Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Juli 2009

Die kommende Wirklichkeit des Reiches Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Ein jeder von uns betet an jedem Tage: „Dein Reich komme!“ Im Gebet des Herrn, im Vaterunser, lautet eine der ersten Bitten: „Dein Reich komme!“ Was ist darunter zu verstehen? Zunächst einmal ist sicher, dass das Reich noch nicht da ist, denn sonst bräuchte man nicht darum zu bitten: „Dein Reiche komme!“ Es soll kommen; es ist unser Flehen, dass es komme. Das Reich Gottes ist eine zukünftige Wirklichkeit. Es ist jene Wirklichkeit, in der Gott alles in allem sein wird, wo alle Ärgernisse, alle Sünde, alles Böse ausgerottet sind, wo der neue Himmel und die neue Erde angebrochen ist. „Dein Reich komme!“ Darum flehen wir. In einer gewissen Weise nehmen alle, die vollendet sind, also die sich im Himmel befinden, schon jetzt an diesem Reiche Gottes teil. Der Himmel ist, so kann man sagen, ein vorläufiger Bestandteil des Reiches Gottes.

Auch auf der Erde, auf der jetzigen Erde, auf der heutigen Erde hat das Reich Gottes in gewisser Hinsicht eine Stelle. Es gibt nämlich ein Organ des Reiches Gottes, einen Herold des Reiches Gottes; das Organ und der Herold des Reiches Gottes nennen wir katholische Kirche. Sie ist dafür aufgestellt, die Menschen zu bereiten, die in das Reich Gottes eingehen sollen und in dieses Reich einzugehen bestrebt sind. Die Jenseitigkeit und die Zukünftigkeit des Reiches Gottes war für die Jünger schwer zu verstehen. Sie dachten immer, Jesus würde ein jüdisches Reich aufrichten, ein Nationalreich, ein Reich, in dem die Römer vertrieben sind und wo die Juden herrschen. Und in diesem Reiche, so meinten sie, gibt es auch Posten zu verteilen. Die Mutter der beiden Zebedäussöhne wollte, dass der eine ihrer Söhne rechts und der andere links vom König dieses Reiches, nämlich von Christus, sitzen werden. Die Jünger fragten auch, wer der Größte sei in diesem Reiche. Es gibt eine Rangordnung, das wußten sie, und da interessierte es sie, wer der Erste und der Bedeutendste in diesem Reiche sein würde. Und da wurden sie nun enttäuscht. Der Herr rief ein Kind herbei – ein Kind! – stellte es in ihre Mitte und sagte: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie Kinder, werdet ihr in das Reich Gottes nicht eingehen. Wer klein wird wie dieses Kind, der ist tauglich für das Reich Gottes.“

Meine lieben Freunde, diese Wahrheit vom Reiche Gottes muss uns in die tiefste Seele einsinken. Wir müssen begreifen, dass wir für dieses Reich unterwegs sind und dass es an uns ist, dieses Reich zu bereiten, soweit es auf menschliche Kräfte ankommt, dass es unsere Tugenden und unsere Heiligkeit sind, die diesem Reiche den Weg bereiten. Das Reich Gottes wird weit mehr durch Heilige vorbereitet als durch Hierarchen. Hierarchen wird die Kirche immer finden, in bösen wie in guten Zeiten. Aber es kommt darauf an, dass sie auch Heilige findet, dass die Menschen in der Gesinnung Jesu wachsen, zunehmen und auf diese Weise ihre Herzen für das Kommen des Reiches bereiten.

Nun hat es immer Übertreibungen gegeben. Es gab immer Antihierarchen, also Angehörige von Sekten, welche leugneten, dass es in der Kirche eine Hierarchie, eine heilige Ordnung göttlichen Rechtes gibt. Im 13. Jahrhundert waren das die Katherer, die Reinen, wie sie sich selbst nannten, die leugneten, dass Christus eine äußere Organisation eingesetzt hat, die man Kirche nennt, die bestritten, dass es eine Hierarchie gibt, die das Priestertum ablehnten und die Sakramente verwarfen. In gewisser Hinsicht gehört hierzu auch der Protestantismus, denn im Protestantismus gibt es keine Hierarchie göttlichen Rechtes. Die Stufen, die es auch im Protestantismus gibt, sind menschlichen Rechtes, von Menschen erfunden. Seine Amtsträger haben keine Verähnlichung mit dem obersten Hierarchen, mit Christus. Sie sind Laien, die für gewisse kirchliche Dienste bestell sind, aber sie sind keine mit Christus verähnlichte Priester.

