1. Januar 2007
Das Spiel des Lebens
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Man kann das Leben des einzelnen Menschen mit einem gewissen Recht als ein Spiel bezeichnen, bei dem viele Unbekannte im Spiele sind. So wie wir beim „Mensch-ärgere-dich-nicht“ nicht wissen, wie der Würfel fällt, so ist es auch im Einzelleben, so ist es auch im Völkerleben. Auch das Völkerleben, auch das Menschheitsleben kann man in gewisser Hinsicht als ein Spiel ansehen, und man spricht nicht umsonst vom „großen Welttheater“. Das große Welttheater ist die Geschichte der Menschheit, wo drei geschichtsbildende Kräfte sind, Gott, der Satan und der Mensch.
Der Herr dieses Theaters ist Gott. Er lenkt als Regisseur und als Intendant zugleich die Fäden dieses Spiels. Er misst einem jeden die Rolle zu, im Himmel, auf der Erde und unter der Erde. Die Bühne ist groß, zahlreich sind die Darsteller, die auf dieser Bühne agieren. Ein ungeheueres Drama rollt vor unseren Augen ab. Wir wissen nicht, welche Rolle wir in diesem Spiel haben werden; Gott gibt seine Geheimnisse nichts preis. Er lässt uns nicht in sein Programmheft schauen. Nur soviel hat uns der Herr geoffenbart, dass dieses Spiel keine Komödie ist. Es mag vieles an Irrungen und Wirrungen, an komischen und merkwürdigen Dingen passieren, aber eine Komödie ist es deswegen noch lange nicht. Es ist aber auch keine Tragödie, so tragisch manche Vorfälle und manche Auftritte sein mögen. Es ist deswegen keine Tragödie, weil das Spiel nach Gottes Willen gut ausgeht. Es gibt bei uns kein Ende, es gibt nur einen Rollenwechsel. „Deinen Gläubigen wird das Leben nicht genommen, sondern nur vertauscht.“
Es ist ein Schauspiel von großartiger Schauerlichkeit. Wir, die wir auf der Bühne oder hinter den Kulissen dabei sind, wir haben keine Kenntnis der Rolle, die wir dabei spielen werden, ob wir Türschließer, Kartenverkäufer, Statist, Beleuchter oder Bühnenheld sein sollen. Nach seinem Willen sind wir aber freie Mitspieler, keine Marionetten, wo einer zieht und die anderen mit den Gliedern wackeln. Nein, wir sind freie Mitspieler, d.h. wir haben Verantwortung, und diese Verantwortung kann uns niemand abnehmen, so sehr der Mensch aus der Verantwortung flieht. Die Menschen tragen nicht gern Verantwortung, sondern sie wollen sich möglichst entlastet sehen und die Last der Verantwortung auf andere Schultern legen. Aber nein, das hat Gott uns nicht erlassen in diesem Spiel, die Rolle zu übernehmen, die er uns zumisst, und auch die Spielregeln zu beachten, die es bei diesem Spiel zu beachten gibt. Es sind ihrer vier.
Erstens: Nur nicht neugierig sein! Wir wissen, dass alle Hellseher, Tischrücker, Sterndeuter, Bleigießer uns nicht sagen können, was uns in diesem neuen Jahre erwartet. Wir wissen nicht, wo, wann und wie unser Auftritt sein wird und wann wir von der Bühne abtreten müssen. Das alles ist uns verborgen. Wir haben nur jeweils in Geduld zu warten, wenn Gott uns das Stichwort gibt, auf das hin wir die Bühne betreten oder von der Bühne abtreten müssen. Gott verbirgt die Zukunft vor unseren Augen. Die Menschen haben immer und immer wieder versucht, den Schleier von der Zukunft zu heben. Im alten Rom schlachtete man Tiere, und aus den Eingeweiden – aus den Eingeweiden! – suchte man zu lesen, wie ein bestimmtes Schicksal, das Schicksal des einzelnen oder das Schicksal des Volkes oder das Schicksal des Feldzuges ausgehen würde. Das sind lächerliche Versuche, Gott in die Karten zu schauen. In Delphi in Griechenland gab es ein Orakel. Da saß die Pythia auf einem Dreistuhl, und Rauch stieg auf, und sie hat auf Fragen Antworten gegeben, und die sollten angeblich die Zukunft enthüllen. Aber die Antworten waren zweideutig, und so blieb doch das Rätsel bestehen. Eines Tages machte sich der König Krösus von Lydien auf, um die Pythia zu befragen. Er hatte vor, einen Feldzug zu führen gegen Persien. Was gab ihm die Pythia zur Antwort? „Wenn Krösus den Grenzfluß, den Hales, überschreitet, wird er ein großes Reich zerstören.“ Krösus war beglückt. Er glaubte natürlich, er werde das Reich der Perser zerstören. Aber es war sein eigenes. Er hat sein eigenes Reich zerstört. Er wurde abgesetzt und hat die Herrschaft verloren. Nein, meine lieben Freunde, erstes Prinzip, erste Spielregel in diesem großen Welttheater: Nur nicht neugierig sein.
