17. April 2017
Gott geht den Menschen nach
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Geht Gott auch den Ungläubigen unserer Tage nach, wie er den beiden Emmausjüngern nachgegangen ist? Oder lässt er sie alleine laufen, wie er den Pilatus und die Ungläubigen seiner Zeit gehen ließ? Das ist die religiöse Schicksalsfrage unserer Zeit. Es steht fest, dass am Ostermorgen niemand der Botschaft der Frauen von der Auferstehung des Herrn Glauben geschenkt hat. Die drei Frauen waren ja zum Grabe geeilt und hatten eine Begegnung mit einem Engel. „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt, seht den Platz, wo er gelegen ist.“ Die drei Frauen: Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome sagten niemand etwas von dieser Engelerscheinung, denn sie fürchteten sich. Ja, meine lieben Freunde, woher kam denn ihre Furcht? Wovor fürchteten sie sich denn? Sie waren so entsetzt, dass sie, so schreibt Markus, vom Grabe flohen. Die Ungeheuerlichkeit dessen, was ihnen unterbreitet wurde vom Engel, überwältigte sie. Sie konnten es nicht fassen, was ihnen gesagt wurde. „Sie sagten niemandem etwas“, schreibt Markus, „denn sie fürchteten sich sehr“ – wahrscheinlich für verrückt gehalten zu werden, für Spinner. Die Botschaft des Engels war alles andere als normal. Es musste Christus selbst auftreten, damit die Botschaft von seiner Auferstehung zu den Jüngern kommen konnte. Der Auferstandene zeigte sich. Er zeigte sich, und das ist der Ruhm aller christlichen Frauen, er zeigte sich zuerst Maria Magdalena, der Frau, aus der er sieben Geister ausgetrieben hatte. Sie brach das Schweigen. Sie sprach zu den trauernden und weinenden Gefährten, sie war die Botschafterin der Auferstehung des Herrn, ein ewiges Ruhmesblatt für die gläubige Frau. „Doch diese, da sie es hörten, glaubten nicht“, schreibt Markus. Zu unwahrscheinlich kam ihnen vor, was Maria Magdalena berichtete. Aber immerhin, sie wollten nachprüfen, was nachprüfbar war. Und so gingen die beiden führenden Apostel Petrus, der Felsenmann, und Johannes, der Lieblingsjünger, zum Grabe. Sie eilten zum Grabe. Sie fanden es geöffnet und die Umhüllungen des Leichnams geordnet daliegen. Johannes trat in das Grab hinein und glaubte. Von Petrus wird nicht gesagt, dass er glaubte. Denn sie hatten die Schrift noch nicht verstanden, dass Jesus auferstehen müsse. Die Jünger Jesu glaubten nicht den beiden, die aufs Feld gegangen waren und denen er sich unter einer anderen Gestalt geoffenbart hatte. Das ist ja der Inhalt des heutigen Evangeliums nach Lukas. Die beiden sind trotz der Botschaft der Frauen und trotz des Berichtes der beiden Apostel Petrus und Johannes vom leeren Grab ungläubig aus der Stadt Jerusalem davongegangen. Alle diese Berichte von der anhaltenden Unwilligkeit der Jünger Jesu, an dessen leiblicher Auferstehung zu glauben, sind für uns Spätere nützlich. Sie zeigen, dass die Überzeugung von der Auferstehung Jesu nicht aus der Sehnsucht des Herzens seiner Anhänger geboren ist als ein Wunschtraum, eine Illusion, sondern dass diese Überzeugung durch massive Beweise der Lebendigkeit des Gekreuzigten erzeugt wurde. Der Auferstandene aber überließ die beiden Jünger von Emmaus nicht ihrer Trauer, ihrer Dunkelheit, ihrer Hoffnungslosigkeit und ihrem Unglauben. Er ließ sie nicht gehen, sondern er ging mit ihnen, er ging ihnen nach. Er zeigte sich ihnen, er sprach zu ihnen, er aß mit ihnen. Aus all diesen Bemühungen des Auferstandenen ersieht man, wie überaus wichtig es ihm war, überzeugte Zeugen seiner Auferstehung heranzubilden. Es muss also einen Unglauben geben, dessen Träger Gott nicht den gefährlichen Weg des Verderbens weiterziehen lässt, sondern die er heimsucht, die er aufklärt, denen er sich offenbart.
