15. August 2009
Gebenedeit unter den Frauen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier der Aufnahme Mariens in den Himmel Versammelte!
„Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.“ „Du bist voll der Gnade, der Herr ist mit dir.“ Diese Anreden, die Maria erfahren hat von ihrer Base Elisabeth und vom Engel Gabriel, drücken das Geheimnis und die Herrlichkeit dieses Lebens Mariens aus. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Du bist voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Wahrhaftig, in Maria berühren sich Himmel und Erde. Was so weit entfernt ist wie der ewige Gott und das irdische Zelt, das ist in Maria vereint. Jenseits und Diesseits sind in ihr verbunden. Es hat einmal ein Mädchen gegeben, das sich Gott erwählt hat, und er hat es gewollt, dass von dem Jawort dieses Mädchens einen Augenblick lang das Heil der Menschen abhing. Er wartete auf ihr zustimmendes Ja zu dem Plan, den er mit ihr vorhatte.
Gott ist ein fordernder Gott. Was hat er von Maria gefordert? Zuerst den Glauben. „Selig, die du geglaubt hast“, sagt mit Recht Elisabeth, nämlich dass das in Erfüllung gehen wird, was der Herr ihr angekündigt hat. Aber er verlangt nicht nur den Glauben, er verlangt auch den Mut von Maria, nämlich Einsamkeit und Verdacht zu ertragen. Er verlangt von ihr die Liebe, die geistige Liebe, die sich mit einem unsichtbaren Partner begnügt. Er fordert von ihr den Leib, denn aus ihrem Leibe sollte der neue Adam gebildet werden, der Adam, der der Vater der Zukunft ist und das Haupt der neuen Menschheit. In diesem Mädchen ging die Sehnsucht der Propheten in Erfüllung. Was ihnen verheißen war und was sie verkündet hatten, worauf sie gehofft und worum sie gebangt haben, das ist in Maria erfüllt. Sie ist der Thron, den Generationen bereitet haben. Sie ist die Braut, die den Versöhner empfangen sollte. Sie wurde die Mutter Gottes. Neun Monate lang baute Gott in ihr die menschliche Natur des göttlichen Sohnes auf. Sie war die erste, die früheste Heimat Jesu. Ihr Mund, ihre Augen, ihr Herz haben die Heimat des Heilandes gebildet. Sie war auch die letzte Heimat, nämlich als sie unter dem Kreuze stand. Ihre Tränen und ihr Herz waren die letzte Heimat des Heilandes, und deswegen verkündet die Kirche von Maria: „Selig die Sinne – die Sinne! – der Jungfrau Maria, die, ohne den Tod zu kosten, die Palme des Martyriums unter dem Kreuze des Herrn verdiente.“
Es ist eigentlich nicht zu verwundern, dass Gott diesen Leib nicht der Verwesung übergab. Dieses Mädchen, das den Erlöser der Welt hervorbringen durfte, sollte zwar den Tod mit dem Herrn schauen. Maria ist, wie die Theologen doch fast einmütig sagen, tatsächlich gestorben, aber sie ist nicht im Tode geblieben. Sie wurde in den Himmel entrückt und verklärt, nicht um uns entfremdet zu werden, sondern um uns als Geschenk und Verheißung zurückerstattet zu werden. Sollte diese Mutter, deren Augen nun die Herrlichkeit Gottes schauen, nicht imstande sein, auch unsere Augen zu erleuchten, damit unser ganzer Leib Licht sei? Sollte sie nicht fähig sein, für uns zu erbitten, dass unser Leib zum Spielfeld der Gnade wird? Der Leib ist eine Anrede Gottes. Im Leibe, den Gott bereitet, verdichtet sich das Blut ungezählter Generationen von den ersten Menschen her. Das ererbte Blut mit seinen Anlagen und mit seinen Gefahren ist das kostbare Gut und das unausweichliche Rohmaterial für unser Leben. Wir können vieles ändern, aber wir können die Anlagen unseres Leibes nicht verändern. Der Leib ist das funkelnde Medium, in dem sich der junge Mensch erfährt. Der Leib ist ein Geschenk aus den Händen Gottes, ein wahrhaftiges Beweisdokument seiner Liebe. Aber wie alle Geschenke Gottes ist er auch eine Aufgabe. Gott erwartet von unserem Leib eine Antwort. Wir sollen mit diesem Leibe leben, lieben, wirken und tätig sein. Der Leib ist das Medium der Liebe. Der Geist des Menschen lebt durch den Leib. Der junge Mensch mit seiner Geschmeidigkeit und mit der Kraft seines Leibes, der junge Mensch mit der Güte und der Hilfsbereitschaft, die sich in seinem Leibe auswirken, die Liebe der jungen Frau wird durch den Leib ihrem Manne zum Geschenk. Der Vater wird durch das Werk seiner Hände das Leben, das er geschenkt hat, bekräftigen. Leib und Seele, meine lieben Freunde, sind schicksalhaft verknüpft. Wo immer wir hinschauen, Leib und Seele lassen sich auf Erden nicht voneinander trennen. Das spüren wir auch, wenn der Leib uns zur Last wird, wenn die Behinderung eintritt, wenn der Krebs an uns frißt, wenn die Krankheit uns überfällt, wenn wir das Alter, die Last des Alters spüren. Da sehen wir, welche Last der Leib sein kann. Für den jungen Menschen ist der Leib oft eine wilde Versuchung zur Gewalttat oder zur Unzucht. Gerade der schöne Leib ist für den Menschen oft eine Gefahr. Er ist in der Gefahr, den Glanz, den Gott ihm verliehen hat, zu mißbrauchen.
So wollen wir, meine lieben Freunde, von Maria lernen, den Leib zu heiligen und zu hüten als Werkzeug der Seele, nein, als Werkzeug der Gnade Gottes. Im Leibe wollen wir unser Heil wirken und das Heil unserer Mitmenschen. Wir wollen unseren Leib dem Herrn als lebendige, heilige Opfergabe darbringen. Wir wissen: Der Leib ist Glück und Fährnis unserer Seele. Er kann uns Gott nahe bringen, und er kann uns von Gott entfernen. Wir wollen an diesem Festtage unserer himmlischen Mutter flehentlich rufen: „Gewähre uns, Herr, beständiges Heil des Leibes und der Seele. Auf die Fürbitte der seligen Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, befreie uns von der gegenwärtigen Trübsal und führe uns zur ewigen Freude!“
Amen.