Predigtreihe: Gottes- und Nächstenliebe (Teil 1)
21. Februar 1988
Die Gottesliebe
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
An den vergangenen Sonntagen haben wir das Wesen und die Notwendigkeit der Gottesliebe bedacht. Wir haben heute noch einmal drei Fragen zur Gottesliebe zu stellen, nämlich
1. Wie sollen wir Gott lieben?
2. Welchen Nutzen bringt die Gottesliebe?
3. Was hängt von der Gottesliebe ab?
Die erste Frage lautet: Wie sollen wir Gott lieben? Die Antwort ist eine zweifache: Wir sollen einmal Gott lieben aus allen unseren Kräften. Das heißt: Herz, Gemüt, aber auch der Wille und die Tat sollen die Gottesliebe bekunden. Vom Morgen bis zum Abend sollen wir alles auf Gott beziehen. Vom Aufstehen und Ankleiden bis zum Niederlegen sollen wir an Gott denken, sollen wir unser Empfinden und unser Werken Gott weihen, sollen wir die Geschehnisse des Tages in der kleinen und in der großen Welt auf Gott beziehen. Wir sollen weiter Gott lieben mit einer Vorzugsliebe, d.h. wir sollen ihn mehr lieben als alles andere. Wir lieben Gott mehr als alles andere, wenn wir bereit sind, jeden Gegenstand fallen zu lassen, wenn Gott es will. Denn Gott ist unser Ziel, alle anderen Geschöpfe sind nur Mittel zu diesem Ziel, und um das Ziel zu erreichen, muß man notfalls, wenn es Gott gebietet, die Mittel aus der Hand legen.
So haben es die Heiligen des Alten und des Neuen Bundes getan. Da muß man sogar das Leben hingeben, wie es die Martyrer getan haben, das körperliche Leben, wenn es Gott gebietet. Da muß man den liebsten Sohn darbringen, wie es Abraham bewiesen hat, als er bereit war, Isaak zu opfern. Da muß man Haus und Eltern und Vater und Mutter verlassen, wenn Gott es gebietet. Erst und nur dann liebt man Gott über alles.
Wir dürfen auch die Geschöpfe lieben, sie sind ja Gottes Werk. Aber wir müssen sie lieben in Gott und um Gottes willen. Wir lieben sie in Gott, wenn wir sie nach den Gesetzen lieben, die Gott ihnen eingestiftet hat, und wir lieben sie um Gottes willen, wenn das Motiv unserer Liebe zu den Geschöpfen Gott ist.
Die zweite Frage lautet: Welchen Nutzen bringt die Gottesliebe? Der Nutzen der Gottesliebe ist vielfältig. Einmal: Sie vereinigt uns mit Gott. Wer Gott liebt, der hat den Heiligen Geist in sich. Wer Gott liebt, in dem ist die heiligmachende Gnade. Wer Gott liebt, an dem erfüllt sich das Wort: „Wer mich liebt, den wird mein Vater lieben, und wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Ja, wer Gott liebt, der trägt den Himmel in sich. Wer Gott liebt, dessen Verstand wird erleuchtet; denn zu ihm kommt der Heilige Geist, der ja der Erleuchter ist, und so erkennt er die Wahrheit Gottes und der Welt besser als ein anderer, der nicht liebt. Männer, die gar keine Theologie studiert haben, wie der Einsiedler Antonius oder der heilige Franziskus, waren erleuchtet durch die Liebe, die sie zu Gott hatten. Gott hatte sich ihnen mitgeteilt, er hatte sich ihnen geoffenbart.
Wer Gott liebt, dessen Wille wird gestärkt. Wir alle wissen ja: Wenn wir etwas gern haben, dann entfalten wir ungeahnte Kräfte. Wenn man etwas liebt, dann achtet man der Mühe nicht, sondern um der Liebe willen nimmt man auch große Anstrengungen auf sich. So ist es auch bei der Liebe Gottes. Wer Gott wahrhaft liebt, dessen Wille wird gestärkt, auch schwere Dinge zu bewältigen.
