Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Juli 2012

Der gute Mensch

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wer ist ein guter Mensch? Wann ist ein Christ ein guter Mensch?  Kann man sagen: ein guter Mensch  kann auch ein Nichtchrist sein?  Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich dreierlei klarmachen: Erstens: Über das, was gut ist, bestehen unter den Menschen die größten Meinungsverschiedenheiten. Was der eine als gut empfiehlt, das verwirft der andere.  Zweitens: Wer Gutes tut, ist noch nicht ohne weiteres ein guter Mensch. Zum guten Menschen gehört, dass man in jeder Hinsicht gut ist. Drittens: Häufig werden Menschen als gut bezeichnet, deren Leben großenteils unbekannt ist. Man weiß nicht, ob sie nicht eine Leiche im Keller haben, wie man heute sagt. Man tappt im Dunkeln. Ich kenne einen Herrn, einen liebenswerten Herrn, der hundertfünfzigmal  Blut gespendet hat – hundertfünfzigmal! Zweifellos eine gute, eine sehr gute Tat. Aber ob er im übrigen Leben auch ein guter Mensch ist, das weiß ich nicht.

Wir wollen fragen, wie ein guter  Mensch bei Nichtchristen, bei katholischen Christen und bei evangelischen Christen aussieht. Nehmen wir an, ein Nichtchrist ist Atheist, wie es ja viele gibt. Abgefallen vom Christentum, haben sie sich der Gottlosigkeit überliefert. Atheist ist, wer das Dasein Gottes, als eines von der Welt verschiedenen Wesens leugnet, der Religion und Gottesglaube bewusst ablehnt. Die Hauptstütze des Atheismus ist der Materialismus. Nach dem Materialismus ist die ganze Welt, die ganze Wirklichkeit stofflicher Art. Materie ist alles und das Einzige. Sie ist ewig. Alles ist nur Verwandlung von Energie. Natürlich führt der Materialismus zur Entthronung Gottes. Der Materialismus verachtet und bekämpft die Religion. Der Materialismus entwürdigt auch die menschliche Persönlichkeit, denn er begreift den Einzelnen nur als ein Atom in der Masse. Die pädagogischen Folgerungen des Atheismus liegen auf  der Hand: Der Atheist und Materialist verficht das Naturhafte statt des Geistes dem Kollektivmenschen statt der Persönlichkeit. Der Atheismus  drängt auf gänzliche Verweltlichung und Materialisierung  des Daseins und der Kultur. Entsprechend sieht auch die Ethik des Atheisten und des Materialisten aus. Wenn es keinen Gott gibt, gibt es auch keinen Gesetzgeber. Was jeder tun oder lassen soll, das bestimmt er selbst. Gewöhnlich folgen Atheisten und Materialisten dem Eudämonismus, dem  Utilitarismus oder dem Egoismus. Eudämonismus und Utilitarismus kommen darin zusammen, dass sie nach dem Glück streben. Das Glücksverlangen ist das höchste Ziel des Menschen. Das Glück, natürlich im irdischen Sinne verstanden, als Wohlgefühl auf dieser Welt ohne Rücksicht auf eine jenseitige Wirklichkeit. Genuss der irdischen Güter,  vor allen Dingen lustvoller Genuss, das ist das Ziel des Eudämonismus und des Utilitarismus. Der Egoismus ist noch eine Steigerung. Er denkt nur an sich selbst. Er erfährt seine höchste Aufgipfelung im Bolschewismus im gigantischen Ausmaß; im Namen der Weltrevolution ist alles erlaubt.

Atheist und Christ gehen auseinander bei scheinbar alltäglichen Dingen, etwa bei der  Beurteilung eines Vorschlags, zum Beispiel des Betreuungsgeldes für Eltern, die ihr Kind nicht in den Kindergarten schicken wollen. Der Atheist wird einfach fragen: macht nicht die Verwirklichung dieses Vorschlags glücklicher? Natürlich, wenn ich die Kinder abschieben kann! Der Christ sagt: Auch, wenn die Mehrheit durch einen Vorschlag glücklicher gemacht wird, können wir es nicht tun, wenn es die Ethik, wenn es das Gesetz Gottes verbietet! Wir können feststellen, ob ein Kind, das im Mutterleib sich befindet, eine Behinderung zur Welt bringen wird. Es gibt die pränatale Diagnostik. Wir können, wenn wir feststellen, dass eine solche Behinderung wahrscheinlich oder sicher ist, wir können das Kind töten, im Mutterleib. Aber wir dürfen es nicht! Frau Andrea Nahles, das sei zu ihrem Ruhme gesagt, Frau Andrea Nahles, die Generalsekretärin der SPD, hat, als sie schwanger wurde, gesagt: „Ich trage das Kind aus, wie immer es beschaffen sein mag!“  Frau Nahles ist bekennende katholische Christin.

