22. Juni 1986
Die Pflicht, Gott anzubeten
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Die Menschen, die in die Kirche gehen, sind auch nicht besser. Hauptsache ist, man ist ein anständiger Mensch.“ So kann man oft im Gespräch mit Menschen hören. Der Besuch des Gottesdienstes, der sonntägliche Besuch des Gottesdienstes ist in eine Krise geraten. Wir alle wissen, daß die Zahlen der Statistik ständig weiter nach unten gehen, und das nicht nur in Großstädten, sondern ebenso auch auf dem Lande. Etwa im Gebiet des Westerwaldes, das einmal eine sehr stark katholische Gegend war, sind die Gottesdienstbesucherzahlen in den letzten zwanzig Jahren um ein Mehrfaches gesunken. Man braucht nicht in die Kirche zu gehen, so sagt man, Hauptsache, daß man ein anständiger Mensch ist.
Das haben sich die Menschen ausgedacht, um sich von dieser Pflicht zu befreien. Denn zur Anständigkeit des Menschen gehört eben, daß man Gott anbetet. Das ist ja das erste und größte Gebot, daß man Gott anbetet, ihm den Dienst der Anbetung erweist. So steht es doch auf der ersten Tafel des Zehn-Gebote-Gesetzes: „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!“ Das heißt: Du sollst mich als den einen wahren Gott verehren und anbeten!
Warum soll der Mensch Gott anbeten? Weil er nur, wenn er anbetet, seinsgemäß handelt. Weil er verpflichtet ist, seine Geschöpflichkeit gegenüber dem Schöpfer anzuerkennen. Weil Gott unendlich erhaben und der Mensch von ihm gänzlich abhängig ist. Anbetung ist Anerkennung der Oberherrschaft Gottes und der Abhängigkeit des Menschen. Der Mensch muß anbeten, weil er sonst gegen seine Natur verstößt. Seine Natur ist eben von Gott total abhängig im Sein. Gott ist eben über alle menschlichen Wesen unendlich erhaben. Seine Erhabenheit zeigt sich in den Eigenschaften Gottes, etwa der Ewigkeit. Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag, und es ist ein Tag wie tausend Jahre. Seine Allmacht: Die Himmel erzählen des Ewigen Herrlichkeit, und das Firmament verkündet das Werk seiner Hände. Seine unendliche Vollkommenheit! Diese Eigenschaften begründen Gottes Erhabenheit.
Die Abhängigkeit des Menschen zeigt sich darin, daß er von Gott geschaffen ist. Selbstverständlich muß man den Begriff der Schöpfung richtig fassen. Es hat zunächst den Anschein, als ob das Entstehen eines Menschen nur vom Willen des Mannes und vom Wollen des Fleisches abhängt, wie es im Prolog des Johannesevangeliums heißt. Aber die Wahrheit dieses Evangeliums sagt uns, daß keine Zweitursache wirken könnte, wenn nicht die Erstursache – und das ist Gott – sie trüge. Die Zweitursachen wirken überhaupt nur in der Kraft der Erst-ursache. Wenn Gott seine Mitwirkung entzöge, würden die Menschen, würde die Welt, würde die Erde in das Nichts zurücksinken. Er hat alles am Anfang geschaffen aus nichts, d.h. er hat kein Material benutzt, er hat keine Werkzeuge benutzt, sondern aus seiner Allmacht hat er das, was geschöpflich ist, hervorgebracht.
Das ist die unendliche Erhabenheit Gottes und die ebenso große Abhängigkeit des Menschen. Diese Erhabenheit und diese Abhängigkeit muß der Mensch anerkennen. Gebet ist Anbetung, und Anbetung ist Anerkennung der unendlichen Erhabenheit Gottes und der totalen Abhängigkeit des Menschen.
Die Abhängigtkeit wird zunächst ausgedrückt im inneren Handeln, in Glaube, Hoffnung, Liebe. Wenn wir an Gott glauben, dann verehren wir ihn, dann beten wir ihn an, nämlich als den unendlich wahrhaftigen Gott, dem wir die Wahrheit abnehmen. Wenn wir auf Gott hoffen, beten wir ihn an, nämlich als den Gott, von dem wir alles erwarten. Wenn wir ihn lieben, beten wir ihn an, indem wir nämlich zu Gott streben und ihm dienen, der ja unser Ziel und unser Herr ist. Also wir erkennen: Die drei göttlichen Tugenden, das Gebet aus den drei göttlichen Tugenden sind die grundlegenden Formen der Anbetung. An Gott glauben, auf ihn hoffen, ihn lieben, das ist Anbetung.
