7. April 2013
Das Damaskuserlebnis
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Auf der Straße nach Damaskus hat sich ein denkwürdiges Ereignis abgespielt. Der entscheidende Moment im Leben des Saulus, oder, wie er bald genannt werden sollte, des Paulus. Eine Wende, eine Umkehrung seiner ganzen Perspektive. Jetzt begann er alles als Verlust und Unrat anzusehen, was ihm bisher als das Ideal seines Lebens gegolten hatte: Der Eifer für das Gesetz des Alten Bundes. Was war passiert? Es liegen uns zwei Arten von Quellen vor: Einmal der Bericht des Evangelisten und des Verfassers der Apostelgeschichte, Lukas. An drei Stellen in der Apostelgeschichte, im neunten, im zweiundzwanzigsten und im sechsundzwanzigsten Kapitel, kommt er auf die Bekehrung, auf die Wendung im Leben des Apostels Paulus zu sprechen. Wir brauchen uns nicht lange mit den Einzelheiten aufzuhalten, also die Lichterscheinung, der Sturz auf den Boden, die Stimme, die ruft, der Zustand der Blindheit, die Heilung, die ihm dann zuteil wird und das Fasten. Alle diese Einzelheiten beziehen sich auf den Kern des Ereignisses. Und dieser Kern ist der auferstandene Christus. Er erscheint wie ein strahlendes Licht, spricht zu Saulus und verwandelt so sein Denken und sogar sein ganzes Leben. Die Strahlen des Auferstandenen machen ihn blind. Er kann einige Tage nicht sehen, und in dieser äußeren Blindheit zeigt sich die Blindheit seines Herzens. Er war bisher blind und verblendet. Aber dann öffnet das endgültige Ja zu Christus ihm die Augen. Er wird getauft, und er empfängt die Erleuchtung. Die alten Christen bezeichneten die Taufe als Erleuchtung aus dem Grunde, weil das Licht Christi den Getauften aufgeht. Die Wahrheit Christi, die Gnade Christi, das ist Licht, das ist Erleuchtung. Und so ist auch Paulus durch die Erscheinung und durch die folgende Taufe erleuchtet worden. Er ist nicht durch Nachdenken oder durch Studieren zu seiner neuen Erfahrung gekommen, sondern durch ein Ereignis, durch ein Erlebnis, durch ein Widerfahrnis, durch die unwiderstehliche Gegenwart des Auferstandenen. Der Bericht des Lukas wird vermutlich seine Geschichte haben. Man kann annehmen, dass er den Bericht über die Bekehrung des Paulus in Damaskus erhalten hat. Damaskus ist uns heute vertraut durch den Bürgerkrieg in Syrien. Für die Herkunft des Berichtes aus Damaskus spricht das Lokalkolorit des dreifachen Berichtes. Da ist die Rede von einem Christen namens Ananias. Da ist die Rede von der Geraden Straße. Noch heute kann man in Damaskus die Gerade Straße, 1,6 km, sehen. Da ist die Rede vom Hause des Judas, in dem Paulus abgestiegen ist. Das alles wird sich in der Gemeinde von Damaskus als Erinnerung erhalten haben. Der Christ in Damaskus erhält von Gott einen Auftrag an Paulus. Er zögert, denn er weiß: Der Mann ist ein gefährlicher Christenverfolger. Aber Gott teilt ihm zur Beruhigung mit: „Er betet.“ Also er ist nicht mehr mit dem Gedanken der Verfolgung beschäftigt, sondern er wendet sich an Gott. Und Ananias teilt Paulus im Auftrag des Herrn mit, was seine künftige Aufgabe sein soll. Du sollst ein Zeuge sein für Christus, allen Menschen gegenüber für das, was du gesehen und gehört hast.
