26. November 1989
Die Erschaffung des Menschen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Adoremus dominum, quoniam ipse fecit nos – „Laßt uns anbeten den Herrn, denn er selbst hat uns gemacht!“ So beten wir Priester im nächtlichen Gebet der Matutin. Kommt, laßt uns anbeten den Herrn, denn er hat uns gemacht! Dieser Vers besteht aus zwei Bestandteilen, einer Aufforderung und einer Begründung. Die Aufforderung, die Einladung lautet: „Kommt, laßt uns anbeten!“ Der Mensch ist für die Anbetung geschaffen, und wehe ihm, wenn er die Anbetung vergißt! Die Begründung für diese Pflicht liegt in dem Satze: „Denn er hat uns gemacht.“ Weil wir von Gott geschaffen sind, weil wir seine Geschöpfe sind, weil wir von ihm abhängig sind in unserem Sein und Werden, deswegen müssen wir ihn anbeten. Dieser Vers gibt uns Anlaß, am heutigen Sonntag zwei Wahrheiten zu bedenken, nämlich
1. Gott hat den Menschen geschaffen.
2. Er hat ein Menschenpaar am Anfang ins Leben gerufen.
Gott hat den Menschen geschaffen. Damit sind Entfaltung und Wachstum nicht ausgeschlossen. Auch wenn die Erde in einem Werdezustand geschaffen wurde, hört sie nicht auf, geschaffen zu sein. Wenn Gott den Geschöpfen die Kraft mitgab, sich zu entwickeln, dann ist die Entwicklung doch immer abhängig von der Schöpfung. Entwicklung kann es erst geben, wenn eine Schöpfung erfolgt ist.
Der Mensch ist von Gott geschaffen. Das bezeugt das erste Buch der Heiligen Schrift an zwei Stellen. Im sogenannten ersten Schöpfungsbericht heißt es: „So schuf Gott den Menschen als sein Abbild. Als Gottes Abbild schuf er ihn, er schuf sie als Mann und Frau.“ Und im zweiten Schöpfungsbericht: „Da bildete Gott der Herr den Menschen aus dem Staub der Erde und hauchte ihm den Odem des Lebens ins Angesicht. So wurde der Mensch zu einem lebenden Wesen.“
Beginnen wir mit dem zweiten Schöpfungsbericht: „Da bildete Gott der Herr den Menschen aus dem Staub der Erde und hauchte ihm den Odem des Lebens ins Angesicht.“ Die Erschaffung des Menschen ist hier eindeutig ausgesagt. Daran ist ein Zweifel nicht möglich. Aber selbstverständlich muß man dazusagen: Dieser Bericht ist keine Reportage. Es ist nicht ein Zeuge dabeigewesen, als Gott den Menschen geschaffen hat, sondern hier wird in anthropomorpher, d.h. der menschlichen Redeweise nachgebildeter Sprache geschildert, daß Gott den Menschen geschaffen hat. Aber nicht nur das. Es wird auch gesagt, daß der Mensch aus zwei Bestandteilen besteht, Staub der Erde und Odem des Lebens. Das ist sehr bedeutsam; denn damit wird der Mensch von allem, was Gott vorher geschaffen hat, unterschieden. Bei allem anderen heißt es immer nur: „Gott schuf...., Gott schuf...., Gott schuf....“, aber niemals heißt es: Er hauchte ihm den Odem des Lebens ein, obwohl doch Gott auch andere lebende Wesen als den Menschen geschaffen hat. Mit dieser Wendung „Er hauchte ihm den Odem des Lebens ein“ ist also etwas ausgesagt, was dem Menschen spezifisch ist, was ihm allein zukommt. Wir nennen das die Seele. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. In ihm vereinigten sich Materielles und Geistiges, und das wird in diesem Text ausgesagt. Aber nicht nur dies. Der erste Schöpfungsbericht gibt auch das Maß an, nach dem Gott den Menschen geschaffen hat. „Er schuf den Menschen als sein Abbild. Als Abbild Gottes schuf er sie.“ Also der Mensch hat eine Ähnlichkeit mit Gott, wenn auch die Unähnlichkeit größer ist, aber es ist eine Ähnlichkeit vorhanden. Das sagt der Schöpfungsbericht von keinem anderen Geschöpf. Nur der Mensch ist das Ebenbild Gottes.
Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. Alles andere wird nach dem ersten Schöpfungsbericht entweder vorher geschaffen oder, nach dem zweiten Schöpfungsbericht, für den Menschen geschaffen. Der Mensch ist der von Gott eingesetzte Herr der Welt, in Abhängigkeit von Gott, im Dienste Gottes selbstverständlich, aber er steht an der Spitze des Geschaffenen.
Der Mensch wurde zweigeschlechtlich geschaffen. „Er schuf sie als Mann und Frau.“ Die hebräischen Worte geben noch viel inniger als die deutschen Ausdrücke wieder, wie eng Mann und Frau zusammengehören. Denn Mann heißt im Hebräischen „Isch“ und Frau „Ischa“. Schon aus dem Gleichklang sieht man, daß Mann und Frau hier als ganz eng zusammengehörig ausgesagt werden. „Isch“ und „Ischa“. Und das wird noch unterstrichen dadurch, daß die Erschaffung der Frau als aus der Seite des Mannes geschehen berichtet wird. Damit wird die enge Zusammengehörigkeit, die Aufeinander-Verwiesenheit, die Ergänzungsfunk-tion, die Mann und Frau haben, ausgesagt.
Gott hat den Menschen geschaffen. Wenn die Wissenschaft beweisen könnte – was ihr bisher nicht gelungen ist –, daß Gott nicht aus einem anorganischen Stoff, sondern aus einem organischen Stoff den Menschen geschaffen hat, würde das der Schöpfungsgeschichte in nichts Eintrag tun. Warum soll Gott nicht einen belebten Stoff, etwa einen Tierleib, genommen haben, um ihm die Seele einzuhauchen und auf diese Weise die Menschwerdung zu vollziehen – wenn es bewiesen werden kann. Aber ich habe am vergangenen Sonntag vorgetragen, daß die Entwicklungslehre eine Theorie ist, also ein Gedankensystem, das bestimmte Fakten erklären will. Aber niemand kann das Hervorgehen einer Art aus einer anderen beobachten oder beweisen. Das sind Annahmen, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben; der Beweis für sie fehlt bis heute. In der Grube Messel bei Darmstadt hat man einmal einen Abdruck einer Fledermaus gefunden, eine versteinerte Fledermaus. Sie hat vor 50 Millionen Jahren gelebt. Diese Fledermaus, die vor 50 Millionen Jahren gelebt hat, ist völlig gleich den heute lebenden Fledermäusen, hat sich also in 50 Millionen Jahren weder entwickelt noch verändert. Solche Funde machen skeptisch gegenüber den Stammbäumen, die uns die Paläontologen aufstellen wollen. Aber noch einmal: Wenn sie es beweisen können, die Bibel erhebt keinen Einspruch gegen eine (artüberschreitende) Entwicklung.
Die Menschheit ist aus einem ersten Menschenpaare entstanden. Das ist die andere Lehre, die wir aus der Genesis empfangen. Die ersten Menschen werden von der Heiligen Schrift Adam und Eva genannt. Das sind symbolische Bezeichnungen. Adam heißt ungefähr soviel wie „Erdmann“, der aus der Erde genommene, zum Bebauen der Erde geschaffene und wieder mit seinem Leibe zur Erde zurückkehrende Mensch. Eva heißt „Mutter der Lebendigen“. Es soll damit angedeutet werden, daß alle Menschen auf Eva zurückgehen. Diese Lehre, daß am Anfang ein Menschenpaar steht, nennt man Monogenismus. Dem Monogenismus tritt eine andere Lehre entgegen, der Polygenismus. Nach dem Polygenismus hat sich die Menschwerdung an verschiedenen Stellen der Erde ereignet, und die heutigen Rassen sind die jetzt lebenden Nachkommen dieser an verschiedenen Stellen entstandenen Menschen. Der Polygenismus ist von der Kirche nicht gebilligt. Man kann nicht sagen, daß der Monogenismus ein Dogma ist, aber er ist eine theologisch sichere Lehre, und die Kirche hat keinen Anlaß, von dieser Lehre abzugehen, weil auch die Naturwissenschaft die Lehre, daß der Mensch an mehreren Stellen entstanden sei, nicht gewiß macht oder nur zuverlässig stützt.
