Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Juni 2017

Der Sinn der Fronleichnamsprozession

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier des Herrenleibes Versammelte!

In den Morgenstunden des Fronleichnamstages ziehen zahllose Prozessionen durch die Straßen der Städte und Dörfer, Millionen von Gläubigen gehen mit und Millionen stehen am Wege. Von allen Feierlichkeiten der katholischen Kirche ist die Fronleichnamsprozession die sichtbarste, die am meisten in die Öffentlichkeit dringende. Angesichts einer so auffälligen Veranstaltung drängt sich die Frage nach ihrem inneren Wesen und ihrem Sinn besonders stark auf und verlangt eine Antwort, ja, eine Stellungnahme selbst von den unbeteiligten Zuschauern. Man kann die religiösen Akte, Zeremonien, Veranstaltungen der Kirche unter einem doppelten Gesichtspunkt betrachten, nämlich subjektiv und objektiv. Das will heißen: Wir können die Zeremonien der Kirche einmal unter dem Gesichtspunkt sehen, dass sie Ausdruck und Offenbarung der inneren Zustände der Teilnehmer sind, und zum anderen objektiv, dass sie Ausdruck und Offenbarung einer Wirklichkeit sind, die unabhängig von uns ist, die vor unseren Gedanken, Empfindungen und Stimmungen schon da ist und wirkt. Wenn wir die Fronleichnamsprozession subjektiv deuten, dann ist sie eine starke Kundgebung katholischen Glaubens, eine weithin leuchtende Offenbarung religiösen Sinnes. Wer an der Prozession teilnimmt, innerlich und äußerlich, bekundet seinen Glauben an die wirkliche, wahre und wesentliche Gegenwart unseres Gottes und Heilandes Jesus Christus, nicht mehr und nicht weniger. Wer an der Prozession teilnimmt, steht zu dem Dogma der Transsubstantiation, der Wesensverwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut unseres Heilandes. Wer an der Prozession teilnimmt, bejaht die bleibende Gegenwart des auf die Altäre niedergestiegenen Herrn, unseres Gottes. Da sieht man die Verantwortung, die wir haben, für das Gelingen dieser Prozession: Dass wir uns entschließen, mitzugehen trotz Alter und Müdigkeit, trotz Gehbehinderung und Sturzgefahr. Dass wir uns beteiligen am Beten und Singen, im Sichverneigen und Knien, im andächtigen Sichbezeichnen mit dem Zeichen des Kreuzes. Dass wir Unaufmerksamkeit, Herumgucken und Schwätzen vermeiden und gesammelt auf den gegenwärtigen Herrn schauen; das ist eine Beteiligung an der Prozession, die Strahlkraft besitzt. Sie kann auf unbefangene und empfängliche Beobachter einwirken, sie anregen und einstimmen. Sie erzeugt selbst wieder religiöse Stimmungen und Gesinnung. So groß aber die Wirkung auch sein mag, sie ist doch immer begrenzt. Wie standhaft der Glaube in den Prozessionsteilnehmern ist, wie innerlich und aufrichtig ihr Beten, wie lebendig ihre Liebe zum Geheimnis der Eucharistie, der äußere Eindruck dieser inneren Welt bleibt doch immer relativ. Wie groß ist der Unterschied zwischen einer herrlichen Prozession in der Hauptstadt einer Diözese und dem Mitgehen in einem kleinen Dorfe. Wie groß der Unterschied in der künstlerischen Gestaltung, wie groß der Unterschied in der Schönheit des Straßenschmuckes. In manchen Städten und Dörfern stehen herrliche Birkenbäume an beiden Seiten des Prozessionsweges, in anderen ist eine gähnende Leere; und das gilt auch meistens für Budenheim. Nun hängt die Eindruckskraft der Prozession gewiss nicht ausschließlich von der künstlerischen Schönheit ab, aber dass hier eine Verschiedenheit des Ausdrucks und des Eindrucks waltet, das ist unbestreitbar. Dazu kommt auch die verschiedene Seelenverfassung der Teilnehmer und Zuschauer. Was dem einen Tränen der