5. Dezember 1993
Die Verfolgung der Kirche
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Wenn ein öffentliches Unglück kommt, wenn allgemeines Ungemach sich ausbreitet, dann erhebt sich sofort der Ruf: 'Die Christen sind schuld!' Hat der Tiber Hochwasser, hat der Nil Niedrigwasser, bleibt der Regen aus, kommt ein Erdbeben, eine Hungersnot, eine Seuche, dann heißt es: 'Fort mit den Christen! Werft sie den Löwen vor!'„ So schreibt im 2. Jahrhundert nach Christus der christliche Apologet Tertullian. Die Christen werden haftbar gemacht für Schäden, Unglücke, Katastrophen. Die Christen sind schuld, wenn sich furchtbare Ereignisse in der Natur zutragen. Das war am Anfang so, und das ist im Laufe der Geschichte so geblieben. Vor einigen Jahren sagte mir einmal ein Mann in Mainz: „Der Papst ist schuld am letzten Weltkriege!“
Die Verfolgung der Christen, das Leiden der Kirche ist eine Wirklichkeit, die sich durch zweitausend Jahre Geschichte verfolgen läßt. Der tiefste Grund für diese Erscheinung ist die Verbundenheit der Kirche mit Christus. Wenn die Kirche der Leib des Herrn ist, dann muß sie auch seine Wundmale tragen, und da sie der Leib des Herrn ist, so können wir allezeit die Wundmale an ihr erkennen.
Der Verfolger der Kirche ist in letzter Linie der Satan. So wie er Christus verfolgt hat, so verfolgt er auch den fortlebenden Christus, so wie er Christus ans Kreuz gebracht hat, so will er auch die Kirche dem Tode überliefern. Dafür gibt es einen bezeichnenden Grund. Der Teufel hat Sinn für Qualität; er hält sich an die Profis und läßt die Amateure beiseite. In der Zeit des Dritten Reiches wurde keine Religionsgemeinschaft so verfolgt wie die katholische Kirche. Der Protestantismus wurde glimpflich behandelt, ja es wurde versucht, ihn als Verbündeten gegen die katholische Kirche zu gewinnen. Der Bolschewismus hat die Orthodoxen eine Zeitlang verfolgt, aber er hat auch mit ihnen seinen Frieden gemacht und hat die Orthodoxie benutzt, um gegen die katholische Kirche zu agitieren und sie zu unterdrücken.
Die Verfolgung der Kirche ist eine Wirklichkeit, die nach Erklärung ruft. Warum wird diese Kirche so angefochten, warum ist sie so verhaßt, warum wird sie so erbittert verfolgt?
Die Kirche nimmt an der Geschichte teil, an den Wechselfällen, an den Gegensätzen, an den Widersprüchen der Geschichte. Aber sie ist an der Geschichte anders beteiligt als die übrigen Gemeinschaften des Menschenlebens. Sie sucht nämlich nicht die irdischen Ordnungen zu gestalten, sondern sie sucht die Herzen der Menschen umzuwandeln. Ihr Ziel ist es, neue Menschen zu schaffen, damit diese dann auch die irdischen Ordnungen nach Gottes Willen gestalten. Bei diesem Versuch, die menschlichen Herzen von dem Licht und der Liebe Gottes durchdringen zu lassen, stößt die Kirche auf Widerstand. Gott ist ein anspruchsvoller Herr, er stellt hohe Forderungen an die Menschen. Doch der selbstherrliche, der selbstsüchtige Mensch will sich ihnen nicht beugen. Er will nicht anerkennen, daß Christus der gottgesandte Erlöser ist. Er will nicht zugeben, daß man vor diesem Christus seine Knie beugen muß. Es leuchtet ihm nicht ein, daß Christus Gebote gegeben hat, schwere Gebote, strenge Gebote, die tief in unser Leben einschneiden. Der selbstherrliche Mensch begehrt deswegen auf gegen die Institution, welche das Christusleben in sich trägt, die für Christus wirbt und die die Normen Christi den Menschen unterbreitet. Er wehrt sich gegen diese Institution bis zum Haß und bis zur Verfolgung.
