8. Januar 1995
Der Name Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wenn der Priester die heilige Messe beginnt, dann tut er dies im Namen des dreifaltigen Gottes. Wenn er das Wort Gottes ausruft in der Predigt, dann beginnt er wieder diese Verkündigung im Namen des dreifaltigen Gottes. In meiner schlesischen Heimat ist es üblich, daß die gläubigen Menschen, wenn sie etwas unternehmen, sagen: „Im Namen Gottes!“ Sie wollen sich damit dem Schutze, der Führung Gottes anvertrauen, aber auch selbstverständlich in der Gesinnung, die Gott wünscht, die Gott in uns zu sehen wünscht, ihre Unternehmung anfangen. Im Namen Gottes soll unser ganzes Leben geführt werden, soll Freude und Leid getragen werden. Es ist nicht gleichgültig, in welchem Namen man sein Leben beginnt und den Tag über führt. Als nach dem Ersten Weltkrieg die Tschechoslowakei entstand, da ersetzten Lehrer in der Schule den früheren Beginn des Unterrichts – „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ – mit der Formel „Im Namen unseres Vaters Masaryk“. Masaryk war ein Verräter, der sein Vaterland Österreich-Ungarn im Kriege an die Alliierten verraten hatte, übergelaufen war und eine eigene Truppe aus Überläufern gebildet hatte, die „Tschechische Legion“, ein Hochgrad-Freimaurer, voller Haß gegen alles Deutsche. In diesem Namen begannen die nationalistischen tschechischen Lehrer ihren Unterricht, „im Namen unseres Vaters Masaryk“.
Wir beginnen unser Leben und unser Tagewerk im Namen des dreifaltigen Gottes. Welches ist denn der Name Gottes? Kann man überhaupt von einem Namen Gottes sprechen? Haben wir uns nicht vor Weihnachten die Unbegreiflichkeit Gottes vor Augen geführt? Er geht in keinen menschlichen Begriff ein, er kann in keine Vorstellung des Menschen eingefangen werden. Kann man ihn dann mit einem Namen benennen? Ist er nicht der Namenlose oder vielmehr der Allnamige? Gewiß, meine lieben Freunde, ebensowenig wie Gott in einen Begriff eingefangen, durch eine Vorstellung ausgedrückt werden kann, ebensowenig läßt sich ein Name für Gott finden, der erschöpfend ist. Es sind alle Namen, die wir Gott geben können, gleichzeitig Enthüllungen und Verhüllungen, und zwar mehr das letztere als das erstere. Sie sagen etwas aus über Gott, aber sie geben uns keine erschöpfende Kunde von Gott.
Wenn wir wissen wollen, welche Bedeutung der Name Gottes hat, müssen wir davon ausgehen, die Funktion zu bedenken, die der Name unter Menschen hat. Wozu geben sich die Menschen Namen? Aus einem zweifachen Grunde: Der Name hat eine individuelle und eine soziale Bedeutung. Er hat eine individuelle Bedeutung, weil er nämlich den Menschen offenbart. Es gibt immer nur einen Träger dieses Namens. Der Mensch wird durch den Namen bezeichnet, eindeutig bestimmt; er vergegenwärtigt sich selbst durch seinen Namen. Deswegen hat unser Heiland dem Simon einen neuen Namen gegeben, Kepha – Petrus. Der Name besitzt eine offenbarende Funktion. Er hat aber auch eine soziale Bedeutung, nämlich er stellt den Menschen in die Gemeinschaft. Er ordnet ihn in die Gemeinschaft ein. Kraft seines Namens ist er ein klar umrissenes Glied der Gemeinschaft. Er tritt dadurch in Beziehung zu den anderen. Man kann einem Wanderer, der dahingeht, viele Worte zurufen, und er kümmert sich nicht darum. Aber wenn man ihm seinen Namen zuruft, da hält er ein und wendet sich um, weil er mit dem Namen eben in seiner Individualität getroffen ist.
Ähnlich ist es auch mit dem Namen Gottes. Wenn Gott uns einen Namen offenbart, dann zeigt er etwas von seinem Wesen, dann macht er uns kund, wer er ist, dann läßt er sich von den Menschen anrufen. Wie es der Prophet Jeremias sagt: „Du aber bist in unserer Mitte, Herr, denn dein heiliger Name ist angerufen über uns.“ Wenn wir den Namen Gottes anrufen, dann sind wir seiner Gegenwart gewiß. Gott hört auf den, der seinen Namen anruft, und er schenkt ihm seine Gegenwart. Und deswegen sagen wir mit Recht bei unseren Unternehmungen: „Im Namen Gottes!“ In Verbindung, in Vereinigung, unter dem Schutze Gottes beginnen wir unser Tagewerk, unsere Arbeit, führen wir unser ganzes Leben.