Ergriffenheit in die Augen treibt, das lässt einen anderen kalt, ja kann ihn sogar abstoßen und seinen Schönheitssinn beleidigen. Aus all diesen Gründen ist die subjektive Bedeutung der Fronleichnamsprozession begrenzt, mehr oder minder zufällig. Anders steht es um ihre objektive Bedeutung. Die eigentliche, letzte und tiefste Bedeutung dieser Veranstaltung ist die objektive. Sie besagt, dass die Zeremonien Auswirkung und Offenbarung einer objektiven, ja einer göttlichen Wirklichkeit sind, dass hier eine Kraft am Werke ist, die außerhalb und oberhalb unserer Seelen liegt, dass hier jemand da ist und wirkt, bevor wir da sind, jemand, der uns erst zusammenruft, der den Glauben und die Liebe in den Herzen der Menschen erst erzeugt und diesen Glauben und diese Liebe nach außen treten lässt. In diesem Sinne ist die Fronleichnamsprozession nicht nur eine Veranstaltung einer Pfarrgemeinde, sie ist eine Veranstaltung des Gottes, der den Glauben erst hervorgebracht hat. So ist es in der Tat. Der gesamte eucharistische Kult, die Messopferfeier, die Kommunionspendung, die Prozessionen, alles das sind Lebensäußerungen Christi, der in der Eucharistie persönlich gegenwärtig ist. Seine Gegenwart dringt in die Herzen, ergreift die Seelen, formt die Gedanken, ruft Willensentschlüsse empor. Die Eucharistie ist der innerste Kraft- und Quellpunkt einer unermesslichen und strömenden Kraft und eines unermesslichen und strömenden Lebens in den Seelen und über die Seelen hinaus in die Öffentlichkeit. Die gesammelte Andacht eines Erstkommunionkindes, die Kniebeugung eines Gläubigen vor dem Tabernakel, die Opferbereitschaft des Priesters, der in der täglichen Messfeier immer neue Gaben der Hingabe an seinen Gott erbringt, die Berufswahl einer jungen Seele, die sich im Augenblick der Wandlung berührt fühlt, das alles sind Äußerungen und Offenbarungen des Christus, der in der Eucharistie lebt und wirkt. So ist auch die Fronleichnamsprozession eine Auswirkung und ein Sichtbarwerden eines beständig drängenden und schaffenden Daseins, eines unermüdlichen Willens, den Glauben und die Liebe in den Seelen zu entzünden und vermittels dieses Glaubens und dieser Liebe auch die sichtbare Welt zu verwandeln. Unter all den zahllosen Lebensäußerungen des in der Eucharistie verborgenen Heilandes ist die Fronleichnamsprozession vielleicht nicht die wirksamste, aber die sichtbarste. Sie lässt uns den letzten Sinn des göttlichen Gnadenwirkens erkennen, denn er besteht in nichts anderem als in der Erfüllung des geheimnisvollen Wortes aus den Weisheitsbüchern: „Meine Freude ist es, bei den Menschenkindern zu sein.“ Mit uns zu gehen, unser Gehen zu einem Gehen mit Gott zu machen, das ist der innerste Zweck des göttlichen Gnadenwirkens, und er kommt nirgends so sichtbar zum Ausdruck wie in der Prozession. Wir gehen mit Gott! Aus dem Gnadenwillen Jesu Christi stammt die Idee und der Sinn der Fronleichnamsprozession, und durch die Vermittlung des Glaubens und der Liebe der Christenheit tritt sie in die sichtbare Wirklichkeit. Meine lieben Freunde, wir, die wir versuchen, den Glauben, unseren Glauben, unseren heiligen Glauben festzuhalten, zu bewähren, im Leben zu zeigen, wir wollen diesen heutigen Tag zu einer ergreifenden Kundgebung unserer Dankbarkeit und unserer Liebe zu unserem Gott und Heiland machen. „O heiliges Gastmahl, in dem Christus genossen wird, das Andenken seines Leidens erneuert wird, die Seele mit Gnaden erfüllt und uns ein Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird. Gott sei gepriesen in alle Ewigkeit!“

Amen.

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