Der Herr hat diese Wirkungen vorausgesagt. „Seht,“ sagt er den Aposteln, „ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe! Nehmt euch in acht vor den Menschen, denn sie werden euch den Gerichten ausliefern und in ihren Synagogen geißeln; und vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen, um ihnen und den Heiden Zeugnis zu geben.“ Die Apostel werden zunächst nicht begriffen haben, was der Herr ihnen da vorhersagte, aber dann wurden sie tatsächlich gewahr, daß der Knecht nicht über dem Herrn und der Jünger nicht über dem Meister ist, daß das Leiden ihnen bestimmt war und daß sie sich diesem Leiden unterziehen mußten. Wenn die Kirche der Leib Christi ist, dann muß sie dasselbe Schicksal haben wir ihr Herr Jesus Christus. Er lebt zwar jetzt in der Herrlichkeit, aber er hat die Herrlichkeit nur gewonnen im Durchgang durch den Tod. Die Erlösung ist nicht ein Vorgang, wo eine Tür geöffnet wird und die Menschen eintreten in den Himmel. Nein, die Erlösung geschieht, indem der Mensch Christus ergreift und dasselbe Todesschicksal auf sich nimmt, wie er selbst. Ebenso muß die Kirche, wenn sie der Leib Christi sein will, das Schicksal des Herrn auf sich nehmen, das durch den Tod hindurchgeht.
Aber Christus hat im Tode triumphiert. Er hat im Tode den Satan entmächtigt. Deswegen wird auch die Kirche, wenn sie die Leiden, die gottverordneten, gottgewollten Leiden willig und ergeben auf sich nimmt, im Kreuz und im Tode siegen. Die glorreichsten Zeiten, meine lieben Freunde, der Kirche sind somit nicht jene, wo sie unangefochten im Besitz ihrer Macht und ihres Eigentums ist. Die glorreichsten Zeiten der Kirche sind jene, wo sie am Leiden und Todesschicksal ihres Herrn teilnimmt. Das sind die besten Zeiten der Kirche; denn da ist sie ihrem Herrn am nächsten.
Die Apostel, vor allem Paulus, haben diesen Zusammenhang begriffen. Er schreibt im zweiten Korintherbriefe: „Wir tragen diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwengliche Fülle der Kraft nicht uns, sondern Gott beigemessen werde. Allenthalben sind wir bedrängt, aber nicht erdrückt; in Zweifel, aber nicht in Verzweiflung. Wir werden verfolgt, fühlen uns aber nicht verlassen, niedergeworfen, aber keineswegs umgebracht. Immerdar tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leibe herum, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde. Immerdar werden wir, die wir leben, dem Tode preisgegeben um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleische offenbar werde. So ist in uns der Tod mächtig, das Leben aber in euch.“
Die Feindschaft, welche die Kirche trifft, kommt von innen und von außen. Von innen sind es die ungehorsamen Söhne und Töchter der Kirche, die gegen sie aufstehen, die gegen ihre eigene Mutter sich empören und ihr Wunden schlagen. Sie sind in der glücklichen Lage, meine lieben Freunde, nicht in der Theologie arbeiten zu müssen. Wir, die wir in der Theologie stehen, sehen die Ungeheuerlichkeiten, die heute von Theologen über unsere heilige Mutter Kirche ausgebreitet werden. Sie können fast keine theologische Zeitschrift in die Hand nehmen, ohne daß Sie auf Irrtümer, Feindschaft, Hetze und Aggressionen stoßen. Soeben wird unter der Leitung des Herrn Bischofs Kasper die neue Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche herausgegeben. Er hat es dem Papst überreicht. Ich habe den 1. Band an mehreren Abenden durchgesehen. In dem 1. Band des Lexikons für Theologie und Kirche ist der ganze Modernismus unverblümt eingegangen. Und dieses Lexikon wird mit Hunderttausenden von Mark von der deutschen Bischofskonferenz gefördert.
