22. April 2012
Die Unentschuldbarkeit
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Zu den vergessenen Wahrheiten der christlichen Lehre gehört die Unentschuldbarkeit, die Lehre von der Unentschuldbarkeit des Menschen. Unentschuldbar ist, wer für seine Verfehlung keine Entschuldigung anführen kann. Das Wort „unentschuldbar“ kommt in der Heiligen Schrift zweimal vor, und zwar beide Male im Römerbrief des Apostels Paulus. Die Sache, die Sache der Unentschuldbarkeit, ist viel, viel häufiger. Das Wort „unentschuldbar“ gebraucht der hl. Apostel Paulus von den Menschen, die sich gegen die Erkenntnis des Willens Gottes und gegen das Tun dieses Willens stellen. „Gott“, schreibt er, „ist erkennbar.“ Was unsichtbar an ihm ist, das ist seit der Erschaffung der Welt an seinen Werken erkennbar. Der Mensch kann von den Werken auf den Werkmeister, von der Schöpfung auf den Schöpfer schließen. Seine ewige Macht und Göttlichkeit sind den Menschen zugänglich. Sie werden an den Geschöpfen erschaut. Es ist möglich, Gott zu finden, aber die Menschen wehren sich gegen diese Erkenntnis. Sie suchen Ausflüchte, um nicht anbeten zu müssen – vergebens! Die Erkenntnis Gottes, die möglich und wirklich ist, klagt sie an, macht sie unentschuldbar.
Die Menschen haben ein Weiteres getan. Sie suchen Gottes Willen zu umgehen. Sie vertauschen die Wahrheit Gottes mit der Lüge. Sie erweisen Anbetung und Verehrung dem Geschöpf statt dem Schöpfer. Paulus wird ganz konkret: „Die Frauen vertauschen den naturgemäßen Verkehr mit dem widernatürlichen. Die Männer verlassen den natürlichen Verkehr mit der Frau und entbrennen in ihrer Gier gegeneinander.“ Der Wille Gottes ist bekannt, aber die Menschen tun ihn nicht. Sie sind unentschuldbar. Das Wort „unentschuldbar“ kommt nur zweimal vor. Die Sache ist häufig in der Heiligen Schrift bezeugt. Und ich will Ihnen heute aus dem Tun und Reden des Herrn ein überzeugendes Beispiel bieten.
Der Herr kam in Jerusalem am Tempel vorbei, zum Laubhüttenfest. Da saß ein Blinder. Vielleicht hatte er ein Schild auf der Brust: „Blind geboren“ und bettelte um Gaben. Nach jüdisch-rabbinischer Ansicht ist jede Krankheit und jedes Unglück die Strafe für eine Sünde oder ein sündiges Leben. Im babylonischen Talmud steht: „Kein Tod ohne Sünde und keine Züchtigung ohne Schuld.“ Die Juden gingen sogar noch weiter. Sie waren der Meinung, dass die Kinder für die Sünden ihrer Eltern büßen müssten. Den Rabbinern war die Vorstellung geläufig, dass körperliche Gebrechen der Kinder auf Versündigung der Eltern zurückzuführen sind. Es finden sich auch Zeugnisse dafür, dass die Rabbiner ein Sündigen des Kindes im Mutterleib für möglich hielten. Deswegen die Frage der Jünger an Jesus: „Wer hat gesündigt, Meister? Dieser – oder seine Eltern?“ Dass er gesündigt haben musste oder dass seine Eltern gesündigt haben mussten, das war ihnen klar. Der Herr weist diese Frage ab. „Weder er noch seien Eltern haben gesündigt, sondern dieses Leiden ist geschehen, damit die Werke Gottes an ihm offenbar werde.“ Die Werke Gottes, das sind die Wunder, die der Vater im Himmel seinem Sohn zu tun gibt. Er weist also schon hin auf das, was er bereit ist zu tun. Man darf hier nicht nach dem Grund des Blindgeborenseins fragen, sondern nach dem Zweck. Und der Zweck ist: es sollen an ihm die Werke Gottes offenbar werden.