Was dem Nichtchristen fehlt, ist die Kenntnis des christlichen Sittengesetzes in seiner  Gesamtheit und Klarheit. Er weiß nichts von Selbstaufopferung im Dienste anderer, er weiß nichts von Enthaltsamheit, er hält nichts von Barmherzigkeit, er kennt keine allgemeine Menschenliebe. Den Klassenfeind darf man töten. Ebenso fehlt ihm die übernatürliche Motivation seines Handelns. Er weiß nichts von dem Worte des Herrn: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“ Er lebt nicht in der Gnade. Er lebt nicht in der Gottesfreundschaft. Er lebt nicht im Heiligen Geiste. Daraus ergeben sich für sein Leben schwerwiegende Nachteile. Dennoch wage ich zu behaupten: es gibt  Nichtchristen, die Gutes getan haben und bis zur Stunde Gutes tun. Sie sind zuverlässig im Beruf, sie sorgen für ihre Familie, sie setzen sich für die Belange der Allgemeinheit ein. Dies geht sogar so weit, dass auch  Nichtchristen Tugenden erwerben können, Fertigkeiten im Guten. Vielleicht gibt es auch unter Nichtchristen gute Menschen. Wenn man die Voraussetzungen betrachtet, unter denen sie handeln, also ohne Offenbarung, ohne Gesetz Gottes, allein geleitet, hoffentlich geleitet von ihrem Gewissen, dann wird man zugeben, dass es unter diesen Voraussetzungen auch unter den Nichtchristen gute Menschen geben kann. Allerdings ist Vorsicht angebracht. Häufig werden Menschen als gut bezeichnet, die sich hervorgetan haben bei der Beteiligung an öffentlichen Belangen. Sie haben Stiftungen gemacht. Sie haben sich für die Gleichberechtigung der Frau eingesetzt. Aber wird man dadurch ein guter Mensch? Zum öffentlichen Leben kommt auch das private Leben. Und zum privaten Leben gehört das ‚Punctum puncti‘, die geschlechtliche Ordnung. Wer sich hier schwerwiegend und dauerhaft verfehlt, kann kein guter Mensch sein, denn er ist von Begierden getrieben und lebt in der Todsünde. Er macht andere zu Genossen seiner Verfehlungen und hinterlässt eine Spur von Blut und Tränen. Soeben ist die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich gestorben. Die FAZ widmete ihr zwei Seiten eines Nachrufes von Alice Schwarzer. Margarete Mitscherlich hat einen Vater von sechs Kindern von seiner Familie abspenstig gemacht und ihn geheiratet. Vielleicht gibt es unter den Atheisten und Materialisten gute Menschen, wenn es mir auch schwer fällt, sie zu nennen. Wenn man sie nach ihren eigenen Grundsätzen betrachtet, könnte man dazu kommen, dass  Ernst Haeckel, der wütende Bekämpfer des Christentums, Wilhelm Ostwald, der Führer des Monistenbundes, die Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – gute Menschen waren – nach ihren Grundsätzen. Sicher aber ist, dass unter den Atheisten und Materialisten die größten Übeltäter sind. Wir erinnern uns nur an Josef Stalin und Adolf Hitler. Der Atheist und Materialist Mao Tse-tung in China,  ein Marxist, hat sich für die Erneuerung seines Landes lebhaft eingesetzt. Er leitete eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft ein. Bodenreform, Gleichberechtigung der Frau, Verstaatlichung der Schwerindustrie. Er setzte die große proletarische Kulturrevolution in Gang, durch die er seine Gegner ausschaltete, den Partei-  und Staatsapparat zerschlug und durch Revolutionskomittees ersetzte.