Die Angriffe von innen sind immer gefährlicher und verwerflicher gewesen als die Attacken von außen. Aber auch sie fehlen natürlich nicht. Der selbstherrliche Mensch eträgt eine Institution nicht, die ihm im Namen Gottes erklärt: Es ist dir nicht erlaubt. Doch Gottes Absichten mit seiner Kirche werden dadurch nicht vereitelt. Man muß vielmehr fragen, ob nicht Gott die Widersacher von außen gewähren läßt, damit in der Kirche endlich Feigheit und Bequemlichkeit, Gottvergessenheit und Abfall die gebührende Strafe finden. Man muß fragen, ob nicht die Feinde von außen die Dienstmänner Gottes sind, die er wirken läßt, um seiner geliebten Braut, der Kirche, endlich Befreiung von Unglauben und Irrglauben zu bereiten.
In Frankfurt am Main gibt es eine Jungsozialistengruppe an der Universität. Diese Gruppe hat ein Flugblatt herausgegeben, in dem es heißt: „Schon das Symbol, das die Katholiken anbeten, das Bildnis eines Gefolterten am Kreuz, ist ein beredtes Zeugnis der latenten Gewaltbereitschaft dieser Gruppe. Muß es erst so weit kommen, daß sich keine hessische Frau mehr aus Angst vor Katholiken auf die Straße traut? Die hohe Zahl ihrer Feiertage führt zu Produktionseinbußen in Milliardenhöhe. Muß die deutsche Wirtschaft erst völlig am Boden liegen, bis die Katholikenflut eingedämmt wird? Wir schlagen deshalb vor: Abweisung aller Katholiken an den Grenzen Hessens, sofortige Abschiebung aller kriminellen Katholiken in den Vatikan, Abschaffung des Wahlrechts für Katholiken, Unterbringung aller Katholiken in Gemeinschaftsunterkünften. Das Boot ist voll. Stoppt die Katholikenflut!“ Die das hervorgebracht haben, das sind die hessischen Regierungsbeamten, Abgeordneten und Minister von morgen – die ja heute an der Universität studieren. Man soll das nicht leichtfertig abtun, wie es ein Frankfurter Gericht getan hat, mit dem Bemerken, das sei eine Satire. Auch eine Satire kann ernst gemeint sein. Auch mit einer Satire kann man Ungeheuerlichkeiten an Vorwürfen und Beleidigungen häufen. Das hat offenbar das Gericht übersehen.
Feindschaft von innen und außen begleitet die Kirche durch ihre Geschichte. Und die Kirche ist, äußerlich gesehen, ein ohnmächtiges Geschöpf. Sie ist den Menschen, der Schwäche, der Bosheit. der Feigheit und der Selbstherrlichkeit der Menschen ausgeliefert. Die Kirche kommt so weit, wie Menschen sie tragen, und wenn die Menschen versagen, dann kommt sie nicht voran, sondern fällt zurück. Der Beweis dafür ist in unserer Gegenwart offenkundig.
Gleichzeitig ist freilich die Kirche auch ein mächtiges Geschöpf, weil sie nämlich getragen ist von dem Heiligen Geiste, der personalen Widerstandskraft gegen die Sünde. Insofern die Kirche der Leib Christi ist, ist sie sogar unzerstörbar. Die Kirche hat Indefektibilität – Unzerstörbarkeit zu eigen. Sie kann die größten Verluste erleiden, Millionen und Abermillionen können abfallen, ganze Länder können sich von ihr trennen, der Glaube kann in manchen Völkern erlöschen. Aber als Ganzes wird die Kirche nie verschwinden. Sie wird immer, durch die Kräfte Christi und des Heiligen Geistes getragen und gehalten, ihre Existenz behaupten, wenn auch vielleicht in einer erheblich verminderten Zahl ihrer Glieder.
Es wird auch immer Heilige in der Kirche geben. Ob man sie kennt oder nicht, sie werden immer vorhanden sein. Immer werden in der Kirche die Haltungen einer wahren Treue zum Glauben und einer echten Liebe spürbar sein. Immer werden die Früchte des Heiligen Geistes in ihr bestehen: Liebe, Freude, Friede, Geduld. Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit.
