Predigtreihe: Gott erkennen (Teil 3)
21. August 1994
Das Erkennen des Schöpfers aus der Schöpfung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Wurzel der Krise unserer Kirche ist der weitgehende Zusammenbruch des Glaubens. Diese unumstößliche Erkenntnis bewegt uns, den Hauptgegenstand unseres Glaubens uns vor Augen zu führen, nämlich Gottes Existenz. Daß Gott existiert, ist das grundlegende Dogma des katholischen Glaubens. Die Existenz Gottes wird uns gewiß auf zweifache Weise, nämlich durch die übernatürliche Offenbarung, die Gnadenoffenbarung im Alten und Neuen Testament, und durch die natürliche Offenbarung, d. h. durch Gottes Sichtbarwerden in der Schöpfung.
Die Schöpfung redet von Gott, so wie ein Werk von seinem Werkmeister spricht. Der niederströmende Regen, die leuchtende Sonne, die Blumen des Feldes, die Vögel des Himmels, die Sperlinge auf dem Dache, sie alle künden von dem, der sie geschaffen hat. Wegen dieses Zusammenhanges hat das I. Vatikanische Konzil erklärt: „Der eine und wahre Gott, der Schöpfer und Herr, kann vermittels der natürlichen Dinge kraft des natürlichen Lichtes der Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Sicherheit erkannt werden.“
Es gibt die menschliche Fähigkeit, aus der Schöpfung auf den Schöpfer zu schließen. Der Mensch besitzt die Kraft, Gründe für die Existenz Gottes aus der Welt, d. h. aus der nicht gnadenhaft erhöhten Wirklichkeit zu finden, gegen die es keine entscheidenden Gegengründe gibt. Die Beweise für Gott haben ihre gedankliche Gültigkeit, auch wenn davon zu unterscheiden ist die innerseelische Wirksamkeit. Es ist doch häufig so, daß die logische Kraft eines Beweises nicht gleichzeitig die psychologische Wirksamkeit dieses Beweises in sich schließt. Wenn Gott ins Blickfeld kommt, bedarf es der Haltungen, der innerseelischen Haltungen, mit denen Gott allein adäquat erfaßt werden kann, nämlich Ehrfurcht, Demut, Reinheit und Liebe. Der Mensch sieht ja nur, was er sehen will. Wenn sich seine Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand nicht richtet, dann übersieht er ihn. Nur der Mensch, der Gott finden will, der wird ihn auch finden. Er bedarf dazu nicht nur der Kraft des Verstandes, sondern auch der Kraft des Gemütes und des Willens. Er muß bestimmte innerseelische Haltungen in sich ausbilden, die dem Gegenstand seiner Erkenntnis angemessen sind.
Wenn Gott der Schöpfer der Welt ist, der ganz andere, dann muß sich der Mensch ihm mit scheuer Liebe und liebender Scheu nahen, d h. in Ehrfurcht. Wenn Gott dem Menschen unendlich überlegen ist, dann muß der Mensch in der Erkenntnis seiner seinsmäßigen, geistigen und sittlichen Unterlegenheit in Demut nach Gott suchen. Und wenn Gott der Reinste ist, vor dem die Engel nicht rein sind, dann muß der Mensch losgelöst von irdischen Interessen, vom bloßen Nutzen und von der Sinnlichkeit nach Gott suchen. Wenn Gott die Liebe ist, dann kann nur die Liebe ihn finden. Die Liebe führt den Menschen hin zu Gott, und die Liebe öffnet ihm das Auge für Gott. Der eine und wahre Gott, unser Schöpfer und Herr, kann vermittels der geschaffenen Dinge durch das natürliche Licht der Vernunft mit Sicherheit erkannt werden. So lautet das Dogma des I. Vatikanischen Konzils. Dieses Dogma ist nur der Widerhall dessen, was uns in der Heiligen Schrift gelehrt wird. Die Heilige Schrift, also die Urkunde, welche die gnadenhafte Offenbarung Gottes enthält, bezeugt uns, daß es eine natürliche Erkenntnis Gottes aus den geschaffenen Dingen gibt.
Im Alten Testament ist es das Buch der Weisheit, das uns eindeutig darüber belehrt, daß die Menschen aus dem Werk den Werkmeister hätten erkennen können: „Toren von Natur waren nämlich die Menschen, denen die Erkenntnis Gottes fehlte und die nicht imstande waren, aus den sichtbaren Gütern auf den Seienden zu schließen, und die beim Betrachten der Werke den Werkmeister nicht fanden. Hingegen Feuer, Wind, flüchtige Luft, den Kreis der Sterne, das gewaltige Wasser, die Leuchten des Himmels hielten sie für Götter, die die Welt regieren. Doch wenn sie schon, hingerissen durch deren Schönheit, sie für Götter hielten, so hätten sie billig erkennen sollen, wie viel herrlicher deren Gebieter ist. Denn der Urheber der Schönheit hat sie geschaffen. Und wenn sie schon über deren Kraft und Wirksamkeit staunten, so hätten sie doch daraus schließen sollen, wie viel mächtiger ihr Schöpfer ist. Denn aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe wird durch Vergleich der Schöpfer erschlossen.“ Hier finden wir in wunderbarer Weise, lange vor Christus, die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis ausgesagt. Die geschaffene Kraft und Schönheit weist auf den ungeschaffenen Schöpfer dieser Kraft und Schönheit hin. Durch Vergleich, durch Aufstieg vom Geschaffenen zum Ungeschaffenen kann man aus der Schöpfung zum Schöpfer finden.
