5. März 2023
Die Worte der Kraft
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Größe eines Leids können wir messen an der Größe des Verlustes an Glück und Wonne, den das Leid bedeutet. Welchen Verlust unser Herr in seinem Leiden erfuhr, das lässt sich mit wenigen Worten sagen: Das Kind des Lichtes stieg hinab in die Finsternis. Der stärkste aller Menschen musste hilfeflehend zu seinen Jüngern, ja zu seinen Henkern rufen. Der ewige Sohn Gottes fühlte sich verlassen von seinem Gott. Daran können wir ermessen, von welcher Leidenskraft Christus gewesen ist. Leidenkraft ist jenes geheimnisvolle Vermögen der Menschenseele, das Leiden wirklich zu tragen, so dass sie von dem Leid nicht erdrückt, nicht zerbrochen, nicht verbittert, nicht verhärtet wird; so dass sie aus dem Leid sogar noch etwas Gutes schafft, dass sie das Leid gleichsam noch aufnimmt, umfängt, ja zu ihm sagt. Diese Kraft der Seele ist in den meisten Menschen sehr gering. In Jesus ist die Leidenskraft ebenso groß gewesen wie die Wucht des Leidens, das auf ihn gehäuft wurde. Diese Leidenskraft war es, die aus seiner Passion die größte Leistung seines Lebens, die stärkste Entfaltung seines Willens machte, die sein Sterben zu der größten Tat erhob, dank derer wir erlöst worden sind. Wir wollen heute diese Leidenskraft betrachten und sie zu erschließen suchen aus den Worten der Kraft, die er sprach. Aus diesen Worten ersehen wir, dass eine dreifache Leidenskraft in ihm war, 1. die Kraft zum Opferwillen, 2. die Kraft zur Opfertat, 3. die Kraft zum Opfertod.
In der Kraft zum Opferwillen sprach Jesus das wunderbare und zugleich erschreckende Wort: „Vater, nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.“ Wie ist dieses Wort voll von Geheimnissen, von Unbegreiflichkeiten! Das ist nichts Selbstverständliches. Das ist ein Wort, das wir nie erschöpfen können, gerade so, wie es aus seinem Munde kommt: Vater, nicht mein Wille geschehe, sondern der deine. Also ist ein Gegensatz zwischen dem Willen Gottes und seinem Willen; diese beiden Willen widersprechen einander; er will etwas anderes, als sein Vater will. Wie ist es möglich, dass der Wille Jesu, des Sohnes Gottes, ein anderer ist als der Wille des Vaters? Es ist möglich, weil er ein Mensch ist, ein wahrer, ganzer Mensch voll Blut und Leben, ein junger, gesunder Mann, der vor dem frühen, allzu frühen Tode, und was für einem Tode, zurückschreckt. Aber er sagt: „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.“ Das heißt: Er betet nicht: Lass meinen Willen dem deinen gleichförmig werden; mache, dass ich das gleiche wolle und wünsche wie du. Nein, so sagt er nicht, sondern er sagt: Dein Wille geschehe und nicht der meine. Über meinen Willen sollst du hinweggehen, mein Wille soll nicht geschehen, auf meinen Willen sollst du nicht achten, du sollst einfach handeln, als ob ich gar nicht da wäre, auf mich kommt es gar nicht an, auf meinen Willen. Das ist in der Tat Opferwille; das ist der Wille, nicht berücksichtigt zu werden, übersehen zu werden von Gott, ausgelöscht zu werden. Vor Gott habe ich, hat mein Wille nichts zu bedeuten. Es ist ihm ernst mit dieser Erklärung. Er weiß, dass er beim Wort genommen wird, dass Gott es in der Tat so machen wird, wie er es gesagt hat. So ist Gott. Er ist imstande, über den Willen seines Sohnes hinwegzugehen, so wie er über den Willen seiner besten Diener, seiner Knechte, seiner Mägde, seiner Heiligen hinweggeht, als ob das nichts wäre; so wird er auch hinwegschreiten über den Willen seines eigenen geliebten Sohnes. Dieses Opfer wird angenommen werden; er wird beim Wort genommen werden, aber er bleibt dabei; er findet es ganz in Ordnung, so soll es sein: Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine. Es kommt vor, dass auch ein armer schwacher Mensch das zuweilen in seiner ganzen Tiefe erlebt, das furchtbare Geheimnis dieses Opferwillens. Das ist es, was Gott die Seinen lehrt: Er führt jene, die er lieb hat, den Weg der Leiden, und je größer seine Liebe ist, um so härter sind die Leiden. Theresia von Lisieux stellte die Frage: Wissen Sie, welches meine Sonn- und Festtage sind? Es sind jene Tage, an denen mir Gott mehr Leiden schickt. So spricht Jesus: Dein Wille geschehe, nicht der meine.