Diese Anbetung tut sich kund in Handlungen, in Worten und in Zeichen. Die wichtigste Handlung der Anbetung ist das Opfer. Opfer ist die Hingabe, die Zerstörung einer sichtbaren Gabe, um Gott als den höchsten Herrn zu ehren. Opfer bringt der Mensch seit unerdenklichen Zeiten Gott dar, und er tut recht damit. Es ist seinsgerecht, die Abhängigkeit von Gott durch Opfer zu bekommen, denn im Opfer will der Mensch Verzicht tun auf etwas Wertvolles, um damit Gott zu ehren.
Als Sokrates, der weise Philosoph des Altertums, sterben mußte, er mußte ja den Giftbecher trinken, den Schierlingsbecher, da befahl er, vor seinem Tode noch dem Asklepios, also einem Gott, einen Hahn zu opfern. Sokrates war ein frommer Mann, selbstverständlich in den unvollkommenen Formen des Heidentums. Aber er hat begriffen, daß der Mensch die Oberherrlichkeit Gottes anerkennen muß durch Opfer. Auch wir haben ein Opfer, indem wir Gott das Wertvollste darbringen, was es überhaupt gibt, nämlich seinen eigenen Sohn, der sich am Kreuze zum Heil für die Menschen als Versöhnungsopfer dargebracht hat. Da sieht man, daß das Christentum eine vollkommene, ja die vollkommenste, die einzige absolute Religion ist. Andere Religionen haben kein Opfer und das zeigt, daß sie unvollkommene Religionen sind.
Eine andere Weise, Gott anzubeten, ist der Empfang der Sakramente. Die Sakramente sind richtig als Gnadenmittel bezeichnet worden, also als Werkzeuge, durch die Gott uns seine helfende und heiligmachende Gnade schenkt. Wenn wir die Sakramente empfangen, bekennen wir damit unsere Angewiesenheit auf Gott, geben wir zu, daß wir sie brauchen, diese Gnade, wenn wir in das Leben eintreten in der Taufe oder wenn wir uns zu stärken bemüht sind für die Kämpfe des Lebens in der Firmung, oder wenn wir eine Ehe eingehen, um eben diesen Ehebund in der Kraft der Gnade bewältigen zu können. Sakramentenempfang ist darum auch Anbetung, ist Anbetung der Majestät Gottes und ist gleichzeitig Bekenntnis der Angewiesenheit des Menschen auf Gottes Gnade.
Gebete, die ja das Opfer und den Sakramentenempfang begleiten, sind in Worte formulierte Weisen der Anbetung. Das vollkommene Gebet hat uns der Herr selbst gegeben, nämlich das Vaterunser. Es gibt eine bestimmte Ordnung des Gebetes, und diese ist genau umgekehrt der Weise, wie manche Menschen sie üben; denn die große Ordnung des Gebetes beginnt mit Lob und Dank und geht dann über zur Bitte. Also nicht zuerst oder nur bitten und betteln, sondern zuerst danken und loben; erst einmal die Macht Gottes und die Herrlichkeit Gottes preisen, dann kann man im Vertrauen auf seine Güte in großen und kleinen Anliegen seine Bitten ihm vortragen.
Die Anbetung wird auch durch äußere Handlungen kundgetan. Wir knien nieder. Niederknien, die Kniebeuge machen bedeutet sich kleinmachen vor Gott, also zugeben, daß wir ohnmächtig sind vor Gott. Kniebeugen sind Zeichen er Anbetung. Wir falten die Hände. Die Hände falten bedeutet gleichsam gefesselt sein durch Gott, gefesselt durch seine Majestät, die uns Gebote und Gesetze gegeben hat. Dem Moses hat Gott befohlen, die Schuhe auszuziehen. Daran halten sich noch heute die Mohammedaner, wenn sie ihre Gebetshäuser betreten; sie ziehen die Schuhe aus und gehen dann erst zum Gebet. Diese Gesten sind wichtig. Sie sind ein legitimer Ausdruck der inneren Gesinnung und wirken auf diese zurück.
