Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Juni 2010

Leben im Glauben an den Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat,“ schreibt der Apostel Paulus im Brief an die Galater. „Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat.“ Was heißt das: im Glauben leben? Im Glauben leben bedeutet: Der Glaube ist der Raum. die Atmosphäre, der Umkreis, in dem ich mein Leben verbringe. Mein Leben ist begründet auf den Glauben. Der Glaube prägt, durchdringt und leitet mein Leben. Alle Lebensäußerungen sind vom Glauben eingegeben, entworfen, gebildet. Was ein Gläubiger spricht, was er tut und was er denkt, das ist vom Glauben geprägt. Das heißt: Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat. Paulus konnte so sprechen, denn er war ein Feuerbrand, der sein Feuer vom Heiligen Geist empfangen hatte. Er war ein Sturm, der seine Kraft aus der Macht des Geistes empfing.

Gilt das auch für uns? Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat? „Nicht als ob ich schon alles begriffen hätte, aber ich selbst bin ergriffen von Christus“, fährt der Apostel Paulus fort. Er ist ergriffen von Christus. Das heißt: Er gehört nicht mehr sich selbst, sondern er gehört Christus. Er lebt in der Gesinnung: Lieber alles verlieren als Christus preisgeben. Im religiösen Leben, meine Freunde, ist wenig erreicht, wenn man nicht eine persönliche Beziehung zu Christus gefunden hat. Persönliche Beziehung zu Christus heißt, er muss einem nahe sein, er muss einem vertraut sein, er muss einem befreundet sein. Er muss sein Leben mit Christus vollziehen, muss fragen: Wie denkst du, mein Heiland, über meine Pläne, über meine Projekte? Wie denkst du über mein Leben? „Er hat mich geliebt und sich für mich dahingegeben.“ Das ist das große Geheimnis Christi, dass er uns geliebt hat, als wir noch Sünder waren, in einer Zeit, wo wir von Gott abgewendet lebten. Er hat uns nicht dem verdienten Zorn Gottes überlassen, sondern uns aus dem Abgrund gerettet. Wodurch? Nun, zuallererst und zuoberst durch seine Menschwerdung. „Einen Leib hast du mir bereitet. Siehe, ich komme, deinen Willen zu erfüllen.“ Das ist der Leitsatz, der über dem Leben Jesu steht. Es ist die unerhörte, einzigartige, einmalige Tatsache, dass Gott selbst sich aufmachte, den Menschen zu retten. Darüber kann man nicht genügend staunen, und das kann man nicht genügend bewundern. Die Menschwerdung des Logos ist die erregendste Tatsache der Weltgeschichte. Der Unsichtbare wurde sichtbar, der Schöpfer kam in seine Schöpfung. Er kam, nicht um das Leben zu genießen, sondern um das Leben zu verschenken. Er kam nicht, um seinem eigenen Willen nach zu leben, sondern den Willen des Vaters zu erfüllen. „Er hat mich geliebt uns sich für mich dahingegeben.“

In seinem Leben in Galiläa und Judäa, landauf, landab ist er gewandert, predigend, heilend, helfend, segnend. In der Apostelgeschichte steht der Satz: „Er zog Wohltaten spendend umher.“ Als er den Taubstummen geheilt hatte, gerieten die Zeugen außer sich über dieses Wunder. Sie staunten und sagten: „Er hat alles wohl gemacht. Die Tauben macht er hören und die Stummen reden.“ Sein Leben war ein unvergleichliches Leben. Niemals hätten die Jünger seinen Worten Glauben geschenkt, wenn er nicht durch Taten seine Lehre bekräftigt hätte. Wenn nicht die Wirklichkeit das Leben Jesu geschrieben hätte, kein Menschenhirn hätte es ersinnen können. Es war ein Leben zur Ehre Gottes im Dienste der Menschen. Dafür war er rastlos tätig. „Ich muss die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat, solange es Tag ist. Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.“ Er war ein so begehrter und ersehnter Mensch, dass die Scharen ihm keine Ruhe ließen. Als er einmal des Nachts aufstand, um auf einem einsamen Berge zu beten, da setzten sie ihm nach und wollten ihn festhalten. Sie ließen ihm keine Ruhe. Er aber entgegnete: „Auch anderen Städten muss ich die Heilsbotschaft bringen.“