Wie ist Jesus zu dieser Kraft des Opferwillens gekommen? Er hat noch ein Wort der Kraft gesprochen, das uns hineinschauen lässt in sein innerstes Geheimnis. Bei seiner Verhaftung schien Petrus gewillt, sich gegen das drohende Geschick seines Meisters mit der Waffe in der Hand aufzubäumen. Da sprach Jesus zu ihm und den Umstehenden: „Soll ich den Kelch nicht trinken, den mein Vater mir reicht?“ Das ist genug. Es ist der Vater, also ist die Frage entschieden. Es ist der Vater, also braucht es keine Prüfung, keine Überlegung mehr. Du bist es, Vater, der mir den Kelch reicht. Und weil du es bist, darum trinke ich ihn, das ist selbstverständlich. Das ist vollkommenes Vertrauen, das ist vollkommene Hingabe, das ist letzte Anbetung – weil du es bist. Ob ich davon Lohn bekomme oder nicht, ob du mich verherrlichen wirst oder nicht, das alles kommt nicht in Frage; du bist es, mein Gott und mein Vater. Soll ich den Kelch nicht trinken, den du mir gibst?
Nun erhob sich der Herr und begann die Opfertat. Von dem Opferwillen bis zur Opfertat ist ein sehr weiter Weg. Das können wir oft genug erfahren. Von den heiligsten Vorsätzen, die ganz ernst gemeint sind, bis zu ihrer Ausführung braucht es noch viele neue Kraft. Jesus aber hatte diese Kraft. Er erhob sich im Ölgarten und begann seinen Weg, den Häschern entgegen, dem Leiden entgegen. Und er wird fortan nicht mehr anhalten, nicht mehr stille stehen, nicht mehr zur Ruhe kommen, bis er ans Ende gelangt ist. Aus dieser Kraft heraus spricht er zu den schlafenden Jüngern zwei inhaltsschwere Worte: „Stehet auf! Wir wollen gehen!“ Stehet auf, sagt er. Stehet ihr auf; denn er steht schon. Er ist immer bereit, er ist immer willig, er ist immer wach, er braucht nicht erst aufzustehen. Aber die Jünger müssen aufstehen. Es ist seine Kraft, dass er auch andere aufstehen lassen kann. Es ist ihm gelungen, die Jünger zum Aufstehen zu bringen aus ihrer Schläfrigkeit, sie aus ihrer Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit und Alltäglichkeit herauszureißen. Nur noch wenige Wochen wird es dauern, dann werden diese schläfrigen Jünger wirklich aufstehen und wie ein Sturmwind in die Welt fahren. So kraftvoll wirkt sein Wort in ihnen: Stehet auf! Viele Menschen bedürfen des Aufstehens von dem Sichgehenlassen, Sichtreibenlassen, von der Halbheit, von der Feigheit, von der Unehrlichkeit. Ihnen sagt er: Stehet auf! Ihr müsst euch einmal zusammenraffen, ihr müsst einmal einen Willen aufbringen, ihr müsst einmal das eine Notwendige, das schlechthin Unvermeidliche tun! Stehet auf! So könnt ihr euch nicht weiter treiben lassen, so könnt ihr nicht weiter alles liegen und stehen lassen! Stehet auf! Andere Menschen bedürfen des Aufstehens von der Fesselung der Leidenschaft, von der Umklammerung der Gewohnheit. Er sagt ihnen allen: Stehet auf! Ihr müsst eure Fesseln brechen, ihr müsst wieder frei werden. Stehet auf! Jeder Mensch bedarf irgend einmal in seinem Leben eines solchen Aufstehens von der Sünde, von der Leidenschaft, von der Trägheit, von der Feigheit, des Aufstehens, wo er alles zurücklässt, wo er neue Anfänge macht, wo er sich losreißt. Stehet auf! In Zeiten des Kampfes rettet kein Kompromiss. Nur der scharfe Schnitt. Nur der entschiedene Wille.