Wer Gott liebt, in dem ist Friede. Denn wenn er Gott liebt, ist ja sein Wille mit dem Willen Gottes vereinigt, und die Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes, das ist der Friede.
Wer Gott liebt, dem gibt Gott besondere Gunsterweise. Wir hören von den Lieblingen Gottes, daß sie hoher Offenbarungen gewürdigt wurden und daß die Engel bei ihnen einkehrten. Wir wissen von Stephanus, daß er den Himmel offen sah, als er dem Herrn sein Leben zurückgab.
Wer Gott liebt, der empfängt die ewige Seligkeit. Denn die ewige Seligkeit ist ja nichts anderes als Gott schauen und Gott lieben. Wer die Liebe schon auf Erden in sich trägt, der kann mit Gewißheit damit rechnen, daß ihm der Himmel offensteht.
Die dritte Frage lautet: Was hängt von der Liebe zu Gott ab? Zwei Dinge hängen davon ab. Einmal der Wert unserer guten Werke. Ein kleines Werk, mit großer Liebe getan, ist mehr wert als ein großes Werk ohne große Liebe. Einmal saß der Heiland vor dem Tempel, und er sah, wie die Menschen in den Opferkasten Geld einwarfen. Da kam eine alte Witwe, und sie warf nur ein paar Pfennige hinein. Da sagte der Herr zu seinen Jüngern: „Sie hat mehr geopfert als die anderen.“ Natürlich nicht objektiv mehr, aber von dem wenigen, was sie besaß, hat sie so viel gegeben, daß es – subjektiv gesehen – mehr war, als was die anderen, die wohlhabender waren, hineingeworfen haben. Die Liebe macht unsere guten Werke wertvoll. Ohne Liebe, ohne Gottesliebe sind sie wertlos.
Von der Gottesliebe hängt aber auch der Grad unserer Seligkeit ab. Wer mehr liebt, dem wird mehr gegeben. Das sagte einmal der Heiland zu der Sünderin Maria Magdalena: „Wem weniger zu vergeben ist, der liebt auch weniger.“ Wer also mehr liebt, der kann damit rechnen, daß die Seligkeit des Himmels, die ja der Steigerung fähig ist, größer ist als bei anderen.
Wir können die Gottesliebe vermehren durch drei Dinge; einmal durch die Betrachtung der göttlichen Vollkommenheiten und Wohltaten. Wenn man Gott anschaut, seine Schönheit, seine Größe, seine Gaben, dann wird man unwillkürlich zur Liebe entflammt. Vor allem die Betrachtung des Leidens Jesu hilft uns, die Liebe zu vermehren. Auch im Himmel wird die Seligkeit der Erlösten zum erheblichen Teil sich aus der Wurzel nähren, daß sie das Leiden des Herrn betrachten, dieses heilbringende, dieses fruchtbare Leiden.
Wir können die Gottesliebe zweitens mehren, indem wir uns von der Welt losschälen. Wenn die Begierlichkeit vermindert wird, wächst die Gottesliebe. Es ist ähnlich wie mit dem Holz. Wenn das Holz, das naß war, getrocknet wird, dann brennt es viel leichter und mit lichterer Flamme, als wenn es naß ist und nur schwelt.
Und schließlich können wir die Gottesliebe vermehren, indem wir sie erwecken, indem wir immer wieder um Gottesliebe flehen, indem wir Gott anrufen, er möge unsere Liebe nähren, erneuern, vertiefen. Vom heiligen Franz von Assisi wird berichtet, daß er ganze Tage und Nächte nur betete: „Mein Gott und mein alles!“
Wenn wir diese Gottesliebe haben, meine lieben Freunde, dann dürfen wir auch der Liebe unseres Heilandes gewiß sein. „Ich bin überzeugt,“ sagt der Apostel Paulus, „daß nichts uns trennen kann von der Liebe Christi, weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch irgendein Geschöpf. Nichts kann uns trennen von der Liebe Christi!“
Amen.