Seine Tätigkeit hat Millionen Menschen das Leben gekostet. Im privaten Leben war er ein Scheusal. Er war ein großer Verbraucher von Frauen. Ich kann nicht denken, dass man Mao Tse-tung als einen guten Menschen bezeichnen kann. Anders Mahatma Gandhi. Er war kein Atheist, er war kein Materialist, er war ein frommer Hindu. In der Politik trat er für Gewaltfreiheit ein, für Vermittlung. Er kämpfte für die Rechte der  niederen Kasten in  Indien. Dem Christentum stand er freundlich gegenüber. Ich möchte sagen, Mahatma Gandhi, der Nichtchrist, war ein guter Mensch.

Wir katholischen Christen sind in der glücklichen Lage, dass wir eine Weltanschauung besitzen, die sich mit der geoffenbarten Religion nicht stößt, sondern auf ihr ruht. Unser Herr und König ist Jesus Christus. Ihm ist Herrschermacht und Herrscherwürde eigen. Er ist der Herr über die ganze Welt. Er ist Gesetzgeber, er ist Richter, er lehrt uns, was der Mensch ist, nämlich ein freies, zum Dienste Gottes, zur Verherrlichung Gottes  befähigtes und verpflichtetes Geschöpf.  Dem Menschen ist es aufgegeben, seine Gottebenbildlichkeit in existentiellen Entscheidungen zu verwirklichen. Mit allen Menschen, mit allen Mitmenschen verbindet den Christen ein natürliches Band, mit vielen ein übernatürliches Band – nicht nur als Geschöpfe, sondern als Kinder Gottes. Der Katholizismus ist dem Diesseits und dem Jenseits in ausgewogener Weise zugeneigt. Vernünftiges Denken und überzeugter Glaube stoßen sich nicht. Es gibt keinen Widerspruch zwischen der rechten Vernunft und dem erleuchteten Glauben. Der Christ ist ein von Christus erlöster und geheiligter Mensch. Er ist gerechtfertigt, wie man es nennt, er ist erneuert, er ist geheiligt. Durch die heiligmachende Gnade ist er tatsächlich eine neues Geschöpf geworden.

Die Beziehung der Sittlichkeit auf Gott allein genügt nicht. Gott ist zwar der Gesetzgeber, aber was er uns lehrt, muss von den Menschen angeeignet, weitergetragen und auch erklärt werden. Der Mensch neigt dazu, das, was ihm nützlich und leicht und bequem ist, für erlaubt zu erklären. Aus diesem Grunde hat Gott die Offenbarung ins Werk gesetzt durch die Propheten, vor allem durch Christus. Zuletzt sprach er durch seinen Sohn. Der gottgesandte Lehrer des Sittengesetztes ist erschienen und hat uns den Willen des göttlichen Gesetzgebers kundgetan. Die wahre sittliche Ordnung ist bekannt. Aber sie muss auch bewahrt und erklärt werden. Deswegen hat Gott eine Institution geschaffen, die seinen geoffenbarten Willen hütet, bewahrt, entfaltet, auslegt. Wir nennen sie ‚katholische Kirche‘. In besonderer Weise sind zur Bewahrung und Auslegung des Sittengesetzes die Amtsträger der Kirche gehalten. Sie verkünden und sie erhalten Gottes Gesetz. Einem von ihnen ist sogar bei der Auslegung die Unfehlbarkeit verheißen. Wir nennen ihn ‚den Stellvertreter Christi‘, den Heiligen Vater. Das ist unsere Ethik. Und nach ihr versuchen wir zu leben. Dass es im katholischen Christentum gute Menschen gibt, ist offensichtlich. Im katholischen Bereich kann nur als guter Mensch gelten, wer sich ernsthaft bemüht, das Gesetz Gottes zu erfüllen, wer die schwere Sünde meidet und sich durch Tugenden auszeichnet, vor allem durch die Gottes- und durch die Nächstenliebe. Denn die rechtverstandene Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes.  Gott schenkt uns nicht nur das Gesetz. Er gibt uns auch die Kraft, es zu erfüllen. Er schenkt die Gnade zur Befolgung des Gesetzes. So wissen wir, was gut ist. Gut ist eine Handlung, wenn sie nach Gegenstand, Umständen und Zweck mit dem Sittengesetz übereinstimmt. Ich wiederhole: Gut ist eine Handlung, wenn sie nach Gegenstand, also Objekt, Umständen  -Verhältnissen- und Zweck –Motivation- mit dem Sittengesetz übereinstimmt. Um eine Handlung schlecht zu machen, braucht nur eines dieser drei Elemente auszufallen- und die Handlung ist nicht mehr gut. Wenn also entweder das Objekt schlecht ist oder die Umstände schlecht sind oder der Zweck schlecht ist, dann ist die Handlung nicht sittlich gut. Was dem Gegenstand nach böse ist, bleibt immer böse. Auch, wenn die Umstände und der Zweck gut sind. In der katholischen Kirche gilt nicht der Satz: „Der gute Zweck heiligt die schlechten Mittel.“ Dieser Satz ist immer von der Kirche verworfen worden.