Und dann sagt er: „Lasst uns gehen!“ Hier spricht er: Wir. Wir wollen gehen. Er schließt sich mit ein: Wir wollen zusammen gehen. Ihr, meine Freunde, wenn ihr nur einmal aufgestanden seid, und ich, wir wollen unseren Weg gehen, ihr mit mir und ich mit euch. Dieses Wort steht von jetzt an über der Welt: Lasst uns gehen, das heißt: Geht mit mir. Christus geht immer noch seinen Weg durch die Welt, den Weg des Kampfes, den Weg des Unverstehens, den Weg der Verkennung, den Weg der Verhüllung und den Weg der Schwäche. An alle seine Jünger ist dieses Wort gerichtet: Wir wollen gehen, wollen zusammen gehen, ihr und ich. So sollen auch diese Jünger gehen, sollen ihren Weg beginnen. Von dieser Leidensnacht an werden sie nicht mehr zur Ruhe kommen, bis auch sie einmal in den Tod gelangen. Von dieser Leidensnacht an wird ihr Leben ein ununterbrochenes Wandern, Kämpfen, Mühen und Sorgen werden. Aber Jesus sagt: Lasst uns gehen. Ich gehe mit euch. Jetzt ist es erst eine kleine Schar, drei, elf Jünger, aber sie wird wachsen, es wird eine Gemeinde, es wird eine Kirche, es wird eine Christenheit daraus, die einen unglaublich schweren Weg durch die Weltgeschichte geht. Aber Jesus sagt ihr: Wir wollen gehen. Ein Wort der Kraft. Ihr geht mit mir, und ich gehe mit euch. O katholische Kirche, jetzt sehe ich dein Geheimnis. Du bist eine arme, kleine Schar, du bist ein Ärgernis, du bist ein Anstoß, du bist eine Unzulänglichkeit. Aber Jesus hat dir gesagt: Wir wollen zusammen gehen. Er geht mit dir. Und so wollen auch wir mit dir gehen, wollen dich nicht verlassen, wollen nicht irre werden an dir, wollen deinen Weg, deinen Gott, deine Opfer, deine Leiden, deine Schwächen teilen. Lasst uns gehen! So beginnen sie denn ihren Weg, Christus und seine Gemeinde, Christus und seine Kirche. Und es ist Zeit, dass sie gehen; denn es steht ihnen ein weiter Weg bevor, ein Weg, an dessen Ende sie nie gelangen werden, ein Weg bis in die Unendlichkeit, bis in die Ewigkeit hinein. Aber immerfort wird dieses Wort der Kraft tönen: Wir gehen zusammen, immer und allezeit in alle Ewigkeit, wir, ihr, meine Jünger, und ich, euer Meister.
Aber nicht alle gehen mit dem Herrn. Die Mehrzahl der deutschen Bischöfe ist dabei, sich von ihm zu lösen. Einen anderen Weg einzuschlagen. Er ist anders katholisch, sagt der Bischof von Limburg. Dieser andere Weg ist ein Irrweg, ein Holzweg, ein Weg ohne Christus, ein Weg gegen Christus. O ihr Bischöfe, die ihr Herrn Bätzing folgt: Kehrt um! Kehrt zurück auf den Weg der Kirche! Kehrt zurück auf den Weg mit Christus! Es gibt keinen anderen Weg zum Heil als den Weg mit ihm.
