28. Januar 2024
Gleicher Lohn für ungleiche Arbeit
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im Orient zur Zeit Jesu arbeitet man zwölf Stunden, von morgens sechs bis abends sechs; kurze Pausen zum Frühstück, zum Mittagessen und zur Vesper. Der Einheitslohn für diese lange Weinbergsarbeit ist ein Denar, soviel wie eine Drachme, in unseren Maßen bei stabiler Währung fast eine Mark, genau 87 Pfennig. Dieser Einheitslohn gilt auch für Gelegenheitsarbeiter, die man frühmorgens engagiert und am Abend wieder heimschickt. Der Weinbergsbesitzer ist im Druck. Die Zeit drängt. Heute muss die Lese eingeholt werden; die Ernte ist überreich. Wenn nötig, werden noch mittags, noch nachmittags Menschen vom Arbeitsnachweis geholt. Arbeitsnachweis ist in diesen kleinen Orten das Stadttor. Da sitzt man, Hacke und Spaten an die Wand gestellt und wartet auf die Werbung. Noch um die letzte Stunde kommt es vor, wird ein halbes Dutzend Leute geworben. Denn heute soll Schluss sein, Schluss mit der Lese. Für den ganzen Tag gibt es einen Denar. Die kürzeren Abschnitte werden nicht eigens vereinbart. Über das bisschen Lohn soll man sich schon einig werden.
Der Meister gebraucht das Weinbergserlebnis für seine religiöse Unterweisung. Er hat eine Vorliebe für solche malerische Dinge von der Straße und aus dem Wirtschaftsleben. Erzählungen aus der nächsten und volkstümlichsten Umgebung erscheinen ihm immer als der rascheste Weg zum Begreifen seiner Verkündigung und zum Einstieg in die Seele des Volkes. So etwas bleibt sitzen. Der Groschen, den die Hausfrau über die Diele kehrt. Das eine Schaf, das sich verlaufen hat und das der Hirt eigenhändig zurückträgt. Das Gespann Ochsen, das der Großbauer einfährt und das ihn so beschäftigt, dass er darüber die Nachbarhochzeit versäumt. Hier der Weinberg, der heute zu Ende geerntet werden soll. Daher: Mannschaften her! Alles, was unten am Arbeitsmarkt lehnt, herauf zum Weinberg des Herren. Morgens früh um sechs, dann morgens um neun, mittags um zwölf, nachmittags um drei, ja noch spätnachmittags um fünf; es ist nur eine Stunde, aber heute muss es geschafft werden. Wir sehen den Zusammenhang noch nicht, so horchen wir auf.
Die Apostel haben, naiv wie immer, gestritten wegen der zukünftigen Löhnung. Sie sind überzeugt, eigentlich Erhebliches verdient zu haben. Nun schon fünf Monate, nun schon, sagt der Nachbar, sechs Monate, nun schon, rufen die Mütter, anderthalb Jahre ist mein Sohn im Gefolge des Nazareners. Und die Tanten erzählen dazwischen, wieviel Leiden sie haben ausstehen müssen dafür, dass sie zu dem Nazarener halten. Wieviel schlaflose Nächte auf schlechten Kopfkissen, ohne regelmäßige Kost. Und was die Kleider leiden, wenn man so durch Galiläa wandert. Das muss man mitgemacht haben. Und einige Frauen sind mitgewandert. Tage und Nächte, und es gibt nicht jeden Tag wunderbare Brotvermehrung, man muss sich schon sputen, rechtzeitig sorgen, einkaufen, um nicht elend dazustehen. Sie fragen: Was haben sie davon, dass sie solange schon dem Meister nachgehen? Gewiss, der Meister wird sie nicht umkommen lassen; es wäre skandalös, so zu denken. Aber schließlich will man doch etwas Erkleckliches dabei herausspringen sehen und irgendwie gesichert sein. „Was für einen Lohn werden wir erhalten, die wir alles verlassen haben und dir nachgefolgt sind?“ Diese Frage treibt die Jünger Jesu um. Des Meisters kurze Antwort an die Apostel, an ihre Mütter und den ganzen Anhang, der mit ihnen geht: „Sie werden bei der Wiederkunft einst auf zwölf Thronen sitzen.“ Ja, sie werden es gut haben. Sie werden sehr geachtet sein. Sie werden im neuen Reiche die ersten Stellen einnehmen, ja „sie werden auf Thronen sitzen“. Kann man es dem Orientalen malerischer sagen? Die Zuhörer sind zufrieden. Die Mütter schweigen. Die Apostel haben nichts zu erinnern. Alles löst sich in lauter Gefallen auf. Das ist dem Herrn zuviel. Jetzt kommt er auf die Lohnforderung zurück. „Das Himmelreich ist einem Hausvater zu vergleichen, der Arbeiter für seinen Weinberg dingt.“ Ihr arbeitet. Ihr werdet entlohnt, jawohl, es gibt Lohn. Die von sechs Uhr bekommen einen Denar. Recht so? Den hat er vereinbart. Die von neun Uhr bekommen einen Denar. Recht so? Nun ja, er hat ihn nicht vereinbart, aber er gibt ihn. Die von zwölf Uhr bekommen einen Denar. Haben sie ein Recht darauf? Das kann man nicht sagen. Aber es gefällt ihm, auch diesen einen Denar zu geben. Man muss darüber nachdenken, ob der Denar zu Recht gegeben wird oder ob er nur ein Geschenk ist. Alle erhalten einen Denar. Wie seltsam!