Die zweite Quelle für das Widerfahrnis des Paulus sind seine eigenen Briefe. Er hat zwar niemals ausführlich über das Ereignis gesprochen, denn er konnte annehmen, dass es allgemein bekannt war. Aber an mehreren Stellen spricht er, wie er von einem Verfolger zum glühenden Anhänger Christi verwandelt wurde. Er bezeugt, dass er ein Zeuge der Auferstehung, genauer des Auferstandenen ist, und dass er seine Sendung als Apostel vom Auferstandenen erhalten hat. Mit Worten der Überlieferung spricht er im ersten Brief an die Korinther von seiner Erfahrung: Dass Christus gestorben ist, dass er begraben wurde, dass er auferstanden ist und dass er nach der Auferstehung erschien. Zuerst dem Kephas, Petrus. Dann den Zwölfen, danach fünfhundert Brüdern auf einmal und dem Jakobus und schließlich allen Aposteln. Und diesem von der Überlieferung empfangenen Bericht fügt er hinzu: „Zuletzt –zuletzt- erschien er auch mir.“ Das Wort „zuletzt“ oder als Letztem meint nicht, dass seine Begegnung mit Christus die letzte in der Zeit war, sondern dass er der Unwürdigste von allen ist, welche die Erfahrung Christi, des Auferstandenen gemacht hatten. „Denn ich habe die Kirche Christi verfolgt.“ Er ist unwürdig gewesen, diese Erscheinung zu erhalten.
Dieses Sichtbarwerden des Auferstandenen vor Paulus ist von großem Gewicht. Warum? Sonst ist der Auferstandene lediglich seinen Jüngern erschienen, nicht allem Volke, sondern den von Gott bestimmten Zeugen, und das waren eben seine Jünger, die allerdings alles andere als leichtgläubig waren. Auch sie zweifelten, meinten, einen Totengeist zu sehen, und mussten erst durch massive Beweise von der Wirklichkeit und der Identität mit dem Gekreuzigten überzeugt werden. Die Erscheinung vor Paulus ist anderer Art. Denn hier ist der Auferstandene einem Mann erschienen, der nicht zu seinen Jüngern gehörte, einem Ungläubigen, einem Feind, einem Verfolger. In ihm war also nicht die latente Bereitschaft, sich wieder im Glauben Jesus zuzuwenden. Es fehlte jede psychologische Bereitschaft und auch jede theologische Voraussetzung, dass er sich zu Jesus bekennen würde und so die Entscheidung treffen könnte, sich zu ihm zu bekehren. Die Christophanie, also die Christuserscheinung des Paulus, war keine subjektive Vision, keine innere Schau, keine ekstatische Entrückung. Nein: Paulus hat den Auferstandenen wirklich gesehen. Gott selbst offenbart ihm vom Himmel her seinen messianischen Sohn, indem er ihn aus seiner himmlischen Verborgenheit sichtbar hervortreten lässt. Im Lichte dieser überwältigenden Rechtfertigung des Gekreuzigten durch Gott selbst sieht sich der Verfolger aufs Schärfste ins Unrecht gesetzt, erkennt er seine Feindschaft gegen den Sohn Gottes als unselige Verirrung. Seine bisherige Jesusauffassung geht in Trümmer, und eine neue zieht herauf. Der Gekreuzigte, er und kein anderer, ist der Messias. Und in ihm und in keinem anderen ist das Heil! Neben der Christwerdung des bisherigen Gesetzesfanatikers und neben der radikalen Umwandlung des Christenverfolgers in einen Christenbekenner bedeutet der Tag von Damaskus für Paulus auch die Berufung zum Apostel. Erinnern wir uns daran, dass, als Judas ersetzt werden musste, die Apostel sagten: Es muss jemand sein, der mit uns Zeuge der Auferstehung wird. Also das ist der Beruf des Apostels, die Auferstehung Jesus zu bezeugen. Und das konnte nun Paulus wahrlich, denn er hatte den Auferstandenen gesehen. Und so gibt er an mehreren Stellen seiner Briefe zu erkennen, dass er zu einem neuen Leben durch den Auferstandenen erweckt worden ist. „Durch Jesus Christus haben wir Gnade und Apostelamt empfangen“, schreibt er im Brief an die Römer. „Durch Jesus Christus, den Auferstandenen, haben wir Gnade und Apostelamt empfangen.“ Im 1. Korintherbrief fragt er: „Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen – vor Damaskus?“ Der ausführlichste Text steht im Brief an die Galater. „Als aber Gott, der mich schon vom Mutterleib an berufen und durch seine Gnade erwählt hat, mir in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn den Heiden verkündige, da zog ich keinen Menschen zu Rat. Ich ging auch nicht sogleich nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern begab mich nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück.“ Das ist der ausführlichste Bericht, den Paulus von seinem umwerfenden Erlebnis gibt. In dieser Selbstverteidigung unterstreicht er mit Entschiedenheit, dass auch er wahrer Zeuge der Auferstehung Jesu ist und dass er einen eigenen Auftrag besitzt, den er unmittelbar vom Auferstandenen empfangen hat. Die Quellen des Lukas und er selbst stimmen also völlig überein. Sie bezeugen, dass Paulus nicht durch einen psychogenen Prozess zu Christus gefunden hat, sondern durch ein echtes Widerfahrnis.