Die Opfertat führt endlich zum Opfertod. Es braucht eine Kraft, und eine besondere Kraft, zum Sterben. Denn das Sterben ist nicht leicht. Auch für Jesus war es schwer. Vielleicht schwerer als für einen von uns. Er hatte, menschlich gesehen, das Leben noch vor sich. Was konnte er noch lehren! Wie viele noch heilen! Das Land von Dämonen befreien! Die Grenzen Israels überschreiten. Die Botschaft des Heils nach Afrika, nach Europa, nach Asien tragen! Er war doch der Heiland der Welt, wie die gläubig gewordenen Samariter sagten. Jesus sah die Augen der Menschen aller Kontinente auf sich gerichtet, er hörte ihr Flehen um Sündennachlass, Erleuchtung und Befreiung. Aber er musste sein Werk der Erlösung abbrechen. Aufhören. Das Begonnene unvollendet lassen. O, das Sterben fiel Jesus nicht leicht. Und dennoch: Als Jesus den Tod nahen fühlte, warf er einen Rückblick auf sein Leben und sprach mit triumphierender Stimme, laut und gewaltig: „Es ist vollbracht.“ Wenn wir ihn fragen, was denn vollbracht ist, würde er antworten: Vollbracht ist der Auftrag meines Vaters, vollbracht ist mein Beruf, vollbracht ist meine Sendung, vollbracht ist der Zweck, zu dem ich gesandt worden bin. Das ist vollbracht, und nun kann ich gehen. Vollbracht ist auch das Trinken des Kelches, und nun kann ich den Kelch absetzen.
Und dann schaut Jesus hinaus in die Zukunft, was kommt nach dem Tode. Er schaut hinein und sagt mit einem seiner schönsten Worte und mit unsagbarer Innigkeit: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Das ist das Wort, das den Tod überwindet; das ist das Wort, das unendliche Ruhe in die Seele trägt; das ist das Wort ewigen Friedens. Wer das ihm nachsprechen könnte in der schwersten Stunde: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Er wusste, dass der Vater ihn mit offenen Armen erwartet. Woher wusste er das? Dass Gott das Glück ist, dass der Vater ihn liebt, woher wusste er das? Weil er vorher schon diesem Vater sich anvertraut und übergeben hatte, weil er vom ersten Augenblick seines Daseins gesprochen hatte: „Siehe, ich komme, deinen Willen zu tun.“ O meine Christen, dass Gott die Liebe ist, das kann man nicht aus Büchern oder Predigten lernen. Dass Gott gütig ist, das kann nur der Mensch wissen, der sich Gott anheimgibt; der zuerst sagt: „Muss ich nicht den Kelch trinken, den du mir reichst?“ Dass Gott gütig ist, kann nur der Mensch wissen, der aus Herzensgrund erklärt: „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.“ Zuerst müssen wir hineingehen in die Fügungen Gottes; zuerst müssen wir Gott unser Vertrauen entgegentragen, unseren Willen ihm aufopfern, unser Leben ihm zur Verfügung stellen. Dann erst werden wir inne, dass er unser Vater ist, dass er gütig ist, dass es süß ist, in Gott hineinzusterben. In Gott hineinzusterben, das wird leicht für einen Menschen, der in Gott hineingelebt hat. Wer den Mut hat, für Gott zu leben, hat auch die Kraft, in Gott zu sterben. Beides ist gleich leicht und gleich schwer: in Gott und für Gott leben und in Gott und zu Gott sterben. Ein und dasselbe ist es zu sagen: „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine“, und: „Herr, Gott, unendlicher, allmächtiger, gerechter, gütiger Gott und Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Amen.