Aber da fragt man sich natürlich, wie es möglich war, daß die Menschen trotzdem ihn nicht gefunden haben. Wie war es möglich, daß sie Tiere und Geschöpfe der unbelebten Natur als Götter ansahen? Zwei Gründe gibt es für diese Verirrung. Einmal spricht die Natur nicht mehr mit klarer Stimme von Gott. Durch die Sünde ist sie ja entstellt und verunstaltet. Man kann jetzt manchmal meinen, aus ihr die Stimme eines anderen Herrn zu vernehmen, des Herrn der Welt, den man Satan nennt. Das ist auch die Meinung des Apostels Paulus, wenn er sagt, daß ein Stöhnen und Seufzen aus der Natur an sein Ohr dringt. Und selbst die Heiden haben schon erkannt, daß ein Klagen und ein Weinen durch die Natur geht. „Sunt lacrimae rerum“ hat Vergil, der heidnische Dichter, geschrieben, die Dinge haben ihre Tränen. Wegen dieses Zusammenhanges ist es nicht mehr so leicht, aus der Natur den Schöpfer der Natur zu finden.
Der zweite Grund: Auch der menschliche Sinn ist durch die Sünde verunstaltet, die Sehkraft des Menschen ist geschwächt, sein Herz ist verfinstert, so daß er nicht mehr mit lauterem Sinn und mit ungetrübtem Auge den Schöpfer zu erkennen vermag.
Was im Alten Bunde gelehrt worden ist, das hat der heilige Apostel Paulus mehrfach aufgenommen. Er ist geradezu der Lehrer der natürlichen Gotteserkenntnis. Im Brief an die Römer schreibt er: „Was man von Gott erkennen kann, ist ihnen offenbar. Gott selbst hat es ihnen geoffenbart. Sein unsichbares Wesen, seine ewige Macht und Göttlichkeit, sind seit Erschaffung der Welt durch das Licht der Vernunft an seinen Werken zu erkennen.“ Das ist der klassische Ort für das Dogma von der natürlichen Gotteserkenntnis. Durch die Schöpfung sind die ewige Macht und die Göttlichkeit Gottes zu erkennen. Wer die Augen öffnet, wer sein Herz bereitmacht, wer Gott erkennen will, der findet ihn in der Schöpfung.
Aber da stellt sich auch dem Apostel Paulus die Frage: Wie kam es denn, daß ihn viele nicht erkannt haben? Der Grund ist darin gelegen: „Sie haben die Wahrheit Gottes durch ihre Ungerechtigkeit niedergehalten. Deswegen sind sie nicht zu entschuldigen. Sie haben ihn nicht als Gott geehrt und ihm gedankt, sondern wurden töricht in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. Die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauschten sie mit dem Bilde von vergänglichen Menschen, Vögeln, vierfüßigen und kriechenden Tieren.“
Die Folge dieser Verirrung war, daß man den lebendigen Gott beiseite setzte und sich eigene Götzen schuf: „Darum überließ sie Gott den Gelüsten ihres Herzens, der Unreinigkeit, so daß sie ihre eigenen Leiber entehrten. Den wahren Gott haben sie mit falschen Götzen vertauscht und die Geschöpfe angebetet und verehrt anstatt des Schöpfers.“ Wenn der Mensch vom Schöpfer läßt, dann verfällt er den Gelüsten seines Herzens. Die Unkenntnis des wahren Gottes hat auch immer den sittlichen Verfall im Gefolge.
An einer zweiten Stelle bezeugt Paulus erneut die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis. Er kam mit Barnabas nach Lystra in Kleinasien. Dort heilte er einen Kranken. Das Volk war außer sich und meinte, es seien die Götter zu ihnen gekommen. Sie wollten den beiden Männern, Paulus und Barnabas, Opfer darbringen. Da zerrissen die beiden ihre Kleider, sprangen unter sie und schrien die Bewohner von Lystra an: „Ihr Männer, was tut ihr denn da? Wir sind sterbliche Menschen wie ihr. Wir verkünden euch die Heilsbotschaft, daß ihr euch von den nichtigen Götzen zum lebendigen Gott bekehren sollt, der den Himmel und die Erde und das Meer geschaffen hat und alles, was darin ist. Er ließ in den vergangenen Jahren alle Völker ihre eigenen Wege gehen.“ Das heißt, es gab eben für die anderen Völker noch keine übernatürliche Offenbarung. „Und doch hat er sich nicht unbezeugt gelassen als Wohltäter, da er vom Himmel her Regen spendete und fruchtbare Zeiten und eure Herzen mit Speise und Wonne erfüllte.“
Gott hat sich auch den Heiden nicht unbezeugt gelassen. In den Vorgängen der Natur, in den Geschehnissen der Geschichte, in den Erlebnissen des eigenen Herzens ist es ihnen möglich gewesen, Gott zu erkennen. Gott spricht durch die Schöpfung, er redet durch die Geschichte, er läßt sich vernehmen im eigenen Herzen in der Stimme des Gewissens.