Jesus wirkt das Wunder. Er bedient sich dazu gewisser Praktiken, die offenbar deutlich machen sollen, dass er wirklich der Urheber der Heilung ist. Er mischt Speichel und Staub. Er streicht den Teig auf die Augen des Blinden, und dann schickt er ihn zum Teich Siloa. Nicht, weil das Wasser in diesem Teiche so gut ist, sondern um seinen Glauben zu erproben. Der Blinde besteht die Glaubensprobe. Er geht zum Teiche Siloa. Er wäscht sich, und zum ersten Male in seinem Leben erfassen seine Augen die umgebende Wirklichkeit. Die Heilung des Blinden erregt selbstverständlich bei den Nachbarn und bei allen, die ihn kannten, größtes Aufsehen. Das Wunder scheint so unglaublich, dass sie die Identität des Geheilten bezweifeln. „Er ist es“, sagen die einen. „Nein, er sieht ihm nur ähnlich.“ Er selber aber sagt: „Ich bin es wirklich!“ Und da erkundigen sie sich, wie es geschehen ist, dass er sehend geworden ist. „Der Mann, der Jesus heißt, strich mir einen Teig auf die Augen und schickte mich zum Teiche mit der Aufforderung, mich dort zu waschen. Ich bin hingegangen, ich habe mich gewaschen, und – ich bin sehend.“ Der Geheilte wird dann zu den Pharisäern gebracht. Sie sind zuständig für alles, was eine religiöse Komponente hat. Sie fragen ihn: „Wie ist das mit dir geschehen? Was sagst du selber dazu?“ – „Der Mann, der Jesus heißt“, erklärt er, „hat einen Teig auf meine Augen gestrichen, ich habe mich gewaschen, und jetzt sehe ich!“
Der Bericht des Geheilten versetzt die Befrager in größte Verlegenheit. Das Wunder scheint seinen Vollbringer als Gottgesandten auszuweisen. Aber er hat dieses Wunder am Sabbat gewirkt. Wie kann ein Sabbatschänder von Gott gesandt sein? So kommt es zu einer Spaltung unter den Pharisäern. Die einen erklären: Ein Mensch, der den Sabbat bricht, kann nicht von Gott mit der Wundergabe ausgestattet sein. Die anderen erklären: Im Gegenteil – ein Sünder kann keine Wunder wirken. Also: Wenn er ein Wunder wirkt, muss er von Gott gesandt sein. In ihrer Ratlosigkeit befragen die Pharisäer noch einmal den Geheilten, was er von seinem Heiler hält? Der Geheilte: Er ist zum wenigsten ein Prophet. Von Propheten erwartete man im Judentum die Gabe des Wunderwirkens. Das können wir erkennen bei der Geschichte vom Jüngling von Naim. Als Jesus diesen Gestorbenen zum Leben zurückgerufen hatte, da sagt das Volk: „Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden!“ Die Antwort ist den Pharisäern peinlich, und sie zweifeln erneut an Identität des Geheilten. Jetzt befragen sie die Eltern: „Ist das euer Sohn?“ – „Das ist bestimmt unser Sohn“, sagen die Eltern, „und er ist auch bestimmt blind geboren, aber wie er jetzt sehend geworden ist, das wissen wir nicht. Er ist alt genug. Fragt ihn selber.“ Die Eltern sind vorsichtig und ausweichend. Sie fürchten sich vor der Maßregelung durch die jüdischen Oberen. Diese hatten nämlich den Beschluss gefasst, einen jeden aus der Synagoge auszustoßen, der Jesus als den Messias bekennt.
Aus der Tatsächlichkeit der wunderbaren Heilung müssten die Anwesenden erkennen, dass Jesus ein Wundertäter ist. Aber die Juden sind nicht gewillt, aus dieser Tatsache die richtige Folgerung zu ziehen. Für sie steht fest: Ein Übertreter des Sabbatgebotes kann nicht die Wundergabe besitzen. So befragen sie noch einmal den Geheilten. Er soll Gott die Ehre geben und zugeben, dass Jesus nicht der Wundertäter ist. „Ob er ein Sünder ist, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er mir die Augen geöffnet hat!“ Dann fragt er sie spöttisch, ob sie denn auch Jesu Jünger werden wollen, weil sie sich so für ihn interessieren. Da werden sie unwillig: „Sei du Jünger Jesu, wir sind die Jünger des Moses!“ Der Geheilte läßt sich durch ihre Beschimpfungen nicht einschüchtern. Er hält ihnen den Widerspruch vor zwischen der Theorie, dass ein Wunder die göttliche Sendung des Wundertäters beglaubigt, und ihrem gegenwärtigen Verhalten. Als die religiösen Führer Israels müssten sie doch aus der Tatsächlichkeit des Wunders den Schluss ziehen, dass Jesus göttliche Sendung und Bevollmächtigung besitzt, da Gott keinen Sünder, sondern nur einen Gottesfürchtigen erhört. Der Mann muss also ein Gottgesandter sein. Die Juden aber können sich zu dieser Folgerung nicht durchringen. Sie können auch dem Blindgeborenen nichts Stichhaltiges erwidern. Sie lehnen jede Belehrung durch ihn ab. Wie kann er, der ganz in Sünden geboren ist, ihnen, den Gesetzeslehrern, den Gesetzerforschern, eine Belehrung zuteilwerden lassen? Sie beenden die Diskussion, indem sie ihn aus der Synagoge ausstoßen.
Der Geheilte hat aus dem an ihm gewirkten Wunder den richtigen Schluss gezogen: Jesus ist ein Prophet, ein von Gott mit Wunderkraft ausgerüsteter Mann. Zum Glauben an den Menschensohn wird er durch Jesus selbst geführt, denn Jesus trifft ihn später wieder und fragt ihn: „Glaubst du an den Sohn Gottes, der Gott gleich ist, der Wunderkraft besitzt, die Jahwe ihm nicht wie einem Propheten bloß geliehen hat?“ Der Geheilte antwortet. „Ich bin bereit zu glauben, aber sage: Wer ist es?“ Jesus entgegnet: „Der mit dir spricht, der ist es!“ Darauf der Geheilte: „Ich glaube, o Herr!“ Und er wirft sich vor ihm nieder.
Damit ist der Vorgang nicht beendet. Jesus benutzt ihn, um seine Sendung zu erklären. Er spricht zu den Pharisäern: „Zum Gericht bin ich in die Welt gekommen, damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden.“ Zum Gericht bin ich in die Welt gekommen, damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden. Das heißt, sein Kommen führt die Scheidung unter den Menschen herbei. Blinde werden sehend, angeblich „Sehende“ werden blind. Die Pharisäer spüren, dass das auf sie gemünzt ist. „Gehören wir etwa zu den Blinden?“, fragen sie. Jesus antwortet: „Ach, wäret ihr blind, dann wäre eure Haltung vielleicht entschuldbar. Aber nun seid ihr nicht blind, sondern ihr sagt ja von euch selbst, dass ihr seht. Deswegen bleibt eure Sünde, sie ist unentschuldbar“. Die Pharisäer gehören nicht zu den unverschuldet Blinden. Wenn sie schuldlos blind wären, hätten sie keine Sünde. Da sie aber auf ihr Sehen, ihr vermeintliches Sehen, ihre vermeintliche Erkenntnis pochen, und sich deshalb dem Lichte, das Christus ist, nicht öffnen, bleiben sie in ihrer Sünde und werden dem ewigen Verderben verfallen. Das ist die Lehre von der Unentschuldbarkeit, die der Apostel Paulus aufgenommen hat. Sie geht auf Jesus zurück. Der Herr hat sie wiederholt vorgetragen. „Wäre ich nicht gekommen, und hätte zu ihnen gesprochen, so hätten sie keine Sünde. Jetzt aber haben sie keine Ausrede für ihre Sünde.“ Die Offenbarung ist geschehen. Die Lehre des Offenbarers ist bekannt. Sie kann den Evangelien, sie kann der Kirche in ihrer Verkündigung entnommen werden. Die Menschen haben erfahren, was zu tun und was zu lassen ist. Wo das Heil ist, und wer ihnen das Heil bringt. Aber die Menschen, viele Menschen sperren sich gegen die Annahme der Offenbarung. Sie wollen nichts hören vom Leben und Reden des Offenbarers. Sie verharmlosen seine Gestalt. „Der charmante Tischler“, wie Ernest Renan sagt, „der charmante Tischler “, so redet er von Jesus Christus, unserem Herrn.
Jesus, der Offenbarer, hat nicht nur geredet, Er hat gehandelt. Er hat den Mann mit der verdorrten Hand geheilt. Er hat Aussätzige von ihrer Plage befreit. Er hat Besessene dem Einfluß der Dämonen entrissen – kurzum: Jesus hat seine Worte bekräftigt, unterstrichen und bewiesen durch seine Wundertaten. Seine Taten zeugen dafür, dass er der gottgesandte Offenbarer ist. Aber die Menschen ziehen daraus nicht die richtige Folgerung. Dass Gott mit ihm ist, dass Gott durch ihn handelt. Sie leugnen seine Werke. Das ist „Gemeindetheologie“, sagen die ungläubigem Theologen, „Gemeindetheologie, d. h. Erfindung.“ Der Herr aber sagt „Hätte ich nicht die Werke getan, die kein anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde. Jetzt aber haben sie gesehen und trotzdem mich gehasst und meinen Vater. Deswegen sind sie unentschuldbar.“
Die Lehre von der Unentschuldbarkeit ist wahrhaft eine furchtbare Wahrheit, denn die damit gemeinte Sache ist häufig. Wir erleben immer wieder, wie Menschen gegen besseres Wissen an ihren falschen Rezepten festhalten, sich nicht belehren lassen, weiter den breiten Weg gehen, der ins Verderben führt, obwohl ihnen die Wahrheit unterbreitetet worden ist. Seit Jahrzehnten werden von katholischen Theologen irrige Lehren verbreitet. Jesu Wunder werden geleugnet. Seine Kirchenstiftung wird abgestritten. Die Einsetzung der Sakramente durch ihn wird verworfen. Im Gottesdienst herrscht Willkür. Die Eucharistiefeier wird umgemodelt. Die Fürbitten werden zur Indoktrination benutzt. Das alles ist den Verantwortlichen zu Gehör gebracht worden, aber sie sind darüber hinweggegangen. Seit Jahrzehnten haben prophetische Männer und Frauen die Bischöfe darüber aufgeklärt, was geschehen muss, um den offenen und schleichenden Abfall vom Glauben aufzuhalten. Die Bischöfe haben nicht auf sie gehört. Sie haben nichts Nachhaltiges unternommen, um den Glauben zu schützen und die Würde des Gottesdienstes zu bewahren. Große Gelehrte, wie Hubert Jedin und Konrad Repgen, haben den Bischöfen geschichtliche Tatsachen vor Augen geführt, um sie endlich zum Handeln zu bewegen. Die Bischöfe haben ihre Eingaben abgeheftet und nichts getan. Sie sind – unentschuldbar.
Meine lieben Freunde, der Herr hat am Kreuze für die gebetet, die nicht wissen, was sie tun. Was aber ist mit denen, die wissen, was sie tun? Wir müssen den Herrn bitten: Heiland, es ist nicht genug, dass Du für die betest, die wohl wissen, was sie tun. Du musst auch beten für die, die wissen, was sie tun. Und wenn dein Mund nicht für sie betet, dann soll dein Blut für sie um Erbarmen rufen.
Amen.