Und da sind wir gleich bei einem wichtigen Punkte, nämlich: Warum muß denn das innere Gebet durch äußere Handlungen kundgetan werden? Warum genügt es nicht, im Kämmerlein seinen Blick zu Gott zu richten? Warum muß man zusammenkommen in Gemeinschaft und dort gemeinsam Gott verehren? Der Grund liegt in der menschlichen Natur. Die menschliche Natur ist nicht bloß geistig, sondern auch körperlich; und die menschliche Natur existiert nicht bloß als Individuum, sondern ist auf Gemeinschaft angelegt. Also wegen der Körperhaftigkeit und wegen der Sozialität, der Gemeinschaftsbindung des Menschen müssen wir gemeinsam Gott verehren und müssen wir mit äußeren Akten Gott verehren. Wir machen uns dadurch unserer inneren Gesinnung gewiß, indem wir, was im Inneren geschieht, nach außen kundtun. Außerdem wird durch die äußere Kundgabe das Innere gestärkt und gefestigt. Die menschliche Natur als Körper-Geist-Wesen und die menschliche Natur als Individuum, aber auch als Sozialwesen fordert die äußere und gemeinsame Kundgabe der Anbetung.
Das Äußere muß freilich dem Inneren entsprechen. Bevor wir äußerlich etwas tun, müssen wir die innere Gesinnung in uns tragen. Wir dürfen keine Heuchler sein. Heuchler sind jene, die nach außen etwas vorgeben, was sie im Inneren gar nicht tragen. Heuchelei ist eine der schlimmsten Verfehlungen, die im Raume des Gottesdienstes und der Religion begangen werden können. Noch immer spielt man mit großem Erfolg auf den Theaterbühnen das französische Stück Tartuffe. Tartuffe ist ein Heuchler, der nach außen Fassaden errichtet, daß er ein guter, ein frommer, ein tugendhafter Mensch sei. In Wahrheit ist er ein religiöses und moralisches Scheusal. In Frankreich ist das Wort Tartuffe sogar eine Bezeichnung für einen Heuchler. Du bist ein Tartuffe, das heißt: Du bist ein Heuchler.
So soll es nicht bei uns sein, meine lieben Freunde. Wir wollen nicht scheinheilig sein, d.h. den Schein der Frömmigkeit an uns tragen, ohne ihr Sein zu besitzen. Wir wollen das, was wir nach außen bekunden, im Inneren bejahen. Man kann einen Scheinheiligen leicht erkennen, nämlich wenn einer auffallend fromm tut und darüber die Nächstenliebe vergißt. Das ist ein Scheinheiliger. Dafür haben wir Worte des Heilandes: „Wie kann einer Gott, den er nicht sieht, lieben, wenn er den Bruder, den er sieht, haßt?“ Das ist nicht möglich. Die Nächstenliebe ist die Freiheit von Neid und die Bereitschaft zum Opfer, sie sind die Probiersteine wahrer Frömmigkeit.
Wir sollen Gott anbeten im Geist und in der Wahrheit, und das heißt nichts anderes als im Heiligen Geist und in der geoffenbarten Gotteswirklichkeit Jesu Christi. Anbeten dürfen wir Gott allein. Anbetung ist eben die höchste, nur dem ungeschaffenen Schöpfer zukommende Form der Verehrung. Verehren, jemanden schätzen und jemandem Hochachtung entgegenbringen, können wir auch andere. Wir verehren Menschen wegen ihrer Leistung, wegen ihres Alters, wegen ihrer Tugend, und das mit Recht. Wir verehren die Heiligen, weil sie in der Kraft Gottes heroische Tugend bewiesen haben. Wenn die Verehrung richtig ist, dann bezieht sie sich letztlich auf Gott. So verehren wir die Heiligen, weil sie Zeugen des Evangeliums, weil sie Zeugen der Macht Gottes, die in ihnen wirksam war, gewesen sind. Heiligenverehrung führt also nicht von Gott ab, wie manchmal den Katholiken vorgeworfen wird. Heiligenverehrung führt zu Gott hin. Die Heiligen sind Wegweiser zur Gott und Führer zu Gott. Wer die Heiligen richtig verehrt, der wird zur Anbetung Gottes geführt.
Wenn aus der Welt, meine lieben Freunde, die Rede an unser Ohr tönt: Man braucht nicht in die Kirche zu gehen, Hauptsache, daß man ein anständiger Mensch ist; wenn man uns sagt: Die in die Kirche gehen, sind auch nicht besser, dann müssen wir den Menschen antworten: Man muß in die Kirche gehen, weil man Gott anbeten muß, und man muß Gott anbeten nicht nur mit dem Geist, sondern auch mit dem Körper, und man muß Gott anbeten nicht nur als Einzelner, sondern in Gemeinschaft, und man muß Gott anbeten in Formen, die er verordnet hat, also in Opfer, Sakramentenempfang, Gebet und in den Heiligenfesten, welche die Kirche seit Jahrtausenden den Menschen nahebringt. Lassen wir uns, meine lieben Freunde, nicht irre machen. Halten wir uns an das Wort des Heilandes: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, allein anbeten und ihm dienen!“
Amen.