Und schließlich noch an einer dritten Stelle redet Paulus von der natürlichen Gotteserkenntnis. Er kam nach Athen. Athen war die Hauptstadt der griechischen Kultur. Er wanderte umher und sah, wie religiös die Athener waren, wie viele Tempel sie errichtet hatten, wie viele Altäre, wie viele Kultbilder, wie viele Standsäulen. Dann kam er auf den Areopag, da, wo die Gerichte gehalten wurden, und hielt eine Rede. „Ihr Männer von Athen, ich finde euch in jeder Hinsicht überaus religiös. Denn da ich umherging und eure Heiligtümer betrachtete, fand ich auch einen Altar mit der Inschrift: 'Dem unbekannten Gott.'„ Paulus hatte ein Lob für die Athener. Sie waren so religiös, daß sie in den vielen Göttern, die sie hatten, das Göttliche noch nicht erschöpft glaubten. Sie meinten, es gäbe immer noch mehr Göttliches, als was sie mit Namen benannt hatten. Und deswegen hatten sie einen Altar aufgestellt mit der Inschrift: „Dem unbekannten Gott“. „Diesen unbekannten Gott“, sagt Paulus, „den verkündige ich euch. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkündige ich euch. Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was in ihr ist, der Herr des Himmels und der Erde, er wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhänden gemacht sind. Er läßt sich auch nicht von Menschenhänden bedienen, als bedürfe er etwas, da er selbst allem Leben gibt und Odem und alles. Er hat auch bewirkt, daß von einem einzigen her alle Völker der Menschen über die ganze Oberfläche der Erde hin wohnen. Er hat bestimmte Zeiten und Grenzen ihres Aufenthaltes festgesetzt. Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn herausfinden möchten, da er nicht ferne ist einem jeden aus uns. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“
Also auch hier knüpft Paulus wieder an die Erfahrungen an, die die Athener gemacht haben oder hätten machen können; sie hätten nämlich aus der Schöpfung auf den Schöpfer schließen können. Sie hätten aus der Geschichte auf den Herrn der Geschichte schließen können. Und sie hätten aus ihrem eigenen Leben, aus ihrem eigenen Selbst auf den schließen können, der ihnen nahe ist, in dem wir leben, uns bewegen und sind.
Diese drei Stellen aus den Briefen und aus dem Wirken des Apostels Paulus bezeugen eindeutig, daß das I. Vatikanische Konzil recht hat, wenn es den Lehrsatz aufstellte: „Der eine und wahre Gott, unser Schöpfer und Herr, kann vermittels der geschaffenen Dinge durch das natürliche Licht der Vernunft mit Sicherheit erkannt werden.“ Es gibt die Möglichkeit einer natürlichen Gotteserkenntnis. Das besagt nicht, daß der Mensch sich ohne Gnade auf diese Erkenntnissuche machen muß. Die Gnade begleitet ihn. Er besitzt die Kapazität, die Fähigkeit, mit dem natürlichen Licht des Verstandes Gott zu erkennen. Aber der Anstoß dazu, dieses Licht des Verstandes einzusetzen, um Gott zu erkennen, der kommt wohl regelmäßig von der Gnade. Gott hat sich ja in allen Zeiten durch seine Verheißungen gebunden, den Menschen Gnaden zu geben, so daß jedem die hinreichende Gnade geworden ist, mit seinem natürlichen Verstandeslicht Gott zu finden. „Keiner hat Gott je gesehen, aber keinem hat er sich auch unbezeugt gelassen.“ Ein jeder vermag, wenn er ins eigene Innere hineinhorcht und wenn er in die Schöpfung hinausschaut, mit der natürlichen Kraft seines Verstandes Gott zu finden.
Diese katholische Lehre steht im schärfsten Gegensatz zu der protestantischen Auffassung; denn Luther und seine Anhänger lehren, der Mensch sei unfähig, Gott mit seinem Verstandeslichte zu erkennen. Nein, er ist fähig. Er besitzt die Fähigkeit, aus den geschaffenen Dingen auf den Schöpfer zu schließen, aus dem Werk auf den Werkmeister zu schließen, aus der Stimme des Gewissens auf den, der der Gesetzgeber der Sittlichkeit ist, zu schließen.
Amen.