Und wir sehen an Paulus auch, dass die unmittelbare Begegnung mit Christus den Eintritt in die Kirche und den Empfang des Taufsakramentes nicht überflüssig macht, denn er wurde in Damaskus getauft. Nur in der Gemeinschaft der Kirche kann man ein wirklicher Apostel sein. „Ob nun ich verkünde oder die anderen,“ schreibt er im 1.Brief an die Korinther, „das ist unsere Botschaft und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt.“ Es gibt nur eine Verkündigung des Auferstandenen, denn Christus ist auch nur einer. Es ist großer Wert darauf zu legen, meine lieben Freunde, dass die Wende im Leben des Paulus, die Verwandlung seines gesamten Daseins, nicht das Ergebnis eines psychischen Prozesses ist, einer intellektuellen oder moralischen Reifung oder Entwicklung. Nein, die Wende in seinem Leben kam von außen. Die Begegnung mit Christus war gewissermaßen der Untergang des bisherigen Paulus und der Aufgang des neuen Paulus, des Paulus, der nach dem Bilde Christi geformt ist. Auf keine andere Weise lässt sich die Erneuerung des Paulus erklären. Alle psychologischen Versuche, diese Wende zu deuten, laufen ins Leere. Diese Bekehrung war eine wirkliche Erneuerung, die alle seine bisherigen Maßstäbe umwarf. Durch die Wahrheit, die ihm vor Damaskus zuteil geworden ist, hat Paulus sein Herz erweitert gesehen. In diesem Moment hat er nichts verloren von dem, was an Gutem und Wahrem in ihm war. Er blieb nach wie vor ein fester Anhänger des Alten Testamentes, des Alten Bundes. Aber er hat begriffen, dass der Alte Bund im Neuen erfüllt ist. Er hat verstanden, dass das, was bisher verborgen war, in Christus offenbar geworden ist. Seine Vernunft hat sich erweitert, sodass er auch die Weisheit der Heiden begriffen hat. Paulus hat versucht, die Erkenntnisse, die die Heiden mit ihrem Streben und Suchen nach Gottgefunden hatten, zu integrieren. So spricht er in Athen von der Gottesfürchtigkeit der Athener, die viele Altäre gebaut haben, um Gott zu verehren. Er war fähig geworden, Apostel der Heiden zu werden.
Nun, meine lieben Freunde, was bedeutet das für uns? Es bedeutet, dass das Christentum keine neue Philosophie, keine neue Moral ist, sondern das Christentum ist wesentlich Christusbegegnung. Sicher zeigt sich uns der Herr nicht auf so unwiderstehliche Weise, wie er sich dem Paulus geoffenbart hat, um ihn zum Apostel der Völker zu machen. Aber auch wir können Christus begegnen. Und, meine lieben Freunde, wenn wir wirkliche Christen sein wollen, müssen wir ihm begegnen. Wie und worin? Die wichtigste Begegnung mit Christus geschieht im Gebet. Wenn wir zu ihm beten, wenn wir durch ihn beten zum Vater im Himmel, da begegnen wir Christus. Und es ist im christlichen Leben nichts erreicht, wenn man nicht eine persönliche Beziehung zu Christus im Gebet gefunden hat. Wir können Christus auch auf andere Weise begegnen: Im Wort der Verkündigung, in der Heiligen Schrift. Auch da spricht Christus zu uns. Und vor allem natürlich finden wir ihn im eucharistischen Opfersakrament. Da ist er wahrhaft, wirklich und wesentlich zugegen, wie das Konzil von Trient in immer gültiger Weise ausgesagt hat: „Wahrhaft, wirklich und wesentlich.“ Nicht im Bild, nicht im Symbol, sondern in seiner Wirklichkeit, verborgen unter der Brots- und Weingestalt. Zwei Dinge sind es, meine lieben Freunde, die den Christen sieghaft und tatkräftig, fest und unerschütterlich machen: Der Glaube an den auferstandenen Herrn und die persönliche Verbundenheit mit unserem Gott und Heiland. Wer die persönliche Verbindung mit dem auferstandenen Herrn findet, der fällt vor ihm nieder auf die Knie und spricht wie Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“
Amen.