Im Psalm 68 steht ein Wort, das auf Jesus wahrhaftig zutrifft: „Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.“ Wenn dieses Wort jemals für einen Menschen gegolten hat, dann gilt es für ihn. Der Eifer für dein Haus verzehrt mich. Und er hat ihn verzehrt, denn er sagte: „Wir ziehen hinauf nach Jerusalem.“ Er war schon vorher in Jerusalem gewesen, aber diesmal war es ein Gang ganz anderer Art. „Wir ziehen hinauf nach Jerusalem.“ Er war nicht ahnungslos. Er wußte, was ihn erwartete, denn dort würde alles in Erfüllung gehen, was die Propheten über ihn geschrieben hatten: Er wird den Heiden ausgeliefert, er wird verspottet, mißhandelt, angespuckt werden. Man wird ihn geißeln und töten. Das alles wußte er. Dennoch zögerte er nicht, festen Schrittes, entschlossenen Sinnes hinaufzuziehen nach Jerusalem. Er tat es für die schuldbeladene Menschheit. Sein ganzes Leben stand unter dem Gesetz: „Er hat mich geliebt und sich für mich dahingegeben.“ Darauf müssen Sie immer achten, meine lieben Freunde, auf das kleine Wörtlein „für“, lateinisch „pro“, denn das war das Prinzip, das über dem ganzen Leben Jesu stand: Für uns ist er ein Mensch geworden, für uns ist er gewandert, für uns hat er gepredigt, für uns ist er gegeißelt worden, für uns hat er am Kreuze gehangen. Immer für uns, und das in einem doppelten Sinne, nämlich uns zum Nutzen und an unserer Statt. Das Wörtchen „für“ hat nämlich zwei Bedeutungen: zum Nutzen von jemandem und an der Stelle, an der Statt von jemandem. Beides hat Jesus in seinem Leben, Leiden und Sterben erfüllt.

Es war ein heiliger Tausch: Jesus nahm die Schmach auf sich und gab uns die Ehre. Er trug den Schmerz, und er gab uns dafür die Gesundung. Er trug den Tod und gab uns dafür das Leben. Die Wunden Jesu predigen noch stärker als seine Worte, denn „durch seine Wunden sind wir geheilt“.

Er hat mich geliebt und sich für mich dahingegeben. Das Wort steht auch über dem eucharistischen Opfersakrament, das wir ja in den vergangenen Tagen in besonderer Weise geehrt haben. Aus Liebe ist er gekommen, aus Liebe ist er geblieben. Im eucharistischen Opfersakrament ist er wahrhaft, wirklich und wesentlich zugegen. „In Demut bet ich dich, verborgene Gottheit, an.“ Wie kann da der Pfarrer von Sprendlingen sagen: „Wir tragen Brot durch die Straßen“? Wie kann er das sagen?! Brot ist es, bevor es gesegnet wird. Sobald die Worte Christi darüber gesprochen werden, ist es der Leib Christi. Christi Wort wirkt dieses Sakrament. Die Theologie hat sich bemüht, dieses Geschehnis zu erklären. Man hat die beiden Begriffe „Substanz“ und „Akzidenzien“ dafür verwendet. Substanz ist das innerste Wesen eines Gegenstandes, Akzidenzien ist das Äußere, was man sieht, was man hört, was man schmeckt, was man berührt. Die Substanz, so hat die Theologie gesagt, die Substanz, also das, was in einer Tiefe liegt, die kein Fernrohr und kein Mikroskop erreichen kann, die Substanz wird verwandelt. Aus Brotsubstanz wird die Substanz des Leibes Christi. Wir haben hierfür das glückliche Wort „Wesensverwandlung“, lateinisch „Transsubstantiation“. Kraft der Wesensverwandlung ist er gegenwärtig, den die Engel anbeten und den Maria in ihrem Schoß getragen hat. Wir wissen Gott gegenwärtig, den der Vater in die Welt eingeführt hat, den anbeten sollen alle Engel. Kein Volk ist so groß, dass es einen Gott hätte, der ihm so nahe ist wie unser Gott. Obwohl er der Mächtigste ist, konnte er nichts anderes geben. Obwohl er der Reichste ist, hat er nichts Besseres zu geben. obwohl er der Weiseste ist, wußte er nichts Größeres zu schenken. Er hat mich geliebt und sich für mich dahingegeben. Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes.

Wir feierten am vergangenen Freitag das heiligste Herz Jesu. Herz Jesu. das ist die Mitte, das ist die Innigkeit der Liebe unseres Heilandes. Wir können den ganzen Reichtum der Persönlichkeit Jesu nur einigermaßen ausschöpfen, indem wir ihn gleichsam aufteilen. Am Fronleichnamsfest feierten wir seinen Leib, am 1. Juli feiern wir sein Blut, und am Herz-Jesu-Fest feiern wir sein Herz. Das alles dient dazu, uns mehr mit Jesus vertraut zu machen und zu begreifen, dass er uns geliebt und sich für uns dahingegeben hat.