Was ist das für ein Unglaube? Die beiden nach Emmaus ziehenden Jünger beschäftigten sich trotz aller Enttäuschung auch weiterhin intensiv mit dem Schicksal Jesu. Sie redeten untereinander, sie tauschten sich aus, sie befragten sich miteinander. Zwar waren sie misstrauisch gegenüber den Gesichten frommer Frauen, aber sie ließen sich willig von dem unbekannten Begleiter in der Schrift unterweisen. Sie ließen sich sogar von ihm „Toren“ und „Männer trägen Herzens“ schelten. Ihr Herz war noch fähig, bei seinen Worten zu brennen, d.h. ergriffen zu werden. Ferner: es waren dankbare Männer, die den Fremdling am Abend gastfreundlich einluden zu einem Nachtmahl, sogar ihn nötigten, wie es heißt, und ihn baten, bei ihnen zu bleiben. Endlich waren ihre Augen fähig geblieben, geöffnet zu werden und ihn am Brotbrechen zu erkennen. Es gibt also Ungläubige – wenn wir sie so nennen können –, die unter ihrem Unglauben leiden, Menschen, die traurig sind, die Fragen haben, die sie beantwortet haben möchten, die Ohren haben zu hören, Menschen, die noch einen Sinn haben für Moses und die Propheten. Es sind also Personen mit entzündbaren, nicht leergebrannten Herzen. Es sind Männer der Gastfreundschaft und der dankbaren Nächstenliebe. Mit ihnen ging der Herr etwa zwei Stunden am Nachmittag des Ostertages seiner Auferstehung nach und beschäftige sich liebevoll mit ihren Fragen. Er erklärte ihnen, warum Christus leiden musste, und offenbarte sich ihnen. Ihre geistige Verfassung verdient eigentlich nicht den Namen „Unglauben“. Es waren Glaubenswillige, es waren Männer, die im Glauben verwirrt waren, es waren Männer des verdunkelten Glaubens, Männer in Glaubensschwierigkeiten, Männer mit einem suchenden Unglauben.
Jetzt, meine lieben Freunde, sehen wir unsere Aufgabe. Wir müssen bei den Menschen unserer Umgebung grundsätzlich annehmen, dass sie Angehörige der großen Schar suchender Ungläubiger sind. Wir müssen ertasten, welches die Ansatzpunkte für ihr Gläubigwerden sind. Wir dürfen sie nicht aufgeben, müssen versuchen, einen Weg zu ihrem Herzen zu finden. Jeder Mensch hat eine Befähigung oder eine Empfangsbereitschaft für die Gnade Gottes. Die gnadenhafte Selbstmitteilung Gottes kann wegen der Hörfähigkeit des Menschen, wegen seiner Gehorsamshaltung – lateinisch: potentia oboedientialis – Gott gegenüber aufgenommen und empfangen werden. Die Freiheit und die Selbständigkeit des Menschen bleiben dabei unberührt. Aber der Mensch ist als Gottebenbild geschaffen und deswegen auf Gott bezogen, er ist ausgerichtet und hingewiesen auf Gott. Diese auf Gott gerichtete Wesenheit des Menschen ist unausrottbar. Der Mensch kann sich dagegen wehren, aber er kann diese Eignung für Gott nicht auslöschen.