Vor zwei Jahren hat der amerikanische Gelehrte Allan Wilson von der Universität Berkeley in Kalifornien in San Franzisko einen aufsehenerregenden Vortrag gehalten. In diesem Vortrag erklärte er, seine genetischen Forschungen, also Forschungen an der Erbmasse, sehr verwickelte Forschungen, hätten ihn zu der Erkenntnis geführt, daß die Ur-Eva einmal entstanden sei, und zwar vor 200 000 Jahren in Afrika. Ich nehme Allan Wilson diese Erklärung nicht bedingungslos ab. Ich weiß nicht, was daran ist. Es ist ebenfalls nur eine Hypothese, mehr oder weniger gut begründet. Aber immerhin, daß es Gelehrte gibt, die aufgrund ihrer Forschungen erklären, die gesamte Menschheit stammt von einem Paare ab, kann uns eine Hilfe sein, wenn wir auf den biblischen Bericht schauen und die Geschichte von Adam und Eva lesen. Die Menschen, die heute leben, sind unter sich verschieden. Es gibt verschiedene Rassen, aber alle diese Rassen sind keine verschiedenen Arten! Sie sind miteinander verwandt. Und wenn sie sich gegenseitig in der Ehe begegnen, können sie fruchtbare Nachkommen hervorbringen. Das zeigt ihre Verwandtschaft.
Auch die Sprachforschung scheint die These zu stützen, daß es einmal eine Ursprache gab, in die sich die heute vorhandenen Sprachen in Jahrtausenden und Aberjahrtausenden zerlegt haben. Diese Daten können uns hilfreich sein, wenn wir dem biblischen Bericht trauen, wonach Gott einen Menschen durch Erschaffung der Geistseele in einen unbelebten oder belebten Stoff zum Menschen gemacht hat. Wir müssen nur festhalten die peculiaris creatio hominis – die besondere Erschaffung des Menschen und daß sich der Geist nicht aus Gehirnwindungen entwickelt hat.
Wir sehen öfters im Fernsehen Tierfilme. meine lieben Freunde. Da werden erstaunliche Leistungen der Tiere vorgeführt. Besonders gern zeigt man das bei Affen. Affen haben eine gewisse Intelligenz, vermögen gewisse Dinge zu lernen. Es ist aber täuschend, wenn man meint, diese Lernfähigkeit bestehe nur bei den Affen, die ja menschenähnlich aussehen. Die Lernfähigkeit ist bei anderen Tieren genauso groß wie etwa bei Schimpansen. Die Delphine sind mindestens so intelligent wie Schimpansen. Und viele Vögel haben ebenfalls den Werkzeuggebrauch, den wir beim Affen beobachten, klopfen also so lange mit einem Stein auf eine Nuß, bis die Nuß zerbricht, und sie an den Inhalt kommen. Lassen Sie sich also durch solche ins Weltanschauliche überspielende Filme nicht irremachen an der Sonderstellung, an der absoluten Sonderstellung des Menschen, wie sie uns die Heilige Schrift berichtet.
Adoremus dominum, quoniam ipse fecit nos – Kommt, laßt uns anbeten den Herrn, der uns geschaffen hat! Wir sind die Werkzeuge, wir sind die Schöpfungen seiner Hände, wir sind die Schäflein seiner Weide. Wir sind die Wesen, die Gott in seine Nähe gezogen hat, weil er den Odem des Lebens in uns gehaucht hat und weil er mit uns eine ganze Ewigkeit zusammensein will.
Amen.