Selbstverständlich hat Christus eine Kirche gewollt auch mit bestimmten Organen. Er wußte, dass sonst sich seine Wahrheit und seine Gnade nicht durchhalten würden. Es war ihm bewußt, dass es eine Ordnung geben muss, eine hierarchische, eine rechtliche Ordnung, wenn sein irdisches Reich, die Kirche, Bestand haben sollte. Aber er wußte ebenso gut, dass die äußere Organisation eine Gefahr sein kann, eine Gefahr, weil sich sofort der menschliche Ehrgeiz dieser Organisation bemächtigt. Was ist Ehrgeiz? Ehrgeiz ist das ungeordnete Streben nach Ansehen, nach Macht, nach Einfluß unter Vernachlässigung der sachlichen Ordnung und des Willens Gottes. Ungeordnetes Streben nach Macht und Einfluß unter Außerachtlassung der sachlichen Werthaftigkeit, der ja alle Macht dienen soll. Der Ehrgeiz ist eine schlimme Verirrung und eine große Gefahr für die Kirche. Denn der Ehrgeiz macht die Arbeit in der Kirche und die Vollmachten in der Kirche von dem persönlichen Egoismus der Inhaber dieser Macht abhängig. Der Ehrgeiz arbeitet für sich und nicht für die Sache, und darin liegt eine totale Verkehrung. Der Diener Christi muss ganz hinter der Sache zurücktreten. Er muss hinter der Sache gleichsam verschwinden.

Das Ideal, das Christus seinen Dienern vorsetzt, ist der demütige Mensch, der innerlich demütige Mensch, der die Vollmachten, die ihm übertragen sind, als Dienst ansieht, als Dienst für Gott an den Seelen. Wer anders denkt, ist in der Hierarchie der Kirche fehl am Platze. Jeder Diener Christi muss täglich beten: „Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem heiligen Namen gib die Ehre!“

Und als Vorbild dieser Demut stellt Jesus das Kind hin. Wir müssen also jetzt untersuchen, wieso das Kind ein Vorbild für uns sein kann. „Wenn ihr euch nicht ändert, wenn ihr euch nicht umkehrt, wenn ihr euch nicht wandelt und werdet wie Kinder, könnt ihr in das Reich Gottes nicht eingehen.“ Der Herr verlangt von uns eine Wandlung, eine Wiedergeburt. Von Natur aus sind wir triebhaft, egoistisch, eigensinnig, machtgierig, und wir sollen anders werden. Wir sollen zurücktreten hinter der Aufgabe, die uns gegeben ist. Wir sollen uns wandeln. Kann sich der Mensch wandeln? O ja, er kann, wenn er will! Schon das Schicksal, das uns trifft, wandelt uns in gewisser Hinsicht. Die Schläge, die wir erhalten, das Leid, das uns trifft, die Krankheiten, die uns überfallen, arbeiten an unserer Seele, dass wir uns wandeln, dass wir von der naturhaften Triebhaftigkeit zur göttlichen Heiligkeit gelangen. Gott gewährt uns, vielen von uns, einen langen Lebensweg,, damit wir Zeit haben, uns zu wandeln. Wir müssen nur die Zeit benutzen; sie ist uns aufgegeben. Er hilft uns mit seiner Lehre. Ach, meine lieben Freunde, ich kann mich immer wieder nicht genug bedanken dafür, dass uns Gott seine Offenbarung gegeben hat, seine Gebote. Wir wissen jetzt, wie wir gehen müssen; wir wissen, wie wir sein müssen; wir wissen, was wir anstreben müssen. Und er hilft uns mit seinen Sakramenten. Taufe, Firmung, Bußsakrament, Eucharistie, diese wunderbaren Geheimnisse wirken in uns, aber sie wirken – ich sage es noch einmal – sie wirken nach der Maßgabe unserer Mitwirkung, nach der Maßgabe unserer Disposition, unserer Vorbereitung, unserer Hingabe. Sie wirken nicht zauberhaft. Sakramente sind keine Zaubereien, sondern sie sind göttlich Wirkkräfte, die von uns verlangen, dass wir sie in uns sich auswirken lassen. Wir sollen also neue Menschen werden, und dafür gibt uns der Herr als Vorbild das Kind.