Aber freilich, man muss daran glauben. Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes. Ein echter, starker, fester Glaube müßte eine Welt überwindende Macht sein. Und so schreibt ja auch der Apostel Johannes: „Das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube.“ Einen anderen Sieg gibt es nicht. Weder mit Geld noch mit Organisationen kann man die Welt überwinden, sondern nur im Glauben.

Warum, meine Freunde, bringen die Menschen im religiösen, im sittlichen Leben so wenig zustande? Der Grund ist einfach: weil ihr Glaube schwach ist. Zu großen Anstrengungen, zu schweren Überwindungen verhilft nur der Glaube. Wenn ich im Glauben überzeugt bin, dass das Messopfer ein Wert, ein unerhörter Wert ist, dann werde ich auch zum Messopfer hingehen. Wenn ich im Glauben überzeugt bin, dass der Priester ein zweiter Christus ist, verähnlicht mit ihm in einer unaussprechlichen Weise, dann ist der Zölibat für mich eine Lappalie. Um Christi willen werde ich im Glauben alles auf mich nehmen, was er mir auflädt. Es ist unübersehbar, dass sich unsere Kirche in einer Krise befindet. Wenn ich diese Schwätzer schon höre, diese Schwätzer auf den Bischofsstühlen, die die Krise immer noch vermehren! Es ist unübersehbar, dass sich unsere Kirche in einer Krise befindet, d.h. in einer schwierigen, gefährlichen Lage, Versagen von Priestern, Versagen von Theologen, Versagen von Bischöfen, Lauheit und Gottvergessenheit im christlichen Volke. Dieses Versagen hat nur eine einzige Wurzel: Es ist die Erschütterung des Glaubens. Durch die jahrzehntelange Wühlarbeit ungläubiger Theologen und durch die Angleichung an nichtkatholische Religionsverbände ist der Glaube in vielen Menschen zusammengebrochen und erschüttert worden. Mit einem unsicheren Glauben läßt sich kein christliches Leben führen.

Heinrich Heine stand einmal vor dem Dom, vor der Domkirche in Antwerpen und bewunderte ihn. Dann sprach er die denkwürdigen Worte: „Die Menschen, die dieses Gotteshaus gebaut haben, hatten Dogmen. Wir haben nur Meinungen. Mit Meinungen baut man keine Dome!“ Mit Meinungen führt man auch kein christliches Leben.

Freilich weiß ich um die unaufhörlichen Angriffe von außen, die Schmähungen und Verunglimpfungen, und sie treffen ja häufig diejenigen, die die tatkräftigsten Verteidiger des Glaubens sind. Der Satan hat Sinn für Qualität. Das Christentum, so sagen sie uns, hat versagt, die Kirche hat versagt. Diese Vorwürfe halte ich in aller Redlichkeit für verfehlt. Nicht das Christentum hat versagt, sondern die Menschen haben sich unfähig erwiesen, es zu leben. Eine Lehre wird nicht dadurch falsch, dass ihre Anhänger sich nicht danach richten.

Im 3. Jahrhundert konnte der Schriftsteller Minutius Felix in seiner Schutzschrift für die Christen schreiben: „Wir sprechen nicht große Worte, sondern wir leben die Größe.“ Im 20. Jahrhundert schrieb der Apostel von Berlin, der große, unvergeßliche Carl Sonnenschein: „Des Katholiken charakteristisches Zeichen soll sein, dass er die Religion lebt, nicht dass er von ihr redet.“ Wir müssen also leben für den Glauben, leben im Glauben, leben aus dem Glauben. In Christus gilt nur der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist. Die zum Glauben an Gott gelangt sind, müssen sich auszeichnen durch gute Werke. Im Jakobusbrief steht der dürre Satz: „Was nützt es, wenn einer sagt, er habe den Glauben, aber keine Werke aufzuweisen hat?“ Und an einer anderen Stelle mahnt er: „Seid Befolger des Wortes und nicht bloß Hörer! Die das Wort Gottes bloß hören, die täuschen sich selbst.“

Wir müssen Gott mit unserer Hände Arbeit und mit unserem Herzen und im Schweiße unseres Angesichtes dienen. Das Christenleben war niemals bequem.

Wir müssen ihm nachfolgen. Was heißt das? Das heißt, wenn es von uns gefordert wird, verzichten auf liebgewordene Gewohnheiten, verzichten auf gefährliche Neigungen, verzichten auf ausgreifende Pläne. Ihm nachfolgen, das heißt, das Kreuz auf uns nehmen, das Kreuz unserer Natur, unseres Körpers, unserer Familie, unseres Berufes, das Kreuz unseres Glaubens und ihm nachfolgen, bis zum Garten, in dem er den Blutschweiß vergossen hat, bis zum Hügel Golgotha, denn er hat mich geliebt und hat sich für mich hingegeben, also will ich leben im Glauben an meinen Heiland Jesus Christus.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt