2. September 2018
Der allmächtige Gott
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im Schlusssegen jeder heiligen Messe rufen wir den allmächtigen Gott an: „Es segne euch der allmächtige Gott.“ Allmächtig ist eine Wesensbezeichnung Gottes. Sie dient der Unterscheidung des wahren Gottes von den falschen Göttern, von den schwachen und ohnmächtigen Götzen, welche die Heiden verehren. Gott ist allmächtig, d.h. er vermag alles zu vollbringen, was er wollen kann. Die Macht Gottes ist von allem Außergöttlichen unabhängig. Sie ist gegründet in sich selbst, sie ist schrankenlos. Nach ihrer inneren Kraft ebenso wie nach dem Umfang ihrer Wirkungsmöglichkeit ist sie unendlich. Gott kann alles, was innerlich möglich ist. Die Macht Gottes ist schöpferisch, und zwar wegen ihrer absoluten Unabhängigkeit und Voraussetzungslosigkeit. Sie ist im eigentlichen Sinne absolut schöpferisch. Sie bewirkt das Sein und das Tun der Dinge, und zwar mühelos, ohne Ermattung, ohne Erschöpfung. Seine Macht zeigt sich namentlich darin, dass er den von ihm geschaffenen Dingen selbst Macht verleihen kann, wiederum ihrerseits Ursachen zu werden.
Nicht kann Gegenstand göttlicher Macht sein das in sich Widerspruchsvolle, das Undenkbare. Die Voraussetzungslosigkeit des göttlichen Willens und der göttlichen Macht ist auch nicht im Sinne der Willkür zu verstehen. Die Macht Gottes fällt zusammen mit seiner Wahrheit, seiner Heiligkeit, seiner Gerechtigkeit und seiner Weisheit. Sie kann sich nicht im Widerspruch zu diesen Eigenschaften betätigen. Die göttliche Macht ist auch keine blinde Naturkraft, die den Menschen zermalmt, gegen den er sich in trotziger Selbstbehauptung aufbäumen müsste. Nein, die Macht Gottes äußert sich in der Weise der Liebe. So wird sie gerade der Grund für das Vertrauen auf den Vater, der mit starker Hand unsere Geschicke zum glücklichen Ende führt. Dass Gott allmächtig ist, heißt, dass die Liebe allmächtig ist. Infolge der Identität von Liebe und Macht kann Gott nicht sündigen. Das ist keine Einschränkung seiner Macht. Der Mensch, der lügen und betrügen kann, ist nicht deswegen etwa mächtiger als Gott, denn die Sünde ist vielmehr Zeichen seiner Schwäche, seiner Begrenztheit, seiner Unzulänglichkeit. Der Mensch sündigt, d.h. er wendet sich in ungeordneter Weise einem Geschöpf zu, weil er sich selbst nicht genügt und beim Geschöpf Erfüllung seines Wesens sucht. Gott dagegen genügt sich selbst. Dass er nicht sündigen kann, ist in seiner Größe und in seinem Reichtum begründet.
Gottes Allmacht bewährt sich und offenbart sich besonders in der Schöpfung. In jedem Glaubensbekenntnis bekennen wir Gott als den Schöpfer Himmels und der Erde, d.h. der Gesamtheit der geschöpflichen Wirklichkeit. In einem Psalm heißt es: „Durch das Wort des Herrn ist der Himmel gemacht und sein ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes. Er sprach und er gebot, und es ward geschaffen. Sein Wort ist allmächtig, mühelos bewirkt er das All.“ Die Welt, das All ist nicht immer gewesen. Die Welt ist auch nicht durch ein unergründliches Schicksal ins Dasein geworfen worden, sondern sie ist gegründet durch den allmächtigen Willen Gottes. Die Welt ist nicht selbstverständlich, wie uns die Atheisten weismachen wollen, sie ist nicht notwendig gegeben. Sie ist eine Wirklichkeit, die sich nicht aus sich selbst erklärt; ihre Existenz bedarf der Erklärung. Die Welt ist auch nicht eine nicht zurückführbare, einfach hinzunehmende Wirklichkeit; eine solche Anschauung bricht das Denken zu früh ab. Wir denken weiter. Bei all ihren Bestandteilen ist die Welt ohne irgendeine Voraussetzung von Gott verwirklicht. Gott ist der Urgrund, der eine und einzige Urgrund des Alls. Wir sagen, Gott schuf die Welt aus nichts. Der Ausdruck könnte missverstanden werden. Das Nichts ist nicht ein Grundstoff, aus dem Gott die Welt bildete, er bedeutet vielmehr die Abwesenheit jeder außergöttlichen Mitursache. Nachdem bis daher nichts existierte, begann in der von Gott selbst geschaffenen Stunde die Welt zu existieren. Das Weltgefüge ist nach Inhalt und Wirklichkeit ausschließlich der Allmacht des göttlichen Liebeswillens zu verdanken. Paulus häuft die Verhältniswörter, wenn er von der göttlichen Schöpfung spricht: „Aus ihm und durch ihn und für ihn ist alles.“ Die Schwierigkeit des Begriffes Schöpfung liegt darin, dass wir uns einen absoluten Anfang wegen der Zeitlichkeit unseres Denkens nicht vorzustellen vermögen. Wir müssten Gott sein, um die Schöpfung zu begreifen. Der Abstand vom reinen Nichts zum Sein ist ein unendlicher. Folglich kann er nicht von einer endlichen Ursache überbrückt werden. Gott ist der alleinige und unmittelbare Verursacher alles außergöttlichen Seins. Kein Geschöpf kann einen echt schöpferischen Akt setzen. Die Schöpfung ist eine rein geistige, von jeder stofflichen Voraussetzung unabhängige Tat des göttlichen Willens. Auch der stärkste und machtvollste Wille eines Menschen kann kein Atom hervorbringen. Nichts und Sein sind durch eine unendliche Kluft voneinander geschieden. Nur die Allmacht kann den unermesslichen Abstand zwischen Sein und Nichts überwinden. Nur Gottes Wort, das in sich zugleich Geist und Macht ist, kann, weil es allmächtig ist, die Dinge aus dem Nichts hervorbringen. Die Offenbarung von der Herkunft aller Dinge aus Gott, aus seinem allmächtigen Schöpfungswillen bedeutet nicht, dass die Schöpfung in ihrer heutigen Gestalt oder in irgendeinem bestimmten, von der Wissenschaft feststellbaren Zustand von ihm geschaffen worden wäre, nein, sie lässt für jede Lehre, nach der die Welt sich von kleinsten Anfängen zur heutigen Gestalt entwickelt hat, Raum. Lediglich die Urgebilde, aus denen die ganze Mannigfaltigkeit der Formen entstanden ist, und die beherrschenden Gesetze der Entwicklung müssen von Gott gewirkt sein. Gott ist der Anfang jedes außergöttlichen Anfangs.
Im Licht der Schöpfungslehre erscheint Gott zu Recht als der allvollkommene und gütige Herr des Himmels und der Erde, der von den Menschen und der Welt Anbetung erwarten darf. Daher ist die göttliche Schöpfungstat auch die Begründung der Religion. Weil Gott der Schöpfer Himmels und der Erde ist, ist er ihr Herr; sie sind sein Eigentum. Deshalb kann er über die Dinge verfügen. Sie sind ihm zum Gehorsam verpflichtet. Gott ist Gesetzgeber mit dem bestimmten „du sollst“, „du sollst nicht“. Und zugleich ist er der Herr; sein Wille ist Gesetz. Er hat das sittliche Naturgesetz gegeben. Das sind die sittlichen Normen, die sich aus der Natur der Dinge ergeben. Da ist z.B. das sittliche Naturgesetz der Sprache. Sie ist dazu da, dass man die Gedanken offenbart. Ein Missbrauch, ein Widerstand, eine Übertretung des göttlichen Naturgesetzes ist es, die Sprache zur Täuschung zu gebrauchen. Die objektiven Wesenheiten, die Gott geschaffen hat, sind für den Menschen verbindlich. Gott hat die Menschen durch das sittliche Naturgesetz auf die rechte Bahn des Lebens gesetzt und auf das höchste Ziel der Schöpfung hingeordnet. Das Naturgesetz gilt für alle Menschen und alle Völker und alle Zeiten. Es ist dauernd und unveränderlich. Das ergibt sich aus seiner inneren Wahrheit, aus der Unwandelbarkeit des Gotteswillens und aus der wesentlichen Unveränderlichkeit der menschlichen Natur. Hören Sie nicht auf die Falschlehrer, die das Naturgesetz ablehnen oder umdeuten wollen!
Gott ist der Richter der Lebenden und der Toten. Lebende und Tote heißt soviel wie alle Menschen. Der Mensch, der stirbt, entgeht nicht Gottes Gericht, sondern erscheint vor ihm. Gott vollzieht das Gericht durch den Menschensohn. Geschah seine erste Ankunft wesentlich auf dem Wege der Gnade und Barmherzigkeit, so wird die zweite sich vollziehen auf dem Wege der Gerechtigkeit und der Vergeltung. Gott hat nicht alle Tage Zahltag, aber wenn er Zahltag hat, dann zahlt er mit rechter Münze. Der Gegenstand des Gerichts sind Gute und Böse. Auch die guten und bösen Werke des Geistes und des Leibes, auch die geheimsten Ratschläge des Herzens, sogar die Unterlassungssünden kommen vor sein Gericht. Alles ist vor Gottes Augen bloß und offen. Die Entscheidung erfolgt nach den Werken und ist eine ewige, beständige, unaufhebbare.
Lassen wir uns nicht, meine lieben Freunde, irre machen im Glauben an den allmächtigen Gott. Bekennen wir vielmehr mit dem Beter im Alten Bunde: „Unser Gott ist im Himmel, und alles, was er will, das führt er aus.“ Das Wort Himmel steht nicht für eine räumliche Bestimmtheit, sondern für die alles Geschaffene, auch das Weltall übersteigende transzendente Wirklichkeit Gottes. Er geht also nicht an Raumnot zugrunde, weil wir beginnen, den Weltraum zu erobern. Die Welt ist nicht eine selbstverständliche, notwendig gegebene, aus sich heraus erklärbare Wirklichkeit. Vielmehr hat Gott die Welt in freiem Liebeswillen aus Nichts erschaffen. Gott wird auch nicht überflüssig, weil wir versuchen, die Gesetze der Entwicklung, der Evolution zu enträtseln. Wenn und wo es eine Entwicklung gibt, ist sie von Gott angestoßen und gelenkt. Jede Ursache hat einen Verursacher, und sie muss letztlich zu einer Ursache führen, die selber nicht mehr verursacht ist: zu dem unbeweglichen Beweger, den schon die alten Griechen erkannt hatten. Unser Gott ist unangreifbar. Er wird durch keine philosophische oder naturwissenschaftliche Überlegung entthront. Gott lenkt die Welt nach seinem unergründlichen Willen. Er lenkt auch unser Leben. Er hat gewollt, dass wir auf dieser Erde wandeln, ihn erkennen, ihn lieben, ihm dienen. Er will auch, dass wir zu ihm kommen und ihn mit unverhüllten Augen schauen. Darum dürfen wir Vertrauen und Zuversicht bewahren, meine lieben Freunde, trotz aller Übel in dieser Welt. Es bleibt wahr, was die Gräfin Ida Hahn einmal geschrieben hat: „Über den Sternen, da wird es einst tagen, da wird dein Hoffen und Sehnen gestillt. Was du gelitten, was du getragen, einst ein allmächtiger Vater vergilt.“
Amen.