Der Name Gottes ist heilig. Es ist ein Grundanliegen des Christen, daß der Name Gottes geheiligt werde. Die erste Bitte des Vaterunsers heißt: „Geheiligt werde dein Name!“ Da erhebt sich die Frage: Wer soll denn den Namen Gottes heiligen? Nach der wahrscheinlichsten Auslegung, meine lieben Freunde, wird der Name Gottes von Gott selbst geheiligt. Es ist in der Regel so: Wenn das Neue Testament im Passiv, in der Leideform, spricht, dann ist damit das göttliche Handeln gemeint. Also wenn der Name Gottes geheiligt wird, dann wird er von Gott selbst geheiligt. Wie denn? Der Name Gottes wird durch Gott selbst geheiligt, indem er wunderbare Taten, Heilstaten und Gerichtstaten, vollbringt. Indem er über den Menschen als der Beseliger und als der Richter wirkt, heiligt er, d.h. verherrlicht er seinen Namen. Wenn Gott sich machtvoll offenbart in den Heilstaten und Gerichtstaten der Geschichte, dann heiligt er seinen Namen. Aber das schließt natürlich nicht aus, daß auch dem Menschen die Heiligung des Namens Gottes aufgetragen ist, denn Gott heiligt seinen Namen in der Geschichte (auch) durch die Menschen. Die Menschen sind dafür verantwortlich, daß Gottes Name geheiligt werde. Sie dürfen den Namen Gottes nicht ehrfurchtslos, nicht grundlos, nicht vergeblich aussprechen. Ich ging einmal in Mainz über die Brücke, welche die Gleise am Bahnhof überquert. Ich ging auf der linken Seite. Da kam mir ein Herr entgegen und schleuderte mir heftig die Worte zu: „Herrgott, gehen Sie rechts!“ Nun, meine lieben Freunde, das ist sicher kein Gebrauch des Namens Gottes, der den Namen Gottes heiligt. Wir sollen den Namen Gottes ehrfürchtig und überlegt und nicht im Zorn und in Erregung aussprechen. Aber der Name Gottes wird natürlich noch viel mehr geheiligt durch unser Leben. Wir sollen ihn heiligen, indem wir den Willen Gottes erfüllen, indem wir Unzucht, Meineid, Trug und List, Falschheit und Unehrlichkeit vermeiden. Der Name Gottes wird geheiligt durch unser heiliges Leben. Daran erkennen wir, daß wir zu dem heiligen Gott gehören, daß wir heilig sind oder besser, daß wir uns bemühen, heilig zu werden, so wie er heilig ist.
Der Name Gottes nun ist uns im Alten Testament geoffenbart worden. Mehr als sechstausendmal kommt der Name Gottes im Alten Testament vor, und zwar lautet er hebräisch Jahwe. Wie ist dieser Name Jahwe zu erklären? Das wußten die Israeliten anfangs auch nicht. Aber als Moses von Gott angesprochen wurde, fragte er ihn: Wenn ich zu den Israeliten komme und ihnen sage: Der Gott eurer Väter sendet mich zu euch und wenn sie mich fragen: Wie heißt er denn?, was soll ich ihnen antworten? Da antwortete Gott dem Moses: „Ich bin der Ich bin. So sollst du den Israeliten sagen: Der Ich bin hat mich zu euch gesandt.“ Weiter sagte Gott zu Moses: „Du sollst den Israeliten verkünden: Der da ist, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der hat mich zu euch gesandt. Dies ist mein Name in Ewigkeit und meine Benennung von Geschlecht zu Geschlecht.“ Welchen Namen hat also Gott? Hebräisch Jahwe oder Ehje. Das heißt: Der da ist, oder der Ich bin. Was soll ein solcher Name? Mit diesem Namen soll ausgedrückt werden, daß Gott der Gegenwärtige, der Seiende, der Treue ist. Die Götter der Heiden sind Nichtse. Sie haben keine Existenz. Dagegen der Gott der Israeliten hat eine Existenz, er ist ein seiender, ein gegenwärtiger, ein wirklicher Gott. Es ist derselbe Gott, der schon mit den Vätern Abraham, Isaak und Jakob war und der auch jetzt mit dem Volke ist, der einen Bund mit ihm schließt, der ihm schwere Pflichten auferlegt, aber ihm auch gleichzeitig Ehre und Heil bringt. Das ist der Gott, den Moses den Israeliten kundmacht. Jahwe, das ist der Gottesname, Der da ist, der Ich bin, hat seinen Namen den Israeliten kundgetan.