Das Kind macht nichts aus sich. Wenn Sie einmal in Familien kommen mit vielen Kindern, da können Sie beobachten, dass da nicht so viel Aufsehen um das einzelne Kind gemacht wird. Je weniger Kinder, um so mehr Aufsehen wird gemacht um das Kind. In einer Familie mit vielen Kindern, da müssen sich alle einordnen und unterordnen. Da hat das Kind nicht Seltenheitswert und dient zur Spielerei, sondern es hat seine Aufgaben.

Was können wir vom Kind lernen? Es fehlt ihm die Angeberei, das Prunken mit eigenen Gaben und Leistungen, das Sich-selbst-Rühmen, das Prahlen, das Aufschneiden, das Großtun, die Wichtigtuerei, die Überheblichkeit, das Sich-Brüsten. Das alles fehlt dem Kinde. Und so sollen wir werden. Ein Kind ist arglos. Es kennt noch nicht das Böse und weiß nichts von bösen Menschen. Es nimmt von den anderen an, dass sie gut sind, und deswegen hat es Vertrauen zu ihnen. Wir müssen also unseren Argwohn, unser Mißtrauen gegen die Menschen, mit dem wir immer das Schlechte annehmen, fallen lassen. Wir müssen den Menschen einen Vorschuß von Vertrauen einräumen, nicht sie von vornherein unter Verdacht stellen; lieber sich betrügen lassen, als sich überhaupt nicht mit den Menschen einlassen.

Einem Kind fehlt die Berechnung. Wir Erwachsenen neigen dazu, in allem, was wir tun, etwas für uns haben zu wollen. Wir fragen immer: Was habe ich davon? Wir wollen immer einen Gewinn für uns selbst haben, und das sogar in der Religion. Ein solches Denken ist dem Kinde fern. Das Kind ist zweckfrei. Das Kind ist von der Sache gefesselt und nicht vom eigenen Ehrgeiz. Wir sollen jene Züge des Kindes annehmen, die sich auch für den Erwachsenen ziemen, zum Beispiel das rasche Abklingen der inneren Regungen. Das geht beim Kinde sehr schnell, Lachen und Weinen liegen nahe beieinander. Auch die schnelle Bereitschaft zur Versöhnung können wir vom Kind lernen: nicht nachtragen, nicht immer wieder darauf zurückkommen, nicht immer wieder dem anderen vorhalten, was er angeblich oder wirklich getan hat. Wir können vom Kind lernen, dass man nicht nach Rang und Würden hascht, sondern dass man mit dem letzten Platz zufrieden ist. Wenn wir so ein Kind betrachten, und wir sollten es oft betrachten, dann erkennen wir, welchen Liebreiz es an sich trägt, wieviel Güte und Menschlichkeit an ihm offenbar wird. So sollen wir werden. Wir können die Entwicklung nicht zurückschrauben, aber wir können über uns hinausgehen und werden wie Kinder. Das gibt es doch. Es gibt begnadete Menschen, die ein kindliches Herz haben. Sie haben keine Hintergedanken, sie sind arglos und von Herzen gut. Einen dieser Menschen kennen Sie alle. Es ist die heilige Theresia Martin, Theresia von Lisieux, die sogenannte kleine heilige Theresia. Von ihr stammt das Wort: „Das einzige Mittel, auf dem Wege der Liebe voranzuschreiten, ist dieses: Immer recht klein bleiben. Um sich Jesus nähern zu können, muss man klein sein. Klein sein heißt“, so schreibt sie, „sein Nichts erkennen, alles vom lieben Gott erwarten, sich über seine Fehler nicht allzu sehr betrüben. Klein sein heißt“, so schreibt sie weiter, „ sich keine Verdienste aufspeichern, sich über nichts beunruhigen wollen. Klein sein heißt“, zum letzten Mal, „die Tugenden, die man übt, niemals sich selbst zuschreiben, sondern erkennen, dass sie ein Schatz sind, den Gott in die Hand seines Kindes legt.“

Immer hat man in der Kirche gewußt, dass wir werden sollen wie Kinder. Und wenige habe es so ergreifend schön ausgedrückt wie unser schlesischer Dichter Johannes Scheffler, Angelus Silesius: „Mensch, wirst du nicht ein Kind, so gehst du nimmer ein, wo Gottes Kinder sind; die Tür ist gar zu klein. Ach könnte nur dein Herz zu einer Krippe werden, Gott würde noch einmal ein Kind auf dieser Erden.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt