Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. Dezember 2012

Die Wiederkunft Christi

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn! 

Ein recht eifriger Katholik sagte einmal: "Die beiden Evangelien vom 24. Sonntag nach Pfingsten und vom 1. Adventsonntag gefallen mir gar nicht!" Es sind die Evangelien, die vom Ende der Weltzeit, die von den apokalyptischen Ereignissen uns berichten. Es sind Bilder, die vor unserem Auge entstehen, die uns Angst machen können. Schon jetzt können wir, aus rein natürlichen Gründen, Befürchtungen hegen. Was bedeutet es, dass die Weltmeere jedes Jahr um mehrere Millimeter steigen? Was bedeutet es, dass die Gletscher in Grönland und in der Antarktis abschmelzen? Was hat das für Folgen für uns? Aber das sind natürliche Dinge. Was aber wird sein, wenn die Ereignisse eintreten, die der Herr uns vor Augen stellt? Man ist berechtigt, Furcht zu haben. Den Bewohnern von Athen kündigte Paulus an: "Gott hat einen Tag festgesetzt, an dem er die Welt nach Gerechtigkeit richten wird. Durch einen Mann, den er dazu bestellt und bei allen beglaubigt hat durch die Auferweckung von den Toten." An die römische Gemeinde schreibt Paulus: "Gott wird die verborgenen Absichten" – die verborgenen Absichten – "der Menschen durch Jesus Christus richten." Und der Herr hat es ja selbst gesagt: "Gott wird einem jeden vergelten nach seinen Werken!" Die Furcht vor dem Weltgericht ist berechtigt.

"Und ein Buch wird aufgeschlagen,

treu darin ist eingetragen,

jede Schuld aus Erdentagen.

Sitzt der Richter dann zu richten,

wird sich das Verborgne lichten,

nichts kann vor der Strafe flüchten."

So beten wir in jeder Totenmesse. Gott ist kein Schattenkönig. Er ist der Herr der Schöpfung. Er ist auch der Richter der Welt. Er kam verborgen, um sich richten zu lassen. Er wird sichtbar kommen, um selbst zu richten. Wann wird das geschehen? Wir wissen es nicht! Es ist ein vergebliches Unterfangen, die Jahre, die für die Weltzeit noch übrig sind, zu berechnen. All den eifrigen Rechenkünstlern hat jener Ruhe geboten, der das Wort gesprochen hat: "Es steht euch nicht zu, die Zeiten zu wissen, die der Vater aus eigener Machtvollkommenheit festgesetzt hat!" Das Gericht ist gewiss! Der Zeitpunkt ist ungewiss. Sein Eintreten kann für Viele eine Überraschung sein. Denn der Herr sagt: "Der Menschensohn wird kommen zu einer Stunde, da ihr es nicht vermutet." Die Uhren Gottes schlagen anders als die Uhren der Menschen. Und Paulus schreibt: "Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht!" Und wie kommt der Dieb in der Nacht? Unbemerkt, unerwartet, unangekündigt! Die Menschen haben häufig gemeint, die Ankunft des Herrn stehe unmittelbar bevor. Schon im Jahre 66 n. Chr. haben die Christengemeinden in Palästina die Ankunft, die Parusie, Christi erwartet. Papst Leo der Große, von 440 bis 461 die Kirche regierend, Papst Leo der Große hielt es für denkbar, dass der Herr noch zu seinen Lebzeiten erscheinen wird. Papst Gregor I., der von 590 bis 604 regierte, war ebenfalls der Ansicht, der Herr könne noch in seiner Regierungszeit wiederkommen. Im Jahre Tausend waren viele Menschen überzeugt: Das ist das Ende der Zeit. Jetzt wird der Herr kommen. Ein lutherischer Pfarrer in Lochau war der Meinung: Am 19. Oktober 1533 um acht Uhr werde der Herr erscheinen. Er wurde enttäuscht. Im 17. Jahrhundert gab es in Russland die Altgläubigen. Sie wandten sich gegen die liturgischen Reformen, die der Zar angeordnet hatte und die sie als einen Verrat am rechten Glauben ansahen. Aber diese Altgläubigen waren überzeugt, dass jetzt der Herr kommen würde. Und in ihrer Verranntheit, so muss ich wohl sagen, haben sich viele selbst den Tod gegeben. Aber der Herr kam deswegen trotzdem nicht. Alle diese Erwartungen wurden enttäuscht. Deswegen darf man aber nicht dem Unglauben verfallen und meinen, wenn der Herr bisher nicht erschienen ist, wird er überhaupt nicht erscheinen. O nein, meine Freunde! Die Menschen, die die Ankunft des Herrn erwartet haben, sind nicht einer Verirrung zum Opfer gefallen. Sie haben nur die Ankündigung des Herrn ernst genommen. Sie haben gewusst: Was jederzeit eintreten kann, ist immer nahe.

Seit der Himmelfahrt des Herrn ist Letzte Stunde. Sein Wiederkommen ist zu jeder Stunde möglich. Der Tag des Gerichts ist aber freilich nicht nur ein Tag der Furcht. Er ist auch ein Tag der Sehnsucht, ein Tag der Freude. Die junge Kirche lebte in der freudigen Zuversicht, dass der Herr kommen werde, dass er sie heimholen werde. Sie baute ihre Gotteshäuser nach Osten, von wo man den Herrn erwartete, der erscheinen werde, wie der Blitz aufzuckt. In der Osternacht jubelten die Christen dem kommenden Herrn entgegen. Sie haben eben das Wort des Herrn ernstgenommen:  "Dann werden sie den Menschensohn kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit. Wenn dies geschieht, dann richtet eure Häupter auf, denn es naht eure Erlösung." Sie wussten, die Wiederkunft des Herrn ist die Rechtfertigung ihres Glaubens, sie ist die Bestätigung ihrer Hoffnung, sie ist die Erfüllung ihrer Liebe. Die Wiederkunft des Herrn ist die Befreiung von all der Missachtung, Geringschätzung, Verfolgung, die die Christen seit Jahrtausenden erleiden müssen. Dann werden sie gerechtfertigt vor aller Welt. Alle werden ihn sehen, auch die, die ihn durchbohrt haben. In der Liturgie hat die Kirche immer diese Erwartung, diese selige Erwartung auf das Kommen des Herrn wachgehalten und durch alle Jahrhunderte gerettet. Im 19. Jahrhundert hat der evangelische Theologe Johannes Weiß ein Buch über die Letzten Dinge geschrieben, und er meinte, dass das eine in der evangelischen Christenheit vergessene Wahrheit sei. Aber bei uns ist diese Wahrheit nie vergessen worden. Die Kirche hat immer diese Erwartung genährt, und lässt uns noch am Vorabend des Weihnachtsfestes beten: "O Gott, du erfreust uns alle Zeit durch die Erwartung unserer Erlösung. So gib denn, dass wir deinen Eingeborenen, den wir freudig als Erlöser aufnehmen, einst auch als Richter mit Zuversicht kommen sehen." Die Kirche lebt in der seligen Erwartung auf das Kommen des Herrn. In der seligen Hoffnung der glorreichen Erscheinung unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus, der sich für uns hingegeben hat, um uns von aller Ungerechtigkeit zu erlösen und ein auserwähltes Volk zu schaffen. Als Paulus in Rom in Gefangenschaft war, da hatte er Todesgedanken, verständlich. "Ich rechne schon mit der Hingabe meines Lebens", schreibt er an die Philipper. "Die Zeit meiner Auflösung steht bevor. Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt. Nun  liegt die Krone der Gerechtigkeit für mich bereit, die er mir geben wird. Aber nicht nur mir, sondern allen, die auf seine Wiederkunft liebend warten.“  Die Kirche weiß, das Letzte ist nicht der Zerfall der Weltelemente. Das Letzte ist die Wiederkunft des Herrn und die Neue Welt. Jawohl, die Neue Welt, der Neue Himmel und die Neue Erde. Denn das ist es. Wir können natürlich fragen: Was wird aus unserer Erde, die uns geboren hat, auf der wir gelebt und gelitten haben? Was wird aus unserer Erde, deren Früchte wir erarbeitet haben und die Gott in seine sakramentalen Wunder hineingenommen hat, wie Brot und Wein, wie Öl und Wasser? Was wird aus der Erde, in die man uns bettet? Die Schöpfung harrt auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Das wird aus der Erde: Sie harrt auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Durch Feuer und Staub muss die Erde zugrunde gehen. Aber nur, um neu geschaffen zu werden. In der Salomons-Halle im Tempel zu Jerusalem predigt Petrus: "Ihn muss der Himmel aufnehmen, bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge." Das ist das Wort: Bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge.

