Predigtreihe: Maria (Teil 1)
1. August 2021
Die Magd des Herrn
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir katholischen Christen sind Marienverehrer. Wir sind es nicht aus Lust oder Laune, wir sind es auch nicht aus Tradition und Gewohnheit. Wir sind es, weil Gott selbst ein Marienverehrer ist. Er hat ihr die Titel gegeben, unter denen wir sie anrufen; er hat ihr die Gaben geschenkt, deretwegen wir sie preisen; er hat ihr Leben gelenkt, das sie uns zum Heile geführt hat. Der erste aller Titel, die Maria führt, heißt: die Magd Gottes. Gott hat ihr diesen Titel gegeben. Was heißt das, eine Magd Gottes zu sein, wie denkt Gott über den Dienst einer Magd? Gott hat eine Tafel der Werte. An der ersten Stelle dieser Tafel steht der Knecht, die Magd Gottes. Gott hat in die vernunftlosen Geschöpfe seinen eigenen Gedanken und seinen eigenen Willen hineingelegt. Der Gedanke Gottes wirkt und leuchtet in ihnen. In den Gesteinen und in den Sternen, in den Blumen und Tieren waltet der Gedanke Gottes, wirkt in ihnen, treibt sie zu ihrer Tätigkeit. Gott schafft in ihnen. So ist es mit den vernunftlosen Geschöpfen, die kein eigenes Denken und kein eigenes Wollen haben. Anders steht es mit den vernunftbegabten Geschöpfen. Sie sind fähig zu eigenen Gedanken und zu eigenem Wollen. Sie können eine eigene freie Tat setzen und einen eigenen freien Echtschluss hervorbringen. Sie sind in gewisser Hinsicht gottähnlich, weil sie eine schöpferische Macht in sich tragen. Wenn nun ein solches freies Geschöpf hingeht und Gottes Gedanken in sich aufnimmt, so dass Gott aus ihm wirkt, dann hat ein solches Geschöpf die Höchstleistung der Schöpfung vollbracht. Solche Geschöpfe, deren Gedanken göttliche Gedanken sind, deren Ratschlüsse Gottes Ratschlüsse sind, deren Wollen Gottes Willen ist, die sind Knechte und Mägde Gottes.
Wenn Gott auf die Erde kommt und eine geschöpfliche Natur annimmt, dann kann er nur ein Knecht Gottes werden. Er kann nichts anderes tun als Gottes Gedanken in sich aufnehmen und sie verwirklichen. So ist es in der Tat geschehen: Als Gott ein Mensch geworden ist, hieß der Name, den er trug: Knecht Gottes. Weil er sich erfüllt hatte mit dem Gedanken Gottes, weil er sich bewegte nach dem Willen Gottes, war er der „Knecht“ einfachhin. Jesus ist der Gottesknecht zunächst im Sinn des gehorsamen Gerechten, der den Willen Gottes restlos erfüllt. Sodann ist er der Gottesknecht im Sinne der Gottesknechtverkündigung des Propheten Isaias. Er ist der Leidensmessias, der sein Leben als Lösegeld für die sündige Menschheit hingibt. Hinter dem Muss seines Leidens sah Jesus den in der Schrift geoffenbarten Willen Gottes. Die Urgemeinde hat Jesus zuerst unter dem Namen Knecht Gottes (Mt 12,18; Apg 3,13.26) verehrt. Die Bezeichnung Jesu als der Gottesknecht gehört der ältesten Überlieferung an. Sie starb jedoch bald aus. Denn sie war einem subordinatianischen Missverständnis ausgesetzt Man hätte denken können, dass er ein zweiter, ein nachgeordneter, ein geringerer Gott als der himmlische Vater sei. Diesen Irrtum wollte man vermieden sehen. Wenn nun Jesus, der Sohn Gottes, als besonderen Ehrentitel den Namen trug „Knecht des Herrn“, sollte da nicht seine Mutter, die ihm am nächsten stand, in einem ganz besonderen Sinne die Magd Gottes heißen? Gott hat bei dem Propheten Isaias ein Lied von seinem Knecht singen lassen, ein stolzes Lied, mit dem Gott selber seinen Knecht gepriesen hat: „Siehe da, mein, Knecht, der da kommen und meinen ganzen Willen tun wird.“ Sollte nicht ein ähnliches Lied in dem Gedanken Gottes gesungen worden sein auch der Magd Gottes, die kommen wird: „Siehe da, die Magd des Herrn, die meinen ganzen Willen tun wird, die nur leben wird nach meinem Worte“? Sollte das nicht der allererste Gedanke Gottes gewesen sein von Ewigkeit her, wenn er an dieses Geschöpf dachte, das er da schaffen wollte. Wird ihm nicht die göttliche Freude aufgeleuchtet sein und wird er nicht gesprochen haben: Siehe da, eine Magd will ich mir schaffen, wie es sonst keine mehr gibt.
