser Zeichen gebunden hat, nicht aber, dass sie ohne Disposition sittlich personaler Art des Empfängers wirken. In den Sakramenten unserer Kirche wird nicht der Wille eines Magiers auf andere übertragen, sondern der Kraft Gottes ein Werkzeug zur Verfügung gestellt, durch das sie ihre Wirkung ausübt. Der primäre und unsichtbare Spender der Sakramente ist Gott durch Christus (1 Kor 4,1), sekundärer und sichtbarer Spender ist der Mensch auf Erden. Den magischen Riten fehlt die wirkliche Verknüpfung der Gnade mit dem jeweiligen Brauch durch die Allmacht Gottes und damit das Wesensstück des Sakramentes, wodurch es von der Magie geschieden ist.
Etwas Dingliches, Unpersönliches bleibt im katholischen Sakramentsbegriff verborgen. Es bleibt wahr, dass die Gnade Christi nicht mit der sittlich-religiösen Betätigung des Gläubigen oder des Priesters, sondern mit der objektiven Setzung des Gnadenzeichens ursächlich verbunden wird. Aber warum ist das so? Gerade im Unpersönlichen, Dinglichen des Sakramentes kommt das Tiefste zum Ausdruck, was die Kirche ihr Eigen nennt: ihre innigste Verbundenheit mit Christus, ihr Wirken rein aus der Fülle Christi, ihr Heiligen durch die Kraft Christi allein. Eben weil es nicht das Menschliche an ihr ist, was die Menschen heiligt, sondern allein die Kraft Christi, darum ist der Segen Christi nicht an rein natürliches, menschliches Wirken gebunden, sondern an ein totes Zeichen, das nichts für sich hat als den Vorzug, ein Zeichen Christi, ein gültiger Ausdruck seines Gnadenwillens zu sein. Der kirchliche Sakramentsbegriff will also gerade das Tiefste im Christentum wahren, die völlige Ungeschuldetheit der Gnade und den Gedanken, dass Christus „alles in allem“ ist. In jahrhundertelangen Kämpfen wiederholte die Kirche das Wort des hl. Augustus: „Die Sakramente heiligen durch sich selbst, nicht durch die Menschen.“ Denn nicht die Menschen taufen und sprechen von der Sünde frei, sondern Christus allein. Das christliche Sakrament schaltet gerade durch sein unpersönliches Gepräge alle menschlichen Heilsvermittler aus. Dadurch gewährleistet es den unmittelbaren freien Lebensaustausch zwischen Haupt und den Gliedern. Dementsprechend singt der gläubige Christ: Du hast dich mir ganz gegeben, bist mein Freund in jeder Not. Meine Speis’ bist du im Leben, sei mein Lohn nach meinem Tod. Von dir alle Gnaden fließen, die wir hier und dort genießen. Du bist unser Herr und Gott.
Amen.