Christus lebt in der Herrlichkeit des Vaters. Er ist im Wartestand, denn er wartet, bis der Befehl des Vaters ergeht: Jetzt ist es Zeit, jetzt ist die Stunde der zweiten Ankunft. Er wartet, um die Parusie zu vollziehen, wenn das Ende der Welt gekommen ist. Dann entfaltet er seine Schöpfermacht. Dann entsteht der neue Himmel und die neue Erde, wie ihn Johannes beschrieben hat. "Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen und auch das Meer ist nicht mehr", das furchtbare Meer, vor dem den Menschen der alten Zeit immer gegraut hat. Die Apostel haben diese beglückende Botschaft nicht aus heidnischen Mythen entlehnt. Es war der Herr, der ihnen das alles verheißen hat. Petrus stellt das ausdrücklich fest in seinem ersten Briefe: "Wir sind nicht spitzfindigen Märchen nachgegangen, als wir euch die Macht und Herrlichkeit Christi verkündeten und die Wiederkunft unseres Herrn. Wir waren Augenzeugen seiner Herrlichkeit.“ Der Schöpfergott, der die Welt ins Leben gerufen hat, vermag sie auch zu verwandeln, und er wird es tun, wenn die Stunde des Herrn gekommen ist. Wenn sich das himmlische Jerusalem auf die Erde herabsenkt, dann wird die Erde für immer verwandelt werden. Sie wird eine Stätte werden, die den Menschen die Erfüllung ihrer berechtigten Sehnsüchte gewährt. Dann wird Gottes Herrlichkeit auf der ganzen Erde gegenwärtig sein. Dann werden die Menschen nicht mehr fragen: „Wo ist denn euer Gott?“ Sie werden ihn schauen! Die Erde wird die Herrlichkeit des Herrn nicht mehr verschleiert in sich tragen, sondern sie wird sich in offenbarer Gestalt als die Schöpfung Gottes darbieten. Da muss nicht mehr ein Stück Welt nach dem anderen heimgeholt werden in die Herrlichkeit Gottes. In jener Stunde übergibt der menschgewordene Sohn Gottes die Welt und die Menschheit dem himmlischen Vater für immer in den Raum der Gottesherrschaft. Dann kommt das zur Reife, was wir in jedem Vaterunser beten: „Dein Reich komme.“ Dann wird nicht nur die Erde verwandelt, sondern das ganze Weltall. Die gesamte Schöpfung wird verklärt, sie wird durchscheinend für die Herrlichkeit Gottes.

Was wird aus uns werden? Die Christen der Urkirche hatten Bange um die Mitchristen, welche vor der Wiederkunft des Herrn gestorben waren. "Ja, was wird aus denen werden?", sagten sie. "Sie sind doch jetzt tot und der Herr ist noch nicht gekommen?" Paulus erklärt ihnen: "Das ist ganz unwesentlich, ob man bei der Ankunft des Herrn noch lebt oder ob man gestorben ist. Es kommt die Stunde", so erinnert er seine Gläubigen, "es kommt die Stunde, da alle in den Gräbern seine Stimme hören werden, dann werden die, die Gutes getan haben, herauskommen zur Auferstehung des Lebens. Die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts." In der Epistel der Totenmesse tröstet Paulus die Christen: "Trauert nicht wie jene, die keine Hoffnung haben." Wir haben eine Hoffnung. Wir haben die Hoffnung auf die Auferstehung, denn wir haben einen Auferstandenen, einen allmächtigen Auferstandenen, er heißt Jesus Christus. Er ist der Erstling. Nach ihm folgen alle. Er ist der erste Anwärter, dessen Anwartschaft erfüllt ist. Wir sind weitere Anwärter, deren Erwartung erfüllt werden wird.