Wusste Maria etwas davon, was sie sein sollte? Entsprach ihre Gesinnung der Bestimmung, die Gott für sie vorgesehen hatte? Maria erfuhr von dem Engel, wozu sie von Gott ausersehen ward, zu der erhabensten Würde, die einem Menschen zukommen kann, dass sie Gottes Sohn gebären sollte. Sie ist erschrocken vor der süß erschreckenden Ahnung: Er hat mich angeschaut, seine arme Magd. Ja, er hat sie angeschaut, der Allheilige. Wie eine erdrückende Last senkt sich die Gunst des Himmels auf Maria herab. Niemand hat einen Auftrag bekommen so groß wie Maria. Von ihrer Antwort wird der Lauf des Himmels und der Erde bestimmt werden. Dieser Augenblick ist groß wie keiner mehr. Darum überlegt sie und merkt auf, was der Engel sagt. In ihr ist ruhige Überlegung. Aber schon steigt das Jawort auf in ihrem Herzen. Sie kann nicht anders. Sie wird Mutter werden. Es wird geschehen nach seinem Wort. Eine solche Botschaft ist noch nicht gehört worden, und Maria versteht auch jetzt noch nicht alles. Aber sie darf überlegen und erwägen. Was die Propheten gesagt, was in leuchtender Ferne gestanden, das ist nun auf einmal erschreckend nahe, und es sieht aus wie die Erfüllung und die Fülle der Zeiten. Was gibt sie zur Antwort? Ein ganz kurzes, ein ganz einfaches Wort: „Siehe, ich bin ja die Magd des Herrn, also geschehe mir nach deinem Worte.“ Die Magd des Herrn, so nennt sie sich selbst. Woher hat sie erfahren, dass der erste Gedanke Gottes über sie geheißen hat: die Magd des Herrn? Aus einer geheimen Geistesverwandtschaft mit Gott errät sie den Gedanken Gottes. Sie fühlt, was Gott sie nennen will, und sagt: Ich bin die Magd Gottes. Nach diesem Wort hat sie gelebt. Sie hat sich als Magd Gottes bewährt. Ich bin die Magd des Herrn, also geschehe mir nach deinem Wort. Sie stellt Gott gleichsam eine Vollmacht aus für alle Fälle, für alle seine Ratschlüsse, für alle Heimsuchungen. Sie gibt ihm eine Blankovollmacht in die Hand: Ich bin ja deine Magd, also brauche ich gar nicht näher zu wissen, was du mit mir vorhast. Es geschehe mir nach deinem Worte. Wenn sie nur weiß, dass Gott etwas will, dann ist sie schon bereit. Sie vermisst sich wirklich, sich Gott anzuvertrauen, sich den Ratschlüssen Gottes von vornherein, gleichsam blindlings, zu überlassen. Sie gibt Gott gleichsam mit einem einzigen Federstrich Vollmacht über ihr Leben: Ich bin deine Magd, also geschehe mir nach deinem Worte. Und so hat sie auch gelebt. Sie hat in ihrem Innern ein reiches Leben geführt. Sie ist keine träge, stumpfe Kreatur. Sie ist eine tätige, eine tatkräftige, eine entschlossene Jungfrau. Sie steigt nicht bloß auf das Gebirge von Judäa. Sie geht auch über den Kalvarienberg, wenn es sein muss. So dient sie Gott wirklich wie eine Magd, die kein eigenes Wort kennt, die keinen eigenen Willen hat. Alles in ihr ist voll starkem Willen, aber dieser starke Wille gehört nur ihrem Herrn. Es ist ihr gewiss nicht immer leicht geworden, den Ansprüchen und Fügungen ihres Sohnes sich zu unterwerfen. Sie hatte ihre Ölbergstunden, sie fühlte die bittere Frage: Warum? Sie brauchte jedoch nur zu hören: „Ich muss in dem sein, was meines Vaters ist“, dann schwieg sie sofort, dann gab es für sie keine Frage mehr. Dann hat sie nur ein Wort gewusst: Mir geschehe nach deinem Worte. So vollkommen hatte sie die Gesinnung der Magd Gottes. So ist eine Magd Gottes. So ist die Mutter, die den Knecht Gottes geboren hat. Der hl. Augustinus sagt: „Die Mutterschaft hätte der Jungfrau nichts genützt, wenn sie nicht Christus mehr noch im Geiste als im Fleische getragen hätte.“