Immer wird auch in der Kirche die Gnade fließen. Die Sakramente sind ja der Hort und die Bürgschaft der Gnade. Ihre Wirksamkeit kann auch durch einen unwürdigen Spender nicht gehemmt werden. Die Sakramente besitzen die Kraft, kraft ihres Vollzuges zu wirken – ex opere operato.
Immer wird auch in der Kirche die Wahrheit existieren. Es mögen noch so viele Entstellungen, Mißdeutungen und Irrtümer auftauchen, die Wahrheit als ganzes wird niemals vernichtet werden. Die Wahrheit wird immer in der Kirche auffindbar sein.
Es gibt ein unfehlbares Lehramt in unserer Kirche, das in erster Linie getragen wird vom Heiligen Vater, dem Nachfolger Petri und Stellvertreter Christi. Wenn der Papst einen Brief schreibt, wenn er eine Rede vor Pilgern hält, wenn er ein Buch verfaßt, ist er natürlich nicht unfehlbar. Aber wenn er eine für die ganze Kirche bestimmte endgültige Entscheidung in Glaubens- und Sittensachen gibt, dann erfreut er sich der Unfehlbarkeit, mit welcher der Herr seine Kirche ausgerüstet haben wollte.
Wir sind Zeugen, meine lieben Freunde, wie der gegenwärtige Heilige Vater die Wahrheit mit echtem Bekennermut verteidigt und verkündet. So viele Bischöfe haben geschwiegen, so viele Theologen haben die Wahrheit verdorben, aber Johannes Paul II. hat weder geschwiegen noch die Wahrheit verdorben. Er hat die Wahrheit verkündet, vor allem die so beschwerliche und lästige Wahrheit der Gebote der geschlechtlichen Sittlichkeit. Das ist ein Punkt, da reagieren die meisten Menschen gereizt, wenn ihnen einer vorschreiben will, wie sie sich im Geschlechtsleben betragen sollen. Aber die Gebote der geschlechtlichen Sittlichkeit schreibt nicht der Papst vor, sondern sie schreibt Christus vor, und der Papst ist nur sein Mund. Er ist nur sein Herold, er ist nur sein Künder. Unser Papst hat den Mut gehabt, gegen eine Welt von Feinden diese Lehre zu verkünden; ob ihn Thomas Gottschalk oder Berti Vogts deswegen tadeln, das ist dem Papst gleichgültig. Er weiß, daß er eine Sendung besitzt, die ihm von Christus übertragen worden ist, und daß er diese Sendung auf Tod oder Leben erfüllen muß.
Wir können deswegen, meine lieben Freunde, in dieser Unbeugsamkeit des Papstes Christus und den Heiligen Geist erkennen. Mich hat die ungebrochene Verkündigung des Papstes über die geschlechtliche Sittlichkeit erneut von der göttlichen Gründung und von der göttlichen Leitung unserer Kirche überzeugt. Ich erfahre darin die göttliche Stiftung unserer heiligen Kirche. Sie ist unüberwindbar in der Gnade und in der Wahrheit.
Die Kirche der Katakomben hat nicht geklagt, sondern gehofft. Das ist auch unsere Aufgabe, zu hoffen auf die Wende, die Gott herbeiführen will, wenn seine Stunde gekommen ist. Nero ist gestorben und Diokletian ist gestorben, aber Petrus lebt!
Ein schwedischer König hat einmal einen Verdienstorden gestiftet, auf dem die Worte stehen: „Non scit occasum“ – Er kennt keinen Untergang. Gemeint ist damit der Polarstern; der Polarstern kennt keinen Untergang. Aber man kann diese Worte auch auf unsere Kirche übertragen. Man kann von ihr sagen: „Non scit occasum“. Wenn der Polarstern selbst vom Himmel fallen sollte, unsere Kirche wird immer leben. Sie kennt keinen Untergang, denn sie ist gehalten von Christus. Christus ist das Fundament. Kann Christus, ihr Fundament, wanken? Wenn Christus wanken könnte, dann wäre die Kirche verloren. Aber weil Christus nicht wankt, deswegen wird unsere Kirche nicht wanken in Ewigkeit.
Amen.