Sie werden mich vielleicht fragen: Ja, warum spricht denn Paulus nur von der Auferstehung der Toten, warum spricht er nicht auch von der ewigen Seligkeit der Verstorbenen, in die die Menschen eingehen, wenn der Leib zerfällt? Das war nicht notwendig. Die Überzeugung, dass es eine Seele gibt und dass die Seele weiterlebt, war in der Zeit, als Paulus predigte, allgemein verbreitet. Aber was eben neu war, war die Auferstehung auch des Leibes. Deswegen musste er darauf das ganze Gewicht seiner Verkündigung legen. Wir freilich, die wir ja nicht unbedingt damit rechnen, dass wir die Auferstehung der Toten noch erleben, wir freilich fragen eher, was geschieht mit mir, wenn mein Leib zerfällt, heute, oder morgen,  oder übermorgen? Wir wissen, dass der Mensch eine Seele besitzt, eine geistige Seele. Ich will versuchen, an kommenden Sonntagen darüber einiges vorzutragen. Aber schon heute sei soviel gesagt: Die Existenz der geistigen Seele wird uns nicht nur durch die Offenbarung bestätigt. Es gibt durchaus naturwissenschaftliche Beweise, dass eine geistige Seele existiert. Wir stützen uns auf den Glauben, ganz gewiss, aber wir vernachlässigen nicht die ‚praeambula fidei‘, das, was dem Glauben vorausgeht, nämlich die natürliche Erkenntnis. Und die sagt uns:

"Was wir bergen in den Särgen, ist der Erde Kleid.

Was wir lieben, ist geblieben, bleibt in Ewigkeit."

Es gibt ein ewiges Leben. Die Geistigkeit und die Unzerstörbarkeit des geistigen Elementes in uns sichert die Fortexistenz unserer Wirklichkeit, unserer menschlichen Wirklichkeit. Lassen Sie sich nicht irremachen von den Leugnern des ewigen Lebens. Wir haben für unsere Zuversicht die Wahrheit des Glaubens und Überlegungen der Naturwissenschaft.

Was wird, wenn der Herr kommt, wenn die letzten Tage anbrechen, was wird aus unserer Kirche? Christus wird seine Braut, die Kirche, dem Vater übergeben. Die Kirche muss ja auf ihrem Weg durch die Geschichte viele Prüfungen und Schrecken durchmachen. Ein Priester, meine lieben Freunde, der wachen Geistes diese heutige Zeit durchlebt, kann nur von tiefer Besorgnis erfüllt sein. Er sieht den Zerfall auf allen Ebenen. Er sieht den Rückgang in jeder Beziehung. Aber er gibt die Hoffnung nicht auf, dass aus der pilgernden Kirche einmal die angekommene Kirche werden wird. Dass aus der leidenden Kirche einmal die triumphierende Kirche werden wird. Die Kirche wird eine radikale Verwandlung erfahren. Die Zeit der Kirche ist ja in dem Zwischenzustand zwischen der Himmelfahrt des Herrn und seiner Wiederkunft angesiedelt. In dieser Zeit vertritt sie Christus und führt die Menschheit zu Gott. Wenn das Ziel erreicht ist, nämlich wenn Christus wiederkommt, wenn das Ziel erreicht ist, bedarf es keiner Zeichen mehr, weil die von ihnen gemeinte Wirklichkeit in unverhüllter Gestalt hervortritt. Da gibt es keine Wortverkündigung mehr, keine Sakramentenverwaltung, keine Kirchenzucht. Da gibt es kein Papsttum mehr, kein Bischofsamt, kein Priestertum. Es braucht ja niemandem mehr das Leben Christi eingeformt zu werden, weil die Herrlichkeit des verklärten Leibes Christi alles erfüllt. Die Gemeinschaft der mit Christus vereinten Menschen wird freilich weiter bestehen. Insofern lebt auch die Kirche weiter. Aber eben als eine verklärte Gemeinschaft von Vollendeten. Dann kommt sie, diese Menschheit, die verklärte Menschheit, ganz zu sich selbst. Die von Christus gesammelte Gemeinschaft kommt dann zu dem von ihm bestimmten Ziel.

Die Ausführungen, meine lieben Freunde, die ich heute gemacht habe, von den Letzten Dingen dieses Weltalls, diese Ausführungen könnten als Phantasie oder Schwärmerei angesehen werden, wenn sie von Menschen erwartet würden. Aber sie haben Gott als Urheber und Garanten. Gott täuscht nicht und kann nicht getäuscht werden. Was er verheißen hat, das wird er erfüllen. Wir dürfen weiter zuversichtlich beten: „Dein Reich komme!“ Mit dem Propheten Daniel schauen wir in die Ferne und sehen die Macht Gottes kommen. Die Zukunft gehört den Christen. Wir aber wollen flehen mit der Kirche: „Rüttle, oh Herr, unsere Herzen auf, auf dass wir deinem Eingeborenen die Wege bereiten, und ihm zu dienen vermögen mit einem durch seine Ankunft geläuterten Herzen.“

Amen.

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