Es gibt noch andere Namen für Gott im Alten Testament, z.B. El. Der Name El wird im ganzen semitischen Sprachbereich für Gott verwendet. Er bedeutet etwa „der Starke“, „der Führer“, „der Lenker“. Im Alten Testament kommt er in der Pluralform vor: Elohim. Das bedeutet nicht etwa „Götter“, sondern das ist ein Plural der Majestät. Mit dieser Mehrzahl soll ausgedrückt werden, daß alle Eigenschaften, alle Kräfte, alle Vollkommenheiten des Göttlichen in dem einen Gott versammelt sind, nicht verteilt auf viele Götter wie bei den Heiden. Nein, der eine Gott schließt alles in sich, was göttlich ist an Kraft und Macht, an Vollkommenheit und Eigenschaften.
Und schließlich kommt noch ein dritter Name in Gebrauch, nämlich Adonai. Das bedeutet „Herrschaft“. Herrschaft als abstraktes Wort wird für Gott verwendet, damit ist die Hoheit, die Erhabenheit Gottes ausgedrückt.
Die griechische Bibel, also die Übersetzung des Alten Testamentes aus dem Hebräischen, setzt überall da, wo der Gottesname Jahwe steht, das Wort Kyrios, d.h. „Herr“. Das ist keine falsche Übersetzung, sondern das ist eine zutreffende Übersetzung; denn der da gegenwärtig ist, der sein Volk führt, der sein Volk schützt, das ist eben einer, der Macht hat. Und das Besitzen von Macht drückt man aus mit dem Worte „Herr“.
Jesus hat seinen Jüngern und damit der ganzen Christenheit einen neuen Namen Gottes geoffenbart, und das ist der Name Vater. Dreimal kommt im Neuen Testament das aramäische Wort für Vater vor: Abba. Denn das ist die Sprache, in der Jesus geredet hat. Er sprach nicht griechisch, die Sprache, in der das Neue Testament geschrieben ist, er sprach aramäisch. Und er hat also den Vater im Himmel angeredet mit dem Worte Abba. Und im Markusevangelium, im Römerbrief und im Galaterbrief taucht dieses wunderbare Wort auf: Abba – Vater. Jesus will damit sagen, daß, wie er der Sohn des himmlischen Vaters ist, ähnlich alle seine Jünger Kinder des himmlischen Vaters sind. Das ist eine neue Offenbarung. Auch die Israeliten, die Juden vor Jesus, sprachen von Gott als dem Vater, aber nur in bezug auf das Volk. Gott ist der Vater des israelitischen Volkes, und der einzelne gewinnt Gott zum Vater nur als Glied dieses Volkes. Das Wort Vater hat also im Judentum einen nationalen Hintergrund. Dieser fehlt bei Jesus völlig. Gott ist der Vater jedes Menschen, der auf der Erde lebt. Er ist der Vater aller ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zum Volke Israel. Und wer diesen Namen – Vater – kennt, der kennt die Sendung Jesu, der weiß um das Heil, der weiß um die Absichten Gottes mit der Menschheit. Gott offenbart sich in dem Namen Vater, indem er seine Liebe zu den Menschen kundgibt, freilich eine Liebe, die nicht weichlich ist, sondern viel vom Menschen verlangt. Auch als Vater bleibt Gott König und Herr.
Wenn wir in der heiligen Messe das Vaterunser beten, leitet der Priester es mit einer nachdenklich machenden Formel ein. „Durch heilbringende Anordnung gemahnt und durch göttliche Belehrung angeleitet, wagen wir zu sprechen.“ Warum ist es ein Wagnis, Gott als Vater anzusprechen? Warum ist es ein Wagnis? Weil wir immer in Besorgnis sein müssen, daß wir treue und ergebene Kinder sind. Weil wir Zweifel an uns haben müssen, ob wir die rechten Kinder dieses Vaters sind, deswegen wagen wir zu sprechen: „Vater unser, der du bist im Himmel.“
Wenn wir, meine lieben Freunde, uns des Gottesnamens erinnern, dann wollen wir oft im Herzen und auch manchmal mit dem Munde sprechen: „Im Namen Gottes!“ Und da soll alles eingeschlossen sein an gutem Willen, an Vorsätzen, an reiner Absicht. Wir wollen in der Gesinnung Gottes unser Tagewerk verrichten, unsere Arbeit tun. Wir wollen in der Gesinnung Gottes die Leiden unseres Lebens auf uns nehmen. Wir wollen auf den Schutz Gottes vertrauen, wenn wir sagen: „Im Namen Gottes!“ Denn wenn sein heiliger Name über uns angerufen ist, dann ist seine Gegenwart verbürgt, nicht aufgrund einer magischen, einer Zauberkraft, sondern aufgrund der Verheißung, mit der er gesagt hat: „Wenn ihr meinen Namen anruft, dann werde ich in eurer Mitte sein.“
Amen.