So hören wir die Parabel zu Ende. „Als es Abend geworden war, sagte der Hausvater zum Inspektor: ‚Ich bitte dich, den Lohn anders auszuzahlen, als es sonst üblich ist. Sonst ist es üblich und klug, die kleinen Löhne zuerst auszuzahlen, damit es keine Unzufriedene gibt. Wer um die elfte Stunde kam und knapp zwei Groschen verdiente, wird zuerst heimgeschickt. Die mittags antraten und mit fünfzig Pfennigen erledigt sind, gehen dann; was brauchen sie herumzustehen und glühenden Auges zu sehen, wie sie weniger erhalten als die vom Morgen.‘“ Nein, so soll es nicht gehalten werden. Der Hausherr bittet dieses Mal den Inspektor, es genau umgekehrt zu machen. Alle an den Zahltisch zu rufen und mit der Löhnung der zuletzt eingestellten Arbeiter zu beginnen und ihnen genau soviel zu geben wie den zuerst gekommenen. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang. So etwas ist nie dagewesen. Das ist töricht, vom Standpunkt des Arbeitgebers aus. Kein Wunder, dass die Arbeiter nun murren gegen den unglaublichen Hausvater. „Die Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du stellst sie uns gleich, die wir die Last und die Hitze des Tages getragen haben.“ Alles hat er umgeworfen.
Der Grundgedanke des Gleichnisses ist: gleicher Lohn für ungleiche Arbeit. Die verschiedenen Tagesstunden, zu welchen die Arbeiter gedungen werden, werden erzählt, damit eine ungleiche Arbeitsleistung zustande kommt. Der Weinbergbesitzer stellt Gott dar. Sein Verhalten soll das mit souveräner Freiheit erfolgende Walten Gottes bei seiner Vergeltung der menschlichen „Arbeit“ für das Heil zur Anschauung bringen. Dieses ist nach menschlichen Maßstäben und Begriffen paradox, unbegreiflich, und kein Mensch darf mit ihm darüber rechten. Dieser Gedanke kommt in dem psychologisch durchaus verständlichen Murren der zuerst Gedungenen zum Ausdruck. Gott kann bei seiner Vergeltung der menschlichen Leistung so handeln, weil der Mensch sein „Knecht“ ist (Lk 17,7-10) und ihm als seinem Herrn nicht mit Rechtsansprüchen gegenübertreten kann. Der Lohn, den Gott dem Menschen für seine religiösen und sittlichen Leistungen gibt, bleibt immer ein „Gnadenlohn“. Als Grund für sein Verfahren, ungleiche Leistung gleich hoch zu belohnen, nennt der Weinbergbesitzer, dass dies nun einmal sein Wille sei. Es ist nicht bloße Laune, aus der heraus er so handelt. Der wahre, aber auch der einzige Grund ist vielmehr, wie er selbst ausspricht, der, dass er gütig ist. Von einem Unrecht, d.h. einer Benachteiligung der zuerst Gedungenen, kann keine Rede sein, da sie ja den am Morgen vereinbarten Lohn empfangen haben. In ihrem Murren offenbart sich nur der Neid gegen die anderen.