Die katholische Kirche zählt viele gute Menschen. Wir nennen sie die Heiligen. Durch Übung der Tugend und gottgefälligen Lebenswandel haben sie eine den Menschen mögliche übernatürliche Angleichung an die Heiligkeit Gottes erreicht: Freiheit von der schweren Sünde, gepaart mit Lauterkeit des sittlichen Lebens, Gleichung zwischen dem Willen und dem göttlichen Sittengesetz, Liebe zu Gott und zu den Menschen. Die Heiligen sind Menschen, denen die kirchliche Autorität unfehlbar bescheinigt, dass sie heroische Tugenden erworben und ausgeübt haben und dass sie das Ziel, nämlich die ewige Seligkeit, erlangt haben. Neben den kanonischen Heiligen gibt es eine unabsehbare Schar guter Menschen in unserer Kirche. Mit Entschiedenheit und Ernst suchen sie Gottes Willen nachzuleben, richten sich in der Öffentlichkeit und im privaten Leben nach den Lehren und Weisungen der Kirche, sie prüfen ihr Gewissen, sie bereuen ihre Verfehlungen, sie bekennen ihre Schuld. Denken Sie, um nur ein Beispiel zu erwähnen, an so lautere Persönlichkeiten wie den großen Symphoniker Anton Bruckner oder an den französischen Außenminister Robert Schuman. Beides heiligmäßige Menschen; dem letzteren hat es sogar Adenauer bescheinigt: „Des is en heiligmäßig Mann“, hat er gesagt. Robert Schuman.

Wie steht es nun um die getrennten Christen, unsere evangelischen Brüder? Die Weltanschauung der evangelischen Christen unterscheidet sich wesentlich von der katholischen. Nach Luther ist die menschliche Wesenheit durch die Erbsünde total verdorben. Der Mensch ist unfähig zum Guten. Nur die Fähigkeit zum Bösen ist ihm geblieben. Die Vernunft hat ihre religiöse Befähigung, der Wille seine sittliche Freiheit völlig eingebüßt. Der Mensch ist und bleibt im Guten gänzlich passiv. Das ist die Lehre Martin Luthers. Er fügt hinzu: die Gebote Gottes, die Forderungen Gottes sind unerfüllbar. Sie dienen nur dazu, dem Menschen seine Unfähigkeit zum Guten vor Augen zu halten. Die Gesetze klagen den Menschen an, den schwachen, sündhaften Menschen. Sie sollen ihn zu Christus hintreiben und dort soll er dann durch Glauben, durch Vertrauensglauben gerechtfertigt werden. Aber diese Rechtfertigung ist nach lutherischer Ansicht nur eine Zudeckung der Sünden, keine Heiligung, nur eine Zudeckung der Sünden, eine forensische Rechtfertigung. Die Sünden sind also nach wie vor vorhanden. Der Gerechtfertigte ist nach Luther nicht innerlich geheiligt, sondern die Sünde ist bloß durch äußerliche Anrechnung der Verdienste Christi zugedeckt.

Seit Luther gibt es auch die Lehre von den zwei Reichen, dem Reiche Gottes zur rechten und zur linken Hand. Im Reich Gottes zur Rechten herrscht Christus durch Wort und Sakrament. In diesem Reiche gilt das Gebot Christi, wird Gnade und Vergebung geübt, tut der Christ Gutes in freier Spontaneität, regiert Christus durch das Evangelium. Im Reich zur Linken dagegen herrscht nicht Christus, sondern die Staatsgewalt mit Gesetz und Strafe. Hier gilt nicht Gottes Offenbarung. Ich wiederhole: Hier gilt nicht Gottes Offenbarung, sondern eine Ordnung der Vernunft, wie sie der Staat für angemessen hält. Zu diesem Reiche gehört nicht nur der Staat, auch die Ehe, die Familie, die Wirtschaft. Durch diese Lehre, meine lieben Freunde, wird der Zwiespalt in das Leben und in den Menschen hineingebracht. Was in der Kirche unzulässig ist, das ist im Staate möglich. Ein Beispiel: In der Kirche dürfen Unterschiede der Rasse nicht gelten. Der Staat kann sehr wohl eine Rassengesetzgebung erlassen. Deswegen haben viele, sehr viele Protestanten die Ausgrenzung und  Vertreibung der Juden gebilligt. Es sind protestantische Autoren, welche die ‚Zwei-Reiche-Lehre‘ für die Ahnenreihe Luther – Bismarck – Hitler – verantwortlich machen. Die Lehre ist natürlich grundsätzlich verfehlt. Christus ist der Herr aller Welt. Es darf kein Bereich des Lebens aus seiner Herrschaft ausgenommen werden. Die protestantische Ethik unterscheidet sich stark von der katholischen Sittenlehre.