Die zweite Spielregel: Nur keine Starmanieren! Niemand soll sich einbilden, dass er es ist, der immer und überall die Hauptrolle spielt. Gott allein verteilt die Rollen, und wir haben uns in seine Verteilung zu fügen. Wir wissen, dass er die Stolzen demütigt und die Demütigen aufrichtet. Die Demütigen liebt und tröstet er, aber die Stolzen stürzt er vom Throne. Deswegen, meine lieben Freunde, in diesem Spiel sich nicht allzu wichtig nehmen. Wir sind – mit einem Bilde, kleine Rädchen – in einem großen Uhrwerk, freilich nach Gottes Willen auch unentbehrliche Rädchen, denn ein jeder von uns hat seine Funktion nach Gottes Willen. Aber wie gewichtig sie ist, welche Wirkungen sie hat, das ist unseren Augen verborgen. Wir sollen beten, dass wir wirken nach Gottes Willen, aber wir sollen nicht etwa meinen, dass wir als Stars über diese Bühne gehen dürfen.
Die dritte Regel lautet: Nur kein allzu großes Lampenfieber! Selbstverständlich kann man besorgt sein. Ich meine, man muss besorgt sein. Zu viel in unserer Welt, in diesem großen Welttheater, liegt im argen. Was immer wir bedenken, ob es die Politik ist oder ob es die Natur ist, ob es unser Einzelleben ist, wir können nicht ohne Besorgnis sein. Aber die Besorgnis darf nicht zu schlotternder Angst werden. „Sorg’, aber sorge nicht zu viel; es kommt doch, wie Gott es haben will.“ Also nicht mit Lampenfieber auf die Bühne gehen. Wir wissen, dass wir eine Hoffnung haben, dass Gott uns befohlen hat, zu hoffen, und dass wir ihn kränken, wenn wir die Hoffnung aufgeben. Die Hoffnung darf keine Vermessenheit sein, aber sie darf ein wahrhaftiges Vertrauen auf Gottes Allmacht und Barmherzigkeit sein.
„Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl,
das macht die Seele stillt und friedenvoll.
Ist doch umsonst, dass ich mich sorg’ und müh’,
dass ängstlich schlägt mein Herz, ob spät, ob früh.
Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt die Zeit,
dein Plan ist fertig und liegt stets bereit.
Ich preise dich für deine Liebesmacht,
ich preis’ die Gnade, die mir Heil gebracht.
Du weißt, woher der Sturm so wütend weht,
und du gebietest ihm, kommst nie zu spät.
Drum ward ich still, dein Wort ist ohne Trug,
du weißt den Weg für mich, das ist genug.“
Dieses schöne Gebet, meine lieben Freunde, stammt von einem evangelischen Mädchen, das im Jahre 1918 in Riga im Gefängnis gesessen hat und von den Bolschewisten ermordet wurde. In dieser Lage hat dieses Mädchen dieses herrliche Gebet verfasst.
Und schließlich noch eine vierte Spielregel, nämlich: Das Spiel muss ernst genommen werden. Es ist vielleicht die schlimmste Schwäche der nachkonziliaren Kirche, dass die Religion, dass Gott, dass unser Schicksal von vielen Menschen nicht mehr ernst genommen wird. Denken Sie an das unterschiedslose Kommunizieren! Ißt und trinkt man sich nicht mehr das Gericht, wenn man unwürdig kommuniziert? Steht das nicht mehr in den Paulusbriefen? Denken Sie auch an die Heilshoffnung. Jawohl, wir hoffen auf das Heil, wir flehen um das Heil, wir sehnen uns nach dem Heil, nach dem endlichen Heile, nämlich nach der Seligkeit des Himmels. Aber es ist nicht die Meinung verbreitet, wie der Fastnachtsschlager will: „Alle, alle kommen wir in den Himmel“. So ist es nicht. Nicht umsonst hat der regierende Papst Benedikt XVI. angeordnet, dass künftig nicht mehr bei der heiligen Wandlung gesprochen wird: „Für euch und für alle“, denn das ist falsch. Es heißt im biblischen Text: „Für euch und für viele.“ Das Erlösungswerk Christi ist ausreichend für alle, aber wieviele es erreichen, das ist uns verborgen. Deswegen muss Ernst, heiliger Ernst in uns sein und in unser Leben einziehen in diesem Jahre 2007.
Erinnern wir uns an die mahnenden Worte in dem Buche von der Nachfolge Christi: „Siehe, du kannst nun einmal nicht doppelte Freude haben: hier auf Erden dich ergötzen und drüben mit Christus herrschen.“ Wie wunderbar! Wie richtig! Wie mahnend! Wie eindringlich. Du kannst nun einmal nicht doppelte Freude haben: hier auf Erden dich ergötzen und drüben mit Christus herrschen. Es ist also Zeit, Ernst mit unserem Leben, mit unserer Zeit, mit unserem Geld, mit unseren Kräften zu machen. Es ist Zeit, Ernst zu machen im Dienste Gottes. Und das neue Jahr soll uns nicht als alte Menschen antreffen, sondern als neue Menschen, die in der Kraft des Glaubens und in der sieghaften Hoffnung das Leben bewältigen.
Führe, du mildes Licht, im Dunkel, das mich umgibt, führe du mich hinan. Die Nacht ist finster, und ich bin fern der Heimat, führe du mich hinan. Leite du meinen Fuß, sehe ich auch nicht weiter, wenn ich nur sehe jeden Schritt. Einst wollt ich selbst wählen, ja setzte mir stolz das eigene Ziel. Aber jetzt laß es vergessen sein. Du hast mich so lang geführt über sumpfiges Moor, über lauernde Klippen. Ich habe die Engel längst geliebt, nur vergessen für kurze Zeit. Sie sollen mich führen zu deinem heiligen Berg und mich leiten in dein Zelt. Dort will ich dir danken für deine Erbarmungen, mein Herr und mein Gott!
Amen.