Das Gleichnis hat allen Christen etwas zu sagen: Sie fragen: „Herr, was für einen Lohn werden wir erhalten?“ Sie wissen: Gott lohnt die Arbeit, die für ihn getan wird. „Wer Gott naht, muss glauben, dass er ist und dass er denen, die ihn suchen, ein Vergelter ist“ (Hebr 11,6). So steht es in dem Brief an die Hebräer. Gott wird einem jeden vergelten nach seinen Werken. Das ist der Grundsatz. Der Apostel Paulus führt ihn näher aus. „Mit dem ewigen Leben denen, die beharrlich Gutes tun und so nach Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit streben. Mit seinem Zorn und Grimm aber denen, die widerspenstig sind, der Wahrheit widerstreben und sich von der Ungerechtigkeit leiten lassen“ (Röm 2,6-8). An anderer Stelle fügt er hinzu: „Wer spärlich sät, wird spärlich ernten. Doch wer auf Segensfülle sät, wird Segensfülle ernten“ (2 Kor 9,8). Gott hätte uns zwingen können, ohne jeden Lohn seiner Majestät zu dienen. Aber er hat die Bestimmung getroffen, dass, was für ihn ehrenvoll ist, auch für den Menschen nützlich sei (Cat. Rom). Der Mensch steht Gott mit seinen guten Werken nicht wie ein gleichberechtigter Vertragspartner gegenüber. Gott ist, weil er der Herr der Menschen ist, auch bei seiner vergeltenden Tätigkeit frei. Wenn Gott dem Menschen für den ihm geleisteten Gehorsam einen Lohn gibt, so liegt der Grund dafür nicht in einem Rechtsanspruch des Menschen, sondern in Gott, dessen Wesen lautere Güte ist, d.h. der Lohn ist seinem Wesen nach „Gnadenlohn“.
Das Judentum vertrat die Äquivalenz von Leistung und Lohn. Das heißt: Der Mensch schafft sich durch seine guten Werke selbst das Heil. Der jüdische Begriff der Gleichwertigkeit von Leistung und Lohn ist in der Lohnlehre Jesu aufgehoben. Damit dass der Lohn in der Gemeinschaft mit Gott und Jesus besteht, ist gesagt, dass er grundsätzlich für alle gleich ist. Dennoch ist die Seligkeit bei substantieller Gleichheit doch akzidentell verschieden. Sie ist nach den Verdiensten abgestuft. Das ist klare Lehre der Schrift und Tradition. Jeder empfängt den Lohn nach dem Grade seines Eifers und seiner Treue. Das Wort Verdienst kennt die Heilige Schrift nicht, aber dafür hat sie gleichwertige Ausdrücke wie Lohn, Krone, Vergeltung, Anerkennung. Christus redet häufig vom Lohn. Die Verdienstlehre Christi hält beides fest. Es ist ein wirklicher Lohn seitens Gottes, und es ist ein wirkliches Verdienst seitens des Menschen. Wegen der absoluten Unabhängigkeit Gottes kann seine „gerechte“ Belohnung menschlicher Verdienste nur in seiner gnädigen Verheißung, d.h. in seiner Selbstbindung kraft der Wahrhaftigkeit und Treue wurzeln.
Bei Gott kann nichts, auch nicht das Geringste, wenn es für ihn erduldet wurde, ohne Verdienst bleiben. Aber dass der Mensch sich durch seine Arbeit Verdienste erwerben kann, ist Ausfluss der Großmut, der Gnade, des Schenkungswillens Gottes. Das Verdienst ist abhängig von der Gnade. Es gibt kein Verdienst vor der Gnade. Aber in der Gnade erwirbt der Mensch durch seine Arbeit Verdienste. Die Verdienste des Menschen sind Geschenke Gottes. Gott belohnt das ungeschuldete Geschenk seiner Gnade. Augustinus hat sich durch seine Überzeugung, dass unser Heil Gnade sei, nicht beirren lassen in der Wahrheit, dass es auch von unseren Werken abhängt. Seine Formel lautet: Wenn Gott deine Verdienste krönt, krönt er nur seine Geschenke. Das Konzil von Trient hat das Ineinander von Verdienst und Lohn eindeutig ausgesprochen. Wenn einer sagt: die guten Werke des gerechtfertigten Menschen seien so die Geschenke Gottes, dass sie nicht auch zugleich Verdienste der Gerechtfertigten seien, oder: der Gerechtfertigte verdiene durch die guten Werke, die er als lebendiges Glied Jesu Christi durch Gottes Gnade und Christi Verdienst wirkt, nicht in Wahrheit selbst die Vermehrung der Gnade, das ewige Leben und auch, wenn anders er in der Gnade dahinscheidet, die Erreichung des ewigen Lebens und die Vermehrung der Glorie, der sei im Banne (CT). So sehr unsere Verdienste Gnade sind, so sehr sind sie Lohn für unsere Arbeit. Wir dürfen hoffen auf Gottes Vergeltung. Er erfüllt, was er versprochen hat. Ida von Hahn hat diese Hoffnung in dem Vers ausgesprochen: Über den Sternen, da wird es einst tagen, da wird dein Hoffen und Sehnen gestillt. Was du gelitten, was du getragen, einst ein allmächtiger Vater vergilt (Ida v. Hahn-Hahn).
Amen.