Die Protestanten mögen dieselben Gebote wie wir haben, aber sie legen sie anders aus. Der fundamentale Unterschied zwischen katholischer Moral und protestantischer Ethik ist in Folgendem gelegen: Die sittlichen Gebote werden im Protestantismus zumeist nicht als objektive Normen der Vernunft, sondern als  subjektive Forderungen des Gefühls angesehen.    Das subjektive Element, also die Motivierung, wird so stark betont, dass das Gesetz mit seinem Inhalt in den Hintergrund tritt. Das Wesen der sittlichen Handlung wird ausschließlich oder überwiegend in die Gesinnung verlegt. Dadurch wird der sittliche Charakter der Handlung abgeschwächt oder völlig verkannt. Aus Gesetzen, die immer verbindlich sind,  werden Regeln, die Ausnahmen zulassen. Ja, die Gebote werden vielfach als ideale Forderungen behandelt. Man soll sich nach ihnen richten, aber man muss es nicht.  Es gibt nach katholischer Lehre Handlungen, die innerlich böse sind, die also nie, unter keinen Umständen und bei keiner Motivierung,  gut werden. Zum Beispiel der Ehebruch –  ist immer und ohne Ausnahme nach katholischem Gesetz verboten. Nach protestantischer Ansicht können Handlungen, die an sich verboten sind, zulässig werden. Denken Sie an unseren jetzigen Bundespräsidenten. Er ist evangelischer Pfarrer. Er lebt getrennt von der ihm angetrauten Frau. Er lebt in freier Gemeinschaft mit einer anderen Frau. Nach katholischen Grundsätzen würde man sein Verhalten als ‚Dauerdelikt des Ehebruchs‘ bezeichnen. Ich bin überzeugt, dass Herr Gauck seine Verbindung guten Gewissens aufrecht erhält. Die protestantische Ethik gestattet ihm das. Auch nach protestantischer Ansicht soll man sich nicht scheiden lassen. Aber wenn es erforderlich ist, kann man es doch, darf man es, ja man muss es unter Umständen. Ich habe das bei protestantischen Autoren nachgelesen. Ich mache Ihnen nichts vor, meine lieben Freunde. Denken Sie an die vielen evangelischen Pfarrer, die geschieden und wiederverheiratet sind.

Man soll, auch nach protestantischer Ethik, keine Abtreibung vornehmen. Aber wenn es Gründe dafür gibt, darf man es doch. Die Synode der evangelischen Kirche in Deutschland, das oberste Verfassungsorgan der evangelischen Christen in Deutschland, hat erklärt, man könne sich auch schuldig machen, wenn man eine Abtreibung verweigert. Ich habe mich nicht versprochen: Man könne sich auch schuldig machen, wenn man eine Abtreibung nicht vornimmt.

Wer sich von der Kirche Christi löst, ist nach allen Erfahrungen der Geschichte nicht imstande, Gottes Gesetz zu bewahren. Sogleich nach der Abwendung von der Kirche setzen Bestrebungen ein, das Sittengesetz zu modeln, zu verbilligen, zu erleichtern. Im Protestantismus wird offen zugegeben, dass das Sittengesetz wandelbar sei und dass die protestantischen Religionsverbände diese Wandlung vornehmen. Das jüngste Beispiel ist die Unbedenklichkeitserklärung homosexueller Betätigung.  