Ihr ganzes Leben war ein Magddienst. Sie hat Gott in ihrem Schoß getragen, und Mutter Gottes nennen wir sie. Maria darf den, welchen der himmlische Vater als seinen geliebten Sohn bezeichnet, ebenfalls ihren Sohn nennen; denn der eine Jesus Christus ist beider Sohn, ganz der Sohn der Jungfrau, wie er ganz der Sohn des himmlischen Vaters ist. Da ist in ihr der Beruf der Magd ganz leibhaftig erfüllt worden. Diese Magd ist so vollkommen, dass sie das ewige Wort Gottes persönlich in sich trägt, dass sie ganz erfüllt ist mit dem Heiligen Geist, der über sie gekommen ist, um sie zur Mutter zu machen. Sie hat Gott auf die Erde gezogen durch ihren Magddienst. Ist das noch ein Magddienst? Ist das nicht vielmehr ein Herrschen? Ist sie nicht eine Herrscherin geworden über Gott selber, da sie den menschgewordenen Gott in ihren Armen trug, da sie ihn pflegte, da er auf sie angewiesen war? In Bethlehem, in Ägypten? Und was hat sie alles für uns getan durch ihren Magddienst! Sie hat uns den Erlöser geschenkt. Ihr verdanken wir Jesus, unseren Heiland, ihr verdanken wir auch seinen Leib, sein Blut, sein Herz. Ist das noch Magddienst? Freilich, mit irdischen Augen gesehen, hat Maria nichts geleistet als einen Gekreuzigten zur Welt gebracht zu haben. Mit irdischen Augen gesehen, ist sie nichts gewesen als eine Schmerzensmutter, eine heimgesuchte Frau. Aber sie hat geglaubt an ihren Sohn, an ihren Beruf als Magd des Herrn und darum hat sie gesungen: „Es preist meine Seele den Herrn. Selig preisen mich alle Geschlechter“, weil sie geglaubt hat.
Maria war die Magd des Herrn, weil sie seine Dienerin war. Ihre Aufgabe war der Dienst; er war auch ihre Größe. Damit hat sie uns gezeigt, was wir sein und wie wir handeln sollen: Diener und Dienerinnen Gottes und um Gottes willen Diener und Dienerinnen der Menschen. Die Apostel des Herrn werden nicht müde, uns zum Dienst aufzurufen. „Ja, ihr seid zur Freiheit gerufen, Brüder, nur sei die Freiheit nicht Anlass für das Fleisch, sondern dienet einander in Liebe“ (Gal 5,13). So schreibt Paulus an die Gemeinde in Galatien. „Dienet einander als gute Verwalter der mannigfaltigen Gnade Gottes“ (1 Petr 4,10) schreibt Petrus an die „auserwählten Fremdlinge“ in den Provinzen Kleinasiens. Sie haben damit nur die Weisung des Herrn aufgenommen. „Ihr wisst, dass die Herrscher der Völker den Herrn spielen über sie und die Großen sie ihre Macht spüren lassen. Nicht so soll es unter euch sein. Sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener. Und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht“ (Mt 20,26). Unser aller Leben steht vor der Wahl: entweder ein Knecht und eine Magd Gottes sein oder ein Selbstversorger, ein Genussmensch werden. Die Weltmenschen verspotten uns als die Dummen, weil wir um Gottes Willen auf die Annehmlichkeiten und Genüsse dieses Lebens verzichten. Aber wir sind nicht dumm, sondern weise. Wir wissen, was Gott von uns erwartet: den Dienst, das Opfer. Wir rechnen nicht mit den paar Jahren auf dieser Erde. Wir schauen aus nach Ewigkeiten. Auf ewig bleibt gültig die Antwort, die der katholische Katechismus auf die Frage: Wozu sind wir auf Erden? gibt: Wir sind auf Erden, um Gott zu dienen. Wir dienen Gott, indem wir ihn lieben und seine Gebote halten. Gott ist nicht kleinlich, nicht sparsam weder in seinen Gnaden noch in seinen Forderungen. Von seinen Lieblingen, den besonders begnadeten Menschen fordert er am meisten. Seine Lieblinge sind es, die auch seine Knechte und Mägde in besonderem Maße sein müssen. So müssen auch wir an den Sinn des Dienstes Gottes glauben, dass es einen Sinn hat und dass es den besten und höchsten Sinn hat: ein Knecht, eine Magd Gottes zu sein. Dann können wir auch von unserem Leben sagen, es sei selig zu preisen: Selig bist du, o Knecht Gottes! Selig seid ihr, Mägde Gottes, wenn ihr daran glaubt, dass es nichts Größeres gibt als zu sagen: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, und: Es geschehe mir nach deinem Worte.
Amen.