Nun gibt es aber – und das wissen Sie alle – die traurige Wirklichkeit des Unglaubens mit verschlossenen Türen im Haus, am Kopf und im Herzen. Es gibt Menschen, die nicht glauben wollen, die sich gegen den Glauben wehren. Traurige Wahrheit ist: Der Mensch kann trotz seiner Gottbezogenheit im Widerspruch zu Gott existieren. Unglaube ist nicht bloß ein intellektuelles Urteil, sondern eine ganzmenschliche Verfasstheit, an der auch der Wille beteiligt ist. Die Entscheidung des Menschen gegen Gott ist ein Missbrauch seiner Freiheit, denn diese Freiheit weist ihn auf Gott hin, er soll sich zu Gott wenden. Aber der Ungläubige setzt sich über den ethischen Anspruch eines Absoluten hinweg, um seine falsch verstandene Autonomie zur Geltung zu bringen. Eine solche Entscheidung kann angesichts der Ausrichtung des Menschen auf Gott nicht ohne Schuld sein. Der Herr hat während seines Erdenwandelns verschlossene Herzen und verblendete Augen erlebt. Am Fest der Tempelweihe in Jerusalem ging er in der Halle Salomons auf und ab, und die Juden umringten ihn, so heißt es bei Johannes. Und der Herr redete sie an: „Ihr glaubt nicht, denn ihr gehört nicht zu meinen Schafen. Meine Schafe hören auf meine Stimme“; auf die Hörfähigkeit kommt es an, an der Hörwilligkeit entscheidet sich, ob ein Mensch zum Glauben findet. „Wer aus Gott ist, der hört Gottes Wort. Darum hört ihr nicht darauf, weil ihr nicht aus Gott seid.“ Es gibt eine Flucht vor der Gottentstammtheit des Menschen. Es gibt eine Abwehr, zum Geschlechte der Gottgeweihten zu gehören. Es gibt Menschen, die kein Verhältnis zu Gott haben wollen. „Warum versteht ihr meine Sprache nicht?“, fuhr Jesus fort, „weil ihr mein Wort gar nicht verstehen könnt; ihr habt den Teufel zum Vater. Und darauf seid ihr bedacht, die Worte eures Vaters, des Teufels, zu tun.“ So war der Unglaube, dem Jesus begegnete: der Unglaube der meisten Mitglieder des Hohen Rates, die die Wächter des Grabes Jesu mit einer Lüge bestachen; auch das Herz des aufgeklärten Pilatus in seiner Skepsis war unfähig, die Tatsache des Wunders zu glauben. Gottes Heilswille ist universal. Es ist eine feststehende Wahrheit des Glaubens, dass Gott das Heil aller Menschen, ohne Ausnahme, will. Und dass er deswegen auch jedem Menschen Gnade, also Heilskraft zuströmen lässt. Alle erhalten hinreichende Gnade, aber es fragt sich, was sie daraus machen. Es ist eine Tatsache, dass das universale Gnadenangebot Gottes bei den einen zum Ziel gelangt, bei den anderen wirkungslos bleibt. So ergibt sich die Unterscheidung zwischen der wirksamen und der bloß hinreichenden Gnade. Unter der hinreichenden Gnade ist der übernatürliche Beistand zu verstehen, der zum Heilsakt genügend ist, aber wegen des Nichtmitwirkens des freien Willens seinen Erfolg verfehlt. Die hinreichende Gnade ist eine göttliche Einwirkung, die den Menschen die Befähigung und das Können zum Vollzug des Heilsaktes verleiht, aber letztlich aufgrund menschlicher Schuld nicht zum Erfolg führt und den Heilsakt nicht hervorbringt. Diese Unterscheidung zwischen wirksamer und hinreichender Gnade hat übrigens Luther verworfen. Es sagt, es gibt nur wirksame Gnade, womit er sich gewaltig getäuscht hat. Es gibt Gnadenanstöße, die der Mensch mit freiem Willen ablehnt. Das Angebot der hinreichenden Gnade kann der Mensch nicht ungeschehen machen, aber es führt nicht zur Wirksamkeit. Hinreichende Gnade ist eine Gnade, die zwar an sich genügend kraftvoll ist, aber vom Menschen tatsächlich nicht angenommen wird.
So erhebt sich, meine lieben Freunde, heute die Frage: Wie sieht es in unserem Gnadenhaushalt aus? Gott gibt uns die hinreichende Gnade, innere und äußere Anstöße, Impulse, Einladungen, das Werk unseres Heiles zu betreiben. Wir hören die Stimmen der Glocken von unserem Kirchturm, wir lesen die Ordnungen des Gottesdienstes, wir wissen um die Beichtzeiten unserer Priester. Nehmen wir die Angebote Gottes und der von ihm bestellten Menschen an? Wir haben in der Passionszeit gebetet: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“ Das ist der Ruf zur Umkehr. Haben wir ihn gehört? Oder schieben wir unsere Bekehrung immer noch auf? Wir rufen zu Gott um Gnade, um Hilfe, um Erbarmen; richtig so. Aber flehen wir auch: Vom Missbrauch deiner Gnaden, o Herr, erlöse mich? Vom Missbrauch deiner Gnaden, o Herr, erlöse mich? Vom Überhören deiner Gnadenanstöße, vom Unwillen mit deiner Gnade mitzuwirken? O meine lieben Freunde, möchten wir doch am heutigen zweiten Ostertag beten: „Herr, wandele unseren Kleinglauben in Glauben. Mach den dunklen Glauben am Osterfeuer licht. Wandele den Unglauben unserer Mitmenschen um in einen Glauben, der nach dir sucht und fragt. Geh allen nach, deren Augen noch gehalten sind. O Gott und Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden.“
Amen.