Selbstverständlich gibt es im Protestantismus viele Menschen, die Gutes tun und sicher auch gute Menschen. Sie versuchen, das, was sie im Unterricht und in der Erziehung an sittlichen Weisungen empfangen haben, in ihrem Leben umzusetzen. Ich denke etwa an einen Mann, den ich auch verehre: An Friedrich Bodelschwingh. Das war ein solcher guter Mensch. Ihm starben innerhalb von vierzehn Tagen vier Kinder. Er beugte sich unter die Hand Gottes und fühlte sich zum Dienst an der Barmherzigkeit berufen. Er richtete Anstalten für Epileptiker und Gemütskranke ein. Er nahm sich der Brüder von der Landstraße an. Sie kennen alle die Anstalten in Bethel bei Bielefeld. Bodelschwingh nahm auch den kränksten und verblödetsten  Menschen auf. Und er nahm ihn ernst. Er gab auch dem verachtetsten Menschen die Ehre des Bruders. Bodelschwingh war, wenn ich so sagen kann, ein evangelischer Heiliger.

Aber wie steht es um den Gründer dieser Religion namens Martin Luther, der die Päpste als Statthalter des Teufels, Feinde Gottes, Widersacher Christi, Mörder der Könige und Hurenböcke bezeichnete? Er empfahl, dem Papst und den Kardinälen die Zunge hinten am Halse herauszureißen und sie an den Galgen anzunageln. Ich kann nicht finden, dass ein Mann, der solches von sich gibt, ein guter Mensch gewesen ist.

Man darf nicht anerkannte Größe mit Güte verwechseln. Wir wurden ja als Kinder in der Schule in der Verehrung Bismarcks erzogen. Er wurde uns als ein großer und genialer Mann vorgestellt. In unzähligen Gemeinden gibt es Bismarckplätze und Bismarckstraßen und Bismarcktürme. War Bismarck ein guter Mensch? In seiner Jugend war er ungläubig und unmoralisch. Später nahm er eine bescheidene, religiöse Praxis wieder auf. Am Gottesdienst nahm er höchst selten teil. Im ‚Kulturkampf‘ stritt er nicht nur gegen die katholische Kirche, sondern auch gegen das Christentum, und das haben evangelische Christen ihm vorgehalten. Die Arbeiterschaft verstand er nicht. Den Arbeitern stand er verständnislos gegenüber. Seine Politik war von Rücksichtlosigkeit und Verschlagenheit geprägt. Er erklärte einmal: „Für die Liebe habe ich meine Frau; für den Hass, den Windthorst“, den Führer der katholischen Partei. Für den Hass den Windthorst, den Führer der katholischen Partei. Kann ein solcher Mann ein guter Mensch gewesen sein?

Angeblich große Theologen sind noch lange nicht gute Menschen. Ein früherer Pfarrer hat an das Altarbild der Budenheimer Kirche Martin Luther King malen lassen, der zweite von links. Martin Luther King thront in unserer Kirche auf dem Altarbild, neben der Mutter Teresa und dem heiligen Maximilian Kolbe. War Martin Luther King ein guter Mensch?  Er war ein Plagiator, das heißt, er hat von anderen abgeschrieben, ohne die Herkunft seiner Quelle anzugeben. Er war ein offenkundiger Ehebrecher. Kann man sagen, er sei ein guter Mensch gewesen?

In dem katholischen ‚Lexikon für Theologie und Kirche‘ ist ein Artikel dem evangelischen Theologen Paul Tillich gewidmet, ein angeblich großer Gelehrter, ja der führende protestantische Theologe Amerikas. Die Wahrheit sieht anders aus. Paul Tillich war ein von Sexualität Besessener. Er, der Theologieprofessor. Seine Frau beschreibt ihn als unersättlichen Schürzenjäger. Seine eigene Frau. Er sammelte heimlich Pornos und gab sich ganz dem Trieb hin. Kann ein solcher Theologe ein guter Mensch gewesen sein?

Wer ist ein guter Mensch, meine lieben Freunde? Woher bezieht man die Erkenntnis, was gut ist? Welches ist der Maßstab, wonach geurteilt wird, was gut ist?   Wir können nur sagen, wir wissen aus Gottes Offenbarung, was gut ist und wer ein guter Mensch ist. Lassen wir uns nicht irre machen. Lassen Sie uns vielmehr, meine lieben Freunde, danach streben, Gutes zu tun und gut zu sein. Befleißigen wir uns des Guten nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Menschen. Machen wir unsere Berufung gewiss durch gute Werke. Der dritte Brief des Apostels Johannes umfasst nur wenige Zeilen. Aber darin steht das Zeugnis: „Wer Gutes tut, der ist aus Gott.“

Amen.

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